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mir anzufangen wusste, tat sie mich zu ihrer Schwester in Stratford, allwo ich in der Wirtschaft half als Kellner, eine Beschäftigung, die mir so wenig gefiel wie nach dem grossen London das stille Stratford. Und doch habe ich bald diesen Seitensprung meines Schicksals als das höchste Glück meines Lebens erachten lernen.

Am ersten Adventsonntag war es, als eine Anzahl Männer, nicht gerade von den besten aber auch nicht von den schlechtesten Bürgern, in unsrem niedrigen Hinterzimmer sassen und sich fein still bei ihrem Getränke verhielten; denn es war um den Gottesdienst, und die Stadt Stratford hielt auf Kirchenpolizei. Da trat durch die Tür herein eine schlanke, so hohe Männergestalt, dass sie fast an den Tragbalken der Decke des Parlours anstiess. Der Mann war ganz in roten Sammt gekleidet, so dass es ordentlich in unsrer Dämmernis aufleuchtete, auf dem Kopfe trug er ein schwarzes Barett, das zu dem spanischen Bart seines Gesichtes einen rechten HidalgoEindruck machte. Aber ich vergass bald diese in Stratford selten zu sehende Tracht, als erst einmal die Augen auf mir geruht hatten, diese grossen, dunkeln, melancholischen Augen in einem bleichen Antlitz von so vornehmem Schnitt, dass seinesgleichen noch weniger als die Tracht in diesem Town zu finden sein mochte. Die Männer erhoben sich alle zur Be grüssung von den Sitzen und räumten ihm den besten Platz am Kamine ein. Da ersah ich schon, dass der Mann bei den Wirtshausbrüdern wenigstens in hoher Achtung stand. Aber es herrschte ein Schweigen wie in der Kirche. Wie nennt dich deine Mutter, Knabe? fragte der neue Gast, und als ich der Wahrheit gemäss geantwortet: Franz, mein Herr, flog etwas wie ein Rosenlicht über seine ernsten Züge. A cup of sack, aber schnell, Franz! rief er: und als ich, schon eilend, den Auftrag zu erfüllen, nach Kellnerart versicherte: Anon, anon, sir! gleich, Herr, gleich! da schlug er ein Lachen auf, das klang wie wilde Musik, so toll und glücklich, wie ich nie wieder einen Menschen lachen gehört habe, und wie ich mich erstaunt umdrehe, sehe ich ein zauberhaft verändertes Gesicht; denn wenn der Mann vorher wie ein Fünfziger ausgesehen

hatte, der viel gelitten und die Welt verachten gelernt hat, so glich er jetzt einem Jüngling von fünfundzwanzig Sommern. und eine ganze Sonne voll Lebenslust und gutem Willen strahlte aus seinen Augen.

In diesem Augenblick schoss es plötzlich in mir empor, dass ich dieselben zwischen uns gewechselten Worte schon irgendwo gehört hatte. Als Student, der auch auf solche Dinge ein paar Schillinge verwenden kann, wenngleich die Schulmeister scheel dazu sahen, hatte ich in London auch einigemal das Blackfriars-Theater besucht, und nun stand es klar vor meiner Seele, dass ich soeben eine Szene aus dem Stück König Heinrich IV. erlebt hatte, nur dass der Gast mit jenem dicken Ritter nichts gemein hatte und dass ich mich denn doch nicht für ganz so einfältig hielt wie jener Kellnerfranz; auf den Namen des Verfassers jenes Stückes und vieler anderen hochberühmten konnte ich mich aber nicht besinnen.

Als ich mit dem Wein zurück kam, klopfte mir der Fremde, noch immer lachend, die Wange und meinte, wenn ich jedesmal anon sage, wenn er ein Glas Sekt trinke, so wolle er noch vor Christtag alles Spanische in dieser guten Kneipe zum Holzapfelbaum vertilgen. Und dann musste er es haben, dass alle die ehrsamen Bürger mit ihm von dem starken Getränke tranken, weil er jetzt gefunden, dass in seiner Vaterstadt doch ein Stück von ihm existiere; und weil die richtige Lustigkeit immer ansteckt und er ein freigebiger Herr war, so erhob sich bald ein Zechen und eine Fröhlichkeit, wie sie die alte Taverne wohl noch nie gesehen hatte. Da sei Gott vor, dass beim Wein uns die Musen fehlen sollten! rief da der strahlende Mann, kennt ihr denn nicht ein Lied, ein richtiges Schelmenlied? Und wahrhaftig, der lahme Schneider Martin fing an zu singen, wie er es von den Minstrels gelernt hatte. Da flog aber meine Tante aus ihrem Buffet, wo sie immer sass wie ein Vogel im Käfig, wenn man bei einer so vülligen Dame von fliegen sprechen kann, und beschwor die Gäste bei allen Heiligen, des Sabbattages zu gedenken und sie nicht unglücklich zu machen. Sie schien aber schon von vornherein ihrer Sache nicht so sicher zu sein, und während ihr Mund strenge

Worte sprach, machte sie wie zur Entschuldigung einen zierlichen Knix vor dem Fremden. Der aber legte seinen Arm um ihre Hüften und sprach so liebliche Worte zu ihr, dass sie den Mund gar nicht mehr zusammen brachte und es ein Glück war, dass ihr Ehemann schon lang im Grabe lag und es nicht sehen konnte. Ehe sie sichs versah, hatte sie aus seinem Glas getrunken und die Erlaubnis erteilt zu dem Unerhörten. Und der Schneider sang, und was man nicht alles erleben muss, im Refrain hörte ich deutlich die dünne Stimme meiner Tante in ihrem Käfig mitklingen:

So merrily,

And ever among so merrily.

Als eben die Leute aus der Kirche kamen, erhob sich der fremde Gast, sein Gesicht war wieder bleich und melancholisch wie zuvor. Auf meine Rechnung, sagte er mit der Miene eines Lord zu der Wirtin, und schicken Sie mir den Büttel, dass ich die Polizeistrafe der guten Leute bezahle. Und damit schritt er zur Türe hinaus. Unsre Stratforder aber schrien ihm aus vollem Halse nach: "God bless you, Master Shakespeare!"

Da ging es wie eine Leuchte in mir auf: Das war ja der Name des Verfassers von König Heinrich IV. und so vieler hochberühmter Komödien und Tragödien. Wiewohl ich mir -nicht erklären konnte, wie er hierher kam, zweifelte ich keinen Augenblick, dass der grosse Shakespeare an unsrem Kamin gesessen, der Mann, den selbst die Königin, wie man sagte, my sweet William nannte. Da hat mich ein so seltsames Gefühl ergriffen, dass ich in den kleinen Garten hinter dem Haus ging und weinte.

Wenig Glauben, aber viel Hohn, sogar Hass wird mir zu teil, wenn ich aus den Erfahrungen meiner bald dreihundertjährigen Lebensdauer berichte. Es gibt nur wenig Menschen so gelehrt, so vornehm liebenswürdig und zugleich von so kindlichem Vertrauen beseelt wie Lord Lytton Bulwer einer war. Viele meiner Erzählungen habe ich in glänzendem Gewand in seinen Büchern stolzieren sehen. Aber von meiner Bekannt

schaft mit Shakespeare wollte er nichts wissen, nichts davon, dass ein solcher Geist mit alltäglichen Leiden und Freuden zu tun gehabt, nichts davon, dass mir, dem Schüler und interimistischen Aufwärter im Wirtshaus zum Holzapfelbaum, ein Einblick in dieselben gestattet worden. Ich hätte ihn ja an Jesus und seinen Umgang mit den Niedrigen und Verachteten erinnern können, aber teils wollte ich mich und das Meinige Niemand aufdrängen, teils ersehe ich auch den Umgang Jesu in einem andern Lichte als den Shakespeares. Bei dem jüdischen Reformator scheint mir die Absicht vorzuliegen, aus der Tiefe das Gebäude der neuen Welt heraufsteigen zu lassen, sein Umgang mit Zöllnern und Sündern war forciert, und man sorgte dafür, dass die Herablassung des Gottgleichen überall bekannt wurde. Shakespeare aber hatte das natürliche Bedürfnis, mit Leuten aus dem Volk zu verkehren. "Ich lerne mehr von einem Fuhrknecht", sagte er mir einmal, "als von einem Doktor der Universität in Paris; aber, der Teufel soll mich holen, wenn es mir ums Lernen zu tun ist, ich liebe es, wie der Fuhrknecht die Sprache seiner Heimat spricht, wie er, seinem vor mir geheuchelten Respekte zum Trotz, sich räuspert und frei ausspuckt. Sieh nur unsre Mary Ann, sie trägt ihre Hinterbacken stolzer als eine Herzogin von Geblüt und ist doch die bescheidenste Dirn im ganzen Kirchspiel! Ich kenne eine Mary Ann, die würde gern die Erhöhungen, so ihr der gute Gott vorn und hinten geschaffen, vor lauter Demut glatt hobeln lassen, und ist doch von einem abscheulichen Hochmutsteufel besessen." Mit der zweiten meinte er seine eigene Eheliebste, die andre Mary Ann war unsre cornische Magd, ein hübsches, derbes Mädel, dem ich vorher nach Knabenmanier manchen Kuss gestohlen hatte. Aber seit Master Shakespeare in unsrem Hause verkehrte, hatte sie keinen Blick mehr für mich. Anders mit meiner Tante: sie sah gar wohl das Vertrauen, dessen mich der grosse Mann würdigte, und ich brauchte von dieser Zeit an keine gemeinen Handreichungen mehr zu tun in Haus und Stall; ja sie hätte uns die Getränke selber gebracht, wenn sie uns in intimem Gespräch vereinigt sah, nur dass Shakespeare das nicht er

laubte; ich musste mich, wenn er etwas bestellte, immer in Kellnerposition werfen und mit möglichst gellender Stimme rufen: Anon, anon, sir! Wir sind das unsrer dramatischen Vergangenheit schuldig, Franz, pflegte er zu sagen.

Aber das Alles wollte ich erst nachher erzählen. My Lord Lytton Bulwer wollte von solchen Geschichten gar nichts wissen; es interessierte ihn, wie man zu jener Zeit auf der Schule die alten Autoren traktiert und die fremden Wörter ausgesprochen habe, und er forschte so lange nach geheimer Weisheit in mir, bis ich ihm allerlei dummes Zeug von Magie und Beschwörungskunst erzählte, wie ich es in meiner Jugend gehört. Das schrieb er dann sorgfältig nieder. Ich selber habe es erst in dieser Zeit gemerkt, wie töricht ich war in jenen Tagen, da ich ein so hohes Glück genoss. Hätte ich doch damals, als der Tod Shakespeares unsre kleine Welt erschütterte, Alles niedergeschrieben, was ich von ihm wusste, Handschriften von ihm und Reliquien gesammelt, welchen Dienst hätte ich in diesem Jahrhundert der grossen Welt der schönen Künste erweisen können! Aber so voll Verehrung und Liebe ich zu diesem Manne aufschaute, für die Ahnung, dass er der Stolz und das Rätsel kommender Jahrhunderte sein werde, war meine Seele doch nicht gross genug.

So habe ich denn auch Lord Lytton Bulwer gewisse Dinge nicht erzählt und schreibe heute erst Alles nieder, was mir im Gedächtnis geblieben ist. Ich liebe die heutige Zeit und lasse mich durch die Narrheit, den lebendigen und persönlichen Shakespeare zu verneinen, nicht irre machen, ich liebe sie, weil sie gerechter ist als die Vergangenheit. Das habe ich selber vielfach erlebt: Grosse Menschen hat man zu ihren Lebzeiten allzumenschlich behandelt, man hat keinen andern Massstab an sie gelegt als an den Nachbar Dick und Harry, grosse Menschen der Vergangenheit aber hat man zu Heiligen gemacht; und wenn Einer andeutete, dass sie auch menschlich aufzufassen seien, hätte man ihn schier gesteinigt. Wie man es heutzutage mit den lebendigen hält, will ich mich nicht zu untersuchen ermessen, es wird sich immer noch bewahrheiten, dass um die höchsten Gipfel die rauhsten Winde

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