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Die lesten Stunden, welche du Abschied nahmst, Der Abschied soll mir festlich auf immer seyn! Da lernt' ich, voll von ihrem Schmerze, Wie fich die wenigen Edlen liebten.

Viel Mitternächte werden noch einst entflichn. Lebt sie nicht einsam, Enkel, und heiligt sie Der Freundschaft, wie sie eure Väter Heiligten und euch Erempel wurden.

Christian Garve

ward am 7. Januar 1742 zu Breslau geboren. Seinen Vater, einen wohlhabenden Färber, verlor er früh, aber feine Mutter, eine kluge und vortreffliche Frau, ließ ihm eine ausgezeichnete Erziehung zu Theil werden. Nachdem er durch Hauslehrer eine hinreichende Vorbildung erhal ten, jedoch seinen ursprünglichen Plan, sich der Theologie zu widmen, hatte aufgeben müssen, bezog er 1763 die Universität zu Frankfurt an der Oder, und studirte hier unter Baumgarten Philosophie und Mathematik. — Nach feines Lehrers Tode begab er sich nach Halle, wo er die Magisterwürde erhielt, und von dort nach Leipzig, wo er ein Liebling Gellerts wurde, in dessen Hause er wohnte. Er lebte hier in den angenehmsten Verhältnissen ganz seinen Studien und kehrte 1767, auf den Wunsch seiner Mutter, in feine Vaterstadt zurück, sich fort und fort im Privatstande seinen wissenschaftlichen Forschungen und Beschäftigungen widmend. Nach Gellert's Tode wurde er außerordentlicher Professor der Philosophie in Leipzig und hielt mehrere Jahre hindurch eifrig besuchte Vorlesungen über Gegenstände seines Faches. Anhaltende Kranklich keit zwang ihn jedoch, diesem Berufe zu entsagen und wieder in den Privatstand zurück zu treten. Er verlebte nun den Rest seiner Jahre, von mannichfachen körperli= chen Leiden heimgesucht, die ihn jedoch nicht in seinen äußerst eifrigen Bestrebungen zu stören vermochten, in Breslau, und starb daselbst als Mitglied der Berlinischen Akademie der Wissenschaften am 1. December 1798.

Seine Schriften find: Sammlung einiger Abhandlungen u. s. w. N.A. Leipzig, 1802.

Ueber den Character Zollikofers. Leipzig, 1788. Bersuche über verschiedene Gegenstände. 5 Thle. Breslau, 1792 - 1802.

Einige Züge aus dem Leben des Herrn C. I. Pacgeosky von Tenczien. Breslau, 1793. Vermischte Auffäße. 2 Thle. Breslau, 1796-1800. Fragmente zur Schilderung des Geistes, des Characters und der Regierung Friedrichs II. N. U. Breslau, 1801.

Uebersicht der vornehmsten Principien der Sittenlehre. Breslau, 1798.

Eigene Betrachtung über die allgemeinften Grundsäße der Sittenlehre. Breslau, 1798. Bertraute Briefe an eine Freundin. Leipzig,

1801.

Briefe an C. F. Weiße und andere Freunde. 2 Thle. Breslau, 1803.

Briefwechsel zwischen Garve und Zollikofer. Breslau, 1804.

Briefe an seine Mutter. Breslau, 1830.

Biele Uebersehungen, unter denen die bedeutendsten: Burke's Untersuchungen über den Ursprung

unserer Begriffe vom Erhabenen und Schö nen. Riga, 1773.

Aristoteles Ethik. 2 Bde. Breslau, 1799 1801. Aristoteles Politik. 2 Bde. Breslau, 1799 — 1800. Einzelne Auffäße und Abhandlungen in der Berliner Monatsschrift, den Schlesisch en Provinzialblättern, dem deutschen Museum und anderen Zeitschriften.

Die treffendste Characteristik Garve's und seiner Leis stungen gibt der geistreiche Bouterweck (Geschichte der Poesie und Beredsamkeit. Bd. 11. S. 509), indem er von ihm sagt: „Eine Philosophie des Lebens, die an metaphysischen Speculationen nur entfernten Antheil nimmt, desto aufmerksamer aber bei der moralischen Seite der menschlichen Natur verweilt, wurde und blieb das vorherrschende Bedürfniß seines klaren, und ruhigen Geistes. Lieber noch aus eigner Anschauung und Beobachtung, als aus Büchern, Belehrung schöpfend, näherte er sich Menschen aus allen Ständen. Besonders aber erwarb er sich im Umgange mit den gebildeteren Claffen einen Schat von psychologischen Wahrheiten, die der schäßbarste Theil des Inhalts seiner Schriften find. Den Formen des geselligen Lebens angemessen bildete sich auch sein Geschmack, und nach diesem Geschmacke sein Styl. Kein philosophirender Kopf unter den deutschen Schriftstellern hat über die Geseze einer ernsten, einfachen und doch eleganten Verstandesprosa gründlicher nachgedacht, und keiner hat diese Geseze besser beobachtet, als Garve. Die Muster, nach denen er seinen Styl mit vieler Sorgfalt und ohne alle Affectation bildete, waren die alten Classiker und einige englische Schriftsteller, besonders Burke, Ferguson und Adam Smith, von denen er auch mehrere überseht hat." So sehr wir im Allgemeinen auch diesem Urtheil beistimmen, so müssen wir doch bemerken, daß Garve, troß jenen gerühmten Eigenschaften als theoretischer Philosoph, von einer gewissen Beschränktheit und Engherzigkeit befangen war, die ihm oft den freien Ueberblick raubte und ihn vers hinderte, sich in geistiger Kraft auf den rechten Standpunkt zu schwingen; was er dagegen auf dem Gebiete der popu laren practischen Philosophie leistete, trägt durchaus den Stempel der Vortrefflichkeit.

Vgl. Manso: Christian Garve nach seinem schriftstellerischen Character. Breslau, 1799. 4. K. G. Schelle's Briefe über Garve's ́ Schriften und Philosophie. Leips zig, 1800. Das ähnlichste Portrait Garve's findet sich vor der Schrift:,,Garve und Fülleborn von J. G. Schummel." Breslau, 1804.

Die Tugend macht den Menschen glücklich *).

Es scheint mir zur leichtern Befolgung der moralischen Vorschriften sehr nüßlich, wenn man sie simplifizirt, so weit es ohne Aufopferung der Wahrheit oder Verstümmelung der Begriffe geschehen kann. Mir leuchtete bei einer neulichen Selbstbetrachtung folgende Darstellung dieser Vorschriften auf eine so angenehme Weise ein, daß ich geneigt wurde, fie auch Andern mitzutheilen.

Ferguson's Moralphilosophie. Leipzig, 1772. Gerard, über das Genie. Leipzig, 1776. Cicero's Abhandlung über die menschlichen Alles, was Tugend heißt, und was, wenn es sich in Hands Pflichten, nebst Anmerkungen und Abhandlungen äußert, Pflicht genannt wird, läßt sich unter die zwei lungen zu denselben. N. A. Breslau und Leip- Gesichtspunkte bringen: des moralisch besten passiven sig, 1801. und des moralisch besten thätigen Zustandes. Aus Macferlan's Untersuchungen über die Armuth. diesen beiden Sachen, Thun und Leiden, ist unser Leben, unser Leipzig, 1785. ganzes Wesen, unser Sein, insofern wir es gewahr werden, und nur in so fern kömmt es für uns in Betrachtung, zusammengefeßt. Wir werden afficirt, und wir handeln. Berz *) Aus Garve's Abhandlungen und Auffäßen.

Parley's Grundfäße der Moral und Politik. Leipzig, 1787.

Adam Smith's über den Nationalreichthum. 4 Bde. Breslau, 1794 - 96.

änderungen werden in uns hervorgebracht, die wir empfinden; oder wir bringen Veränderungen hervor und sind uns unsrer Thätigkeit bewußt. Daraus entstehen zwei Hauptarten der Tugend: eine leidende und eine wohlthätige. Zufriedenheit mit unsern Schicksalen scheint mir die erste, - Wohl wollen und Gutthätigkeit die zweite zu sein. Aus beiden Eigenschaften in ihrem größten Umfange und zusammengenommen scheinen mir die menschlichen Tugenden, als aus ihrer ersten Quelle, herzufließen. In Ertragung des Bösen und in Beförderung des Guten scheinen mir alle menschlichen Pflichten als in den lehten Endpunkten zusammenzulaufen. Wenn ich mich einer schon etwas veralteten und in mancher Absicht unschicklichen Eintheilung der Pflichten bedienen dürfte: so würde ich sagen, daß das Erstere den Inbegriff unsrer Pflich ten gegen Gott, das Undere den Inbegriff unsrer Pflichten gegen die Menschen bezeichne.

In Absicht Gottes können wir eigentlich keine Pflichten ausüben, weil wir nicht auf ihn wirken können. Alles, was von uns gefordert werden kann, ist eine Gesinnung, ein Bes tragen, wie sie den besten, reinsten Begriffen von Gott gemäß find. Über diese Begriffe sagen, daß alle Eigenheiten unsrer Natur oder unsrer Umstände, und alle Veränderungen, die in beiden vorgehen, ihren leßten Ursprung in Gott haben; und daß Alles, was er macht und zuläßt, im Ganzen das möglich Beste ist. Beruhigung des Gemüths also bei dem Unangeneh men, das wir fühlen und doch nicht wegschaffen können, ist die größte, oder ist vielmehr die einzige Verehrung, die wir Gott darzubringen vermögen, indem wir dadurch unsre Ueberzeugung von seiner Güte und Weisheit erklären.

Und was bleibt uns auch in diesem großen Bezirke der Dinge, welche, von uns ganz unabhängig, durch angeborne Beschaffenheiten unserer körperlichen und geistigen Natur, oder durch die Verhältnisse und Veränderungen des Weltlaufs bez stimmt werden, was bleibt in diesem Bezirke für uns zu thun übrig? Vorausgeseht, daß wir wirklich nichts dabei ändern können, so ist nur ein Geschäft uns übrig gelassen dics, unsre Natur fo viel, als möglich ist, dabei aufrecht zu erhalten; das Thätige von dem Leidenden so wenig als möglich unterdrücken zu lassen; unsre Freiheit gegen das, was diese Freiheit einschränkt, nach Vermögen zu vertheidigen. Und wodurch ist dies anders zu erreichen, als durch Gelassenheit, Geduld, stillen Geist, Gemüthsruhe, oder wie man das nennen will, was die vorzüglichern, edlern Menschen im unthätigen Zustande und vornehmlich im Leiden unterscheidet?

Auf der andern Seite bezieht sich alles moralische Gute im Handeln auf Wohlwollen. Lieben, die Glückseligkeit aller empfindenden Wesen nach Maßgabe ihrer Verbindung mir uns gerne sehen, begehren und befördern, das ist der Grund oder die Summe aller rechtmäßigen, guten und heroischen Hands lungen.

Biele Pflichten entstehen aus einer Mischung und Vereinis gung beider Tugenden. Es muß dabei ertragen, und es muß gehandelt z dem Eindrucke des Uebels auf unser Gemüth muß gesteuert, und Gutes muß zugleich bewirkt werden. Ja diejenigen Handlungen, welche uns das wahre Gepräge ächter Tugend zeigen sollen, müssen die leidende und die thätige Güte in fich vereinigen. Wir verlangen Aufopferungen zu sehen, wo wir große Tugenden bewundern sollen. Eine jede Aufopferung aber seht eine gelassene, mit Gemüthsruhe verbundene Ertraz gung eines Schmerzes voraus. Wenn in der Gefahr den Hels den diese Gleichmüthigkeit, diese Zufriedenheit verließe: so würde er durch den Aufruhr verdrießlicher oder ängstlicher Gefühle seis ner Besonnenheit beraubt und an der Ausführung seines gemeinnüßigen Werks verhindert werden.

Eben so ist die Tugend der Mäßigung zusammengefeßt. Die Begierde, wenn sie zum Genusse gelangt, will im Genusse immer weiter gehen. Die Mäßigung hört bei dem, vor dem Verstande angegebenen Punkte der Befriedigung auf, auch wenn die Begierde noch fortdauert, und düber bei Endigung des Vergnügens eine verdrießliche kere zu erwarten steht. Je gelaffener der Mensch das Unangenehme erträgt: desto leichter wird er sich in der Verfolgung des Vergnügens mäßigen.

Alles, was in Krankheiten oder in solchen Unglücksfällen, welche wie Krankheiten auf das Gemüth wirken, als Pflicht gefordert werden kann, ist Geduld. Alles, wodurch eine höz here Vortrefflichkeit des Geistes dabei fich offenbaret, ist Heiterkeit, die nur ein größerer Grad von Geduld ist.

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Alles Vergnügen ist ebenfalls thätig oder leidend. Das thätige Vergnügen ist die Liebe: das leidende hat keinen andern Namen als den Namen des Vergnügens selbst; aber es ist in Absicht der Gemüthsstimmung von Zufriedenheit nur dem Grade nach unterschieden. ::

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Man kann sein Leben nicht anders genießen, als entweder durch angenehme Empfindungen, oder durch angenehme Beschäf= tigungen. Jene hängen zum Theil von der Natur der Objekte, die auf uns wirken, von unsern Sinnen, von unsrer an= gebornen Stimmung ab. Dieser Theil unsers Zustandes ift also nicht in unsrer Gewalt: er muß erwartet, er muß genof= sen, oder er muß ertragen werden. Die Geduld aber, die Zufriedenheit, die eine Folge des Nachdenkens ist, das Aufsehen auf Gott und die Vorsehung, alles dieses, was ich die leidende Tugend genannt habe, arbeitet darauf hin, den Zustand des Gemüths mit Vorsaß dem unwillkürlichen Zustande des Ver= gnügens oder der Lust (so weit dieses geschehen kann) näher zu bringen. Der geduldige Kranke hat nicht die Empfindungen des Gesunden: aber er arbeiter daran, seinen Gemüthszustand dem eines Gesunden etwas ähnlicher zu machen. Der gelassene, edle Arme wird nicht die Bequemlichkeiten des Wohlhabenden genießen: aber er wird sich bemühen, in seinem Innern ́etwas von der Ruhe und Zufriedenheit zu bewirken, welche der einzige Vortheil eines mit Glücksgütern gesegneten Lebens ist.

Die Geduld also arbeitet auf die Glückseligkeit los, obgleich unfähig, sie ganz zu erreichen, wenn nicht der ungünstige Einfluß äußerer Ursachen aufhört. Aber Liebe und Wohlwollen thut noch mehr: sie sind unmittelbarer Genuß; fie find Freude mit Thätigkeit verbunden. "

Bergnügen an leblosen Dingen bleibt bloße Empfindung; und heißt deßwegen, wenn es ohne Maß und Ziel genossen wird, oder nüßliche Thätigkeit hindert, Wollust. Vergnügen an Menschen, welches Sieben heißt, geht immer in Handlun gen über, und ist ohne solche nicht zu genießen. Entweder find dies Handlungen des denkenden Versandes, wie beim Umgange, im Gespräch, bei der Mittheilung der Gedanken: oder es find Handlungen des Herzens, wie bei erwiesenen Wohlthaten oder bei geleisteten Diensten. In allen Aeußerungen der Liebe ist die Befriedigung, welche jedes Wesen erfährt, das seiner Na= tur gemäß wirksam ist, mit dem angenehmen Eindrucke vers bunden, den ein reizender Gegenstand auf unsre Empfindung macht. **

Der Rachgierige, der Neidische, der Schadenfrohe, der Bōfewicht hassen: also leiden fie. Es find Menschen vorhanden, die den äußersten Verdruß in ihnen erregen: fie sind also nicht glücklich.

Der Faule, der für andere Menschen nichts thut, und der Geizige, wetcher nichts für fie aufwendet, lieben nicht und hafsen nicht. Sie sind also leir an Vergnügungen: sie sind ge= wiß weniger glücklich, als wenn sie liebten, und ihr Geld oder ihre Kräfte aufwendeten, das Geliebte glücklich zu machen.

Man sehe die Sanftmuth dem Zorne, die Ergebung in den Willen der Vorsehung der murrenden oder verzweifelnden Ungeduld, die Güte der Bosheit gegenüber: und man wird finden, daß selbst der Name der ersteren Eigenschaften schon etwas Verdrießliches und Unglückweissagendes in sich schließt. Bei der Beobachtung der Gemüthszustände selbst wird man noch deutlicher entdecken, daß von den moralisch schlechtern Unluft ein Bestandtheil sei, daß hingegen Stimmung zum Frohsein oder vermindertes Mißvergnügen bei den bessern vorausgesezt werde.

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dann am leichtesten entstehen und am fichersten aufrecht erhalten werden kann, durch die Unterwerfung unter die Fügungen ei nes göttlichen Regenten der Welt: so ist nothwendig damit die Hoffnung einer glücklichen Zukunft verbunden, die uns durch das Dasein eben des Gottes, welchem wir unsre Geduld auf opfern, zugesichert wird. Ist aber diese Gelassenheit auch nur die Folge eines muthvollen Entschlusses, der aufgebotenen Seelenkraft, welche dem Uebel widersteht, selbst des Ehr geizes, der keinen unanständigen Kleinmuth in den Seiten des Leidens will an fich blicken lassen: so gibt dies zwar unmit: telbar keinen Grund des Trostes, eröffnet keine neue Quelle angenehmer Ideen, aber es vermindert doch den Eindruck und die Gewalt des Uebels; es wehrt der traurigen Schwärmerei einer melancholisch gewordenen Einbildungskraft, einer Ge müthskrankheit, welche oft schlimmer ist, als das Unglück, wodurch fie erzeugt wurde.

Bas bei großen Verbrechen augenscheinlich sichtbar ist, findet sich bei ben meisten unmoralischen Handlungen, nach den Graden ihrer Schwärze und Abscheulichkeit. Da herrscht in dem Augenblicke, da man fie begeht, eine der Leidenschaften in der Seele, die aus dem Verdrußse herstammen und Abarten der allgemeinen Leidenschaft finnlicher Unluft find.

Mannigfaltigkeit oder wegen ihrer Dauer im Stande find, die frohe Empfindung in dem Besize weit höherer Güter zu vers nichten. Können nicht Fliegen und Mücken den schönsten Somą mertag in der anmuthigsten Gegend verdrießlich und, wenn man nicht sehr viel Geduld hat, zuleht unerträglich machen?

Am öftersten aber erlangen wir das, worauf wir rechneten, gar nicht. Der Lauf unsers Lebens im Großen, der Lauf der Begebenheiten jedes Tages im Kleinen geht, wie der Lauf der Ströme, nirgends gerade, nirgends ununterbrochen auf das Ziel los, welches wir zu erreichen suchen. Ehre, Reichthum oder Ruhe kömmt uns selten von der Seite oder in dem Zeitpunkte, wo wir Anwartschaft darauf hatten. Und eben so thun wir jeden Tag vergebliche Gänge; finden den Freund, in dessen Ums gange wir uns aufzuheitern uns versprachen, nicht zu Hause; werden auf einer Spazierreife, durch die wir uns erholen wollten, von einem Ungewitter oder einer Kolik überfallen; und bringen von einem Freudenfeste, auf welches wir uns mehrere Tage hindurch geschickt gemacht hatten, nur die Erinnerung ges habter langen Weile und eine verdrießliche Laune zurück.

Aber eben so oft trügen uns unsere traurigen Ahnungen. Es ist schon eine Bemerkung des Horaz, daß wenige Menschen an der Krankheit sterben, die sie im Leben am meisten geängs Rann in dem Gemüthe des Mörders, in dem Momente stigt hat. Unfälle, die unser ganzes Glück zu zerstören drohten, gehen. da er sich zum Morde entschließt oder ihn vollzieht, eine oft ohne merklichen Schaden vorüber: andere werden sogar unStimmung von Fröhlichkeit vorhanden sein? Muß man nicht erwartete Gelegenheiten zu einem größern Wohlstande. Perfo= glauben, daß sein Geist eben so finster und melancholisch ist, nen oder Sachen werden uns geraubt, deren Verlust uns unals seine Mienen schrecklich und wild aussehen? Ist auf der überstehlich scheint; und wir überstehen ihn nicht nur recht wohl, andern Seite je eine wohlthätige, edle, gerechte Handlung aus sondern wir genießen von diesem Beitpunkte an einer bessern Gegeübt worden, ohne daß schon ein stilles Lächeln auf dem Gesundheit und eines größeren Frohsinns. Ich habe Eltern, zárts fichte des tugendhaften Mannes das Vergnügen oder die Zu liche Eltern gekannt, die an einem Tage ihrer schon halb erz friedenheit, die sein Inneres in diesem Zeitpunkte belebten, wachsenen Kinder beraubt wurden, und sich und Undern die ausgedrückt hätte? Und wie könnten auch in Augenblicken, wo unglücklichsten aller Sterblichen schienen, und die doch in der man nur Gutes in Gedanken hat, Gutes an andern Menschen Folge so ruhige und heitere Tage erlebten, ats vielleicht die mit empfindet, (ohne welches es nicht möglich wäre, ihnen wohlzu der väterlichen und mütterlichen Zärtlichkeit unzertrennlichen wollen), Gutes in seiner eigenen Handlung gewahr wird und Sorgen ihnen nicht würden vergönnt haben. Was bei solchen in deren Folgen voraussicht, Gutes, will und hervorbringt, Vorfällen im Großen geschicht, sehen wir im alltäglichen Leben wie könnten andere als angenehme Empfindungen der Seele im Kleinen. In einer Gesellschaft, in welche wir aus Furcht beiwohnen? schrecklicher langen Weile mißmuthig gingen, werden wir recht wohl unterhalten. Wir treten eine Lustreise mit dem ungünftigsten Unscheine des Himmels an, und genießen auf derselben des angenehmsten Wetters. Wir fürchten einen Streit, einen verdrießlichen Auftritt mit unsern Hausgenossen, den Verweis eines Höhern: und werden mit einer leichten und selbst angenehmen Entwickelung der Sache überrascht.

Wenn es uns also gelänge, daß über die unwillkürlichen Eindrücke von außen und innen, durch welche unser Zustand schmerzhaft, die Gegenstände uns verdrießlich, die Menschen verhaßt, und wodurch wir also nach und nach boshaft werden, die Selbstthätigkeit unsrer Bernunft, welche Zufriedenheit mit der leblosen und Liebe gegen die lebendige Natur vorfäglich zu bewirken sucht, die Oberhand gewänne: müßte nicht eben diese Bemühung, durch welche wir nach Uller Geständniß die Tugend in uns befördern, zugleich uns der Glückseligkeit näher bringen? Ich sehe wohl ein, daß die obige Eintheilung der Tugens den, auf welche sich die folgenden Betrachtungen gründen, nicht zur Grundlage einer systematischen Abhandlung der Tugenden dienen könne. Sie ist einer von den vielen Gesichtspunkten, unter welchen sich die Moral bei der Betrachtung eins zelner Menschen und befonderer Fälle zeigt. Es ist dessen ungeach tet nicht unnüş, auch diese eingeschränkten Gesichtspunkte zu sammeln: theils, weil ihre vollständige Aufzählung, wofern fte möglich ist, dereinst richtiger über den einzigen Standort wird urtheilen lassen, von wo aus wir alle unfre Pflichten und nach ihrem ganzen Zusammenhange übersehen können, theils, weil auch jeder einzelne und eingeschränkte Gefichtspunkt immer für diejenigen Menschen besonders lehrreich ist, mit deren Nas tur und Lage er insbesondere harmonirt.

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Für mich zum Beispiel hat der Gedanke sowoht eine beru higende Evidenz, als eine mich ermunternde Kraft, daß meine Pflichten sich in zwei große Borschriften vereinigen, mich von dem Uebel, das mich drückt, nicht niederbeugen zu lassen, und an der Beförderung des Guten, sei es mit noch so einge schränkten Kräften, unermüdet zu arbeiten.

Ueber fehlgeschlagene Erwartungen. Keine Beobachtung wird im menschlichen Leben so häufig and in dem Leben mancher Menschen so unaufhörlich gemacht, als daß Erwartungen fehlschlagen; - und zwar die hoffnungs vollen sowohl, als die fürchterlichen. Wenige Güter find, wenn wir fie erlangen, von so großem Werthe, wenige Bergnüz gungen so ergöhend, als wir uns Beide einbildeten, da wir sie wünschten. Oder verringert auch die Gegenwart der Sache die günstige Vorstellung nicht, welche wir bei der Vorausschung von ihr hatten, so vermischen sich doch vielleicht mit dem Genusse kleine Unannehmlichkeiten, auf die wir nicht rechneten, als wir sie zum Ziele unsers Bestrebens machten, Unannehm lichkeiten, die, so geringfügig fre fein mögen, doch wegen ihrer

Woher kömmt denn nun diese so oft wiederholte Täuschung menschlicher Voraussehungen? Gibt es irgend eine Gottheit, die der menschlichen Klugheit spotten will, und sich über die Verlegenheiten belustigt, in welche wir durch die unerwarteten Wendungen unserer Schicksale gerathen? Liegt es an uns, daß wir die Dinge zu schlecht beobachten, und daher falsch beurtheis len: oder liegt es an den Dingen, daß sie zu unordentlich durch einander laufen, als daß wir irgend eine zuverlässige Regel aus ihrer Beobachtung ziehen könnten?

Ohne Zweifel findet Beides unter gewissen Einschränkungen Statt.

Es ist richtig, daß in Absicht dieses Fehlschlagens der Ers wartungen ein großer Unterschied zwischen Menschen und Menschen ist. Wir werden einige unaufhörlich darüber klagen hören, indeß sich andere ihres Glücks und des Gelingens ihrer Anz schläge rühmen. Mögen die Einen vielleicht aus Verdruß oder Baghaftigkeit die Vorstellungen ihres Unglücks übertreiben; mös gen die Undern aus Eitelkeit ihr Glück vergrößern: immer wird doch der unbefangene Richter zugestehen, daß in den Schicksalen einiger Menschen eine gewisse Uebereinstimmung zwischen ihren Erwartungen und den Erfolgen herricht, in den Schicksalen Underer ein immerwährender Widerspruch der Begebenheiten mit den Voraussehungen vorkommt. Der Mensch, welchem dieses Bestere widerfährt, und der sich selbst keine Schuld beimessen will, nennt die Sache Unglück. Und oft bleibt allerdings etwas Unerklärliches in dieser Gleichförmigkeit der die Erwartungen täuschenden Borfälle, Etwas, das vielleicht nur von der Rez gierung einer höhern Hand abgeleitet, oder durch den Zusam menhang des ganzen Weltalls erklärt werden kann. Aber gewiß läßt sich auch die Ursache jenes Unterschieds sehr oft entdecken, wenn man auf den Geist und den Charakter der Personen Achtung gibt, unter welchen er Statt findet.

1. Die Personen, deren Voraussehungen am öfterften eins treffen, find die, welche am besten beobachten. Alle Vorauss sehung ist ein Schluß von dem Gegenwärtigen auf das Künftige. Wer die Ursachen nicht kennt, kann von den Wirkungen nicht urtheilen. Je genauer also ein Mensch in den Sachen, wobei er auf die Zukunft gewiffe Rechnungen zu machen, oder für dieselbe Entschlüsse zu fassen hat, alle kleinen, ihm jezt vor Augen liegenden Umstände bemerkt: desto richtiger wird er bes stimmen können, was darauf erfolgen werde. Diese Beobach=

tungen oder diese Schlüsse geschehen nicht immer mit vollem Bewußtsein, und so, daß man Andern davon in den Augenbli den Rechenschaft geben könnte: und eben deßwegen sehen ihre Resultate einer Art von Eingebung ähnlich. Hierin liegt der sogenannte Takt: der zur Ausführung weitaussehender oder keinen Aufschub leidender Unternehmungen nöthig ist, von denen die Erstern durch die Größe ihres Umfangs, die Andern durch die Kürze der Zeit ausführliche Untersuchungen unmöglich machen. Bei einigen Meuschen ist es der erste Blick, der ihnen die Sachen in dem richtigsten Lichte zeigt Biele würden lange nicht so oft ihres Endzwecks verfehlen, wenn sie bei dem Eutz schlusse blieben, zu welchem sie sogleich, als ihnen die Angeles genheit vorgelegt wurde, durch eine_Art_von_Instinct geneigt Zu dieser Verfolgung seines ersten Gedankens gehört beim Menschen Festigkeit, Muth und Selbstvertrauen. Man bemerkt auch, daß Personen, welchen diese Eigenschaften "fehlen, fich öfters als andere von gleichen Geistesfähigkeiten in ihren Erwartungen betrogen finden. Die Ursache kann schwerlich eine andere sein, als weil sie, zu wankelmüthig, den Eingebungen ihres noch ungeschwächten Geistes zu folgen, und durch die endLosen Ueberlegungen, zu welchen ihre Unentschlossenheit sie ver anlaßt, ermüdet, zuleßt entweder die Gegenstände unrichtiger als anfangs beurtheilen, oder, wenn sie gar kein Uebergewicht der Gründe auf irgend einer Seite entdecken können, die Entscheis dung dem Zufalle überlassen.

waren.

Andere aber sind dazu gemacht, die Sachen auszugrübeln, und gelangen durch anhaltendes Nachdenken und eine ausführ: liche Entwickelung ihrer Ideen wirklich dazu, richtig und mit Zuverlässigkeit zu durchschauen, was ihnen bei der ersten Ansicht dunkel oder zweifelhaft war. Ob ein Mensch zu der einen oder zu der andern dieser beiden Classen gehöre, kann er am besten aus dem Erfolge seiner Ueberlegungen abnehmen. Wenn bei ihm durch die weitläuftige Berathschlagung, durch die langsame Abwägung der beiderseitigen Gründe eine positive Entscheidung hervorgebracht wird, bei der er sich völlig beruhigt, und von der er, troß aller neuen Einfälle, die er selbst hat, oder der Rathschläge, die ihm Andere geben, bei der Ausführung nicht mehr abgeht: so ist dieser Weg für ihn wahrscheinlich der rechte. Eine Meditation, auf die eine standhafte Ueberzeugung folgt, hat die Vermuthung für sich, daß sie mit Auffindung der Wahr heit geendigt habe, Wen aber seine Ueberlegungen, so tief sie in die Sache hineinzugehen, und so sehr sie seine theoretische Kenntniß derselben zu erweitern scheinen, doch nicht fest und entschlossen machen; wer die praktischen Resultate feines anges strengten Nachdenkens doch nicht gegen das Ansehn fremder Meinungen oder gegen die Veränderlichkeit seiner eignen Ge müthsstimmung aufrecht zu erhalten weiß: der wird wahrschein lich besser dabei fahren, wenn er seinem ersten Gedanken folgt, als wenn er sich zu ausführlich mit sich selbst_berathschlagt. Die Gefahr zu irren, insofern sie aus Unwissenheit oder aus Schwäche der Denkkraft entsteht, ist in beiden Fällen gleich; aber die, welche aus der Verwirrung der Begriffe entsteht, ist dem zweiten Falle eigenthümlich, So verblinden Manche, wenn fie einen Gegenstand zu lange mit unverwandten Augen ansehen.

2. Eine Ursache, welche viele fehlgeschlagene Erwartungen veranlaßt, ist, daß die Menschen überhaupt zu große haben: und diejenigen werden ohne Zweifel am öftersten betrogen, die vom Zufalle oder von andern Menschen zu viel erwarten. Das gee schicht aus Eigendünkel, aus Begehrlichkeit, aus Trägheit.

Die Eigenliebe, so wie sie den Menschen verführt, von seis ner Person und seinen persönlichen Eigenschaften zu groß zu denken, so gibt sie ihm auch zu hohe Ideen von den Belohnuns gen, die er verdient, und hiermit zugleich zu schmeichelhafte Hoffnungen von dem Glücke, das ihm bevorsteht. Denn man stellt sich leicht angenehme und glückliche Erfolge, so außerors dentlich sie sein mögen, als wahrscheinlich vor, wenn man glaubt, daß man werth fei, dergleichen zu erfahren. Der, welcher sich einbildet, seiner Thaten oder seiner Schriften wegen Ruhm zu verdienen, mag für jest immerhin noch unbekannt oder selbst verachtet sein; im Grunde seines Herzens lebt doch die Hoffnung, daß seine Verdienste künftig ein Mal in dem gehörigen Bichte erscheinen und von der Welt werden anerkannt werden. Der, welcher sich selbst für liebenswürdig hält, sicht einer vor theilhaften und ehrenvollen Heirath bis ins eintretende Alter entgegen. Und so ist mit jeder Einbildung von einem gewissen Verdienste die geheime Hoffnung verbunden, daß es noch ein Mal den ihm angemessenen Lohn erhalten werde. Diese Em: pfindung, welche tief in der menschlichen Natur eingewurzelt ist, mag vielleicht die Ahnung einer Wahrheit sein. Dem befs sern Menschen steht vielleicht zu der einen oder der andern Zeit ein besseres Schicksal bevor, und wenigstens ist es unsrer vers nünftigen Natur gemäß, Glückseligkeit mit Tugend in unsern Vorstellungen zu verknüpfen. Nichtsdestoweniger ist es gewiß, daß, wenn der Mensch diese seine Verdienste zu hoch berechnet,

und wenn er bestimmte Belohnungen in diesem Leben erwartet, er eben deßwegen öfter als Andere in seinen Erwartungen ge täuscht wird.

Bei Undern entsteht diese zuversichtliche Hoffnung glückli cher Begebenheiten aus der Stärke der Begierde selbst, die sie nach dem gehofften Gegenstande haben. Die meisten Leidenschaften haben den Zauber, daß sie uns die Schwierigkeiten verbergen, die ihrer Befriedigung im Wege stehen. Wenn sie bis zu einem ungewöhnlichen Grade der Heftigkeit steigen, so können sie sogar den Menschen in denjenigen Zustand des Wahnsinnes versezen, in welchem er, troß des Zeugnisses seiner Sinne und seiz ner Bernunft, das Gut, dessen Wunsch seine ganze Seele erfüllt, wirklich schon zu befihen glaubt. Dieser Uebergang vom heftis gen Begehren zur Ueberredung von dem Befihe der Sache hat die Tollhäuser mit so viel Unglücklichen angefüllt, die sich für Könige und Fürsten, oder die sich für begünstigte Liebhaber irgend einer schönen oder vornehmen Dame halten. Aber auch, bei jenen niedern Graden der Leidenschaft, bei welchen die gesunde Vernunft noch Meister über die Einbildungen bleibt, wird durch die Lebhaftigkeit, welche der Vorstellung eines heftig gewünsche ten Gegenstandes eigen ist, auch die Hoffnung ihn zu erhalten erregt. Jemehr also ein Mensch Leidenschaften, und je heftis gere er hat, desto mehr und desto gewissere Erwartungen hat er; und desto öftern und schmerzlichern Täuschungen ist er also ausgefeßt. Je größre Dinge er begehrt, desto seltnere Zufälle gehören dazu, sie ihm zu verschaffen, und die Unwahrscheinlichkeit eines glücklichen Erfolgs wächst mit dem Ausschweifen der Wünsche.

Oft vereinigt sich Beides: Stolz und ungezähmte Bes gierde. Das geschicht bei denen, die sich ihres Glückes selbst als eines Verdienstes rühmen und wie Cäsar glauben, daß die zerbrechlichste Barke im Sturme sich erhalten müsse, wenn sie derselben ihre Personen und ihre Entwürfe anvertrauen. Diese Einbildung, so sehr sie an sich Irrthum ist, kann wirklich gro= ßen Männern in außerordentlichen Fällen nüßlich sein, besonders um die, welche unter ihrer Anführung an dem Unternehmen Theil haben, beherzt zu machen, Aber wenn sie bei gewöhnlichen Menschen und in den Angelegenheiten des Privatlebens herrschende Meinung wird, so ist sie die fruchtbare Quelle virz unglückter Wagstücke.

Fast jeder Mensch traut, besonders wenn er in die entfernte Zukunft hinaus denkt, seinem Glücke mehr zu, als er billig sollte. Zwar für den gegenwärtigen Tag sind die meisten ängstlich und furchtsam genug, aber in einem dunkeln Winkel ihrer Seele liegt der Gedanke verborgen, daß_in_künftigen Jahren sich günstige Vorfälle ereignen werden. Daher sind sie so karg mit ihren Diensten oder mit ihrem Gelde, wenn sie heute jene zu leisten, dieses zu geben aufgefordert werden, und hingegen so freigebig mit Versprechungen, die sie erst nach langer Zeit zu erfüllen haben. Es ist nicht immer die Absicht zu täuschen, was sie zu diesem Leztern so bereitwillig macht. Nein, fie trauen der Zukunft zu viel Gutes zu: fie glauben ehrlicherweise, daß bis zu dem bestimmten Zeitpunkte die Umstände zu ihrem Vortheile sich abändern, ihre Hilfsquellen sich vermehren und die Erfüllung ihrer Zusagen erleichtern werden.

Diese gemeine Schwachheit der Menschen wächst bei Einigen zu einer schädlichen Thorheit auf. Der äußerste Grad davon zeigt sich bei gewissen halb Blödjinnigen, die, mitten im Elende, von einem großen Glücke reden, das ihnen nach ihrer Meinung bevorstehen soll. Aber auch ohne sich durch völlig ungereimte Erwartungen unmöglicher Ereignisse zu täuschen, sind die, welche ihrem Glücke und der Gunst des Zufalls zu sehr vertrauen, immer in Gefahr, ein Spiel desselben zu werden, und sich am Ende eine desto bittrere Zukunft zu bereiten, je übertriebener die Hoffnungen waren, welche sie sich bei der Aussicht auf dies selbe machten.

Dieses Fehlschlagen überspannter Erwartungen ist

3. den trägen und sinnlichen Menschen eigen, die, je wes niger sie selbst zu Erreichung ihrer Endzwecke zu thun Lust haben, desto mehr vom Zufalle und von andern Menschen fordern. Wer nicht mehr begehrt, nicht mehr hofft, als was ihm sein Fleiß, der Grad von Nuzbarkeit, den er in der menschli chen Gesellschaft hat, die Wichtigkeit der Dienste, die er dem gemeinen Wesen oder einzelnen Personen leistet, geradezu und unmittelbar verschaffen können, der wird gemeiniglich, wenigstens in den Hauptsachen, erhalten, was er hofft. Wer aber glaubt, daß durch zufällige Umstände, die er nicht veranstaltet hat, sich seine Belohnungen über das gewöhnliche Maß vergrößern werden; wer sein Schiff auf dem Strome des Lebens nicht bloß fortrudern will, sondern einen besonders günstigen Wind, der in seine Segel stoßen soll, erwartet: der wird immer Ursache haben, über sein Unglück und fehlschlagende Hoffnungen zu trauern.

Alles Gute, sagt ein uralter griechischer Dichter, haben die Götter den Menschen zu Kauf gegeben, und Arbeit ist der

Preis, den sie dafür fordern. Wer also diese Güter, die er fich verdienen soll, geschenkt haben will; oder wer für das, was er bezahlt, mehr Waare verlangt, als der Marktpreis mit sich bringt: der wird mit dem Handel und der Welt sehr unzufrieden sein.

Indessen ist nicht zu läugnen, daß, wenn in irgend einem Umstande des menschlichen Lebens das, was man Glück nennt, die einen Menschen vor dem andern auszeichnende Gleichförmig keit günstiger oder widriger Zufälle, fich deutlich zu zeigen scheint, es in diesem Umstande ist, daß die Vermuthungen des einen Menschen bei gleicher Klugheit und gleich reifer Ueberle gung öfter mit den Erfolgen zusammentreffen als die des andern. Daraus entsteht, daß die Veranstaltungen des einen im mer passender sind und daher ihre beabsichtigte Wirkung thun, indeß der andere bald seine gemachten Vorkehrungen unnöthig, bald die nothwendigen von sich versäumt findet, immer aber feine frühern Handlungen mit den spätern Ereignissen im Wiz dersoruche sieht, wodurch jene zwecklos und oft ihm nachtheilig werden. Bei gewissen Menschen stimmt, wie es scheint, die Caufalität der Natur mit dem Principe der Freiheit, der Lauf der Dinge mit den Begriffen ihres Verstandes und den Ent schlüssen ihres Willens, die Wirksamkeit der unbekannten Ursa chen des Weltalls mit ihrer eignen eingeschränkten aber vernünf tigen Thätigkeit besser als bei andern zusammen. Sie sind, um mich des Ausdrucks einer veralteten Thorheit zu bedienen, -mit der Welt, in der sie leben, in vollkommenem Rapport. Die Regelmäßigkeit, mit welcher der Zufall seine Würfe den Erwartungen des einen Menschen standhaft zuwider, den Er wartungen des andern gleichförmig gemäß thut, ist schon von uralten Zeiten her bemerkt worden. Man hat fie, wie alle wunderbaren Erscheinungen, durch erdichtete Erzählungen ver: größert, um sie noch wunderbarer zu machen; und weil in der ganzen Natur nichts vollkommen regelmäßig ist als der Lauf der Gestirne, diese zu ihrer Erklärung zu Hilfe gerufen. Der vernünftige Gottesverehrer, welcher sich über die Dinge, deren Ursachen er nicht ergründen kann, wenn sie ihm doch zu wich; tig sind, um stillschweigend bei Seite gelegt zu werden, durch ihre möglichen Absichten zu beruhigen sucht, kann sich sehr wohl vorstellen, daß es zu der Erziehung mancher Menschen gehöre, fie mehr Fehltritte in der Welt thun und mehr Fehlschlüsse machen zu lassen als andere.

3um Theil wirkt auch das Glück rückwärts auf den Menschen, ihm diejenigen Eigenschaften zu geben, welche zum Glücke führen. Personen, in deren Leben die Dinge sich oft so ereignet-haben, wie sie sich dieselben zuvor eingebildet hatten, werten muthiger und daher zu Geschäften geschickter. Die Dreiftigkeit, welche sie erhalten, ist eine nügliche Eigenschaft, nicht nur bei Ausführung, sondern auch bei der Beurtheilung der Sachen. Ber in seine Einsichten wegen des öftern Fehlschlagens seiner Erwartungen ein großes Mißtrauen zu sehen anfängt, ist, wenn er zu einer neuen Unternehmung geht, wieein schüchterner Mensch, wenn er in eine große und fremde Gesellschaft tritt. In der Verlegenheit, in welcher er sich vom ersten Augenblick an befindet, hört und sieht er nichts mehr genau, und feine eigenen Talente stehn ihm nicht mehr zu Gez bote. Er wird unfähiger, und hat also auch falschere oder zweideutigere Uhnungen als bei einem ruhigen Zustande des Gemüths sich von dem Maße seiner Einsichten erwarten ließe. Dagegen wird der Mensch, welcher sich im entgegenges festen Falle befindet, leicht stolz, übereilt und verwegen. Vornehmlich aber lernt er sich_selbst weniger kennen, und wird an die äußern Dinge immer stärker angefesselt.

Ohne Zweifel schmerzt nichts so sehr, als oft fehlschlagende Erwartungen; aber gewiß wird auch durch nichts ein zum Nachdenten fähiger Geist so lebhaft als durch fie erweckt, die Naz tur der Dinge oder seine eigne Handlungsweise, die Gefeße, wonach die natürlichen und moralischen Ursachen in der Welt wirken, oder die Methoden, nach welchen er selbst zu urtheilen und zu schließen pflegt, zu erforschen, es sei, um die Quelle seiner irrigen Vorausschungen zu entdecken und, wo möglich, fünftig richtiger zu ahnen; es sei, um sich zu beruhigen, und sein Gemüth an einen schlechten Erfolg gut gemeinter und gut überlegter Anschläge zum voraus zu gewöhnen.

So ungleich aber sich auch das Schicksal oder die Urtheilskraft der Menschen in der glücklichern Ahnung oder der weisen Berechnung der Zukunft zeigen mag, so ist es doch das alle gemeine Loos der Menschheit, oft und vielfältig in ihren Auss fichten betrogen zu werden.

Die Belt nämlich ist nicht allein für uns gemacht. Un tere Wünsche hingegen, unsere Entwürfe und unsere Erwar: fungen gehen bloß von uns selbst aus, und vereinigen sich wieder in uns. Jedes Ding in dem großen Universum hat feine eigne Natur, seine eigne Laufbahn, so zu sagen, sein von den Absichten anderer Dinge unabhängiges Ziel. Alle diese Birkungen durchkreuzen sich, vereinigen sich das eine Mal,

und zerstören sich zu andern Zeiten: — zwar Alles nach einem Plane, (so glaubt und hofft es der Gottesverehrer), aber doch nach einem Plane, den wir nicht übersehen können. Nur so viel wissen wir, daß bei diesem Streite aller Elemente und aller thätigen Kräfte gegen einander doch die Fortdauer des Ganzen, die Erhaltung der Gattungen und selbst das Wohlsein eines großen Theils der Individuen bestehen kann. Was habe ich aber Ursache mich zu wundern, daß bei diesem so unendlich mannigfaltigen Streben unzähliger körperlichen und geistigen Kräfte, wovon jede, von mir unabhängig, nach ihren eignen Gesezen fortwirkt, meine eignen kleinen Bestrebungen oft gleichsam ausgedrängt, und meine Erwartungen, die sich nur auf die Kenntniß einiger wenigen mir nahen Ursachen gründen, betrogen werden?

Das äußere Wohl des Menschen ist in einem so verwickels ten System allerdings sehr unsicher; aber seine innere Vollkoms menheit kann dabei bestehen. Ja man kann annehmen, daß even dieser uns unüberschliche Kampf aller Naturkräfte unter sich und mit unsern Bemühungen, und die daraus entstehende Unsicherheit unserer Hoffnungen und unserer Entwürfe die Welt zu dem Uebungsplage machen, der sie in den Augen des Weis sen ist.

Denn was wird der vernünftige Mann, wenn er so oft in seinen bestgegründeten Erwartungen betrogen worden ist, und seine nach reifster Ueberlegung angefangenen Unternehmun gen hat mißlingen sehen, was wird er thun? Seine Hände in den Schooß legen und abwarten, was über ihn kommen werde? - Das ist überhaupt dem Menschen nicht möglich; . und der vernünftige Mann wird es auch nie wollen. der sich dem Unmuthe und der Niedergeschlagenheit preis geben? - Dadurch würde er, mit besserm Erfolge an seinem Glücke zu arbeiten, noch unvermögender, und in der Beurz theilung der Zukunft und ihrer Wahrscheinlichkeiten noch kurzs sichtiger werden. Was bleibt ihm also übrig? Er muß von den äußern Dingen unabhängig werden lernen, ohne doch et was von seiner, sich auf diese äußern Dinge beziehenden, Thäs tigkeit nachzulassen. In den Handlungen selbst, die er thut, in dem Fleiße, den er auf seine Geschäfte verwendet, in den guten Gesinnungen, die er dabei in sich belebt, in der Uebers legung und dem Nachdenken, welche er anzustellen, und in der Tugend und Stärke des Geistes, welche er zu beweisen Ges legenheit hat, muß er einen Endzweck zu finden wissen, dessen Erreichung ihm gewiß ist, und der ihn schadlos hält, wenn er den andern Endzweck, den seine Handlungen in gewissen äuz ßern Erfolgen haben, verfehlen sollte. Auf diese Artist es möglich, die beiden, sonst unverträglich scheinenden Sachen zu vereinigen: so munter und dreift an jedes Geschäft zu gehen, als wenn man einem glücklichen Ausgange sicher entgegen sähe, und doch sich auf einen ungünstigen zum voraus gefaßt zu machen.

Dieser weise Mann wird theils überhaupt seine Erwartune gen herabstimmen, theils wird er bei seinen Entwürfen die Möglichkeit des Irrthums mit in Rechnung bringen, und die zum Stolz verleitende Freude, die, bei sicherer Hoffnung einer glücklichen Ausführung, nur zu leicht im Gemüthe Plak ges winnt, mäßigen. Durch Beides werden sein Verstand und sein moralischer Charakter gewinnen.

Es ist unausbleiblich, daß, so lange sich der Mensch als ein einzelnes, von allen übrigen getrenntes Wesen betrachtet, und in seinen Ideen eben so egoistisch auf sich selbst eingeschränkt ist, als in seinen Gefühlen und Wünschen, er sich leicht Alles zu fordern, Alles zu erwarten berechtiget glaubt, was zu einem glücklichen Leben nach seiner Meinung gehört. In den Augens blicken, wo solche Gesinnungen herrschend werden, würde der Mensch nicht ungern die ganze Welt aufgeopfert sehn, um nur eine feiner Lieblingsneigungen zu befriedigen. Nur erst, wenn er den Zusammenhang, in welchem er mit unzähligen, zu gleichem Wohlsein berechtigten Geschöpfen steht, und die unmöglichkeit einficht, daß diese Alle, in Allem, was sie begehren, zugleich befriedigt werden können, lernt er seine Wünsche einschränken. Von diesem Zusammenhange, von dieser Uns möglichkeit aber wird er durch theoretische Beweise bei weitem nicht kräftig genug überzeugt. Er muß Beides erfahren, wenn er dadurch zu einer veränderten Denkungsart gebracht werden soll. - Und wie kann er diese Erfahrungen anders machen, als wenn ihm oft in seinen Entwürfen entgegengearbeitet wird, als wenn er seine zuweit getriebenen Ansprüche und Hoffnungen unter den Ansprüchen und Bestrebungen anderer Menschen erliegen sieht, und bald durch den Einfluß des Himmets und der Elemente, bald durch den der Meinungen und der gesellschaftlichen Einrichtungen, seines sicher erwarteten Glücks verlustig geht. Anfangs schreibt er dies vielleicht bloß einem Mangel der Einsicht von seiner Seite, oder einer Ungerechtigkeit von Seiten anderer Menschen zu, und hofft immer noch, jene zu verbessern und gegen diese Schuß zu finden. Um

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