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Eine Beschreibung des Hangs zur Theilnehmung, welchen Gott in unsre Natur gelegt hat, soll also das Erste seyn, womit wir uns beschäftigen wollen. Um genauer zu fassen, worin dieser Hang bestehe: so lasset uns bemerken, was er überhaupt sey, welche Wirkungen er zunächst hervorbringe, und welche Wir kungsart ihm eigen sey.

Was ist also der Hang zur Theilneh mung überhaupt? Wir nehmen Theil, M. 3., wenn wir uns eben den Empfindungen überlassen, die wir an Andern wahrzunehmien mennen. Ist unser Herz noch unverdorben, hat die Gewalt wilder Leidenschaften das natürliche Gefühl desselben noch nicht abgestumpft, und uns zu harten, eigennüßigen Wesen gemacht: so ist es uns nicht möglich, ben solchen Zuständen Andrer, welche sich äusserlich durch starke Merkmale zu erkennen geben, ganz gleichgültig zu bleiben; wir werden unvermerkt von einer ähnlichen Rührung ergriffen, und gerathen in einen übereinstimmenden Zustand. Die Traurigkeit der Leidenden macht uns wehmüthig, die Heiterkeit der Glücklichen fröhlich; wir zittern, wenn Jemand in der Gefahr ist, zu stürzen; wir schämen uns, wenn fich Jemand bloß giebt und zu schanden wird; das Seufzen des Geängstigten, das Stöhnen des Gemarterten, selbst das Winseln eines Thieres dringt uns durch die Seele; der blosse Anblick des gemißhandelten Wandrers im Evangelio ist hinreichend, das Herz des reisenden Samariters mit Mitleid und Schmerz zu erfüllen. Dieser Hang zur Theilnehmung ist so stark, daß er sich selbst über die leblose Natur ausbreitet, und die Empfindungen annimmt, die in derselben ausgedrückt scheinen. Eine öde, wilde Gegend erfüllt uns mit Entseßen; ein dunkles, stilles Thal mit sanfter Ruhe; ein heitrer Tag mit froher Munterkeit; der Anblick eines ́reichen, frucht

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baren Gefildes mit Vergnügen und Freude; das Hinwelken sterbender Pflanzen mit Wehmuth; die schweigende Nacht mit Ehrfurcht und Bewunde rung. Es ist uns natürlich, unsre Art zu empfinden auf alle die Gegenstände überzutragen, die uns umgeben, ihre Verwandtschaft und Aehnlichkeit mit uns zu fühlen, und uns in den Zustand hineinzuden: ken, in welchem wir sie zu sehen glauben. Der Hang zur Theilnehmung ist die Eigenschaft der menschlichen Seele, nach der sie gewohnt ist, sich eben den Empfindungen zu überlassen, die bey An dern die herrschenden zu seyn scheinen.

Diese allgemeine Beschaffenheit des Hangs zur Theilnehmung darf man nur wissen, um sogleich einzusehen, welche Wirkungen er zunächst her vorbringen muß. Alle Empfindungen des menschlichen Herzens find nämlich entweder angenehm, oder unangenehm, daher ist denn auch die Theilnehmung entweder Mitfreude, oder Mitleiden. Es ist uns natürlich, angenehme Bewegungen zu fühlen, wenn wir Andre heiter und froh sehen, wenn wir sie in günstigen Umständen erblicken, wenn uns glücklich abgewendete Gefahren, muthig besiegte Hindernisse, ganz erfüllte sehnliche Wünsche in die Augen fallen; wir können uns nicht enthalten, uns den Genuß, das Vergnügen und die Wonne, welche der Glück liche fühlt, im Geiste vorzustellen, und mit ihm zu geniessen; wir vergessen uns, wenn wir durch Leis. denschaften noch nicht hart und feindselig geworden find, dann selber, und leben gleichsam ganz an dem Plaß, und in den Umständen dessen, dem es so wohl geht dieß ists, was der Apostei sich freuen mit den Fröhlichen nennt; der Hang zur Theilnehmung wirkt zunächst Mitfreude. Aber auch Mitleiden; es ist uns vermöge derselben eben so natürlich, zu weinen mit den Weinenden. So lang unser ange: bornes Gefühl noch unverfälscht und rein ist, wider

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spricht es der Einrichtung unsers Wesens, an dem Elend und dem Leiden Andrer Vergnügen zu fin den. Auch fremde Noth wird uns also rühren; der blosse Gedanke, daß Wesen, wie wir sind, von Kummer gequält, von Sorgen geängstigt, von Dürftigkeit und Mangel gedrückt, von Ungerechtigkeit und Bosheit verfolgt, von Schmerzen gemartert werden, wird uns wehmüthig machen; und bis zur Beklom menheit, bis zu empfindlichsten Leiden wird diese Wehmuth steigen, wenn wir das Unglück Andrer mit Augen sehen und daben zugegen sind. O ihr, denen die Natur ein weiches, gefühlvolles Herz ge= schenkt hat, die ihr selbst durch Leiden geprüft und geübt send, die ihr empfinden könnet, wie der Samariter im Evangelio, ihr verstehet am besten, was ich da sage, ihr wisset es, wie gewaltig dieses Mitleiden zuweilen hinreissen und erschüttern kann! Die nächsten Wirkungen des Hanges zur Theilnehmung sind entweder Mitfreude, oder Mitleiden.

Lasset uns noch bemerken, welche Wirkungsart diesem Hang eigen sey. Seine Aeusserungen sind nämlich nicht das Werk der kalten Üleberlegung, fie richten sich nicht nach bedächtigen Vernunftschlüssen. Der blosse Anblick des verwundeten Wandrers im Evangelio erweckt in dem vorbeyreisenden Samariter auf einmal ein so wirksames MitLeiden, daß er seine eigne Sicherheit, daß er seinen Vortheil, daß er alles vergißt, was der Eigennuß ihm hätte eingeben können, und sich ganz der Ret= tung des verlaßnen Leidenden widmet. Unwillkührlich wirkt also der Hang zur Theilnehmung, den Gott unsrer Natur eingepflanzt hat. Die Rührung, sie sen, von welcher Art sie wolle, bemächtigt sich unsrer von selbst, sobald uns die Verfassung Undrer in die Augen fällt. Unser Herz ist schon von Natur so gestimmt, daß diejenigen Saiten desselben von selbst erklingen, die bey Andern stark erschüttert

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worden sind. Und dieß wird um so leichter und schneller geschehen, je zärtlicher der Bau unsers Körpers ist, und je mehr Anlage zu lebhaften Empfindungen aller Art wir besißen. Aber freylich kann dieser Hang, wie alle Kräfte unsers Geistes und Herzens, durch Uebung verfeinert, erhöht und ge: stärkt werden. Es kommt auf den Grad von Aufmerksamkeit an, mit welchem wir die Zustände Andrer beobachten; auf die Begriffe, welche wir von dem Werth unsrer Brüder, und von der Wichtigs keit ihres Wohlseyns haben; auf den Eifer, mit welchem wir unsern Pflichten gehorchen; es kommt insonderheit auf die Beschaffenheit und Wirksamkeit der Religion an, die wir bekennen. Durch alle diese Dinge kann der Hang zur Theilnehmung geschwächt und gestärkt, unterdrückt und belebt werden; er wird in eben dem Grade sich wirksam be: weisen, in welchem wir den Grundsatz befolgen: ich bin Mensch, nichts, was die Menschheit betrifft, fann mir gleichgültig seyn. Seßet noch hinzu, daß der Hang zur Theilnehmung durch Zustände, in denen wir uns selbst einmal befunden haben, am leichtesten und stärksten gerührt wird. Solche Zustände kennen wir nämlich aus Erfahrung; es erneuern sich, sobald wir Andre in denselben erblicken, in uns auf einmal unsre ehemaligen Empfindungen; wir verstehen es ganz, wie dem zu Muthe ist, der ein ähnliches Schicksal mit uns hat. Unfre, Mitfreude ist dann am stärksten, wenn wir sie über ein Glück fühlen, das wir ehemals selbst genoffen haben. Der ist am fähigsten, dem leidenden KranEen nachzuempfinden, der ehemals selbst auf einem solchen Lager geschmachtet hat. Die Mutter, welche schon so manchen Liebling ihres Herzens durch den Tod verlor, weint am aufrichtigsten mit der Leidenden, die am Grabe ihres Kindes trauert. Der Jüngling versteht den Jüngling, der Freund den Freund, der Greis den Greis, der Verfolgte den

Verfolgten am besten. Der Hang zur Theilneh mung, den Gott in unsre Natur gelegt hat, wirkt unwillkührlich; aber er wächst durch Uebung, und zeigt sich dann am meisten, wenn wir Andre in Umständen erblicken, in denen wir selbst schon gewesen sind. Merkwürdige, wunderbare Einrichtung unsers Herzens! Wozu hat unser Schöpfer sie getroffen; welche Absichten will er dadurch erreichen? Lasset uns zur Beantwortung dieser Frage übergeben, M. 3., lasset mich die wichtige Abzwe ckung des Hangs zur Theilnehmung erklä ren. Sie verdient unsre ganze Aufmerksamkeit, diese Abzweckung; denn auch hier zeigen sich Spuren jener unendlichen Weisheit und Güte, die ben ihren Anstalten überall auf unsre Besserung und Wohlfahrt sieht. Der Hang zur Theilnehmung, den Gott in unsre Natur gelegt hat, soll nämlich das Gegengewicht für die feindseligen Neigungen des menschlichen Herzens seyn; er soll die gesellschaftliche Vereinigung der Menschen befördern; er soll das mannigfaltige Elend des irdischen Lebens lindern; er soll uns endlich eine reiche Quel: le erquickender Freuden öffnen; so groß, so wichtig sind die Absichten, welche Gott durch diesen Hang erreichen will.

Er soll das Gegengewicht für die feind seligen Neigungen des menschlichen Herzens seyn. Wie viel vermag der Mensch, M. 3., wenn er alle seine Kräfte aufbieten will! Wie erfin derisch ist sein Verstand, wie gewaltig sind seine Leidenschaften, wie kühn ist sein empörter Muth; wie ausdauernd seine Hartnäckigkeit; wie kraftvoll sein Körper, wenn fester, unerschütterlicher Vor: faß alle Nerven desselben spannt, und alle Glieder in Bewegung sezt! Und o diese starken, wilden, unbändigen Kräfte werden nur allzuoft von Eigens

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