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bestimmen. Nicht davon hängt der Werth unsrer Handlungen ab, M. Z., daß sie mit den vorhand nen Gefeßen übereinstimmen, oder nicht, daß sie das gemeine Wohl befördern, oder hindern, daß sie diese oder jene Folge nach sich_ziehen; alles kommt auf die Quelle an, aus der sie entsprungen sind, auf die Absichten und Gesinnungen, die daben zum Grunde gelegen haben, auf den Grad von freyem Entschluß, mit welchem man das Gute wählte, weil es gut war, und entfernt von eigennützigen Rück sichten es ausübte. Hat dieß seine Richtigkeit, so ist es offenbar, daß wir über den wahren Werth der menschlichen Handlungen, daß wir über das, was gerade das Wichtigste ben ihnen ist, fast gar kein Urtheil wagen können. Denn ist die geheime Werkstatt des Geistes, wo alle Gedanken sich bilden, wo alle Triebe sich regen, wo alle Beweggründe ihr Gewicht äussern, und alle Entschließungen gefaßt werden, unsern Blicken nicht ganz verschlossen; müssen wir uns nicht bescheiden, daß auch die tiefste Untersuchung diesen Abgrund der menschlichen Seele nicht ganz erforschen kann; ist es nicht bekannt, daß der Einfluß, den Gedanken, Absichten und Neigungen aller Art auf die menschlichen Handlungen äußfern, so mannigfaltig, so verwickelt, so verborgen und unmerklich ist, daß wir ihn bey unserm eignen Verhalten nicht richtig genug fassen, unser eignes Thun nicht bestimmt genug würdigen können? Es ist also nichts weiter, als Muthmassung, nichts weiter, als ein mehr oder weniger wahrscheinlicher Ausspruch, der sich nie der völligen Gewißheit nähert, was wir von dem wahren Werthe menschlicher Handlungen sagen können; und nirgends ungerechtes Lob und ungerechter Tadel gewöhnlicher, als hier. Aber so ists nicht bey dem Allwissenden, so ists nicht beym Richter der Welt! Kennt er seine Geschöpfe nicht ganz, nach ihren verborgensten Fähigkeiten und Kräften? Geschehen ihre geheim

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ften Veränderungen, und ihre innersten Bewegungen nicht vor seinen Augen? Ueberschaut er nicht den ganzen Zusammenhang der Ursachen, die bey jeder That wirksam sind, und weiß genau, wie viel jede derselben dazu beyträgt? Verfolgt sein Blick nicht die ganze Reihe von Umständen, Veränderungen und Schicksalen, durch welche der Mensch ge= gangen, und durch deren Einfluß er das geworden ist, was er jezt ist? Kann er also den Grad von Freyheit, von eignem Vorsaß, von reiner Selbstthätigkeit, der uns ben unserm Verhalten zur Last fällt, oder zum Lobe gereicht, nicht absondern von allem Unwillkührlichen und Fremden, und unfre Schuld oder unser Verdienst auf das Genaueste darnach abwägen? Grosser Gedanke; es giebt ein Wesen, das mich besser kennt, als ich mich selber kenne; das mit untrüglicher Gewißheit meine Ver: schuldung und mein Verdienst bestimmt; das mir weder schmeichelt, noch unrecht thut; das Urtheil Gottes über mich ist allein das gerechteste!

Vergesset nicht, daß es auch allgemeiner ist, als das menschliche, denn Gott sieht auf deu ganzen Zusammenhang unsers Lebens und unsrer Veränderungen. Kein menschliches Auge kann uns durch die mannigfaltigen, unaufhörlich wechselnden Auftritte hindurch verfolgen, M. 3., aus denen unser irdisches Daseyn zusammengesezt ist; lauter abgerissene Stücke, lauter einzelne Begebenheiten, blog Handlungen, die etwas Hervorstechendes haben, und öffentlich geschehen, können Andre von uns wissen; darnach müssen sie das Urtheil bilden, welches sie über uns fällen. Ist es ein Wunder, wenn dieses Urtheil einseitig wird; wenn sie uns für gut halten, weil ihnen zum Glück gerade einige gute Handlun gen von uns in die Augen gefallen sind; wenn sie uns mit Verachtung ansehen, weil sie zum Unglück gerade einige Fehler von uns wahrgenommen haben 2

Wie würden wir erstaunen, wie so ganz würden wir unser Urtheil über unzählige Menschen ändern und umstimmen müssen, wenn das Stückwerk ihrer Handlungen, das uns bekannt ist, uns in seinem wahren Zusammenhang erschiene; wenn sich uns das Ganze ihres Lebens, mit allem dem, was heimlich, und ohne daß wir etwas davon' wußten, geschehen ist, in voller Deutlichkeit darstellte; wie Manchen würden wir mit Abscheu betrachten lernen, den wir jezt ehren; wie Mancher würde unsre Ehrfurcht, wenigstens unser Mitleiden erhalten, den wir jezt verachten. Dieses belehrende Ganze, diesen wahren, ächten, vollständigen Zusammenhang unsers Lebens und aller unsrer Thaten kennt Gott, M. Br., für ihn ist nirgends Lücke, nirgends Dunkelheit, nirgends Zweifel; er richtet uns nicht nach dem, was wir bey dieser oder jener Gelegenheit, bey dieser, oder jener Hauptveränderung, ben diesem oder jenem bedenklichen Falle gewesen find; nein, ber dem Ausspruche, welchen er über uns thut, ist alles berechnet, was jemals von uns geschehen ist; nach dem Geist und Sinn, der in unserm ganzen Verhalten herrscht, der in einzelnen Handlungen unkenntlich seyn kann, aber sich desto deutlicher in der Verbindung aller Theile zeigen muß, ist das Urtheil abgewogen, das wir von ihm erhalten; es ist auch allgemeiner, als das menschliche.

Sehet noch hinzu, daß es endlich auch unwan delbarer seyn muß; denn er ist frey von allen leidenschaftlichen Bewegungen. Was ist flüchtiger und veränderlicher, M. 3., als menschlicher Beyfall und menschlicher Tadel. Send noch so rechtschaffen, noch so würdig, geschäzt und geliebt zu werden; die Begeisterung, mit der man euch eine Zeitlang ehrt, wird sich nach und nach vermindern; man wird kälter gegen euch werden, weil man sich nach etwas Neuem sehnt, weil man eure Strenge beschwerlich findet, weil der Geschmack sich ändert, weil die veränder

liche Laune auf etwas fällt, was ihr nicht mitmachen könnet, oder dürfet. Dagegen wird man sich mit Andern aussöhnen, die man ihrer Fehler wegen verz abscheute; man wird anfangen, gelinder von ihnen zu urtheilen; man wird das Andenken ihrer Vergehungen nach und nach verschwinden lassen; man wird sich, wenn glückliche Umstände sie empfehlen, wenn sie den Leidenschaften der Menschen durch allerley Bortheile schmeicheln können, nicht schämen sie sogar zu schätzen, zu verehren, zu vergöttern. Ach nur gar zu sehr fällt es in die Augen, M. 3., daß der Beyfall und die Mißbilligung, daß Lob und Tadel der Menschen weit mehr in regellosen Ausbrüchen ihrer bald so, bald anders gerichteten Neigungen, als in festen, unparthenischen Entscheidun gen einer richtig urtheilenden Vernunft bestehen! Solche Entscheidungen dürfen wir nur von dem ers warten, der ganz erhoben ist über den Sturm der Leidenschaften, und über den Einfluß sinnlicher Tries be. Sein Gesichtspunct ändert sich nie; der Maase stab, nach welchem er uns mißt, ist ewig derselbe; wir hoffen vergeblich, ihn durch irgend etwas bestechen, und sein gerechtes Urtheil ändern zu können; er müßte der Alwissende, er müßte der Heilige und Gerechte, er müßte der Unveränderliche und Ewige nicht seyn, wenn sein Ausspruch nicht stets der Wahrheit angemessen, und mithin eben so unwandelbar, eben so standhaft und unwiderruflich seyn follte, als sie. Und nun ist es klar, wie wahr es ist, daß Gott ganz anders über uns urtheilt, als die Menschen; ihr Gutdünken ist parthenisch, er behandelt einen, wie den Andern; ihr Meynen ist ober: flächlich und falsch, er sieht das Herz an; ihre Entscheidung ist meistens ungerecht, er richtet immer nach Verdienst; ihr Urtheil hängt an einzelnen Handlungen, er umfaßt das Ganze; ihr Lob und Tadel ist endlich wandelbar, wie sie, sein Ausspruch fest, unveränderlich und ewig.

Und nun wird sich leicht zeigen lassen, wozu uns diese Wahrheit dienen soll, und wie fruchtbar für unser Verhalten und Leben fie werden kann. Sie sen uns also der stärkste Antrieb, Niemanden zu Berachten. Denn was könnte uns wohl berechtigen, irgend einen Menschen für ein verwerfliches Geschöpf ohne allen Werth zue erklären? Soll uns dieß unsers Standes, unfrer äussern Verhältnisse wegen erlaubt seyn? Aber was find alle äußre Unterschiede vor Gott; find fie nicht ein Blendwerk, das bloß Menschen täuscht, und vor seinen Augen verschwindet? Oder soll das öffentliche Urtheil uns ein Recht geben, Jemanden gering zu schäßen? Aber wissen wir nicht, daß der Zöllner im Evangelio den öffentlichen Ausspruch wider sich hatte, und dennoch gerechtfertigt hinabgieng in sein Haus; wissen wir nicht, daß das Ge=/ schren der grossen Menge die besten Menschen ge= tadelt, verdächtig gemacht, und gelästert, daß es den Sohn Gottes selbst für einen Missethäter erklärt hat? Oder soll die eigne Kenntniß, die wir von Jemand haben, die Verachtung rechtfertigen, mit der wir ihn betrachten? Aber haben wir nicht gefehen, wie unvollkommen diese Kenntniß ist? find wirs uns nicht bewußt, wie eilfertig wir sie auffaffen, und wie uns zuweilen schon die bloße flüchtige Ansicht zu den verächtlichen Seitenblicken des Pharisäers im Evangelio verleitet? O in so manchem, der äusserlich nichts verspricht, bey dem wir nichts Achtungswerthes vermuthen, bey dem wir nicht einmal nach etwas forschen mögen, weil seine äußre Gestalt uns zu sehr wider ihn einnimmt, in so manchem allgemein verkanntem Geschöpf sieht das Auge -Gottes Vorzüge, die uns fehlen, ein stilles Verdienst, das uns mangelt, eine gute, reine, himm lische Seele, der wir uns bey aller unsrer prahleri: schen Anmassung nicht rühmen können. Und doch wollten wirs wagen, Andre mit wegwerfender Ge

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