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Als Calvados sich liebend zu seinen Gefallenen neigte, fand es die Corday's, Helden des Tages, aber todt. Arm in Arm lagen die Brüder auf Feindesfahnen. An demselben Abend wurden sie dem Vater gebracht. Ganz Caen folgte, die aufstehenden Departements legten den Siegeskranz auf ihre Babre. Nichts von des Vaters, der Schwester Schmerz. Jener Maler, Iphigenia's Opferung darstellend, verhüllte Agamemnons Antlig.

Die Nacht nach jenem verhängnißvollen Tage brachte Charlotte wachend zu. Sie hatte ihre Thränen getrocknet.

,,Was hilft das Weinen! Thaten will die große Zeit, und das Werk der Befreiung, mit dem Blute der Brüder erkauft, muß vollendet werden. Wohl wird nach diesem Siege der neue Bund der Bezirke, an den Leichen der Söhne Corday's be schworen, sich mächtig erheben, aber auch ganz Paris gegen den Bund. Seine Tyrannen werden die Geschlechter mähen, seine Mörderbanden Feuer tragen in die Städte der Normandie. Wie viel Mütter, Schwestern werden noch weinen müssen über geliebte Gefallene? Kann nicht eine reine Seele in Selbsts aufopferung all den Fluch dieser Zeit auf sich allein herab ziehen, daß das Herz der Nation freier_schlage, daß die Tage des Glückes, des Friedens wiederkehren? Der Traumgedanke der lezten Nacht lag ausgebildet vor Charlottens Seele. In diesem Augenblicke vernahm sie, daß im Nebengemache auch der Bater noch wache. Ihr war, als sollte ihr vom Vatergeiste Bestätigung ihres Entschlusses kommen. Leise öffnete sie die Thür. Auf seinen Knieen lag der Alte und betete kummervoll: Du gabst sie mir, Du nahmst sie mir, die herrlichen Söhne! Über nun bin ich auch dem Vaterlande gegenüber ein Körper ohne Urm, ein Auge ohne Licht, muß hören Frankreichs Todes: schrei und kann ihm nicht helfen. Andere kämpfen noch selbst oder durch die Söhne gegen die Anarchisten. Ich muß wie ein Kummer Sklave an ihrem Throne fißen, habe für mein Vaters land, für meine vier gefallenen Sohne keine Rächer mehr, habe nur eine Tochter, und das Weib ist schwach und kann nicht einherzichen wie der Engel des Todes."

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,,Das Weib ist nicht schwach," dachte Charlotte.,,Das Vaterland soll seinen Rächer finden. Bertilge den Satan aus der Welt und sie ist wieder Reich Gottes. Über_ich_will_nicht von dem Vater Abschied nehmen. Nervenlösende Wehmuth ent: waffne nicht meine Kraft. Ich brauche sie ganz, ganz, und weniger Schriftzüge bedarf es, mich mit der großen Seele mets nes Vaters zu verständigen." Sie schrieb.

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,,Lies das, mein Töchterchen, morgen früh dem Vater vor, sagte sie, und liebkos'te eine kleine Waise, die, mit im Gemache schlafend, wieder aufgewacht war und die Händchen nach ihr ausstreckte.

„Gern,“ sagte die Kleine.,,Uber komm' jest zu Bette, Charlotte. Bas kramst Du denn so in Deinen Sachen? Willst Du verreisen? Mir wird angst; ach bleibe bei mir, liebe Charlotte!"

,,Sei ruhig, mein Kind," fagte diese.

"So laß uns noch zusammen beten und gib Deiner Laura ein Küßchen!"

Charlotte füßte das Kind mit Inbrunst, gab dem wieder Entschlummernden den Segen. Dann breitete sie die Arme aus. Der stumme Abschied galt dem Vater, dem Grabe der Mutter und Brüder. Bei Sternenlicht verließ sie das Haus.

Um andern Morgen brachte das Kind dem Alten den Zet tel, las seine Worte:,,Sei freudig, mein Vater, Dein Gebet

leitet Deine Tochter!"

Charlotte ist fort!" sagte das Kind und weinte. Als der Greis dies hörte, erbeste er und verschloß sich zwei Tage über in sein Gemach. Um Abend des dritten Tages saß er wieder, ruhig wie die Weisen des Alterthums, in seis nem Garten, das Antlik gewendet gen Paris.

Tumult wogte durch die Straßen von Paris. Mit Stöcken bewaffnet, rannten junge Männer wie wüthend auf Straßen und Märkten umher. Aber es waren nicht Sanscülotten. Ein echter Ohnehose ging nie in die Versammlungen, ohne sich vorher im Koth gewälzt zu haben. Er ließ die Nägel der Hand zur Udlerklaue wachsen, das struppige Haar wie Schweins borsten in sein Gesicht fallen. Von seinen Lippen ging nur unflätige Rede. Er lernte sie aus den Flugschriften eines Hebert und des bekannten Gottesläugners Unacharsis Kloots, ́ die Beide wieder dem Marat dienten *). Sene jungen Männer aber, die so heftig tobten, waren von anständigerem Aeus Fern, Söhne der besten Familien der Stadt, nur durch irgend cine neue Unbill in die äußersie Wuth verseht.

*) Geschichtlich.

,,Welcher brave Franzose," schrieen fic,,,föchte nicht gern gegen die Ausländer, gegen jenen kleinen Herzog von Braunschweig, der es wagte, sein Schimpfmanifest gegen die große Nation zu erlassen! Aber man soll uns vereint unter Dus mouriez fechten lassen, nicht in kleinen Haufen dem Feinde preis geben. Seht doch, wie vampyrartig! Nur uns hebt man zur neuen Conscription aus, die Ohnchosen find alle frei, daß sie, während wir gegen den Feind ziehen, unsere Mütter und Schwestern erwürgen können, wie sie schon unsere Väter mordeten! Das Alles kommt von jenem Seghunde, der wohl weiß, nur nach dem Untergange aller guten Franzosen könne er Dictator werden!“

„Habt Ihr das neueste Blatt seines Volksfreundes gelesen?" rief Einer.,,Darin sagt er, die Freiheit der Nation fördere noch dreimalhunderttausend Köpfe *)."

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,,Die Natur kann dieses Scheusal nur aus einem Versehen geschaffen haben," rief ein zweiter. So häßlich wie die Nachtcule Lafontaine's, gleicht es in seinem Grimme den Gez spenstern der Odyssee, die nur durch Blut aus ihrer Höhle herauf beschworen werden."

,,In seinem Gesichte soll er vereint die Züge des Wiesels, der Kröte und Hyäne tragen!“ schrie ein Vierter.

„Ja, ja! es ist ein feuerspeiender Kopf, der Marat,“ sagte jest, heiser lachend, ein kleiner Mann in Nationalgardenuniform, der lauschend unter fie getreten war. Die Figur war liliputartig, aber in Gang und Mienen originell, die Stimme scharf, die Finger klein und krumm gebogen. Aber sein dunkles Auge sprühte Feuerfunken.

Die Jünglinge stuzten und saben betreten das breitschultrige Männchen an, das sich mit Megärenlächeln auf den Ze hen wiegte, während das siedende Quecksilber, das ihm in den Adern rollte, seinem Kopfe und andern Gliedern die Regsamkeit eines Schwanzes der Bachstelze verlich.

mag, der Bösewicht! Verkleidet ist er bald da, bald dort. Der Kleine fuhr fort:,,Wo er nur jest wieder - stecken Meine jungen Eiferer, wir sollten ihn aufsuchen und durchprügeln. Seinen Steckbrief will ich noch richtiger abfaffen. Marats Hauptschönheit, über die er immer selbst Wig macht, besteht darin, daß sein linkes Auge ihm um drei Viertelzoll tiefer im Gesichte steht als das rechte gerade wie bei mir. Die Herren erblassen? Wahre Lilienwangen! Nehmt eau de mille fleurs, Königlich gesinnte, und grüßt Eure sämmtlichen Familien von mir."

Wie vom Donner gerührt standen bie Jünglinge. Marat, der Beherrscher des Sicherheitsausschusses und des Gemeindes rathes von Paris, eben jezt von heranstürmenden Banden der Cordeliers beschügt, hatte, als Nationalgardist verkleidet, Alles gehört. Die Jünglinge waren verloren und fühlten schön das kalte Eisen der Guillotine an ihrem Halse.

,,Ihr Truthähne, fort!" schrie jest mit seiner gewöhnlichen Schimpfrede Marat ihnen zu. Dann, zu seinen Rotten gewandt, die ihn jubelnd begrüßten, ihm Hände, Rock und Füße füßten, sagte er mit fanatischen Lächeln: „Es ist wieder ein Aderlaß nöthig. Brod und Zucker wird noch viel wohlfeiler werten, meine Kinder."

„Freund der Menschheit!“ heulte die Menge dankerfüαt. Léoh, die nach dem Unfall zu Gaen fluchend über die Herzblut der Schlachtopfer tauchen zu können, drängte sich jest Berge zurückgelaufen war, ohne das bewußte Tuch in das durch den Pariser Povel.

,,Mein kleiner Meutemocher, göttlichster aller Rovalisten= freffer!" rief sie und stürzte ich an Marats Brust, der sich die Freude in Wuth unter. Sie lag an Marats Ohr mit lachend ihren Umarmungen hingab. Aber bald ging bei Léon leiser, blutheischender Rede.

Romme?" fragte Marat. „Gut, ich werde es benußen. Aber weißt Du, süße Freundin, daß auch gegen mich ein Anklagedecret im Werke ist?"

Kein Wort der Anklage soll man im Convent verstehen, wenn ich mit meinen Fünfzehnhunderten auf den Tribunen lärme," erwiederte die Volkskönigin.

Ich weiß, Ihr, meine Rednerinnen, rasselt besser wie Henriots Lärmkanonen und Trommelschläger,“ scherzte Marat. „Auch kümmert mich das Unklagedecret gar nicht. Gibt der Convent ein Gesch, so erkläre ich mich dagegen in Aufstand **), thue, was ich will und lebe und sterbe für Euch, brave Ohnehofen.“

,,Soch lebe Marat, das Bollwerk der Freiheit, der Apostel der Revolution!" schrie das Volk.

*) Geschichtlich.

**) Geschichtlich.

Dann riefen Einige:,,Guter Vater, wir haben nun durch Dich zu beißen und zu brocken. Du sagst nicht, wie der alberne Convent: Ehrt fremdes Eigenthum und sterbt selbst Hungers. Aber schon seit einer Woche hast Du Deinen Kindern keine patriotische Vorlesung gehalten. Wir hungern darnach wie vormals nach Brod. Die Damen der Halle sind ganz trocken geworden; frische fie auf mit Deiner salbungsvollen Rete!"

So bringt mir erst meinen verwitterten Pelz," sagte Marat. Die Uniform jog ich nur an, um an den Ludwigs föhnen meine anatomischen Studien fortzusehen. Ich komme mir in dieser Kleidung zu gepust vor unter Euch Kindern der heiligen Natur. Ich habe mich überhaupt nur einmal in meinem Leben gepugt, als Ludwig vor den Schranken des Gonvents erschien. Da trug ich die allerschönste Soutane*). Remt mir das verdammte Halstuch ab, schlingt mir ein tothes Tuch um den Kopf."

Nun ging es fort, dem nah' gelegenen Garten und Kirche hof der Franciscaner zu, dem gewöhnlichen Versammlungsorte dieser Republicaner. ,,Marat wird heulen!" erfcholl es Durch Paris.

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,,last uns sehen, wie Marat krächzt,“ sagten das Fisch web, der Sackträger, der Kohlenschlepper.

Sie Hornissenschwärme summend, tofend lagerte sich das Bolk auf den Gräbern. Auf das höchste, poichinellartig, fhwang sich Marat. Die Erscheinung dieses Vampyrs, halb gräflich, halb lächerlich, ward jetesmal von der Menge-beHarscht. Seine Popularität gründete sich auf diesen blutigen Sumer. Er zeigte der Menge einen Strick, den er in der Hand hielt, rufend:

,,Freiheitskinder, was deute ich damit an? Das Symbol kündet Euch, daß ein echter Republicaner das Seil zur Sturms glede niemals aus der Faust geben darf.“

Beifallklatschen der Menge.

-

,,Die Staatsmänner, die Esel, lästern_mich," fuhr Marat fort.,,Warum? Weil ich, cinst Leibarzt jenes Urtvis, mich fest zum Arzt von Frankreich erklärt habe und ihm mit dem Messer des Patriotismus jede kranke Nerve und Flechse cusfchneide. Das ist wahrhaft göttliche Chirurgie. — Man beschuldigt mich, einst Royalist gewesen zu sein. Das ist grund falsch. Ich habe den Hof immer zum Besten gehabt und hatte früher den Plan, ihn in Wasserströmen zu ersäufen. Darum ließ ich in Versailles meine berühmte Wassercur austroms peten. Die zarten Damen soffen nicht nur ganze Ströme ces von mir gefegneten Gewässers, fie ließen sogar ihr Tisch und Bettzeug, Gabel und Messer und Löffel darin waschen **). Beil es mir aber mit der Wassercur viel zu langsam ging und die Aerzte oft ihre Methoden ändern, habe ich mich zur Blutcur gewandt, die besser anschlägt. Wer, meine Freunde, erfühnt sich, zu behaupten, daß wir unsre Patienten lange Leiden lassen?

So decretiren wir,“ schrie das Volk,,,daß es keine Unsterblichkeit der Seele gibt und Ales mit unserem Leibe zusammenfällt.“

Gottlob!" murmelte vor sich hin der Mörder der Lamballe, und ein Fels schien ihm von der Brust zu stürzen, so heftig athmete er auf.

In Marats Auge glühte die Hölle. Ewig trieb der innere Dämon ihn an, alle Bande, welche den Menschen an Mitmenschen und Himmel knüpfen, zu zerreißen. Jeht rief er flammend:

,,Söhne der Natur, laßt uns den Dienst unserer Göttin noch weiter begründen! Gobel, der Erzbischof, hat sich beiläufig gesagt für dreimalhunderttausend Livres, die ich ihm aber zu entziehen wissen werde, erboten, das katholische Christenthum öffentlich abzuschwören*). Mit ihm bricht die alte Kirche zusammen und die Chuchosen umarmen sich im Tempel der Natur. Laßt die schönsten Kinder der Luft sich schmücken, daß sie als Priesterinnen der Freude die Altäre besteigen, bunte, lockende, verführerische Bilder. Laßt Weihrauch dampfen um sie her aus silbernen Schalen. Wie ein Blüthenregen ströme das Glück über mein Volk. Doch zuvor noch eine Kleinigkeit! Ich habe mir es überlegt. Ich brauche nicht blos, wie ich im lehten Blatte sagte, dreimalhunderts tausend Köpfe, sondern achimalhunderttausend, denn alle Eure Feinde müssen sterben, damit sie Euch nicht, was Ihr ihnen jest billigst nahmt, dereinst wieder abfordern. Das Werk der Reinigung wird unser Glück, die Freiheit des Vaterlandes vollkommen begründen. Ich behalte es den nächsten Tagen vor. Damit Ihr jedoch, Freunde der Menschheit, Euern Patriotis mus auch heute glänzen lassen könnt, rathe ich, die auf diesen Blättern verzeichneten Großhändler an die Laternen zu hängen, thre Vorräthe zu vertheilen. Lange genug haben sie das Eigenthum der Nation verschlungen. Mit ihrem Tode fällt Euch, den rechtmäßigen Eignern, Alles wieder zu. Es lebe die Freiheit!"

brannte, hatten die Sanscülotten dieser Rede gelauscht.
Mit Augen, in denen des Panthers und Tigers Mordlust
,,Gegen die Großhändler!" riefen sie jest wuthschnaubend
und stürmten fort.

rief Marat ihnen nach und stieg von seiner Rednerbühne, dem
,,Die Leichen der Feinde haben immer einen guten Geruch,“
hohen Grabe, nieder, finnend auf neu zu Begrabende.

häuser von Paris - denn die Reichen wagten sich nicht auf In einem der größten, aber damals leer stehenden Kaffeedie Straße und der Pöbel tobte unter freiem Himmel — saßen an einem kleinen Tischchen zwei Freunde, Beide Conventsdeputirte, Adam Sur aus Mainz und Carra. Dieser, ein Römerkopf mit feurigem Auge und markirten Zügen, ein DreiBiger, hatte eben scharf gesprochen. Lur faß ihm, ein Bild achtundzwanzig Jahren, blond, schlank und wohlgebaut. Die der tiefsten Ruhe, gegenüber. Er war ein schöner Mann von großen, blauen, von schwarzer Wimper beschatteten Augen gelassen gegen Carra aufschlagend, fagte er:

Ein wüthendes Gelächter unterbrach ihn hier. Von allen Grabhügeln regnete es Beifall. Ein riesengroßer Kerl mit schwarzem Haar, braunrothem Gesichte und ungeheueren Faus ften fing immer wieder von Neuem an zu klatschen. Es war derselbe, der am zweiten September zum Frühstück das Herzlichkeit in Ihre Vorwürfe, fie verdirbt mir aber meinen Kaffee Fahren Sie fort. Es mischt sich zwar einige Empfindund zum Abendmahle die Hand der Lamballe zu sich genom nicht. Er ist heute besonders gut und stark.“ men hatte und dann hoch erzürnt auf die Blutrichter schalt, weil sie ihm, aufer dem verheißenen Lohne, nicht noch eine Bürgerkrone decretirten ***).

Ohnehosenvater," sagte der Kerl zu Marat, „da haben fie mit neulich etwas von Unsterblichkeit der Seele in das Ohr gricen und wie die That dem Thäter vergolten würde."

Bas ist Seele? Haben wir eine? wie lange währt fie?" schrie das Volk.

Marat warf einen malitiösen Blick auf die Gräber. Dann sagte er:

„Die da unten wissen es jest. Uber sie sind stumm wie die Fische. Mich, den Arzt, fragt nicht. Es gibt in der Natur verdammte Pillen, die gerade wir armen Söhne des Acskulap roh hinunterwürgen müssen. Euch will ich sie übers jadert geben in einer Frage. Als Ihr unter Capets Regie: tung Bochen lang hungern mußtet, wo war da Eure Secle? Sie lag ticht neben Eurem Magen in Ohnmacht. Als er zu kauen bekam, schnell war auch sie wieder auf den Beinen, End wie munter! Ich sage weiter nichts, aber denkt darüber nach. Es könnte zu etwas führen und Ihr seid auf dem rech ten Bege.“

*) Geschichtlich. **) Geschichtlich. ***) Geschichtlich.

mich an Ihnen verleht," entgegnete Cara.,,Wie ist es mög-
,,Eben diese unendliche Ruhe, dieses Phlegma ist es, was
mit schönen Talenten, mit glänzender Rednergabe ausgestattet
lich, daß ein Mann, wie Eie, in der Blüthe seiner Jahre,
diesen Riesenkämpfen aller Kräfte unserer Mation so apathisch
viel tiefer als das Phlegma des Indianers, der, an einen
zuschen könne? Diese Getafsfenheit, verzeihen Sie mir, steht
der Stadt Mainz bei dem Convente, spr.chen sollend und doch
Pfahl gespießt, seine Pfeife raucht, und Sie, der Abgeordnete
schweigend, find auf dem Bege, ein arger Egoist zu werden."
Können Sie, nach alle dem Unsinn dieser zweiten Staats-
„Ich bin es schon und aus Grundsaß,“ erwiederte Lur.
umwälzung, der bald eine dritte, noch schlechtere, Marats
Dictatur, folgen wird, zweifeln, daß in der menschlichen
Natur ein wahrhaft böses Princip herrsche? Ich gehe ihm
noch eine Tasse Kaffee."
nur aus dem Wege, mische mich in Nichts mehr. — Kellner,

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Löffel in der Taffe spielend, fort: Sie, lieber Carra, trauen Er empfing fie und fuhr dann, mit dem kleinen filbernen mir einigen Berstand zu; dieser Verstand aber sagt mir, die Menschheit sei nicht werth, daß man irgend etwas für sie thue. Bon jeher hat sie ihre Heiligen gesteiniget und ihre Gerechten gekreuzigt. Wie ging diese erste, das Gute wollende Nationalversammlung unter! Wozu haben wir Talente, wenn

*) Geschichtlich.

fie nie zur Herrschaft gelangen, sondern im ewigen Kampfe mit der Dummheit der Menge sich abmühen müssen, die am Ende doch siegt? Die Geistreichen könnten sich versucht fühlen, die Einfältigen zu beneiden, denn diese sind die einzig Glück: Lichen auf Erden. Der Fanatismus erobert sich Völker, die Weisheit nie. La Fayette muß einem Robespierre weichen, der sanfte König starb und Marat lebt und herrscht.“

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Er lebt, er herrscht, weil die da handeln sollen gegen thn,"sich, wie Diogenes, in eine Tonne verkriechen," rief gereist Carra.,,Uber, Mann der Philosophie, darf das Bater: land nicht wenigstens heute auf Sie rechnen, wo die stür: mischste aller Sigungen bevorsteht, wo es gilt, das Anklage decret gegen Marat, als Verräther des Staates, durchzu fegen?"

,,Durchzusehen?" lächelte Eur. „Ja, dort ziehen schon unsere Mitabgeordneten, im Herzen und Kopfe den Sturz des Tyrannen, dem Conventhause zu. Die Unklage wird vor: genommen, um wieder beigelegt zu werden. Parturiunt montes. Ich will nicht noch Narr sein unsrer Narrenzeit. Ich gehe gar nicht in den Convent."

-

Ich aber spreche darin. Leben Sie wohl!" sagte Carra mit Stolz, fast mit Berachtung. Dann, sich der Liebens würdigkeit erinnernd, die der jest so kalte junge Mann in anderen Stunden entfaltet hatte, kehrte er zurück, faßte Lurens Hand und sagte:,,Freund! so jung noch und doch schon so alt, im reichsten Frühling Ihrer Jahre und doch so kalt wie Eis; Sie leben, ohne eigentlich zu leben, ein Dasein des Verstandes, nicht des Herzens. Alle diese Nüchternheit Shrer Betrachtungen, alle diese Gleichgültigkeit bei dem traz gischen Schicksale unserer Nation steht am Ende damit in geiftiger Beziehung, daß Sie wie Sie mir neulich vertrauten nie in Ihrem Leben geliebt haben."

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Wie soll das zusammenhängen?" scherzte Lur. Wie Alles im menschlichen Leben," entgegnete Carra in ernster Innigkeit.,,Mein junger Freund, der Verstand, uns in die Eisregionen von Nova Zembla versehend, verleiht dem Leben einen grauen Ton. Es gibt nur ein Licht, das, schöner als Frühlingssonnen, jene matte Nordpoldämmerung durch bligt, daß die grauen Schleier reißen und die Welt verjüngt, verklärt vor uns liegt. Dies Licht ist die Sonne des Gefühls. Hätten Sie je ein einziges Wesen mit Begeisterung und bis zur Aufopferung geliebt, Sie würden auch ein Herz für die Leidende Menschheit haben. I, daß jene große, erhabene Lei: denschaft Eie, wie der Blik, einmal durch und durch erschütz terte! Alle Tugenden Ihres Geistes und Herzens würden heldenkühner hervortreten und auch das Vaterland auf Sie rechnen können." Er ging.

Lur schaute ihm mit den großen, blauen Augen nach. ,,Das haben mir nun schon so Biele gerathen," sagte er. ,,Lieben soll ich, mit aller Seeleninnigkeit lieben, das würde mein Wesen, meine Ansicht von der Welt verändern. Was ist denn diese so viele Menschen bewältigende Leidenschaft der Liebe? Thorheit oder Göttlichkeit, Irrlicht oder Sonne? Belügt mit solchen wunderbaren Träumen die Welt sich selbst, oder wäre mir das Leben, das Undern glüht, noch gar nicht aufgegangen? Es gibt manches Glück, das man erst gar nicht ahnt, und das doch, wenn man es kennen lernte, uns entzückt. Stände ich mit allen meinen Fähigkeiten noch immer vor dem Tempel, nicht ahnend, daß hinter seinen mir verschlossenen Pforten Paradiesgarten glühen? Aber weg mit solchen Träumen, welche die ewig in den Kinderjahren bleibende Menschheit sich selbst als Spielzeug um die Wiege ftellt. Es ist denn doch auch etwas Schönes um eine ruhige Seele in dieser sturmbes wegten Welt. Wenigstens brauchen nicht alle Menschen sich wie Mücken in die Flamme zu stürzen, um darin unterzus gehe... Mögen Andere mein Leben mit einer matten Monds nacht vergleichen; manchmal singt denn doch darin eine eins fame Nachtigall ihr Lied."

Unter diesem Selbstgespräch war er in die jest wenig besuchten Gärten der Tuilerien getreten. In lieblicher Stille lagen fie da wie eine Dase. Die Bäume, dunkle Schatten freuend, badeten ihr Laub im Sonnenglanze. An den fernen Bergen hing es wie Silberschleier. Lur fühlte_fich_heiterer; wohlthätige Lebenswärme durchdrang seine Brust. Gedankens voll hatte er eine Rose gepflückt und betrachtete dies Symbol alles Zarten und Schönen. Jezt gleitete von der Blume hinweg fein Auge auf eine Erscheinung, die ihn gleich im ersten Augenblicke mit magnetischer Kraft fesselte. Unter einer jungen Eiche saß, sich unbemerkt glaubend, ein Mädchen, das Ideal der reinsten weiblichen Schönheit. Sie war im Lesen vertieft, und welche Seele sprach, indem sie las, aus ihren 3ügen! An den Vignetten der Blätter, die in ihrer Hand ruhten, er kannte Lur, daß es die damals berüchtigtsten und einflußreichsten Flugschriften waren. Eine Schrift von Hebert, wie es schien, Legte sie mit kalter Verachtung zurück. Aber jegt fiel ihr Auge

wie durchbohrend auf einzelne Stellen in Marats Volksfreunde. Die Röthe des Unwillens flog auf dem edlen Untlige empor, aus welchem der Geist einer Minerva sprach. Als wollte fie es bewahren, um es desto sicherer zu vernichten, verbarg das schöne Mädchen das Blatt an ihrer Brust.

Ist dies himmlische Geschöpf politische Schwärmerin? Wie kommt sie, die Reine, Hohe, zu diesen, allen Schlamm der Verworfenheit aussprigenden Blättern?" dachte Lur. Es zog ihn nah' und näher. Eine ihm selbst unerklärliche, geheimnisvolle Scheu hielt ihn wieder zurück. Jest nahm die Unbekannte ein anderes Blatt, las, erblaßte, größe Thränen entstürzten ihrem Auge, die Flugschrift entsank der Hand. Einen so rührenden Ausdruck des Schmerzes, durch dessen Schatten die Geisteshoheit blißt, hatte Bur nie gesehen. Er ergriff ihn. Das Mädchen, nachdem es eine Zeit lang sein Tuch vor die Augen gedrückt hatte, stand jezt auf, ganz Woel, ganz Grazie. Der Schmerz, wie eine dunkle Wolke zu den Füßender Jungfrau niedergeworfen, schien die Glorie dieser Gestalt nor noch zu erhöhen. Lur wollte, mußte das wunderbare Mädchen näher kennen lernen. Er schlug durch das Gebüsch einen Weg ein, auf dem er ihr zu begegnen hoffte; aber sie hatte einen andern gewählt. Als er sie wieder erblickte, war fie schon weit entfernt. Mit einem majestätischen Anstande, der schon bei dem ersten Anblicke eine gewisse Bewunderung, eine geheime Ehrerbietung für sie einflößte, schwebte die schlante, prächtige Gestalt durch die Baumgänge. Bald verschwand sie ganz. Mißmuthig kehrte eur zu der Rasenbank zurück, wo er sie zuerst erblickte. Mit geheimnisvollem Zauber sprach dieser Sit ihn an. Er warf sich darauf nieder. Da lag noch die Flugschrift, über welche das schönste Auge Thränen vergoß. Ihre Hand hatte die Blätter berührt - schon lagen sie in der seinigen und ein stilles Feuer strömte davon zu seinem Hers

zen aus.

Die Flugschrist enthielt eine Erklärung Romme's an die Pariser über den Vorfall zu Caen. Daß die Haupturheber der Empörung sie mit dem Tode gebüßt, wurde darin erwähnt. War die Unbekannte in dieses Unglückverflochten? Calvados ist das Land der Treue, der Kraft, des erhabenen Muthes; Calvados stritt, während Paris zitterte.

Träumen emporfuhr, die Augen aufschlug, lag die große, Lur verlor fich in Gedanken. Uls er wieder aus seinen reiche Welt glänzender und erhabener vor ihm. Ueber der Bäume dicht belaubte Wipfel tönte die Stimme des Ruhmes: Leid in seinem Herzen ein. Zorn und Schmerz der Unde ,,Erwache, Schläfer!" Bugleich nistete sich geheimes, süßes kannten waren einmal in dem Wehmuthsblick der Liebe unters gegangen. Galt das Romme? Er ist ein verführerischer, Diesem Tiger gegenüber Löwe zu sein, wäre rühmlich. hoheitblickender Mann, übertüncht mit äußerer Schönheit.

Solche und tausend ähnliche Gedanken durchkreuzten Lurens Geift.

Erst in seinem Zimmer fand Lur sich wieder, um bald dort die geheimnisvolle Macht zu empfinden, die plöslich in sein Leben eingriff. Bereits am Abend vorher hatte er, ohne es weiter zu beachten, vernommen, ein wunderschönes Mädchen sei in demselben Hause, wo mehrere 3immer zu vermiethen waren, abgestiegen. Ohne Zweifel war sie es, die jest vor seiner halb offenen Thüre mit der Dame des Hauses sprach, „Haben Sie,” fragte diese, „ünter den Rednern des Convents Verwandte?"

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Nein."

Was suchen Sie also in dem stürmischen Convent?" Frankreich!" erwiederte die wohllautendste der Stimmen. Diese spartanische Antwort sprach zu Lurens Geist, die sanfte Stimme mächtig zu seinem Herzen. Rasch schritt er zur Thüre, fie flog auf. Die Unbekannte aus den Gärten der Tuilerien stand vor ihm. In ihrem Anschauen blieb Lur vers loren, indeß sein Antlig flammte.

So kann ich Sie," sagte, zu dem Mädchen gewandt, die Wirthin, „dem würdigsten Schuge empfehlen. Hier, der Herr Deputirte der Stadt Main; wird wohl die Gefälligkeit haben, Sie in den Convent zu geleiten.“

,,Herr Adam Bur?" fragte, hell aufblickend, die Unber kannte. „Derselbe, der, “fie hielt inne, feste jedoch bald hinzu:,,derselbe, der einst so schön für sein Vaterland sprach?"

Es lag in diesem Einst ein stiller Vorwurf für Sur. Das wunderbare Mädchen mußte auch ihn und seine Schriften kennen. Er fühlte sich zugleich erhoben und gekränkt; doch, seiner innern Bewegung Meister, bot er ihr auf verbindliche Beise an, sie auf die Gallerien zu führen.

„Ich werde es Ihnen danken, ich bin hier ganz fremd,“ sagte das Mädchen und nahm unbefangen seinen Arm.

Eie gingen. Das Herz des jungen Mannes schlug hoch. Nie wandelte ein schöneres Paar zusammen. Viele Vorbei gehende blieben, ihnen nachschauend, stehen; Manche grüßten. Dies schien die Unbekannte zu änstigen, fie ließ den Arm des Führers los. In eine abgelegene Straße gelangt, sagte sie. ,,Mein Herr, Jhr Charakter ist mir bekannt. In böser Zeit müssen die Besseren sich verstehen. Sagen Sie offen, wer ist mehr Frankreichs Feind, Robespierte oder Marat?“'

Diese überraschende Frage, zu solcher Zeit von einer Fremden gethan, würde vielleicht von dem Muthigsten unbeantwortet gelassen worden sein. Aber eine hohe Seele that fich darin kund, Vertrauen schenkend und fordernd. Lur, thr fest in das Auge blickend, antwortete:

,,Robespierre ist ein Teufel, der aber doch noch einige Sheu vor den Heiligthümern der Menschheit besist. Marat hingegen greift das fittliche Gefühl der Nation an."

testen Tone.

Und wann wird er guillotinirt?" fragte fie im bestimm: Die Besseren der Nation werden heute ein Anklagedecret versuchen.“

Blos versuchen? In Angst beginnen, um in Schande zu enten?" unterbrach ihn die Unbekannte. Staunend betrachtete sie Lur.,,Was war das für ein Witchen! auf frischen Lippen den Donnerkeil!" - Eben stan: ten fe am Eingange des Riesengebäudes der Nationalver: [sammlung. #

„Berlassen Sie mich jest; kennen Sie mich nie wieder,“ bat las Mädchen auf das Dringendste und war verschwunden. Bar hörte nur noch, das einige Stimmen mit französischer Artigkeit: Plaß der Schönheit!" riefen. Außer sich gesezt burch das Großartige, Geheimnisvolle jener Erscheinung, schlug er sich mit der Hand vor die Stirn und sprach:

,,Gut, Marat, daß Du kommst, denn bei dem rachefordernden Geiste unserer von Dir entweihten Verfassung

"

Mit unbeschreiblichem Lärm unterbrachen ihn" hier die Gallerien. Sie zischten, pfiffen, trommelten mit den Füßen. Vorzüglich tobten die heute doppelt bezählten, im Branntweinbade verjüngten Weiber.

Aber Carra ließ sich nicht stören. Das Umt des in dieser Zeit des Tumultes ohnmächtigen Präsidenten selbst übernehmend, mit der Faust auf die Rednerbühne donnernd, daß sie bebte, rief Carra: 3ur Ordnung! Schlächter vom zweiten und dritten Sepz tember, hat dieser Tage blutiges Gespenst Euch denn noch nicht erwürgt? Ihr Weiber dort auf den Gallerien, seid Ihr denn noch nicht erstickt am lesten Bissen der Brode, von Euch am zehnten August getaucht in die Wunden der Schweizerleichname*)? Geschlose, Ehrfurcht dem Gescße!“ Patriotismus lästernd, fie noch Niemand angefahren, und Verdugt schwieg die Pariser Gemeinde. So hatte, ihren Carra, unterstüßt von dem Beifalle aller Edlen, fuhr in seiner Philippika fort. „Marat untergrabe das fittliche GeMarat allein, unterdrücker der Tugend, Herold des Lasters, fühl der Nation, raube ihr den Ruhm, gebe ihr den Tod. habe die Schandthat jener Soldaten vertheidigt, welche ihre eigenen Officiere in Stücke hieben **). Marat mit seinen cannibalischen Grundsägen sei Schuld, daß das Ausland ausz speie bei dem sonst so vergötterten Namen: Frankreich. Er, Carra, trage darauf an, gegen Marat die Anklage zu kühnen Redner. Bon der Bühne herunter gedrängt, dennoch Jest wälzte sich die überlegene Volkspartei gegen den fortsprechend, fast zu Boden geriffen und dennoch wieder mit ihm die Freunde. Uver bald verhallte in dem unbeauftauchend mit dem Blig seiner Strafrede, kämpfte Carra, schreiblichen Tumulte jede einzelne Stimme. Nur der Riez senton des Aufruhrs im Allgemeinen, alle Laute des Hasses, Meides, der Wuth und Mordgier in sich vereinend, hallte durch das Gebäude.

„Jest wäre ich aufgelegt, den vernichtendsten Bligstrahl ter Rede gegen die Feinde des Vaterlands zu schleudern. Über beute sprechen, nachdem ich es dem Carra abschlug, nachdem ein Beib, o welches Weib! mich zu den Hallen der Pflicht Endlich wurden wieder einzelne Schreie vernommen. zurüdführte — es wäre die unmännlichste Coquetterie. Treuere,,Keine Unklage, keine Anklage gegen Marat! Des Todes Söhne Frankreichs werden reden. Meines Ehrenamtes unwür schuldig, wer nur auf sie anträgt!" - und der kleine Beeltig, verdamme ich mich selbst zu der Strafe, hier am Ein zebub, auf den Schultern seiner Cordeliers zu der leergez gange unter dem Pöbel zu lauschen, während im heilig wordenen Rednerbühne getragen, bestieg fie feuerspeiend. thume der Nation ihre Vertreter sprechen." Ein Pistol hervorziehend und vor die Stirn haltend, schrie er: Ich erschieße mich, geht das Anklagedecret durch." Schieß zu, schieß zu!“ ruft die ganze rechte Seite. Uber die linke beklatschte die Bravade ***).

Der Convent war bereits versammelt. In der Mitte des ungeheueren Raumes, an roth behangenen Tischen, auf 'welhen die Verfassungsurkunde, die Tafeln mit der Erklärung der Menschenrechte und das Schwert des Gefeßes lagen, saßen der Präsident und die Secretaire. Frei, nach allen Seiten sichtbar, stand die Rednerbühne. Auf der rechten und linken Seite, und vom Hintergrunde des Saales her dräueten die Sparteien mit ihren Waghälsen, Rednern und Vorfechtern. Beiter zurück, auf ungeheueren, rings um den Saal ge: schweiften Gallerien saß, stand und lag das Volk. Von Außen aufgeftiegen, an allen Fenstern des Riefensaales hing Gesindel, mit Cannibalengesichtern hereinstierend; selbst von der Gallerie, die um die Kuppel des Gebäudes lief, hingen Menschenleiber und Köpfe nieder, von schwarzstruppigen Haaren umflattert. Manchmal, wenn ein Redner sich Aufmerksamkeit erzwang, herrschte die tiefste Stille. Den Fall eines Blattes hätte man wahrnehmen konnen. Dann brach ungeheures Beifallklatschen wie Hagelschlag los, vom Zischen und Pfeifen der Feindlichgesinnten übertobt. Jubel der siegenden, Klage der unter liegenden Parteien erklang oft. Manchmal ging so feelenver wintender Sturm durch die Versammlung, daß es schien, als läge die Nation in Wahnsinn. Auf einmal ward Ruhe. Bom Eingange her, durch den Saal, leise, doch verwüstend wie Samum, schritt Marat. Viele erblaßten. Frecher hob, tros ter Drohworte, die heute schon vom Rednerstuhle herab gegen ihren Helden gefallen waren, Marats Partei tas Haupt. Der Gottesläugner Kloots heulte ihm zuerst Brudergruß entgegen. Sechs Schlächter und acht Fischweiber auf den Gallerien fingen den Ton auf. Erst dumpf wie Un kengesang, dann laut aus dem Munde von Tausenden ertönte: Marat lebe!" während Jacobinermüßen wie rothe Bälle aufflogen. Bei diesem allgemeinen Grüße stand den Besseren der Nation das Herz still. Marat, seine Macht fühlend, dem Bolke nickend, feste fich unter dem lauten Bravo seiner Banditen, höchst ungeschliffen seinem rechten Fuße auf seinem linken Knie Plah verleihend und koboldartig kichernd, als bei seinem Anblicke ein Feiger die Rednerbühne aufgab und fich hinter ihr verkroch. Einen Augenblick stand dieselbe ganz Leer. Aber die Freunde des Vaterlandes hatten sich das Wort gegeben, heute nicht zu weichen und zu wanken und das Ungeheuer aus dem Heiligthume der Nation zu vertreiben. Carra, flammenden Blicks, schwang sich auf den Rednerstuhl und rief:

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Encyl. d. deutsch. National: Lit.

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,,Ich habe Feinde im Convent!” klagte jegt Marat. Die Gegenpartei antwortete: Wir Ülle sind es, Du, einst Royalist, jest Royalistenfresser!"

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Nun waren alle Bande seines Zorns gelöst. Nichts vers wundete Marat tödtlicher, als wenn man ihm nur einige Unhänglichkeit an den alten Königsthron beimaß. Die blaue Lippe schwoll, Blige, giftgrün und weiß, zückte sein Auge. Er krächzte: Ihr Strohmänner, Ihr Truthähne! wohl ließet Ihr schon im October vorigen Jahres an alle Straßenecken' den Aufruf kleben: Marat muß gehängt werden! Aber noch im Junius dieses Jahres gibt er dem Gotte der Ohnehosen Feste: Marat läßt hängen! ist sein Motto! Und wessen beschuldigt man mich? daß ich einige Tropfen Blut fließen ließ. Ihr Dummköpfe! meint Ihr denn, ein an allen Leibess theilen von scheußlichen Krankheiten angefressener Staatskörper könne mit Rhabarberpurganzen geheilt werden? Ihn auswelden muß man. Darum hat mir, was man an der Lamballe that, so gefallen. Es zeigt uns, was wir mit ganz Frankreich machen sollen, müssen. Ihr Königsfreunde, wäret Ihr nur Alle so scharfblickende und schneidende Chirurgen, wie Ihr blinde, zahme Maulwürfe seid, Ihr würdet meine großen Ab fichten einsehen! Aber wartet, Ihr Staatsmänner, Ihr Räns kespinner, ich will Euch in die Lehre nehmen, und gar nichts sollt Ihr mir dafür bezahlen als Hab' und Gut und Leben. Euch, geliebte Kinder Frankreichs, mit denen ich Brüderschaft trank am Tage, wo Capet fiel, gute Cordeliers, liebens würdige Jacobiner, Euch rufe ich, der Märtyrer der Freiz heit, zu: es ist noch Nichts gethan, Alles muß erst geschehen. Wir brauchen durchaus eine dritte, größere Revolution, die auf die Köpfe Dieser da sich gründet!"

Solche Rede Marats, unter krampfhaften Zuckungen seiz nes Leibes dem verderblichsten aller Geister entsprühend, machte auf alle bessere Gemüther eine Wirkung, wie Vitriolsäure, wenn sie auf Erdpech fällt, oder Metall auflös't. Auch fühlte

*) Geschichtlich. **) Geschichtlich.

***) Geschichtlich.

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,,Wohlan, laßt uns das Vergnügen einer dritten Revos lution genießen! Löst die Lärmkanonen, läutet die Sturm glocke! Berreibt diese Reichen, diese Aristokraten wie Stroh zwischen Euren Händen!" Und dabei brannten die Augen dieser Banden so mörderisch, daß es schien, als wolle mitten im Convent die Flamme aufschlagen, um von dort aus Stadt und Land zu überziehen. Zugleich ließ sich von Außen dumpfer Lärm vernehmen. Nach vollbrachtem Raub- und Mordzuge gegen die Großhändler wälzten sich neue Horden der Cordeliers heran und zogen mit Flinten, Dolchen, Piken, Heugabeln, Sensen und Dreschflegeln bewaffnet, unter Trommel- und Pfeifenklang, triumphirend durch die Hallen der Nationalversammlung bis vor die Rednerbühne, Marats Thron. Und Léon, mit andern Weibern mänadenartig den Zug, so lange er vor=" schritt, umtanzend, pflanzte sich nun vor diesen Thron hin und sprach:,,Was Du, Marat, mein göttlicher Freund, uns auftrugst, ist vollbracht. Groß war die Arbeit, schön der Sieg. Die Großhändler hängen an den Laternen, ihr Eigenthum ist in unsern Händen und bereits vertheilt."

Diese neue Plünderung, mit satanischem Höhne in den Hallen der Nation ausgeschrien, die durch ihr neuestes Geseß jeden Raub dieser Art als Staatsverrätherei verpönt hatte, erweckte die wahren Patrioten zu neuer Thatkraft. Ihre Stockdegen und Säbel flogen empor. Zugleich schleuderte eine Faust die Léon, fie bei den Locken fassend, bis an die Schranken des Convents zurück. Derselbe Mann, sich in einem Augen blicke der Rednerbühne bemeisternd, von der Marat, wie ein Sperling vor Adlerflug, niederstürzte, stand dort in Gluth und Erhabenheit, Adam Lur aus Mainz. Draußen in der Eingangshalle hatte er den Zornruf der Gerechten, das Satans gelächter der Cannibalen gehört. Sein Geist, durch die mäch tigste der Leidenschaften, die Liebe, erweckt, konnte nicht länger rasten. Seine Stunde war gekommen, ihn rief der Geist, auszusprechen, 'was er eben, eine entsegliche Kunde, vernommen hatte,

,,Patrioten," rief er,,,laßt uns zuerst uns selbst an= flagen! Wir waren mürber Sandstein_und_sollten Granitfels sein, an dem das Haupt des Sanscülottismus fich zerschellt. Sei denn abgeschworen jede unrühmliche Schwäche! Laut bekenne, laut verfluche ich den Egoismus, der mich und Andere dem Vaterlande abtrünnig machte. Aber dieser Fluch, fiebenmal verstärkt, falle dann wieder zurück auf den Verräther, vor dessen offenen Wolfsrachen die Bürgertugenden wie Lämmer flohen! Marat, ich klage Dich an, daß Du für den Tod Ludwigs, als Anstifter des Blutbades vom zweiten September, stimmtest und doch selbst jene Mörder dangst *), dann gräuelvoll schwelgtest in ihren Blutberichten. Ich klage Dich ferner an, daß Du, gräßlicher als Saturn, der seine eigne Kinder verschlang, in einer dritten Revolution nach dem Blute aller Söhne Frankreichs lechzest. Ich klage Dich wieder an, Dich Gottesläugner, daß Du auf die Altäre unserer katholisch christlichen Religion Deinen Ohnehosengott zu segen trachtest, das lächerliche Nachbild eines indianischen Gößen. Ich klage Dich ferner an, daß Du, Mörder alles sittlichen Gefühls, unsere unsterbliche Seele mit gräßlichem Zweifel vernichten, und selbst die Kinder in der Wiege anstecken willst mit der Pest Deiner Gedanken. Bestelit bei allen Drechslern der Stadt hast Du Guillotiner klappern, die das Zuklappen Deiner Höllenmaschine nachahmen. Diese Klappern hört es, Ihr Bä: ter und Mütter! fout Ihr Euern Kindern anhängen, daß fie schon in der Milch der Umme den Blutdurst erben. Endlich alle Donner des Himmels und der Erde über Dich! klage ich Dich an, daß Du, wie Zeugen erhärten und ich eben erst vernahm am gestrigen Tage ein zehnjähriges Kind verleitet haft, seine eigene Mutter durch eine falsche Unklage auf das Schafot zu bringen. Die Mutter ist todt, das Kind wahn finnig. Wollt Ihr es sehen, Bürger? Uber nein, Abscheu, Entfeßen bemächtigt sich Eurer. Patrioten, mir nach, un: terschreibt gegen Marat das Unklagedecret!“

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Und fast zugleich mit Eur stürzten unzählige zu den Tischen, die Anklage zu unterschreiben. Der Geist jenes wahnfinnigen Kindes regierte racheheischend die Federn.

Herunter mit den Terroristen, den Blutsäufern, Marat vor die Schranken, in das Gefängniß!" tönte es von tausend Lippen.

,,Nicht vor die Schranken, nicht in das Gefängniß!“ schrie Marat. Ich habe nicht Lust, melancholisch zu werden und Ungeziefer zu bekommen."

Seine Partei unterstüßte den dummen Einfall, schwang Piken, Heugabeln und Dreschflegel. Alles umsonst. Der Geist

* Geschichtlich.

der Natur selbst, tödtlich beleidigt, schien immer neue Streiter der guten Sache zu erwecken. Der namentliche Aufruf gegen Marat ward erzwungen, eine Commission zu schleunigster Üntersuchung von Marats Verbrechen ernannt. Von der wo= genden Menge hin und her gedrängt, zweimal in Gefahr, sammt seinen Weibern zum Fenster hinausgeworfen zu werden, hatte dieser bis jest immer noch als Kobold in das Getümmel hineingegrins't. Auf einmal zuckte er zusammen, stieß einen gellenden Schrei aus und verschwand.

Was trich ihn, der den ganzen Convent verachtete, daz zu an? Etwas, das er eine Viertelstunde später als Wahnbild seiner entzündeten Phantasie selbst belachte. Es war ihm vorgekommen, als zücke, von einer der höchsten, Gallerien herabgelehnt, ein weißgekleidetes Mädchen ein Messer nach ihni. Obschon die Gestalt auf hundert Schritte von ihm entfernt in der Höhe des Saales war, hatte er doch den Stich ihres Messers im Herzen zu fühlen geglaubt. Er verspürte noch darin ein stilles Weh.

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,,Dumm Zeug! Es wird der Frosch, den ich in der Herzkammer tragen soll, gewesen sein,' fagte er spaßhaft zu seinen Freunden.

Allein, als Sanscülotten und Patrioten das Conventhaus verlassen hatten, stieg wirklich eine weißgekleidete Jungfrau von den Tribunen herab, die Legte von Allen.

An der Stelle, wo nach dem errungenen Siege Lur und Carra sich in die Urme gestürzt waren, stand fie still, leise ihr Haupt, schüttelnd wie Kassandra.,,Ich baue nicht auf diesen Sieg!" sprach sie vor sich hin. Besser als Worte ist That."

Sie trat aus den Hallen der Nation und miethete einen Fiacre, sie - zur nächsten Guillotine zu fahren. Das sonder= bare Gelüst nahm in dieser Zeit den Mann nicht Wunder. Schnell fuhr er sie hin, dann mit leerem Wagen zurückkehrend. Das Mädchen aber, vor dem Schafote stehend, be= trachtete unverwandten Blickes das Schauergerüft.

Ich muß mein Auge daran gewöhnen," sprach sie zu sich. ,,Uebermorgen, wenn Alles gut geht, stehe ich dort auf der Guillotine."

Ein schwärmerischer, thränenverklärter Blick ihres schönen Auges maß Himmel und Erde. Dann lagerte sich auf ihrem Untlige die freudigste Majestät und von dannen ging sie, sprechend den Vers Corneille's:

Le crime fait la honte et non pas l'échaffaud.

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Gleich dem Saul, dem Davids Harfe fehlte, lag Romme, vom bösen Geiste verfolgt, auf seinem Ruhebette. Auch ihm war der Harfenton himmlischer Begeisterung und Liebe vers klungen. Aber die mächtige Seele, den Fieberschauern trogend, die als Folge der zu Caen erhaltenen Wunde Romme's Gebein durchwählten, richtete sich in ihm auf und sprach: „Bersprengt sind die Bande, die Dich an ein engbürgerliches Leben zu ketten drohten. Die Freiheit sei Deine Göttin, Deine Liebe der Ruhm! Bornach trachten sie Alle, dieser Orleans, dieser Robespierre, dieser Marat? - Nach Dictatur und Königskrone. Aber sie tanzen nur Beitstanz, dem Abgrunde zu. Ein echter Feldherr knüpft an seine Niederlage seine schönsten Siege. So verhöhnte nach dem Vorfall zu Caen mich Uberwiß, und doch war es meine Partei, die nach meinem Wink, den rechten Augenblick benußend, Marat im Convent stürzte, mich zu seinem Richter machend. Selbst abwesend schlug ich den Feind auf das Haupt. So müssen sie Alle nach einander fallen, diese Puppen der Revolution, einem höheren Geiste dienend. Dies Chaos kann nicht dauern. Ihre Rechte wird die ewige Ordnung der Dinge geltend machen. Ein Halbgott der Mann, der dann, im entscheidenden Augenblicke die Zügel fassend, Friedensstifter, Gesetgeber, Herrscher wird."

Romme sprang vom Lager auf, nicht mehr krank. Stolz, wie Fiesco im Angesicht der aufflammenden Sonne und des herrlichen Genua, durchschritt er das Gemach.

Da klopfte es an der Thür. Ein freundlich grinsendes Männchen trat herein, sich tief, fast bis zur Erde verneigend. Was soll's?“ fuhr Romme ihn herrisch an.

Der Kleine machte nochmals den tiefsten, fast komischen Bückling; dann, mit halbkrümmem Rücken sich nähernd, wisperte er in Demuth:

,,Theurer Mann, darf ein Unglücklicher nahen?” Romme sah näher hin; es war Marat, der wie ein armer Sünder vor ihm stand, die gefalteten Hände zittern lassend und die Augen wie in Seelenangst verdrehend.

,,Wie lautet das Begehr?" fragte Romme vornehm fremd. ,,Uch Gott, es geht mir schlimm!" klagte der Kleine, vernehmlich seufzend. Meine Feinde im Convent haben mich gestürzt; in das Gefängniß, vor dem ich mich so sehr fürchte, soll ich wandern, bin morgen mausetodt, wenn nicht Romme,

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