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Ein dazu erwählter Ausschuß der Stände stellte die Beschwerden der deutschen Nation gegen den römischen Stuhl zusammen, und ebenso die gegen die Erzbischöfe, Bischöfe, gegen die Orden und die übrige Geistlichkeit. Man klagte darin unter Anderm: die geistlichen Gerichtshöfe träfen Entscheidungen auch in rein weltlichen Dingen; viele Pfründen würden an unbrauchbare Personen verliehen; der Bann würde oft um geringer Sachen willen scharf gebraucht, und das Interdict unbillig verhängt; die Pfarrer seien zu oft abwesend aus ihren Pfarreien; die Bischöfe seien zu nachlässig in Bezug auf die Abhaltung und den persönlichen Besuch der ihnen vom geistlichen Recht vorgeschriebenen Synoden; durch die Bettelorden lasse man ,zu viel terminiren und Agung jammeln, und die Orden der Benedictiner, Bernhardiner und Prämonstratenser erwürben durch Kauf, troß ihres großen Besizes, noch täglich Laiengüter und wüchsen dadurch zu merklichem Neichthum'. Ueberhaupt sei der Reichthum geistlichen Standes übermäßig groß'.

Die umfangreiche Klageschrift kam im Reichsrathe zur Verlejung. Man ersieht daraus, schrieb der pfalz-neuburgische Gesandte, welche Wirkung Luther's und Hutten's Schriften, ausgenommen, was den christlichen Glauben betrifft, bei den Ständen hervorgebracht haben. Der Kaiser seinerseits war um Hebung wirklicher Mißbräuche und Aergernisse so be= sorgt wie nur Einer in der Christenheit und von dem glühenden Reform: eifer des in Kurzem auf den päpstlichen Thron erhobenen Adrian VI. war alle Welt überzeugt. In keiner Periode deutscher Geschichte bis zu jenem Zeitalter hatte eine wirkliche Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern eine günstigere Aussicht auf Erfolg, wenn sie ohne gewaltsame

1801) 1, 295–301. In seinem Ueberblick über die Mainzer Geschichte * (handschriftl. auf der Schloßbibliothek in Aschaffenburg) Bl. 44 sagt Wimpheling: Georg von Gem= mingen, der Bruder des Erzbischofs Uriel, habe ihm geschrieben: ‚ipsum (Uriel) sollicitum esse de grandi aere Fuccaris Augustanis (quod ad urbem mutuarant) restituendo. Tanta summa novies iam aetate mea illuc a Germanis ex uno tantum archiepiscopatu evanuit. Wie die Summen in einzelnen Bisthümern sich während des fünfzehnten Jahrhunderts gesteigert hatten, zeigt sich beispielsweise an Regensburg. Der dortige Administrator Johann II. mußte im Jahre 1507 für die päpstliche Bestä= tigung 1400 Gulden entrichten, während sein gleichnamiger Vorgänger Bischof J0= hann I. gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts nicht mehr als zwölf Goldgulden zu erlegen hatte. Gemeiner 4, 132.

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,Articul damit bäpstliche heyligkeit tewtsche land beschwärt.' ,Beschwerd von den erzbischofen, pischofen und prelaten allain.' - Von erspriestern, officialen und andern geistlichen richtern und gerichtspersonen.' -,Montags nach Jubilate (April 22) Ettliche beschwerunge tewtscher nation vom stule zu Rom'; in dieser Eintheilung in den Frankfurter Reichstagsacten 34, fol. 303-391.

2 Bei Walz 32.

Störung und Verwirrung in treuem Zusammenwirken der obersten geistlichen und weltlichen Macht und in neu befestigter Einigkeit der Nation nach den Ordnungen der Kirche sich hätte entfalten können.

Aber schon während des Reichstages zu Worms ließ sich Alles zu Krieg und Aufruhr an.

Seit seiner Rede vom 13. Februar war Aleander seines Lebens nicht mehr sicher; er konnte sich nicht auf der Straße sehen lassen, ohne vom Pöbel beschimpft und mit dem Tode bedroht zu werden. Luther wurde von dem Volke als ein neuer Moses, als der zweite Paulus gepriesen. Er sei, erklärte einer seiner Anhänger auf öffentlichem Markte vor versammelter Menge, ein größerer Kirchenvater, als Augustinus; leßterer sei ein Sünder gewesen, konnte irren und habe geirrt, Luther dagegen sei ohne Sünde und habe darum niemals geirrt. Die schon gebräuchlich gewordenen Bildnisse Luther's mit der Gloriole eines Heiligen oder dem hl. Geiste in Gestalt einer Taube über dem Haupte1, sowie die Darstellungen Luther's und Hutten's als gemeinsamer,Vorfämpfer der christlichen Freiheit wurden öffentlich feilgeboten 2; die Lutheraner errichteten in Worms eine Druckerei, welche nur kirchenfeindliche Schriften vertrieb3; Hutten's Sendschreiben und zahlreiche Pamphlete, voll Hohn und Spott gegen Luther's Gegner, liefen von Hand zu Hand. Von der Ebernburg aus erließ Hutten die gemeinsten Drohbriefe an die päpstlichen Legaten, welche er als die gewaltthätigsten aller Räuber, als die ruchlosesten Betrüger hinstellte. Ich werde,' schrieb er an Aleander, ,allen Fleiß anwenden, allen Eifer daran sehen, alle Anstrengungen und Wagnisse unternehmen, daß du ohne Leben, eine Leiche, hinausgeschleppt werdest, der du voll Wuth, Wahnsinn, Verbrechen und Ungerechtigkeit zu uns kamest. Auch gegen die auf dem Reichstage anwesenden Kirchenfürsten und höheren Geistlichen richtete er die leidenschaftlichsten Schmähungen. Sie seien Verführer des Kaisers und mit allen erdenklichen Lastern behaftet. Hebet euch weg von den reinen Quellen, ihr unreinen Schweine. Hinaus mit euch aus dem Heiligthum, ihr verruchten Krämer. Seht ihr nicht, daß die Luft der Freiheit weht, daß die Menschen, überdrüssig der vorhandenen Zustände, neue herbeizuführen suchen? Ich werde stacheln, spornen, reizen und drängen zur Freiheit.' Kein auch nur einigermaßen Tapferer, sagte er,

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1 Vergl. oben S. 117.

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2 ,... et lo vendano et basciano et portano nel palazzo non è più quella Cattolica Germania che olim era, purchè non vediamo peggio, quod Deus avertat. Aleander's Bericht bei Friedrich 99. Vergl. S. 111, 116, 117.

3 etiam in aula Caesaris, schreibt Aleander 113,,chè e cosa stupenda come sono uniti et trovano in cumulo danari.'

+ Bei Böcking, Ulr. Hutteni Op. 2, 12--21.

könne sich mehr bezwingen, um nicht mit gewaltigem Angriff gegen sie loszubrechen und ihnen Mord und Untergang zu bereiten. Sogar gegen den Kaiser selbst stieß Hutten seine Drohungen aus. Unsere Hoffnung war,' jagte er in eineth Sendschreiben an denselben, du werdest das römische Joch von uns nehmen, die päpstliche Zwingherrschaft zerstören. Geben die Götter, daß deinen Anfängen bald Besseres nachfolge. Wenn aber auch der Kaiser die Erniedrigung Deutschlands geschehen lasse, andere deutsche Männer würden selbst auf die Gefahr hin, ihn für eine Zeitlang zu be= leidigen, handelnd auftreten2.

Eine furchtbare Erregung ergriff die Gemüther. Allgemein hieß es, es werde ein großer Schlag wider den Clerus geführt werden, und die Ritter würden sich aller geistlichen Güter bemächtigen. Aleander's Berichte zeigen, daß man in Worms täglich in Angst war vor einem Ueberfall, vor einer Sprengung des Reichstages durch die Revolutionspartei, die man um so mehr zu fürchten hatte, weil der Kaiser ohne bewaffnete Umgebung war. In der That ist Sickingen,' schreibt Aleander, ‚jezt allein in Deutschland König, denn er hat Gefolge, wann und wie viel er will.',Der Kaiser ist waffenlos. Andere Fürsten sind unthätig, die Prälaten zittern und lassen sich verschlingen wie die Kaninchen. Der verarmte Adel, stark an Zahl, sagt er an einer andern Stelle, stehe Sickingen bei allen Unternehmungen zu Gebote; Sickingen sei,in Wahrheit unter den gegenwärtigen Verhältnissen der Schrecken Deutschlands, vor dem alle Anderen erstarren'3.

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1 ,... quis vel mediocriter fortium potest continere se, quin impetu, vi et violentia invadat nobisque caedem et exitium moliatur. Bei Böcking 2, 21-34. Hutten schließt die Briefe mit der Drohung: ,Certe profecto innocentis viri (Luther's) damnationi capita vestra consecrata sciatis. Luther hatte sichtliche Freude über diese Briefe,ad pileos istos et galeritas upupas'. Vergl. de Wette 2, 9.

2 Bei Böcking 2, 38-46. Vergl. Strauß 2, 178–180. Der englische Gesandte Tonstall berichtete aus Worms an König Heinrich VIII., Luther habe sich erboten, dem Kaiser, wenn er gegen den Papst nach Rom ziehe, hunderttausend Mann auf die Beine zu bringen. Fiddes, Life of Wolsey, 2. edit. 231. Vergl. Walz 32.

3 Aleander's Berichte 126, 127, 128, 131-132. Glapion und der kaiserliche Kämmerer Paul von Armerstorff wurden auf die Ebernburg geschickt, leßterer um Hutten durch Verleihung einer kaiserlichen Pension von vierhundert Goldgulden zum Stillschweigen zu bringen, ersterer, um in den religiösen Fragen einen neuen Vermittlungsversuch zu machen und mit Luther auf der Ebernburg eine Conferenz abzuhalten. Sickingen fandte den ausgetretenen Mönch Martin Bußer nach Oppenheim Luther auf seiner Reise entgegen, um ihn auf seine Burg, wo Glapion seiner warte, einzuladen ; Luther aber schlug die Einladung ab. Vergl. Ulmann 179–181. Maurenbrecher 267-268. Luther selbst berichtet, er habe Bußer geantwortet: ‚hat des Kaisers Beichtvater etwas mit mir zu reden, so kann er solches zu Worms wohl thunʻ. Sämmtl. Werke 64, 368. Von dem eigentlichen Zwecke der Sendung Glapion's wußte Alean

Bei einer solchen Lage der Dinge sah man in Worms der Ankunft Luther's entgegen. Eines besondern Muthes, seine Reise anzutreten, bedurfte Luther nicht.

Am 2. April hatte Luther Wittenberg verlassen und wurde vier Tage später in Erfurt von der ihm völlig ergebenen Partei der Humanisten,wie ein Triumphator' empfangen. Frchlocke, erhabenes Erfurt, kränze dich mit festlichem Schmuck, rief Cobanus Hessus bei der Nachricht von seiner Ankunft aus, denn sieh, er kommt, der dich befreien will aus der Schmach, die dich leider schon zu lange gedrückt hat. Er zuerst hat es gewagt, das den Acker Christi überwuchernde giftige Unkraut mit eiserner Haue zu zerstören.' Eoban ließ die Gera auftreten, um dem Erwarteten, der Alles, ,und wäre es die ganze Welt, überwinden werde, ihre Huldigungen darzubringen. Crotus Nubianus, damals Rector der Universität, empfing an der Spitze von vierzig Mitgliedern derselben, gefolgt von einer großen Menschenmenge, den Heros des Evangeliums drei Meilen vor der Stadt und redete ihn. an als den Richter der Bosheit, dessen Züge schauen zu dürfen für ihn und seine Freunde gleich einer göttlichen Erscheinung sei1.

Am folgenden Tage predigte Luther in der Augustinerkirche unter großem Andrange des Volkes. So erfüllte nicht Staunen die Kekropiden, jubelte Eoban,,vor der Sprache des Demosthenes, nicht Rom, wenn es zu den Füßen seines großen Redners saß; so hat nicht Paulus durch seine Beredsamkeit die Gemüther bewegt, als Luther's Predigt das Volk an den Ufern der Gera. Einer baut Kirchen, sagte Luther in seiner Predigt, ,der Andere wallet zu St. Jacob oder zu St. Peter, der Dritte fastet und betet, trägt Kappen, gehet barfuß. . solche Werke sind gar nichts und müssen in Grund zerstört werden. Und diese Worte merke: alle unsere Werke haben keine Kraft. Ich bin, spricht der Herr Christus, eure Nechtfertigung, ich habe zerstöret die Sünden, die ihr auf euch habet; darum so glaubt mir nun, daß ich der sei, der das gethan habe, so werdet ihr gerecht.',Was ist das, daß wir eine frische Sünde thun, so wir nicht so bald verzweifeln, sondern gedenken: ach Gott, du lebest noch, Christus, mein

der Nichts; vergl. seinen Bericht und sein Urtheil über die Anwesenheit Glapion's und Armerstorff's auf der Ebernburg, bei Friedrich 127–128. 131-132.

1 Vergl. Kampschulte 2, 95-97, Schwertzell 32–33. Coban verglich Luther mit Erasmus:

,Ante quidem vidit mundoque ostendit Erasmus,

Saecula quo cernunt doctius ista nihil.

Quam fecisse igitur velut est minus ostendisse,
Lutherus meriti grandius instar habet.'

Janssen, deutsche Geschichte. II. 5. Abdruc.

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Herr, ist ein Zerstörer der Sünde, sobald ist die Sünde davon.' So geben wir nichts um der Menschen Gesetz, so kommt denn der Papst und verbannet uns, so sind wir in Gott verknüpft, daß wir alles Unglück, Bann, Gesetz ganz nicht achten. Luther machte Ausfälle gegen das unerträgliche Joch des Papstthums und gegen die Geistlichkeit, welche die Schafe weide, gleichwie die Fleischhauer am Osterabend thun'. Es sein wol dreitausend Pfaffen, unter denen man vier rechter nit findet."1

Während der Predigt verrichtete Luther, nach dem Berichte seiner Anhänger, ein Wunder. Als nämlich in der überfüllten Kirche ein plögliches Geräusch entstanden und Alles in Unruhe und Bestürzung gerathen sei, habe er gesprochen:,Seid still, liebes Volk, es ist der Teufel, der richtet so eine Spiegelfechterei an, seid still, es hat keine Noth. Und er bedräute den Teufel,' sagt ein Chronist, und es ward ganz stille. Dieses ist, fügt ein anderer Chronist hinzu, das erste Wunder, so Luther that, und seine Jünger traten zu ihm und dienten ihm ! 2

Kein Wunder war, daß Luther's aufregende Predigt den ohnehin schon längst angefachten Haß gegen die Geistlichkeit zu einem wilden Brande entzündete. Schon am Tage nach seiner Abreise erfolgte ein Pfaffensturm‘. Der Stadtpöbel brach in Verbindung mit einer großen Zahl zuchtloser Studenten in die Wohnungen der Canoniker ein und ließ an dem aus dem Schweiß und Blut der Armen' gesogenen Pfaffengut seinen Ingrimm aus. Die Aufrührer, berichtet ein Augenzeuge, schlugen alle Fenster aus, stießen in den Stuben die Oefen ein, verderbten allen Baurath, zerspalteten die köstlichen vermosirten Tische, und warfen die Stücke alles dessen, so sie verderbt hatten, auf die Gassen hinaus, sampt Allem was zum Essen dienete'. Die Stiftsherren selbst konnten sich nur durch eilige Flucht vor persönlichen Mißhandlungen retten. Der städtische Nath ließ den Pöbel ungestraft. Crotus Rubianus, dem die Meuterei der Studenten zu arg geworden und der keine Bestrafung der Betheiligten erwirken konnte, legte seine Rector= würde nieder und verließ die Stadt. Luther's Freund, der Augustiner Johannes Lange, verkündete, man müsse,das Evangelium mit dem Schwerte erhalten13.

Am 16. April kam Luther mit seinen Begleitern, unter denen sich der Humanist Justus Jonas befand, in Worms an, fest entschlossen,,allen

1 Sämmtl. Werke 17, 98-104.

2 Vergl. über dieses und über ein ganz ähnliches in Gotha während einer Predigt Luther's vorgefallenes Wunder' die Belege bei Kampschulte 2, 98, Note 5.

3 Näheres über den Aufruhr und dessen Entstehung bei Kampschulte 2, 106 bis 123. Vergl. das Gedicht,Vom Pfaffenstürmen zu Erfurt', bei v. Liliencron 3, 366 bis 368.

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