ÀҾ˹éÒ˹ѧÊ×Í
PDF
ePub

alten ehrwürdigen Sitten. Je weniger die Liebe dem Volke in einer so verfeinerten Gestalt zugänglich ist, um zum Hauptgegenstand der Dichtung zu werden, desto mehr tritt die Treue als poetisches Motiv in den Vordergrund, und sie ist es, welcher wir die herrlichsten Gestalten der Volksdichtung verdanken (Penelope, Gudrun, Hagen, Genovefa, Griseldis, Herzog Ernst von Schwaben, Friedrich der Schöne und Ludwig der Baier u. s. w.). Wo die Germanen staatenbildend vordrangen, da erhoben sie den Cultus der Treue zum höchsten Ideal des Grossen und Edlen; so ist z. B. die Blüthezeit der Spanischen Poesie ganz von der feudalen Idee der absoluten Treue bestimmt und getragen. Dass dieses Motiv durch Hervortreten anderer Motive auch. in der Neuzeit keineswegs verdrängt ist, beweisen Cymbeline und Wintermährchen, Fidelio und Euryanthe,,,Ein treuer Diener seines Herrn" von Grillparzer und die unerschöpfliche Volkspoesie der Treue.

Mit dieser im Feudalismus zum Ausdruck gelangten und in der Poesie gefeierten Treue haben wir eine Gestalt der Treue erreicht, welche, wenn auch von der Vertragstreue ausgehend, doch keineswegs in derselben aufgeht, sondern in einer harmonischen Verschmelzung der Vertragstreue mit der persönlichen Anhänglichkeit besteht. Von ersterer hat sie die Stärke der Verpflichtung, von letzterer die Macht der Gewohnheit und die Festigkeit des Ineinanderlebens; von ersterer die geistige Selbstbeherrschung und bewusste Sicherheit, von letzterer die natürliche Verwachsung und Gefühlsinnigkeit. Sie ist gleichzeitig kräftig und zart, stark und mild; je nach dem Ueberwiegen der bewussten Vertragstreue oder der instinctiven Anhänglichkeit wird das eine oder das andere Merkmal vorherrschen. So wird. man z. B. bei Männern häufiger die ernste und herbe, bei Frauen mehr die weiche und innige Seite der Treue ausgeprägt finden, je nachdem bewusste selbstbeherrschende Vertragstreue oder natur- und gewohnheitsgemässe Anhänglichkeit in der Gefühlsmischung prävalirt. Die Vertragstreue, wo sie bloss auf sachliche Verpflichtungen geht, hat einen abstracten, trockenen, juridischen Charakter, und erlangt erst als Begründerin eines persönlichen Verhältnisses eine gewisse gemüthliche Wärme; der Conservatismus, wo er sich bloss auf sachliche Einrichtungen und Verhältnisse bezieht, bedarf, wie wir gesehen haben, einer scharfen Kritik. um nicht in schädliche Richtungen zu führen, und ist nur da ganz unbedenklich und unbedingt werthvoll, wo er sich als persönliche Anhänglichkeit entfaltet: die persönliche Treue

vereint die besten Seiten beider Gestalten der Treue, und giebt so erst ein Bild der schönsten Entfaltung, zu welcher die Charaktereigenschaft der Treue führen kann, ohne doch deren ethische Leistungsfähigkeit zu erschöpfen. Zumal im modernen Leben, das einen weit abstracteren und weniger in persönlichen Beziehungen aufgehenden Charakter hat als früher, wird man die bloss persönliche Treue nicht als ausreichend erachten können, sondern dringend auf der Treue gegen abstracte Ideen, wie Vaterland, Gesetz, Verfassung, Beruf, Familie (im weiteren Sinne auch persönlich unbekannte Familienglieder umfassend) bestehen.

Es ist wahrlich nichts Kleines, wenn man von einem Menschen sagen kann, er sei in allen Beziehungen des Lebens stets treu erfunden worden; ein treuer Sohn, Gatte, Vater und Freund, ein treuer Bürger seiner engeren Heimath, treu seinem Vaterlande, verfassungs- und gesetzestreu, treu seiner Fahne, seinem Princip und seinen Grundsätzen, treu seinem Wort und treu seinem Beruf. Von wem man das (etwa in seiner Leichenrede) sagen kann, der ist wahrlich, und mag er sonst seine Fehler gehabt haben, kein unsittlicher Mensch gewesen; jedenfalls hat man mehr Grund, einen solchen für einen sittlichen Menschen zu halten, als einen, dem man in derselben Weise nur Mitleid bei allen Gelegenheiten nachrühmen kann. Es wird deshalb keiner Rechtfertigung mehr bedürfen, dass ich dem Moralprincip des Mitleids das Moralprincip der Treue habe nachfolgen lassen, wenngleich letzteres trotz seiner vorwiegenden Geltung im jugendlichen Germanenthum noch keinen so einseitigen und beredten philosophischen Vertheidiger gefunden hat, wie ersteres in Schopenhauer.

9. Das Moralprincip der Liebe.

Nachdem wir in dem Geselligkeitstriebe einen noch halb egoistischen Zug der menschlichen Natur nach Gemeinschaft mit ihres Gleichen kennen gelernt, sahen wir in dem Mitgefühl, der Pietät und der Treue Blüthen, welche sich auf dem von der Geselligkeit bereiteten Boden erschliessen, und können zu denselben noch das Gegengefühl der Dankbarkeit hinzunehmen. Alle diese besonderen Erscheinungsformen des Ethischen im Gefühl sind mehr oder minder einseitig: die Dankbarkeit setzt das empfangene Gute voraus, das sie zurückgiebt;

[ocr errors]

das Mitgefühl setzt die möglichst anschauliche Wahrnehmung des fremden Gefühls voraus, auf welche es mit einer vorübergehenden und bald dem Egoismus wieder Raum gebenden Erregung reagirt; die Pietät setzt die Sittlichkeit in dem Dritten voraus, vor welchem man Pietät gewinnen soll, die Treue setzt natürliche oder gewohnheitsmässige persönliche Beziehungen oder ausdrückliche Willensdeclarationen voraus, deren Stätigkeit durch das Gefühl verbürgt wird. Alle diese Voraussetzungen sind einschränkender Natur und ist insofern jedes dieser Gefühle beschränkter als der Boden des Geselligkeitstriebes, auf dem es sich entfaltet, und welcher keine andere Voraussetzung macht, als die Existenz gleichartiger Individuen. Um das moralische Gefühl in Bezug auf Andere zu seinem intensivsten Gipfel zu erheben und zugleich auf seinen umfassendsten Ausdruck zu bringen, käme es also darauf an, die Allgemeinheit und relative Voraussetzungslosigkeit des Geselligkeitstriebes festzuhalten, nur dessen halb egoistische Natur fallen zu lassen, um ihn zum rein moralischen Gefühl zu erheben. Zugleich würde das so gewonnene Gefühl die höchste Concentration des Gefühls als solchen darstellen müssen; es müsste die Weichheit und Milde des Mitgefühls mit der Dauerhaftigkeit und Stärke der Treue, die Reinheit und Hoheit der Pietät mit der Wärme und Innigkeit des Mitgefühls und der Treue in sich vereinigen, mit der Dankbarkeit die Erregbarkeit durch das Entgegenbringen des gleichen Gefühls theilen, und alle diese entgegengesetzten Elemente verschmelzen auf der Grundlage des Strebens nach Vereinigung, welche schon im Geselligkeitstriebe in elementarer Form sich zeigt. Ein solches Gefühl dürfte aber auch nicht bloss ein Conglomerat der genannten Elemente sein, sondern es müsste ein einheitliches Gefühl, die Krone aller Gefühle sein, dessen Vorhandensein nur rückwärts die Erregbarkeit für alle jene einseitigen Gefühle steigert. Alle diese Forderungen, die sich beinahe zu widersprechen scheinen, sind thatsächlich erfüllt in jenem wunderbaren Gefühl der Liebe, welches schon in der religiösen Ethik sowohl des Buddhismus als des Christenthums (insbesondere des johanneischen) eine so grosse Rolle spielt.

Wenn wir von dem Geselligkeitstrich den Drang nach Vereinigung festhalten, dabei aber die egoistische Motivation dieses Strebens (das Suchen nach eignem Genuss und Vortheil durch die Vereinigung) fallen lassen, so behalten wir nur eine Vereinigungssehnsucht um ihrer

selbst willen übrig, eine Sehnsucht, deren bewusstes Ziel allein draussen liegt, in dem Gegenstande oder den Personen, mit welchen die Vereinigung erstrebt wird. So gefasst ist die Vereinigungssehnsucht eine Verneinung des Egoismus durch Erweiterung des eignen Selbst über die Sphäre des Ich hinaus. Indem man die ersehnte Vereinigung ideell anticipirt, erweitert man das eigne Selbst in dem Sinne, dass es das Ich der geliebten Person mit umfasst, so dass nun die Selbst-Sucht, welche gewöhnlich mit dem Egoismus identificirt wird, die Sucht des Andern, die Selbst-Liebe die Liebe des Andern in sich einschliesst. So wird der Egoismus in der Wurzel seiner punktuellen Concentration getroffen, indem die Selbstsucht, mit der er zuvor Eins war, ihn durch Erweiterung des Selbst über die Grenzen des Ich hinaus verschlingt, wobei die erweiterte Selbstsucht in ihrer relativ grösseren Sphäre noch ganz dieselbe Rücksichtslosigkeit gegen alles draussen Stehende bewahren kann, welche sie vorher als Egoismus besass.

Man denke zur Verdeutlichung des Gesagten an ein vom naivsten aber rücksichtslosesten und schamlosesten Egoismus beseeltes Weib, das von dem Tage an, wo es Mutter wird, mit der ganzen Naivität des weiblichen Gefühls ihr Selbst auf die Personen ihrer Kinder mit ausdehnt, kein Opfer für das Wohl dieser scheut, aber auch die so erweiterte Mutterselbstsucht ebenso rücksichtslos und schamlos nach aussen übt wie vorher ihren Egoismus, ja sogar noch ungenirter, weil sie in ihren Mutterpflichten eine ethische Rechtfertigung ihres Verhaltens zu besitzen glaubt. Und so wenig auch das unsittliche oder unziemliche Verhalten aus erweiterter Mutterselbstsucht zu loben ist, so ist doch der ungeheure, weltumstürzende Gegensatz einer solchen Stellungnahme zu dem auf das eigne Ich beschränkten Egoismus nicht zu verkennen. Ist auch eine solche einseitige Liebe, die rücksichtslos zu allem ausserhalb dieses Liebesverhältnisses Liegendem sich verhält, eine sittlich unvollkommene, so ist sie doch im Princip ein unermesslicher Fortschritt über den starren Eigennutz und die kahle Eigenliebe hinaus, und zeigt den grundsätzlichen Bruch mit der Beschränkung des Willens auf das alleinige Wohl der eignen Individualität. Man kann sagen, dass in einer solchen Mutter, bei aller Einseitigkeit ihrer Moralität, doch unendlich viel mehr ethische Tiefe verwirklicht sei, als bei dem Virtuosen der Klugheitsmoral, dem willenlosen Sclaven kirchlicher Moralformeln und dem Künstler der ästhetischen Moral

zusammen genommen, da jene die Wurzel alles Bösen wenigstens in Einem Punkte radical und von Grund aus zerstört hat, während von diesen die beiden ersten sich durch ausserhalb der Sache liegende Rücksichten, der letztere doch nur durch oberflächliche und ausserliche Seiten der Sache selbst bestimmen lässt. Darum wird solche Liebe sittliche Achtung, und in ihren höheren Graden selbst Ehrfurcht und Bewunderung erwecken, selbst da wo ihre Einseitigkeit zu unsittlichem Verhalten nach anderen Richtungen führt. Es handelt sich wesentlich nur darum, die Liebe über solche einseitige Form zu erheben, welche überhaupt wohl nur da vorkommen dürfte, wo starke ursprüngliche Selbstsucht mit mächtigen instinctiven Gefühlen innerhalb der engsten natürlichen Beziehungen des Lebens und zugleich mit einem auffallenden Mangel anderweitiger regulirender und moderirender Grundlagen der Sittlichkeit zusammentrifft. In allen anderen Fällen wird das liebreiche Gemüth schon durch sich selbst vor solchen Einseitigkeiten bewahrt werden, indem es dem Einen zu Liebe doch keine Lieblosigkeit gegen den Andern begehen mag.

Indem der Liebende die Person des Geliebten in das eigne Selbst mit einschliesst, treten ihm das Wohl und die Interessen des Geliebten so nahe, wie ihm bisher nur seine eigenen waren; eine Collision zwischen den beiderseitigen Interessen im gewöhnlichen Sinne ist durch diese Identification schlechthin ausgeschlossen, und kann nur noch so bestehen, wie sie zwischen verschiedenen Interessen desselben Individuums sich gestaltet. Bei der Entscheidung eines solchen Conflicts legt die Liebe die Gefahr einer Ueberschätzung der Interessen des Geliebten nahe, weil sie nichts ängstlicher fürchtet als die Ueberschätzung der eigenen Interessen gegenüber denen des Geliebten, oder auch nur den Schein einer solchen, und weil sie bei der Förderung der Interessen des Geliebten des doppelten Gewinnes sicher ist, einerseits der directen Förderung seines Wohles und zweitens der eignen Mitfreude an demselben. Nur eine hochentwickelte Vernunft und ein starker Gerechtigkeitssinn wahrt vor solcher Ueberschätzung der Interessen des Geliebten, indem er jeden Schein überhaupt verachtet, sich vor der Unterschätzung der eigenen Interessen sicher weiss, und bei der Gegenseitigkeit des Liebesverhältnisses auch die Gegenseitigkeit der Mit freude in Anschlag bringt, also die Unterschätzung und Zurücksetzung der eigenen Interessen zugleich als ein indirect dem Geliebten zugefügtes Unrecht empfindet.

ཝཱ ་ ་ ོ

« ¡è͹˹éÒ´Óà¹Ô¹¡ÒõèÍ
 »