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Willens, dass eine positive Glückseligkeit überhaupt möglich sei. Es konnte nicht fehlen, dass diese implicite Voraussetzung selbst mit dem Fortschritt des Denkens mehr und mehr zum Bewusstsein kam, und dass in demselben Maasse eine mehr und mehr einschränkende und zersetzende Kritik derselben sich entwickelte, welche, wie wir schon gesehen haben, auch die positiv eudämonistischen Standpunkte mehr oder weniger inficirt hat. Schon Sokrates mit seinem ziemlich philiströsen Nützlichkeitsmaassstab sah ein, dass der Weg zur Glückseligkeit weniger durch Genüsse und Verweichlichung, als durch Enthaltsamkeit und Abhärtung hindurchführe; die Cyrenaïker wollten nur die milde und sanfte Bewegung als erstrebenswerthe Lust gelten lassen, verwarfen aber jede rauhe und stürmische, also auch jede affectvolle und leidenschaftliche Erregung als Unlust; Epikur stellt bereits die Ataraxie oder Seelenruhe als höchsten erreichbaren Zustand auf und lässt die Befriedigung der natürlichen Bedürfnisse wesentlich nur deshalb unangefochten, weil sie uns von der andernfalls zu duldenden und die Gemüthsruhe beeinträchtigenden Qual des unbefriedigten Bedürfnisses befreit; Spinoza geht noch weiter und verwirft aus seinem intellectualistischen Gesichtspunkt jede Seelenbewegung, welche etwas anderes als reines actives Erkennen, weil sie dann ein leidender Zustand der Seele sei. Hebt man diese Einschränkungen des den Ausgangspunkt alles Eudämonismus bildenden hedonischen Princips hervor, anstatt auf die praktische Lebensführung der Philosophen zu blicken, so bemerkt man erst, wie gering im Princip der Unterschied zwischen der cyrenaischen und cynischen Schule des Sokrates und zwischen ihren Fortsetzungen, dem Epikureismus und Stoicismus ist. Es bedarf nur eines Schrittes, um von der Sokratischen Empfehlung, das Glück in der Abhärtung, Bedürfnisslosigkeit und Enthaltsamkeit zu suchen, zur Entsagung auf die Güter der Welt und ihre Genüsse zu gelangen. Es liegt ja so nahe, dass derjenige, dem die Ataraxie als das höchste gilt, und der die Lust für um so störender und schädlicher hält, je stärker sie ist, um der Seelenruhe willen auf die Lust lieber ganz verzichte.

Schon der Cyrenaïker Hegesias hatte erkannt und scharf ausgesprochen, dass die Glückseligkeit unmöglich sei (Diog. II 94), da der Körper von vielen Leiden geplagt sei, welche die Seele in Mitleidenschaft ziehen, da das Glück unsere Hoffnungen beständig durchkreuze, und unsere Berechnungen zu Schanden mache; deshalb

werde der Weise nicht nach dem Erringen von Gütern, sondern nach der Abwehr und dem Vermeiden der Uebel streben, nicht positive Glückseligkeit, sondern schmerzenfreies Leben sich zum Ziel setzen, was aber nur bei voller Gleichgültigkeit gegen die Ursachen der Lust gelingt (Diog. 95). Diese aber sei möglich, weil das Angenehme und Unangenehme nicht sowohl an den Dingen, als an der Subjectivität des sie Wahrnehmenden haften, und weil erfahrungsmässig Armuth und Reichthum, Freiheit und Sclaverei, hoher und niedriger Stand, Ehre und Schande das Maass des Glückes nicht bedingen. Mit der so geforderten Gleichgültigkeit gegen das Leben und dem Verzicht auf die positive Glückseligkeit wegen der Unmöglichkeit, sie zu erringen, ist die Selbstvernichtung des positiv eudämonistischen Princips vollzogen und der Umschlag in Cynismus unvermeidlich.

Das aller antiken Philosophie gemeinsame stolze Streben nach Geistesfreiheit, nach voller Unabhängigkeit und Ausschliessung jeder möglichen Sklavenkette führt so selbstverständlich dazu, diese Unabhängigkeit auch gegen jeden möglichen äusseren Glückswechsel sicher zu stellen, d. h. sich von allen äussern Gütern los zu reissen; denn nur derjenige bietet dem Schicksal keine Blüsse, der gegen alles Aeussere (Reichthum und Armuth, Ehre und Schande, Anstrengung und Genuss, Leben und Tod, Lockung und Drohung, Hoffnung und Furcht) schlechthin gleichgültig und über dasselbe erhaben ist. Der private Charakter des friedlichen Stilllebens, zu dem der Eudämonismus naturgemäss führt, zeigt sowohl bei den Alten wie bei Spinoza nothwendig eine gewisse Geringschätzung gegen die drei mächtigsten Triebfedern des Menschenlebens: Habsucht, Ehrgeiz und Geschlechtsliebe; wie nahe liegt da nicht die Consequenz des Cynismus, den Menschen ganz auf sein eigenes Bewusstsein zu stellen, Alles, selbst die Verachtung zu verachten, und sich aller äussern Güter zu entäussern, auf welche die gewöhnlichen Menschen Werth legen. Findet das Schicksal dann doch noch einen Angriffspunkt, um z. B. durch Krankheit des Leibes das Leben unerträglich zu machen, so weist die Gleichgültigkeit gegen Leben und Tod auf den Selbstmord als allezeit offen stehenden Ausweg hin. So erscheint hier die Lust, die ursprünglich das Beste war, gerade als das Schlechteste, nämlich als die gefährlichste Störung der gegen alles Aeussere gleichgültigen Selbstgenügsamkeit, als die beständig drohende Versuchung zum Abfall vom errun

genen Princip, welche Versuchungsgefahr bereits einem Diogenes die Askese als Abtödtungsmittel der Lust nahe legte.

Der Cynismus ist ein für die praktische Philosophie höchst wichtiger Standpunkt, dessen Bedeutung wohl kaum bisher ihre gehörige Würdigung fand. Er vertritt diejenige Stufe des individual-eudämonistischen Princips, wo die Werthlosigkeit des Lebens und seiner Güter bereits erkannt und aus dem Egoismus die Consequenz der völligen Isolirung in absoluter Welt- und Menschenverachtung gezogen ist, ohne dass die Negation noch den Muth gefunden hat, sich gegen die Existenz des Lebens selbst zu wenden. Von der Erkenntniss der Werthlosigkeit des Lebens war der positive Eudămonismus eben auch nicht mehr weit entfernt, er klammerte sich aber, um das Leben doch noch mit einem Werthe zu erfüllen, an die socialen Triebe der Freundschaft und Geselligkeit im Menschen. Nun ist aber klar, dass der Mensch, wenn einmal das Leiden im Leben jedes Einzelnen überwiegt, dem Schicksal desto mehr Angriffspunkte bietet und desto mehr Leiden des Lebens mitempfinden muss, mit je mehr Freunden er lebt und je enger er mit ihnen verbunden ist, dass also das Princip der Ataraxie nothwendig die Isolirung des Menschen fordert, um den durch die Leiden und selbst durch die heftigen Freuden der Freunde drohenden Störungen der Seelenruhe vorzubeugen.

Bei Spinoza ist die Betonung der Socialität noch befremdender und noch weniger mit dem Princip verträglich; denn zur intuitiven Betrachtung Gottes und der intellectuellen Liebe zu ihm genügt das isolirte Individuum sich vollkommen und kann durch Eingriffe dritter Personen weit eher gestört als gefördert werden. Die Förderungen, welche der Mensch durch das freundliche Zusammenleben mit seines Gleichen empfängt, fallen wesentlich in jene Sphäre des sinnlichen und gemüthlichen Lebens, welche für Spinoza eigentlich ein zu eliminirendes Element des Lebens bildet oder doch nur insoweit einen Werth hat, als sie als Mittel für den Zweck des (isolirten) intellectuellen Lebens dient; erwägt man aber, was zu einem (nicht auf Empirie, sondern auf Intuition und Speculation gestützten) theoretischen Leben die Geselligkeit nützen kann, so schrumpft ihr Werth in dieser Richtung so ziemlich auf Null zusammen, und nur ihre störenden und Unlust bereitenden Einflüsse bleiben in voller Kraft bestehn. Der reine Intellectualismus Spinoza's drängt noch viel zwingender wie die Ataraxie Epikurs zur individuellen Isolirung nicht nur in Bezug auf

Staat und Familie, sondern eben so sehr in Bezug auf die Gesellschaft.

Gleichwohl ist hierdurch immer noch nicht das charakteristische Merkmal des Cynismus erreicht. Es kann ein einsames Denken oder ein von den Stürmen des Lebens vorzeitig geknicktes und entblättertes Menschenherz sehr wohl in stiller, scheuer Zurückgezogenheit den Rest seiner Tage verleben, ohne deshalb Cyniker zu sein. Der Cynismus ist erst dadurch gegeben, dass zum isolirten weltverachtenden Egoismus auch die Verachtung der Meinung der Welt hinzutritt, und zwar jene gründliche Verachtung, die es nicht mehr der Mühe werth hält, sich selber schamhaft zu verhüllen, sondern sich nackt und schamlos giebt wie sie ist, weil sie so ist, wie sie ihrem Princip nach das Recht und die logische Nöthigung hat zu sein. Denn was gehen den Egoismus andre Leute an, was geht ihn deren Meinung an, über die sich nur die Thorheit alteriren könnte, da sie über das resignirte Individuum alle ihre Macht verloren hat? Was sollte ihn zwingen, unaufrichtig zu sein, was sollte ihn hindern, wahr und offen sich sehen zu lassen wie er ist und sein muss: baar alles Gefühls für Ehre und Scham? Sind noch Wurzeln solcher Triebe in ihm vorhanden, so muss er sich durch sein Princip verbunden fühlen, dieselben auszurotten, und es wird ihm zu dem Zweck wohlthuend sein, sich in Ertragung ausgesuchter Beschimpfungen zu üben, um schneller seinem Ideal näher zu kommen. Erst mit der cynischen Verachtung des Urtheils der Welt hört die Loslösung des Individuums von der Gemeinschaft mit seines Gleichen auf, eine zufällig bedingte zu sein, und wird zu einer principiellen, durch das Verhalten jedes Augenblicks feierlich deklarirten und bestätigten, indem sie gleichsam der Welt beständig zuruft: „Ich bin ich und unendlich souverän; aber ich will nichts mehr vom Leben, weil ich weiss, dass es mir nichts zu geben hat; ihr alle auch, ihr könnt mir nichts geben und nichts nehmen, nicht einmal durch Euer Urtheil über mich, nicht einmal dadurch, dass ihr mich ächtet!"

Die Grossartigkeit dieses Standpunktes darf nicht verkannt werden; wenn er trotz aller Grossartigkeit als ekelhafte Fratze erscheint, so ist es nur wegen eines Mangels an gedanklicher Consequenz. Es ist nämlich leicht zu sehen, dass durch die Zurückziehung des Ich auf sich selber und durch das Verschmähen aller Erfüllung von aussen her das Ich sich schliesslich auf die blosse Form des abstracten Selbst

bewusstseins reducirt und alles Inhalts entleert findet.

Indem es die

Schmerzen des Lebens von sich abwehren wollte, wehrte es zugleich den gesammten Inhalt des Lebens weit von sich ab; denn des Lebens ganzer Reichthum ist genau proportional dem Schmerzensreichthum, dem es sich aussetzt und den es vom Schicksal willig aufnimmt. Schritt vor Schritt vollzog das Ich die Ausscheidung der Ursachen des Schmerzes; zwar sah es sich bei jedem Schritte ärmer, aber das Princip war vom egoistischen Standpunkt unbestreitbar richtig und konnte nur bei der letzten Consequenz sich beruhigen. Als solche erschien nur auf dem Standpunkte des Cynismus Negation des ganzen Lebensinhalts bei Bewahrung seiner leeren Form; das ist aber der Tod bei lebendigem Leibe. Das kann nicht das Ende sein, denn die Form des Denkens lebt auch noch und drängt über diesen Widersinn hinaus: Nicht Spinoza's Intellectualismus kann hier einen Ausweg bieten, denn die intellectuelle Betrachtung des absoluten Lebens kann nur bei einem positiven Werth des Lebens selbst ein Genüge bieten; was hilft mir alles Theoretisiren, wenn ich dadurch an dem praktischen Elend des Daseins nichts ändern kann? Nein, das einzige Ziel der theoretischen Betrachtung kann und muss in solcher Lage ausschliesslich die Frage sein: giebt es denn keinen Ausweg aus diesem Elend des Daseins, keine Rettung vor der Form des Lebens selbst, keine Erlösung von den Banden der Existenz? Und alles Denken über das Leben selbst, und alles Forschen über seinen Ursprung kann jetzt nur noch den Einen alleinigen Zweck haben, die theoretischen Voraussetzungen dieser praktischen Erlösung zu ergründen.

Es war ein Rest des tief im lebensfrohen Hellenenthum wurzelnden Optimismus, der einen Diogenes zwang, vor dieser äussersten Consequenz seines Princips Halt zu machen, und der den Gedanken an die Möglichkeit der Vernichtung des Lebens selbst in seinen Sinn zu kommen hinderte. Auch die ganze griechische Philosophie wurde durch diesen ethnologisch begründeten Optimismus vom Beschreiten dieses Weges abgehalten; sie brach vielmehr das cynische Princip in seiner Wurzel, indem sie dasselbe in der Stoa mit dem Moralprincip der objectiven Welt-Vernunft verschmolz. Weil aber letzteres dogmatisch postulirt war, konnte auch die Lösung des aus dem strengen Cynismus erwachsenden Problems keine erschöpfende sein; um diese zu finden, müssen wir uns nach andern Gestaltungen der Geschichte umsehn.

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