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51.

Am dreyzehnten Sonntage nach Trinitatis.

Niemals erscheint der Mensch grösser und kleiner, ehrwürdiger und verächtlicher, M. Z., als wenn man die Kräfte betrachtet, die Gott in seine Natur gelegt hat, und untersucht, was er durch dieselben werden kann, und schon geworden ist. Ehrfurcht und frohes Erstaunen müssen wir über uns selbst empfinden, wenn wir bedenken, wie weit Gott un fre Natur über Alles erhoben hat, was dieser Erdkreis enthält. Schon den Gliedern unsers Leibes hat er eine Schönheit und Würde, eine Geschmei digkeit und Brauchbarkeit gegeben, die uns zum Meisterstück der irdischen Schöpfung macht, und unter allen Körpern auf das Vortheilhafteste auszeichnet. Aber unendlich größre und wichtigere Vorzüge hat Gott unserm Geiste geschenkt. Er hat uns mit einer Vernunft ausgerüstet, die uns den Zugang zu unermeßlichen Schäßen der Erkenntniß und Weis: heit öffnet. Er hat uns Neigungen und Triebe ein gepflanzt, die zur nüßlichsten Geschäftigkeit führen, und unablässig in uns wirken. Er hat uns zu freyen, selbstthätigen Wesen gebildet, die fähig sind, die Gesetze der Sittlichkeit zu erkennen und zu befolgen, und nach der Vollkommenheit zu streben, deren Ur bild und höchster Inbegriff er selber ist. Und kann

man sich enthalten, die menschliche Natur mit Bes wunderung anzusehen, wenn man überlegt, was sie durch diese Vorzüge bereits geworden ist und geleistet hat; wenn man den ungeheuern_Umfang des menschlichen Wissens, der ihr Werk ist; wenn man die Menge grosser, edler, erhabner_Thaten, die sie ausgeübt hat; wenn man die fast unübersehliche Mannigfaltigkeit nüßlicher Künste, die sie erfunden und immer weiter getrieben hat; wenn man endlich die fast unglaubliche Kühnheit und Gewalt be denkt, mit der sie den Erdboden selbst verändert, umgeschaffen, verschönert, und in einen Wohnplas verwandelt hat, wo sie herrscht, und genießt, und gleich einer irdischen Gottheit, alles nach ihrem Gefallen einrichtet?

Aber dieses herrliche Meisterstück der Schöpferkraft Gottes, dieses Ebenbild des Allmächtigen, wie klein, wie verächtlich erscheint es, sobald man wahrnimmt, daß alle die Kräfte, welche die menschliche Natur befizt, gemißbraucht werden, ausarten, und sich in Quellen unzähliger Thorheiten und Laster verwandeln können. Kann etwas demüthigen: der für uns seyn, als ein Blick auf alle die Träume, Vorurtheile und widersinnigen Meynungen, welche der menschliche Verstand zu allen Zeiten hervorgebracht, geglaubt und vertheidigt hat? Kann etwas unsre Natur in unsern eignen Augen verächtlicher machen, als das Andenken an die Vergehungen, an die Ausschweisungen, an die Gräuelthaten, die von Menschen auf Erden verübt worden sind, und noch täglich verübt werden? Kann irgend etwas fähiger seyn, uns mit Eckel und Abscheu vor uns selbst zu erfüllen, als der empörende Anblick so viel elender, zerrütteter, mit allen Arten von Krankheiten und giftigen Seuchen angesteckter Körper, die uns ein unerträgliches Schauspiel darbie ten würden, wenn unser Auge sich nicht nach und

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nach an die schrecklichsten Auftritte des Jammers und der Zerstörung gewöhnt hätte? Groß und klein, ehrwürdig und verächtlich erscheint der Mensch, wenn man die Kräfte betrachtet, die Gott in seine Natur gelegt hat, wenn man untersucht, was er durch dieselben werden kann, und schon geworden ist.

Aber ist es nicht offenbar, M. Z., daß das, was uns erniedrigt, immer ein Mißbrauch unsrer Natur ist, immer davon herrührt, weil wir die grossen Fähigkeiten, die Gott uns geschenkt hat, nicht genug kennen, und sie eben daher auch nicht gehörig zu gebrauchen wissen? Ben Andern mag diese Unwissenheit in gewisser Hinsicht verzeihlich seyn; aber kann sie bey uns entschuldigt werden, ben uns, die wir Christen sind? Hat Gott nicht auf alle Weise dafür gesorgt, uns zu zeigen, wozu wir da find, und was wir werden sollen? Hat er uns durch Jesum seinen Sohn nicht Anweisungen ertheilen lass sen, durch deren Befolgung wir unsre Natur auf die höchste Stufe der Vollkommenheit und Wohl: fahrt erheben könnten? Kommt er uns bey diesem Geschäfte der Besserung und Bildung nicht durch seinen Geist zu Hülfe, und seguet unsre Bemühun gen? Was könnten wir seyn und werden, M. Br., wenn wir aufmerksamer auf die Kräfte unsers Gei stes und Herzens wären, und unter dem Beystande Gottes die Vorschriften treuer befolgten, die uns das Christenthum zur Bildung derselben ertheilt! Lasset uns heute an einem Beyspiele sehen, wie weise die Einrichtung ist, die Gott unsrer Natur gegeben hat, und wie genau sich die Gesehe der Lehre Jesu auf dieselbe beziehen. Es ist ein Hauptvermögen unsers Herzens, dessen Natur Jesus im heutigen Evangelio beschreibt, von welchem er uns zeigt, was es werden kann und soll, um eine Quelle edler Thaten und seliger Freuden für uns zu seyn. Er, der selbst Mensch war, wie wir, der uns durch

sein Beyspiel belehrt hat, welcher Hoheit und Würde unsre Natur fähig sey, entflamme in uns den thätigsten Eifer, ihm zu folgen, und verkläre uns alle zu seinem Bilde. Wir flehen um diese Gnade gemeinschaftlich in stiller Andacht..

Evangelium: Luc. X. v. 23-37.

Und er wandte sich zu seinen Jüngern, und sprach insonderheit: Selig sind die Augen, die da sehen, das ihr se het. Denn ich sage euch: Viel Propheten und Könige woll ten sehen, das ihr sehet, und haben es nicht gesehen; und hören, das ihr höret, und haben es nicht gehöret. Und siehe, da stund ein Schriftgelehrter auf, versuchte ihn, und sprach: Meister, was muß ich thun, daß ich das ewige Leben er erbe? Er aber sprach zu ihm: Wie stehet im Gesetz geschrie ben? Wie liesest du? Er antwortete und sprach: Du sollt Gott deinen Herrn lieben von ganzem Herzen, von ganzer. Seele, von allen Kräften, und von ganzem Gemüthe; und deinen Nächsten als dich selbst. Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geantwortet; thue das, so wirst du leben. Er aber wollte sich selbst rechtfertigen, und sprach zu Jesu: Wer ist denn mein Nächster? Da antwortete Jesus, und sprach: Es war ein Mensch, der gieng von Jerusalem hinab gen Jericho, und fiel unter die Mörder, die zogen ihn aus, und schlugen ihn, und giengen davon, und liessen ihn halb todt liegen. Es begab sich aber ohngefähr, daß ein Pries ster dieselbige Straffe hinab zog; und da er ihn sahe, gieng er vorüber. Desselbigen gleichen auch ein Levit, da er kam bey die Stätte, und sahe ihn, gieng er vorüber. Ein Samàs riter aber reisete, und kam dahin, und da er ihn sahe, jammerte ihn sein; gieng zu ihm, verband ihm seine Wunden, und goß darein Del und Wein, und hub ihn auf sein Thier, und führete ihn in die Herberge, und pflegte sein. Des andern Tages reisete er, und zog heraus zween Groschen, und gab sie dem Wirth, und sprach zu ihm: Pflege fein; und so du was mehr wirst darthun, will ich dirs be zahlen, wenn ich wieder komme. Welcher dünket dich, der unter diesen dreyen der Nächste sey gewesen dem, der unter die Mörder gefallen war? Er sprach: Der die Barmher zigkeit an ihm that. Da sprach Jesus zu ihm: So gehe hin, und thue desgleichen.

Mangel an Theilnehmung ist es, M. 3., was das Bild des Priesters und Leviten, welches

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Jesus in dem vorgelesenen Evangelio aufstellt, so verhaßt macht. Man wird unwillig über die Unem pfindlichen, welche der Anblick eines Elenden, der in seinem Blute liegt, so wenig rührt, daß sie gleichgültig vorübergehen. Warum ist hingegen das Bild des Samariters so einnehmend? Warum erklärt sich unser Herz so entscheidend für ihn, und gewinnt ihn so lieb? Warum kann sich selbst der Schriftgelehrte im Evangelio nicht enthalten, ihm seinen Beyfall zu geben? Eben die Theilnehmung, welche wir an dem Priester und Leviten so ungern vermifsen, ist bey ihm so lebendig und stark, erwärmt ihn zu einer so wohlthätigen Geschäftigkeit, und enthüllt uns eine so achtungswürdige Seite des menschlichen Herzens, daß es kein Wunder ist, wenn die Vor: stellung eines solchen Menschen jedem gefällt, der noch einiges Gefühl bestzt. Aber wer merkt es nicht, daß es eine Hauptabsicht Jesu bey der Erzählung unsers Evangelii war, die Aufmerksamkeit der Menschen auf diesen Hang zur Theilnehmung, auf diese wichtige Eigenschaft unsers Herzens zu lenken, und an dem Beyspiele des Samariters zu zei: gen, wie dieses Vermögen unsrer Natur wirken muß, wenn es gehörig gebildet und veredelt seyn foll? Lasset uns heute stille stehen, M. 3., bey dieser wichtigen Sache, lasset uns heute weiter nachdenken über eine Kraft unsers Wesens, die uns ehrwürdig und verächtlich, wohlthätig und menschenfeindlich, glücklich und unglücklich machen kann, je nachdem wir sie gebrauchen und anwenden. Ich werde nämlich dießinal nach Anleitung des Evangelii vom Hange zur Theilnehmung reden, welchen Goit in unsre Natur gelegt hat. Lasset mich diesen Hang zuerst beschreiben; hernach die wichtige Abzweckung desselben erklären; und zulezt zeigen, wie er nach den Vorschrif ten des Christenthums gebildet werden foll.

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