ÀҾ˹éÒ˹ѧÊ×Í
PDF
ePub

Begeisterung für das classische Alterthum erfüllte. Nicht mit Unrecht hat man ihm vorgeworfen, daß er das Studium der Philosophie in Verruf gebracht und, statt ernster wissenschaftlicher und speculativer Untersuchung, Rhetorik, geistreiches Gerede und allerlei Künste des Stiles als erste Erfordernisse hoher Bildung angepriesen habe.

Das Studium der classischen Werke war ungleich anziehender und gefälliger als das der logischen und dialectischen Formeln der Scholastik; es erforderte eine mindere Anstrengung und Vertiefung des Geistes, als wenn man, was die bisherige wissenschaftliche Ausbildung verlangt hatte, den Verstand an ein strenges syllogistisches Denken gewöhnen mußte. Es ist darum,' schrieb Wimpheling, ,außerordentlich leicht, der für die alten Poeten begeisterten Jugend die scholastische Wissenschaft als Sophistik und Barbarei hinzustellen; diese Jugend ist froh, das verachtet zu sehen, dessen Aneignung ihr große Mühe macht, dagegen gelobt zu hören, was ihr leicht und unterhaltend ist. Schon der Humanist Jacob Locher, genannt Philomusus, wollte den Cultus der Mujen an Stelle der scholastischen Disciplinen gesetzt wissen; der heiligen Dichtkunst, sagte er, gebühre der Vorrang vor allen Wissenschaften; die Scholastiker seien in der Unfruchtbarkeit ihrer vermeintlich wissenschaftlichen Thätigkeit lediglich Maulesel-Theologen', würdig des Spottes und Verachtung aller Gebildeten. Aus den Dichtern könne die Jugend ihre Bildung schöpfen; selbst Ovid sei überaus keusch gewesen, die Sprüche Juvenal's kämen der evangelischen Wahrheit gleich1.

Mit dem zweiten Jahrzehnt des sechzehnten Jahrhunderts mehren sich die Klagen über die Abnahme und Geringschätzung der philosophischen Studien, über die einseitige und ausschließliche Beschäftigung mit den altclassischen Werken und über die dünkelhafte Ueberhebung und den sittenlosen Wandel der jüngeren Humanisten. Die Philosophie, schrieb Johannes Cochläus im

1 Ueber Locher vergl. Stinging, Ulrich Zasius 57–60. Wiskowatoff 148 fll. Schreiber, Geschichte der Universität Freiburg 1, 77-81. Horawiß, Zur Geschichte des deutschen Humanismus und der deutschen Historiographie, in Müller's Zeitschrift für deutsche Kulturgeschichte, Neue Folge, Jahrg. 4, 743-756. Unter Locher's empörenden Thätlichkeiten wird von Schreiber angeführt, daß er einmal einen wehrlosen Gegner von acht Bewaffneten überfallen und mißhandeln ließ. Von sich selbst sagte Locher aus: er sei der gelehrteste Latinist, der beste Kenner des Griechischen, ein vorzüglicher Poet, und ein rühmlicher Character von unerschütterlicher Consequenz. Als Uebersezer, Herausgeber und Erklärer alter Autoren erwarb sich Locher Verdienste um die classische Philologie, aber sein Leben war so zügellos und sittenlos, daß man kaum begreift, wie Zarnce in seiner so trefflichen Einleitung zu Sebastian Brant's Narrenschiff ihn zu den jugendlichen Streitern' rechnen kann, die der Geist des weltgeschichtlichen Fortschrittes unter seinem Panier gesammelt. In maßloser Selbstüberschäzung und unsittlichem Lebenswandel war Locher ein Vorläufer Ulrich Hutten's.

Jahre 1512, wird bei Seite gelassen. Und doch sind die humanistischen Studien, so sehr sie der Gelehrsamkeit zum Schmucke dienen, überaus schädlich für den, welcher sich keine gründliche wissenschaftliche Bildung erworben hat. Daher jener Leichtsinn gewisser Leute, welche von Unkundigen mit Unrecht den Titel,Poeten erhalten; daher ihre Possenreißerei, ihr lasterhaftes schändliches Leben. Sie sind gemeine Sclaven des Bacchus und der Venus, nicht aber fromme Priester des Phoebus und der Pallas."1

[ocr errors]

Die Poeten', wie die jüngeren Humanisten gemeinlich genannt wurden, arbeiteten sich der Art in einen classischen Fanatismus hinein, daß sie Nichts mehr gelten ließen, was nicht lateinisch oder griechisch war; in Gesinnung und Sprache verleugneten sie ihren deutschen Ursprung und wurden Affen des Fremden. Ihr Abfall vom hergebrachten nationalen Wesen trat so ungescheut hervor, daß sie sich sogar ihrer deutschen Namen schämten und aus dem lateinischen oder griechischen Sprachschaß sich neue modelten. Aus einem Schuster wurde ein Sutor oder Sutorius, aus einem Fischer ein Piscator, aus einem Schneider ein Sartorius; aus einem Burkhard aus Spalt ein Spalatinus, aus einem Peter Eberbach ein Petrejus, aus einem Hans Jäger erst ein Venator, dann ein Crotus Rubianus. Als er noch Jäger von Dornheim geheißen, schrieb an Leztern sein Freund Conrad Mutian,,da hätten ihm die Scholastiker, der heilige Doctor, der unwiderlegliche, der scharfsinnige Doctor gefallen, nachdem er aber wiedergeboren und aus einem Jäger von Dornheim in einen Crotus Nubianus verwandelt worden, so habe er die langen Ohren und den Eselsschwanz verloren, ähnlich einem Apulejus, als er vom Esel wieder zum Menschen wurde." „Heil und Segen dir! Den Klippen und Sirten entronnen und im Hafen angekommen, erkennst du, wie elend diejenigen sind, welche sich von der Barbarei noch nicht losgesagt haben."2 Auf die alten Barbaren', welche sich mit wissenschaftlichen und dialectischen Fragen beschäftigten, sahen die jüngeren Humanisten mit Verachtung herab, weil sie kein classisches Latein verstanden und keine Verse drechseln konnten, wie sie.

Nur auf das Versedrechseln ging die Mehrzahl der Humanisten aus.

1 Vergl. Otto 26. Einer der ältesten kirchlichen Vorkämpfer gegen den einseitigen und verkehrten Humanismus ist Conrad Säldner, Professor der Theologie an der Universität zu Wien. Vergl. dessen von W. Wattenbach herausgegebenen Briefwechsel mit dem Augsburger Patricier Sigismund Gossembrot in der Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 25, 36–69.

2 Bei Tentzel 151–152. Lächerlich war auch die Häufung der Namen, wodurch man Aufsehen erregen wollte. Ein Erfurter Humanist nannte sich Publius Vigilantius Bacillarius Axungia Arbilla und führte auch noch den Namen Trabotus. Kampschulte 1, 66. Note 2. Eoban aus Hessen, Sohn eines Kochs, begnügte sich mit drei Namen: Helius (als Schüßling des Sonnengottes!) Eobanus Hessus.

Ohne tiefer in den Geist der Alten einzudringen, betrachteten sie, die Form über das Wesen und den Inhalt erhebend, die Eleganz der Sprache als Hauptziel aller Bildung und eigneten sich nur das schöne äußere Gewand der Classiker an. Sclavisch ahmten sie die classische Ausdrucksweise bis in die kleinsten Einzelheiten nach und schufen in ihren zahllosen Gedichten Nichts als einen mehr oder minder gelungenen Abklatsch der Alten, ohne Gedankentiefe und Lebensfrische. Schöpferische Kraft und innere Wahrheit fehlte vollständig den,poetischen Großthaten', womit sie prunkten und worin sie sich gegenseitig als neue Horaze und Vergile, als Sieger über die bisherige Barbarei, als Wiedererwecker echten Geschmackes begrüßten. Abgeschmackt und leer sind zum Beispiel die mehr als dreihundert Hexameter, worin der Humanist Hermann van dem Busche das heilige Cöln' besang. Rhetorische Floskeln und classische Reminiscenzen bilden den Hauptinhalt des Gedichtes; alle Götter der Mythologie werden herangezogen zur Verherrlichung der Stadt; nur wie im Vorübergehen wird einmal der Name Christus genannt; für die Kenntniß des damaligen städtischen Lebens gewinnt man aus dem Werke so gut wie gar Nichts 1. Nicht minder geschmacklos ist das Lobgedicht des Eobanus Hessus auf die Erfurter Universität. Die Stadt wird als Wohnsiß der Musen, als Geburtsort der Pallas besungen, die rauschende Gera zum Triton gemacht; Götter und Halbgötter müssen ihre Namen erfurtischen Professoren leihen; der Humanist Mutian wird als Minos verherrlicht; Eoban selbst steht nicht unter Homer. Sein Gedicht, sagt er, werde der Stadt Erfurt unsterblichen Ruhm eintragen; wie Troja durch die Ilias, so werde Erfurt, auch wenn es zerstört würde, durch sein Gedicht unvergänglich fortleben 2.

Geschmacklos und leer sind durchgehends insbesondere diejenigen humanistischen Erzeugnisse, welche christliche Stoffe behandeln, Gott als den Beherrscher des hohen Olymp, als donnernden Zeus besingen, das Heilige zu einem bloßen Spielwerk des Geistes herabwürdigen. So gab Eoban im Jahre 1514,christliche Heroiden heraus, Liebesbriefe christlicher Heldinnen und ihrer Geliebten nach dem Muster Ovid's. Es finden sich darin unter anderen Briefe der hl. Maria Magdalena an Christus, selbst Gott, der Vater, correspondirt mit der Jungfrau Maria. Man kann Derartiges nur mit Schaudern lesen, Erasmus aber äußerte sich voll Entzücken über das Werk; er begrüßte mit Rücksicht darauf Eoban als den deutschen Ovid, der ,allein Deutschland von der Barbarei befreien könne 3.

1 Vergl. A. Reichensperger, Fingerzeige 3 fl.

2 Vergl. Schwertzell 8. Kampschulte 1, 71–72.

3 Vgl. Schwertzell 16, 28-29. Ueber Eoban als Dichter urtheilt treffend L. Geiger, Neue Schriften 124.

Naturwüchsiger waren die ,Poeten' in manchen schamlosen Nachahmungen der alten Erotiker, worin ihnen Conrad Celtes als Muster vorangegangen. Celtes hatte in seinen unzüchtigen Schilderungen den Ovid an Schlüpfrig= keit noch weit übertroffen, und nahm dafür noch ein besonderes Verdienst in Anspruch, indem er erklärte, er wolle durch seine nackte Darstellung die Jugend vor zügelloser Sinnlichkeit warnen. Unter demselben frivolen Vorwand lasen manche Humanisten mit der Jugend unzüchtige Dichter des Alterthums.

„Kannst du es leugnen, fragte Fürst Carpi den Erasmus, ‚daß, wie bei uns in Italien schon seit langer Zeit, so auch jetzt in Deutschland, überall, wo die sogenannten schönen Wissenschaften ausschließlich und mit Verachtung der philosophisch-theologischen Disciplinen betrieben werden, eine trübe Vermischung christlicher Wahrheiten und heidnischer Denkweise Play gegriffen hat, Streitsucht die Gemüther erfüllt, und der Lebenswandel keineswegs den Vorschriften christlicher Sittenlehre entspricht ? 2 Die italienischen Humanisten stellten sich schon im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert der Kirche lau und skeptisch gegenüber, und wurden vom Christenthum mit seiner beständigen Beziehung auf eine höhere Welt nicht mehr beherrscht; sie erfüllten das Land mit ihren Lästerschriften und in ihrem Wandel trat üppige Frivolität hervor; mit der griechischen Gelehrsamkeit sogen sie nicht selten zugleich griechische Laster ein und dienten jener schamlosen Philosophie der Genußsucht, wie sie Boccaccio in seinen Novellen verkündigt hatte 3.

Aehnliche Verirrungen kamen nun auch in Deutschland häufig genug zum Vorschein. Männer wie Locher, Hermann van dem Busche 4, Ulrich von Hutten standen in Streit und Lästersucht den Italienern keineswegs nach

In den Libri Amorum. Vergl. Aschbach, Wiener Humanismus 227-247. Erzeugnisse eines rein heidnischen Sinnes treten vereinzelt schon früher auf. So gab Johann Tröster im Jahre 1454 einen erotischen Dialog heraus, worin die einfachen Sittengeseße des Christenthums als einfältig und altmodisch erscheinen und Christus mit Heracles, die heilige Jungfrau Maria mit Alcmene verglichen wird. Vergl. Voigt, Wiederbelebung 381.

2 Lucubrationes 72.

3 Voigt's und Burckhardt's Werke über die Renaissance liefern dafür Belege in Menge.

4 Ueber Locher vergleich die oben S. 23 Note 1 citirten Schriften; über Busch vergl. Lieffem 39-44 gegen Erhard, Gesch. des Wiederaufblühens wissenschaftlicher Bildung 3, 68. Praetereo silentio nostros Germanicos poetas, qui se mutuis conviciis prope discerpere solent', schrieb Joseph Grünbeck, Hist. Frid. et Maximil. bei Chmel, Desterr. Geschichtsfr. 1, 65. Auch für Deutschland galten in Kurzem die Worte des Erasmus: adeoque Gratiarum cum Musis sodalitium diremtum est, ut si qui sint inter quos conveniat, factione potius quam sincera benevolentia conglutinentur. Op. 3, 1315 ep 1135.

[ocr errors]

und trieben in ihrem Privatleben die Emancipation von den christlichen Pflichten bis zur äußersten Ausschweifung. Als starke Trinker behaupteten deutsche Humanisten vor den italienischen den Vorrang. Keiner der lezteren hätte weteifern können mit einem Eobanus Hessus, der ein großes mit Bier gefülltes Wassergefäß auf einmal auszuleeren im Stande war.

als ,mächtiger Zecher besungen 1.

Er wurde

Was die von ernsten Geistern beklagte trübe Vermischung christlicher Wahrheit und heidnischer Denkweise bei den Humanisten anbelangt, so erhielt man dafür auch in Deutschland die schlimmsten Anzeichen', insbesondere bei Mutian und dem von ihm geleiteten Erfurter Humanistenkreis.

Conrad Mutian und der Erfurter Humanistenkreis.

Unter den norddeutschen Universitäten zeichnete sich Erfurt schon frühzeitig durch eine eifrige Pflege classischer Studien aus, und auch dort fanden diese Studien die wohlwollendste Unterstützung durch die drei bedeutendsten geistlichen Professoren, an deren Wirksamkeit sich der Ruhm der Hochschule in den letzten Jahrzehnten des fünfzehnten Jahrhunderts vornehmlich anknüpft: die beiden Theologen Jodocus Trutfetter aus Eisenach und Bartholomäus Arnoldi von Usingen und den Rechtsgelehrten Henning Goede. Diese drei Männer, welche später beim Beginn der kirchlichen Kämpfe wegen ihrer katholischen Glaubenstreue Ungemach und Verunglimpfung mannigfacher Art erfuhren, standen mit den Hauptführern der humanistischen Jugend, Maternus Pistoris und Nicolaus Marschalk, in freundlichstem Verkehr. Maternus und Marschalk nahmen die alten Autoren, auch die Dichter, ausschließlich zum Gegenstand ihrer Vorträge und erklärten sie für ein höchst vorzügliches Bildungsmittel der Jugend, aber, maßvoll und bescheiden, verlangten sie keine Alleinberechtigung für ihre humanistische Richtung und waren trotz ihrer Begeisterung für die Classiker weit entfernt, mit Hülfe derselben das theolo= gische Studium reformiren, die alte kirchliche Wissenschaft über den Haufen stürzen oder gar die Grundlagen christlicher Lehre angreifen zu wollen 2.

Ein Geist gewaltsamer Neuerung 30g erst unter die Erfurter,Poeten'

1 Vergl. Schwertzell 13-14.,Wenn Eobanus nüchtern war, ehe denn er getrank, heißt es in einem Bericht, war in vultu ejus eine herrliche gravitas et modestia." Um die verdächtige Röthe seiner Nase zu verdecken, verlangte Eoban einmal von einem Freunde die Zubereitung eines Pulvers, fügte jedoch seiner Bitte die Worte hinzu: Sollte jedoch Nüchternheit zur Veränderung der Nase nöthig sein, so ist mir die rothe Farbe noch lieber als die weiße. Gleichwol schrieb er Gedichte gegen die Trunkenheit. Schwertzell 24, 29-30.

2 Näheres bei Kampschulte 1, 27—71.

« ¡è͹˹éÒ´Óà¹Ô¹¡ÒõèÍ
 »