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Ruhms. Es thut weh, über einen Mann, der sich in feinen übrigen bürgerlichen Verhältnissen stets so sehr achtungswerth gezeigt hat, so entschieden den Stab brechen zu müssen; wenn man aber bedenkt, was H. mit den trefflichen Gaben, die ihm die Natur verlieh, hätte leisten können, und was er dagegen, in leichtsinnigster Verschwen dung seines Talentes das Hohe und Schöne, das man mit Recht von diesem fordern kann, verachtend, wirklich geleistet hat, so muß man durchaus zugeben, daß er vollkommen das strenge Verdammungsurtheil verdient, wel ches in neuester Zeit fast von jedem berufenen Kritiker über ihn gefällt wurde.

Getreu dem Plane dieses Werkes, auch Auszüge aus den Werken von Schriftstellern untergeordneten Ranges, sobald diese eine eigenthümliche Richtung zeigen, mitzu theilen, lassen wir und zwar nur aus diesem Grunde hier eine Erzählung Clauren's, welche wir für eine seiner besten Arbeiten halten, folgen.

Die Großmutter*).

Die längst befürchtete Nachricht vom tödtlichen Hintritte meiner guten Großmutter war eingetroffen. Die Ortsobrigkeit hatte mich, als den alleinigen Erben, aufgefordert, mich zum Antritt der Erbschaft_persönlich einzufinden; durch Commissions: geschäfte in den fernsten Gegenden des Reichs behindert, hatte ich indessen mehrere Monate verstreichen lassen müssen, ehe ich jener Aufforderung hatte genügen können. Jest war es mir endlich gelungen, mich von meinen Dienstverhältnissen los zu machen; seit mehreren Tagen schon hatte ich die Residenz ver: laffen, war Tag und Nacht gefahren, und saß jest still und in mich gefehrt im Wirthshause zu Binsenwerder an der Gast tafel und wartete auf die neuen Postpferde.

Mir gegenüber ließ es sich ein dürres, gelbhäutiges Männ chen vortrefflich schmecken und unterhielt sich mit den übrigen Gästen und dem Wirthe von den jüngsten Hauptvorfällen seines heute früh verlassenen Wohnortes.

Der Zigeunerfarbene kam, wie sich aus dem Verfolg der Unterhaltung ergab, aus Klarenburg, wo meine selige Groß mutter sich in der lezten Hälfte ihres Lebens aufgehalten hatte, und im Flusse seiner Geschwägigkeit lenkte sich bald das Gespräch auf sie selbst. Mehrere der Unwesenden hatten sie gefannt, und es that meinem Herzen wohl, in threm Urtheil über die Verstorbene ihr einstimmiges Lob zu hören; nur der Gelbe, der, nach seinen Weußerungen, die Stelle eines Rathscopisten bekleidete, war, so viele Gerechtigkeit er auch ihrem Wandel und Charakter widerfahren lassen mußte, mit ihrem Testamente nicht ganz zufrieden, weil sie, ungeachtet alle milde Stiftungen von ihr reichlich bedacht worden waren, das Rathsgremium gänzlich unberücksichtigt gelassen hatte, in dem, besonders was das Subalternpersonal betreffe, sich fast lauter arme Teufel befänden. Ich spiste mich, fuhr er fort, wenigstens auf ein kleines Gratificatiönchen von einigen Carolins, die mir zu mei ner Reise in das Carlsbad, wo ich mir die vom dreißigjährigen Actenstaube versteinerten Kaldauen wieder restauriren soll, sehr hätten zu Passe kommen sollen, und rechnete um so sicherer darauf, als ich mir über ihrem Testament und ihren Legaten und Codicillen alle zehn Finger fast krumm geschrieben; aber damit war es nichts, wir erhielten unsere, uns von Gott und Rechts wegen zukommenden Sportelgebühren, und damit Punktum.

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Nun aber fagen Sie, Herr Sandler, hob der Wirth, zum Rathsschreiber gewendet, an, ist denn die alte Milborn wirk: lich so reich gewesen, als man sie gemacht hat? Da Sie mit dem Testamente zu thun gehabt, müssen Sie das ja am besten wissen.

vier Mal mehr werth ist, als vordem; von ihren Obstpflan= sungen allein og fie im Durchschnitt jährlich ihre dreitausend Thaler reine Revenuen; ihre Merinowolle ist die beste in der ganzen Provinz, und wer einen Biehstand sehen will, wie keiner im Lande ist, muß nach Herzfelde gehen.

Nun, und das Alles? fragte der Wirth theilnehmend. Rede, Alles erbt ihr einziger Enkel, der als pofrath in der Das Ulles, fiel ihm das geläufige Rathscopirwerk in die Rede, Ulles erbt ihr einziger Enkel, der als Hofrath in der Residenz angestellt ist.

Ich fertigte in der peinlichsten Verlegenheit eine ganze Hand voll Brodkügelchen und spielte damit, um nur nicht aufzusehen; denn ich fühlte, wie mein Gesicht glühte, und mir war, als müßten alle Leute am Tische es mir ansehn, daß ich der Gemeinte sei; doch waren Aller Blicke zu aufmerksam auf den Rathssprecher gerichtet, als mich viel zu beobachten, der, als gänzlich fremd in der Gegend, am Gespräch gar keinen Antheil zu nehmen schien.

warten unsere Mädchen, wie auf den Meffias. Er soll ein Auf den, fuhr Herr Sandler klatschsüchtig fort: auf den hübscher junger Mann sein, unverheirathet, brav und guten Herzens, lustig und gescheut, und jegt, mit der Erbschaft in der Tasche, ein Kerlchen, das sich gewaschen; ist der nicht schon in der Residenz verplempert, so muß er bei uns unter die Haube, er mag wollen oder nicht. Ich sage Ihnen, ordentliche Komödieen wird das sehen; wir haben bei uns eine Anzahl folch armer Dinger, die fich nach dem Rufe der Brautglode sehnen, wie der Hirsch nach frischem Wasser, und darunter find Mädchen, auf meine Seele, Mädchen, so sauber und niedlich, wie fie der Herr Hofrath in seiner Residenz kaum finden kann. Bo man jest hinkam, ward doch in ganz Klarenburg von nichts gesprochen, als von dem jungen Hofrath; Eine zicht die Andere mit ihm auf. Wochenlang schon er muß in diesen Tagen bei uns eintreffen find Schneider und Pußhändlerinnen in voller Arbeit, denn Jeder fehlt noch dies und jenes, um sich ihm im besten Gallastaate zu zeigen, und vor allem haben die Mütter und Tanten sich in Trab und Schweiß ges sezt, um dem Töchterlein und Nichtchen diesen Goldfinken wegs zufangen. Ich habe in der legten Zeit oft mein tausend Gaus dium darüber gehabt. Bald hieß es aber Gustchen, halte Dich doch gerade, kömmt der Herr Hofrath und Du gehst so budelig, er sieht Dich wahrhaftig mit keinem Auge an; bald: Frischen, sese doch endlich einmal die Beine auswärts, Du trittst Die ja die Ballen noch ab; eine solche Ente nimmt der Hofrath wahrhaftig nicht. Vorgestern noch rief die Stadthauptmannin ihrem Susannchen zu: Mädchen, wie hundertmal habe ich über Dein verdammtes Schielen gepredigt, kommt der Mensch, und Du siehst ihn mit einem Auge auf den Kopf und mit dem andern auf die Strümpfe, er muß Dir ja den Rücken kehren. Wie es heißt, spricht er sehr gut französisch; nun wird jest in den Häusern, wo es ein Bischen elegant hergeht, vom Metgen bis Ubend, um sich in aller Eile noch möglichst einzuüben, parlirt, daß es nur so donnert und wettert; andere haben wie der gehört, daß er Musik liebe; man mag nun gehen, durc welche Straße man will, so wirthschaften sie auf den Klavieren herum, und fröhlen und jodeln dazu deutsch, französisch und italienisch, daß man glauben sollte, ganz Klarenburg wäre in ein musikalisches Conservatorium verhert; kaum verbreitete fis die Nachricht, daß er leidenschaftlich gern tanze, als in den Familien höhern Ranges unsere zwei Tanzmeister so gesucht sind, daß sie kaum herumkommen können. Schnellwalzer und Hopfer, Cotillon und Française, Cavatine oder Gavotte, wie das Ding heißt, alles wird eingeübt; ellenhohe Säße machen die Kinder in die Luft, und oben zappeln fie mit beiden Bei: nen, als hätten sie den Krampf in den Baden; Kaffenraths dide Hildegard ist neulich bei dem Experimente hingeschlagen, wie ein Nußsack.

Die ganze Tafelrunde plagte in lautes Lachen aus; ich mußte miflachen, wenn ich nicht auffallen wollte; inwendig sah es aber sehr ernst bei mir aus, denn mir ward vor meinem Erscheinen in Klarenburg angst und bange.

Ermuthigt vom rauschenden Beifall seines Publikums heb der Rathskanzellist von Neuem an: die Leute wollen es sich etwas kosten lassen, dem preiswürdigen jungen Erben ihre Kinder auf die glänzendste Weise zu produciren. Der alte geheime Bazı desdirectionsrath veranstaltet ein Concert, in dem seine Ses phine zwei Bravour: Urien fingt; schon find mehr denn sei Proben gewesen, aber immer stampft dabei der Land und Seate dirigirende Papa vor Bosheit mit Hand und Füßen, denn So raphinchen detonirt wie eine verstimmte Bratsche; ihr Triller ist ihm nicht volltönig genug, und bei der Cadence pustet e im musikalischen Glüheifer sie heimlich an, daß sie den Athen långer halten soll. Zweimal hat sie schon davon verfangen und Leibkneipen bekommen, daß es einen Stein in der Erde bätt erbarmen mögen; aber der Ulte, der von der Milbornschen *) Au6,,Scherz und Ernst.“ 2. Samml. 7. Badchn. Drebben 1824, Hinterlassenschaft die genaueste Kenntniß hat, läßt nicht lođa;

Ob fie so reich gewesen? verseßte Herr Sandler mit einer Art von Verwunderung, daß man so etwas nur noch fragen könne: zehn Meilen im Umkreise bei uns hat sie bei jedem Gutsbefizer, bei jedem Pachter, ihre sechs, acht Tausend Thaler ftehen; in Klarenburg ist fast kein Bürger, der ihr nicht ein kleines Hypothekencapital schuldig wäre; ihre Binkhütte brachte ihr schmähliges Geld ein; Herzfelde, das schöne Gut, eine halbe Stunde von uns, hat sie vor 28 Jahren für einen Spottpreis gekauft und so zusammengewirthschaftet, daß es heute bestimmt

Tabakadministrationvicedirectors geben einen Ball, wie er in Klarenburg seines Gleichen noch nicht gehabt haben soll; acht zehn Stück Cousinen und Nichten, worunter wahrhaftig Kinder wie die Engel, erscheinen, schlanke Tabakstengel, gleich Lilien, in den Händen, als virginische Jungfrauen gekleidet, und ihre Eingeborne, Nina mit Namen, ein Mädchen, wie aus Meeres schaum entstanden, tritt im Costume der Tochter eines reichen Tabakplantagen Inhabers, als Solotänzerin auf, und reicht dem gefeierten Gaste, nach einiger finnigen Pantomime, aus goldgefaßter Perlenmutterschaale eine Prise Spaniol, so daß er nicsen muß, und wenn er am hartnäckigsten Stockschnupfen litte. Die verwittwete Reichsrathpräsidentin aber will Alle ausstechen. Ihr alter Anbeter, der Artillerie Oberst, hat in ihrem Garten ein Feuerwerk arangiren müssen; in heidelbeer: blauem Brillantfeuer brennt der Name des gefeierten Gastes, und am Schlusse der Vorstellung, wenn ein Bouquet von zehn Tausend Raketen und Schwärmern und Fröschen und Kanonenschlägen untereinander prasselt und knackert, daß die Leute denken, der Welt Ende sei nahe, kommt, von einer Flug maschine gehalten, deren Erfindung dem alten Obersten alle Ehre macht, die zartgestaltete Caritas, der Präsidentin jüngste Tochter, aus dem dunkeln Nachthimmel vom buntfarbigen Licht glanze eines magischen Regenbogens umflossen, als Psyche her abgeflogen und überreicht dem Bräutigam in spe ein brennen des Strahlendiplom der Unsterblichkeit.

Ich reise nicht nach Klarenburg, sagte ich heimlich zu mir selbst und gewahrte, daß ich vor Angst und Befangenheit alle meine Brodkügelchen zu einer großen Kartätsche zusammenge fnetet hatte, die mir in der Hand brannte, als hätte ich sie aus dem eben beschriebenen Feuerwerke gegriffen.

Und was das Spaßhafteste bei der Sache ist, nahm der rathhäusliche Referent das Wort wieder: so wette ich zehn gegen eins, daß mein guter Herr Hofrath von allen den Schönen, die ihm die Eltern an den Hals singen, tanzen und feuerwerken lassen_wollen, nicht eine wählt.

Wie das? fragten die Umfißenden und rückten die Stühle näher zusammen, und ich rückte unwillkürlich mit, denn die Copirmaschine machte ein Geficht, als ob etwas ganz Geheimes herauskommen sollte.

Ja, fuhr der Plauderer fort: ganz klar ist mir die Sache noch nicht, aber, wie ich so unter der Hand habe munkeln gehört, soll die alte Milborn ein Capital von 50,000 Thalern unserm Urmenfonds vermacht haben, mit der in einem beson dern Codicill bestimmten Bedingung, daß, wenn ihr Enkel das Mädchen sich zur Frau wähle, das fie nach ihren Gedanken für ihn bestimmt habe, ihm die Mugnießung dieses Capitals auf Lebzeiten zu Theil werden solle; falle aber seine Wahl auf eine andere, so sollen die Zinsen dieses Stammcapitals, gleich von ihrem Todestage an, unserm Armenfonds zu Gute kom

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Nun, und dieses Mädchen? fragten einige Neugierige gleichzeitig.

Ja, da figt eben der Knoten, erwiederte mit leiser Stimme Herr Sandler: genannt hat die Alte den Namen im Codicille nicht; blos der Generalin von Waldmark, der Jugendfreundin hrer Tochter, der Mutter des Hofraths, soll sie einen versie jelten Zettel, in dem der Name aufgezeichnet ist, zugestellt has en, mit der ausdrücklichen Aufgabe, diesen Zettel vor ihm, dem Enkel, und zwei Beugen, dem Testamentsvollzieher, unserm ber-Pupillenrath, und dem Vorsteher des Armen - Directorii, icht eher zu öffnen, als nach der Verlobung ihres Enkels. Mit Bestimmtheit ist daher die Gemeinte durchaus nicht zu rrathen; wahrscheinlich aber hat sie sich in ihrer Wahl auf ine ihrer Adjutanten beschränkt.

Adjutanten? fragten mehrere aus dem Kreise, auf die Shern Details dieser mir ganz neuen Eröffnung höchst ges

annt.

So nannte die alte Milborn, entgegnete Herr Sandler, e fieben Mädchen, die sie Wochenweise immer abwechselnd im er um sich hatte. Ob sie damit die ehemaligen 7 Kurfürsten, er die 7 Beltweisen, oder die 7 Wunder der Welt, oder, ell es Frauenzimmer waren, die 7 Todsünden im Sinne itte, laffe ich dahingestellt. Die Zahl 7 war überhaupt der Iten immer von wichtiger Bedeutung; 35 Jahr alt war ihre ochter, des Hofraths Mutter, als diese starb; Johanna hieß rse, fieben Buchstaben waren in deren Namen, wie in ihrem jenen, Milborn. Um fiebenten Tage des kommenden Monats, fiebenten im Jahre, ward ihr der einzige Enkel geboren. eit langer Zeit behauptete fie, nie älter zu werden, als Jahre, und sie hat richtig Wort gehalten; jezt als sie mit de abging, ift the Enkel gerade 28 Jahr alt; alles Zahlen, denen die Bahl 7 gerade aufgeht. Jede fiebenjährige Sabthperiode, feste fie uns oft mit gelehrtem Wortkrame und tiefern Sinne des auf die Belt der Erscheinung des Mef , im Fleische hindeutenden Hall- und Jobel-Jahr-Systemes

auseinander, enthalte 84 Monate, und jede fiebentägige Woche 84 chaldäische Stunden; und darum behielt sie auch keins ihrer 7 Mädchen länger als 84 Monate bei sich. Sie durften bei der Aufnahme nicht älter und nicht jünger sein, als 14 Jahre und 7 Wochen; aber kein einziges hat sie wirklich 84 Monate lang im Kreise ihrer Adjutanten gehabt, denn die Mädchen waren alle durch ihren lehrreichen Umgang und durch ihre Weise, sie zu beschäftigen und in die Welt einzuführen, so angenehm gebildet, daß jedes schon vor Ablauf jener Zeit einem wackern Manne zu Theil worden war. Die Dinger gingen immer weg, wie warme Semmel; fie mußten ihr Gesellschaft leisten, ihr vorlesen, fie und ihre geselligen Kreise unterhalten, in der Haushaltung nach dem Rechten sehen, die Wirthschaftbücher führen, ihre Correspondenz dictando besorgen, und ders gleichen mehr. Seit der Verheirathung ihres Hannchens, ihrer einzigen Tochter, der Mutter des Hofraths, hat diese Einrichtung bestanden, und die Leute rissen sich ordentlich darnach, ihre Töchter der Frau hinzugeben, denn das war gleichsam eine hohe Schule für die Mädchen. Sie suchte sich, ohne Rückficht auf Stand und Herkommen, allemal die Hübschesten ausz dabei mußten sie aber die nöthigen Vorkenntnisse im Franzö fischen, Englischen und Italienischen mitbringen, denn in diesen drei Sprachen correspondirte die Frau tagtäglich; außerdem verlangte sie eine vollständige wissenschaftliche Bildung, mögliche Fertigkeit auf irgend einem Instrumente und im Singen, йebung in allen weiblichen feinen Arbeiten, und sichtbare Fortschritte in der Tanzkunst. Uebrigens hatten die Mädchen in ihrem Hause, welches den feinern Zirkeln unsers Orts und der ganzen Umgegend und allen Fremden täglich offen stand, wahre Göttertage. Die Besorgung ihrer immer sehr eleganten Gar derobe war der Alten Sache, und hatten die Eltern kein eigenes Vermögen, so ließ fie fich deren anständige Ausstattung nicht nehmen; auch unterstüßte sie die Mitellosen noch Jahre lang durch heimliche Zuschüsse, und stand allemal beim ersten Kinde Gevatter. Selbst für die, welche sie jezt unverheirathet hinterlassen, hat sie, so weit es die Vermögensumstände dieser und jener erforderlich gemacht, durch reichliche Legate gesorgt. Nun, welche der schönen Adjutantinnen würden Sie denn, fragte der Wirth scherzend: dem guten Herrn Hofrathe vor allen empfehlen?

Welche? versezte Herr Sandler, und schenkte sich den Rest seiner Flasche ein: keine andere, als meine Nichte, meines Brus ders, des Stadtlieutenants Vierte, die möchte ich ihm wohl gönnen, und solch ein reicher Herr Neffe ließe dann auch wohl ein Wort meinetwegen mit sich reden; unsere Lotte ist ein kreuzbraves, kerniges Mädel, na, Sie kennen fie, Herr Wirth; die Alte hat immer viel Stücke auf sie gehalten. Ein Paar Lugen hat das Betterding im Kopfe, wie brennende Scheunen; die Backen, wie borsdorfer Nepfel, und im Raschwalzer kommt ihr nicht eine gleich; dabei plappert sie französisch, daß mir vor Verwunderung oft die Haare zu Berge gehen, schreibt ein Händchen zum Küssen und singt wie eine Lerche.

Sie machen uns, hob einer seiner Reisegefährten, ein jun ger, wohlgestalteter Mann, lächelnd an: den Mund so wässerig, daß ich, wenn Sie mir das Ulles früher erzählt hätten, mich bei der Durchreise in Klarenburg ein wenig mehr umgesehen hätte; wahrhaftig, man möchte gleich noch umkehren, und bek den auserlesenen sieben Sabbathkindern sein Heil versuchen. Unstreitig wählt der glücklichste der Sterblichen, der Hofrath, Ihre belobte Nichte; indessen find noch sechs andere da, die doch auch wohl der Rede werth sein möchten.

Das wollte ich meinen, fiel ihm der Verräther meines Bahlschages in das Wort, und ich ließ mir noch eine halbe Flasche geben, denn zu der Musterung, die mir eben in Parade follte vorgeführt werden, bedurfte ich der nöthigen Geistesstärtung. Pro primo, sagte Herr Sandler, und legte den rechten Zeigefinger an den Daumen seiner Linken: marschire ich mit Fräulein Adele von Strahlenthal auf; Donner und Victoria, ist das ein Mädchen! ich weiß nicht, ob Sie die Art Frauenzimmer kennen, die man in der Kunstsprache Bungenschläger nennt; dahin rechnet man nicht sowohl die, welche durch ein gewisses Lispeln ihrer Aussprache einen eigenen weichen Wohllaut zu geben wissen, sondern vielmehr solche, die mitten im Gespräch und auch, wenn sie nicht reden, unwillkührlich die Lippen mit der Zunge negen müssen. Sachkenner halten diese Sorte Mädchen mit für die gefährlichsten; denn die Trockenheit der Lippen, sagen fie, komme vom zu heißen Blute, und darum haben auch dergleichen Frauen und Mädchen, die durch dieses bewegliche süße Zungenspiel thren eigenthümlichen Reiz bekom men, gewöhnlich einen für manche Männerherzen äußerst ent pfindlichen Liebesblick im Auge. Zu diesem Genre gehört Adele; achtzehn Jahr, gewachsen wie eine Lanne, aus der ersten Fa milie im Orte, und fadellos in Ruf und Wandel; dabei das einzige Kind, und der Vater hat zwei Rittergüter, die zusam men größer find, als manches kleine Fürstenthum. Pro

secundo, Prokofjewna Ischimaduno, ein Russenkind. Die Mutter, unsers Vesperpredigers Eingeborene, verheirathete fich im Kriege mit dem Obersten, der nach der Schlacht von Aus sterlig leicht blessirt zu uns kam, unser Vespertinchen, wie wir die scheinheilige Predigertochter scherzweise nannten, leicht be rückte, ein halbes Jahr nach der Trauung in seine Heimath zurückkehrte, und das Versprechen, bald wiederzukommen und Frau und Kind abzuholen, bis jezt unerfüllt gelassen hat. Prokofjewna gehört zu der Race der Stumpfnäschen; das ganze Ding wird höchstens sechszehn Jahr alt sein, ein nied licheres Miniatur Figürchen kann nicht gedacht werden. Von klingendem Vermögen schreibt St. Paulus gar nichts, doch hat ihr die alte Milborn ein Legat ausgesezt, mit dem die nöthige Aussteuer wohl standesmäßig zu bestreiten ist. Pro tertio, Julie, das jüngste Kind der Laune meines Herrn Chefs, des Consulis dirigentis von Klarenburg. Das Mädchen ist ein sogenannter Distanzblender; fie fernt gar gewaltig, und bes trachtet man sie in der Nähe, so finden sich einige Pockengrüb: chen in den Wangen, aber sie entstellen das Gesicht nicht; in Julchens Haltung liegt etwas Großes, sie hat den stolzen Anstand einer Ezarin, überall ist sie die Erste, in ihrem Blicke liegt der Adel ihrer Seele, und mit ihren Kenntnissen könnte fie alle Tage Professor werden; sie wollen ihr eine Art von Kälte vorwerfen, wer sie aber näher kennt, nennt es blos Selbstgefühl; sie weiß, daß sie mehr wisse, als andere, aber sie prahlt nicht damit, nur hat sie die Kunst noch nicht inne, sich zu denen, die unter ihr stehen, herabzulassen. Papa hat gespart, und wird ihr einmal einen recht leidlichen Thaler Geld hinter: lassen. Pro quarto

Hier trat der Lohnkutscher ein, der den Referenten mit einigen andern Herren unserer Tafelrunde, benachrichtigte, daß angespannt, und wenn sie vor Abend das Nachtquartier erreichen wollten, keine Zeit mehr zu versäumen set. Wir standen vom Tische auf; ich aber, während des mir höchst interessanten Vortrags, mit meinem Plane fertig, schlüpfte in das Neben: zimmer, das man mir bei meiner Ankunft als Absteigequartier angewiesen, und lud Herrn Sandler durch einen Wink ein, mir auf einen Augenblick zu folgen.

Hier eröffnete ich ihm unter vier Augen, daß der Herr Hofrath, von dem er bei Tische gesprochen, mein alter Jugendfreund sei; daß dieser, dringender Geschäfte halber, nicht selbst habe kommen können, daß ich daher, mit den erforderlichen Vollmachten von ihm versehen, mich auf den Weg nach Kla= renburg habe machen müssen, um in seinem Namen die ganze Erbschaft-Angelegenheit zu reguliren; daß ich zugleich den Auf trag hätte, alle kleine Verpflichtungen, an deren Erfüllung etwa die verstorbene Madame Milborn durch ihren tödtlichen Sintritt verhindert worden, im Geiste der Frau Erblasferin zu tilgen, und daß ich daher, in Bezug auf das, was er vorhin von seiner getäuschten Erwartung, hinsichtlich der ihm billiger Weise zukommenden Gratification, geäußert, mich beeile, ihm fein Gebürniß einzuhändigen. Mit diesen Worten drückte ich ihm zehn Louisd'ore in die dürren Schreibfinger, und steigerte dadurch seine Verlegenheit und seine freudige Ueberraschung fast bis zur völligen Erstarrung.

Verehrter Herr, rief er, nachdem er die Sprache wieder gewonnen, im höchsten Unwillen auf sich selbst: könnte ich doch auf mein vermaledeites Maulwerk unser großes Rathssiegel drücken! Was müssen Sie von mir denken? Was habe ich nicht Alles in den Tag hineingeschwaßt! Je dennoch betheure ich bei meinem, unserer löblichen Commun vor dreißig Jahren schon geleisteten Amtseide, daß ich hierunter durchaus keine bösliche Ubficht gehegt, auch erinnere ich mich nicht eines Wortes, wodurch ich der hochseligen Madame Milborn und Ihrem verehrlichen Herrn Mandanten, der er sah in die Goldschei ben zwischen seinen stumpfgeschriebenen Fingerspigen ein leibhaftiger Engel sein muß, im mindesten zu nahe getreten ware; aber, wie der Mensch bei Tische nun einmal ist! — Die Hauptschuld trägt unfehlbar der Wein, den muß der abgefeimte Betrüger, der Birth, mit spirituösen Miscellen versezt haben, denn ich hatte kaum die zweite Flasche angebrochen, als ich handgreiflich fühlte, daß mir die, durch Umtseid und Dienstalter gleichsam zum Stockfisch gewordene Zunge unaufhaltsam durch ging, wie ein stetisches Pferd, dem man brennende Schwärmer unter den Schweif gebunden. Soll mir das aber eine Wars nung sein für die Zukunft! Zuschrauben will ich das verdammte Maul, daß Nichts heraus und Nichts hinein kann; gleichsam eine Katakombe will ich zwischen Kinn und Nase haben, zu gemauert und fest verkittet für alle Ewigkeit! Uber, du mein Gott? wie fonnte ich auch nur im Uйerentferntesten ahnen, daß unter der Zahl der Gäste an unserer Wirthstafel sich der ehrenwertheste Herr Mandatarius unsers liebreichen Herrn Hof rathes befinde.

Ich beschwichtigte den vom Weine und meinem Golde seltsam Aufgeregten durch die freundlichsten Worte, versicherte

ihm, daß ich dem Zufalle außerordentlich verpflichtet sei, ihn kennen gelernt und von seiner genauen Kenntniß der Sachlige einen kleinen Ueberblick von der Erbangelegenheit erhalten ju haben, und rückte nun mit dem Hauptpunkte, weshalb ich ihn eigentlich zu mir gewinkt hatte, mit dem Wunsche heraus, übrigen drei kleinen, sogenannten Adjutanten, und besonders das Mädchen kennen zu lernen, das Madame Milborn ihrem Enkel vorzugsweise zugedacht.

Und wenn Sie mich bei den Beinen aufhängen, erwiederte Herr Sandler, beide Hände auf das Herz, als wäre das, was er jest sagen wolle, gewiß wahr: über den legten Punkt kann ich Ihnen keinen bestimmten Aufschluß geben, und meine Bermuthung vorhin, daß dies Mädchen sich unter den fieben bez finde, ist auch nur so in den Wind geredet, und bloß in meinem Kopfe entstanden; auf jeden Fall hat die Wohlselige die Uk: sicht gehabt, der Neigung des Herrn Hofrathes durchaus nicht vorzugreifen, und darum die Eröffnung des bewußten Zettels erst nach seiner Verlobung angeordnet. Wollen Sie der alten Frau im Grabe noch einen Gefallen thun, so machen Sie més nen dummen Streich wieder gut, und sagen Sie dem Herrn Hofrathe von dieser ganzen Geschichte Nichts; auf jeden Fall ist es der Erblasserin Wille nicht gewesen, daß er etwas daren wissen soll, weil er dann in der Wahl der künftigen Frau Hofräthin doch nicht so ganz unbefangen sein würde, als et nach dem Plane der Großmutter sein und bleiben soll. Bat aber unsere Adjutantur Schönen betrifft, so kann ich Ihnen, da ich sie Alle aus und inwendig kenne, ganz specielle Kunde von ihnen geben, und hier unter vier Augen spricht sich so etwas besser, als vorhin an der Gasttafel; daß ich Ihnen aber ganz reinen Wein einschenken, kein Wort zu viel oder zu wenig sagen, und von der strengsten Wahrheit keine Linie abweichen werde dafür bürge ich Ihnen mit dem Theuersten, was ich jezt habe, mit meinem Glauben an die Heilkraft der warmen, in den Eingeweiden der Erde gar gekochten Carlsbader Hüner: brühe, welche meinen, am Dintenfasse versäuerten Leichnam stärken, und den unter der Uctenlast fast zum Eselgrau veraltes ten Kopf wieder verjüngen foll.

3ur Sache, rief ich ungeduldig lächelnd; denn unterbrah ich den Redseligen nicht, so kam er, statt auf meine 7 untes kaunten Augenweiden, auf die Geschichte seiner Eingeweide, und dann war es schwer, daraus den Weg in das künftige Paradies meiner Liebe zu finden.

nit,

Ja, fiel er sich selbst in das Wort: von diesen wollten Sie hören; schön, schön; nun genannt habe ich Ihnen vorhin schon, wenn ich nicht irre, die Strahlenthal, die Prokofjewna, Odas bürgermeisters Adelaide und meine Nichte, Lotte Sandler, des Stadtlieutenante, meines Bruders vierte, in christlicher Ehe as zielte Tochter; folglich habe ich Ihnen noch von der kleinen Hälfte, das heißt, von den drei übrigen zu berichten; aber das kann ich Ihnen sagen, wäre ich der Herr Hofrath weil die Lotte, meine Nichte, meine nächste Blutverwandte in aber Sie sollen das Capitalmädel selbst sehen, und Ex werden sagen, wenn mein Herr Mandant ein Paar gejunte Augen im Kopfe hat, so wählt er diese und keine andere. Sehen Sie, ich bin ein alter, zusammengeschrumpfter Act mensch, und halte im Ganzen von den Weibern blutwenig aber vor der habe ich allen Respekt; sie hat so etwas Feines, Appartes und Vornehmes, daß fie, bei meiner armen ele, schon jest aussieht, wie eine geborene Hofräthin; auch s das Mädchen ein so recht eingefleischter Mignon von unserer guten, seligen Madame Milborn. Herr Sandler, hat die Nite zu mir mehr als hundertmal gesagt, glauben Sie mit, he Nichte, Stadtlieutenants Lotte, ist ein Schaß, ein Kronjuwel, wer das Mädchen sich einmal zum Weibe erkürt, der that einen guten Griff; und dann für meinen Bruder wäre fold ein Schwiegersohn eine wahre Fundgrube; der Mensch hat zwölf lebendige Würmer, die schroten den ganzen langen Jag was zusammen; mit Respect zu sagen, die Haare vom Kepte fressen sie ihm weg, und mit der Stadtlieutenantsgage find in der legten Zeit wahre Revolutionen vorgegangen. Sonst hatte der Lieutenant die sogenannten kleinen Montirungsstücke, alé da sind: Kamaschenknöpfe, Puder und Pomade, Zopfband, Schit gelb und Kreide zu liefern, da fiel für ihn hie und dort etmes ab; seit der neuen Organisation unserer Nationalgarde aber, bei welcher alle diese Martialcostümbedürfnisse gestrichen, ist das Alles

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Der Kellner plaßte zur Thür herein, meldete, daß die der Herren im Wagen sammt Kutscher und Pferden, nicht länger warten wollten, und wenn er nicht den Augenblick kámí, so Uber Herr Sandler war schon, ohne den Nachfaß abin warten, nach einem flüchtigen Abschiede und nach wiederhout Bitte um Entschuldigung wegen seiner unvorsichtigen Plaudius bei Tische, zum Simmer hinaus, und ich hatte für meine s nen zehn Louisd'ore nichts, als den festen Vorsag gefast,

Lottchen Sandler nicht zu wählen, denn mit dieser hätte ich alle eilf übrige Geschwister sammt Papa, Mama und dem un leidlichen Dheim zugleich geheirathet.

-

nicht von ganz unbedeutendem Gewicht sind; ncin, bie Aagft, woher eine Frau zu bekommen, ist, in Deutschland wenigstens, die lächerlichste von der Welt. Ueberdem hat ja die felige GroßEine von den bewußten Sieben war also schon gestrichen! mutter durchaus nicht darauf bestanden, daß ich eine ihrer sieben Ich hatte zwar dem Eiligen noch in aller Geschwindigkeit guten oder bösen Sieben, oder überhaupt diese oder jene achte sugerufen, von allem dem, was wir jest gesprochen, gegen kei wählen solle und müsse; sie hat nur auf den Fall, daß_meine nen Dritten etwas zu verlautbaren, allein, ob er gleich, als er Wahl auf fie treffe, die sie für mich in Gedanken bestimmt an den Wagen kam, wahrscheinlich noch im heimlichen Unmuthe hat, mir die Nugnießung eines Kapitals von 50,000 Thaler über die Blöße, die er sich mir, dem vermeintlichen Mandata= zuerkannt, die, im gegentheiligen Falle, der Armuth zu Gunsten rius femmes viel besprochenen Hofrathes, durch seine unzeitige kommen soll. Also auf Kosten der Hülfsbedürftigen, der KrüpSchwaghaftigkeit gegeben, den großen Schraubenschlüssel des pel und Kranken, der Lahmen und Blinden sollte ich nimLohnkutschers an den Mund sezte, als wollte er diesen auf_mermehr! ein solcher Erwerb könnte mir ja weder Freude noch immer und ewig verschließen, so mußte er doch kurz darauf sei: Segen bringen und endlich man kennt ja den Geschmack nen Reisegefährten mich als den Freund des heute bei Tische der alten Leite! Gott weiß, was mir die gute alte Frau auserwähnten Erben genannt haben, denn sie schielten alle mit gesucht hat! Wonach sich das Herz eines raschen, lebenslustigen, einem Male aus dem Wagen nach meinem Fenster herüber, um acht und zwanzigjährigen Mannes sehnt, ist nicht immer in fich den noch einmal anzusehen, der jezt im Begriff stand, nach den Augen einer vier und achtzigjährigen Matrone das PreisKlarenburg zu reifen, um die sieben Wahlschönen seines Man- würdigste, und was Großmutter Milborn vielleicht für das danten in allerhöchsten Augenschein zu nehmen. Höchste in der Mädchenwelt angesehen, ist dem Herrn Enkel ob mit Recht oder Unrecht, gilt hier gleichviel vielleicht gewiß das unbedeutendste Geschöpf auf Gottes Erdboden. Ueberhaupt — recht ernstlich habe ich an das ganze Heirathen ein tüchtiges Liebesabentheuer in Secunda und ein zweites im ersten Halbjahre meiner akademischen Laufbahn abgerechnet noch gar nicht gedacht, und wenn der dumme Sandler die Ge= schichte mit den sieben Mädchen heute nicht auf das Tapet ge= bracht hätte, es wäre mir auch jezt nicht ein Gedanke daran in den Sinn gekommen; frank und frei will ich noch ein Weilchen durch das Leben gehen; es findet sich immer noch eine, die Ja sagt, und wenn ich sie auch erst in zehn Jahren darum frage.

In jeder Hinsicht nannte ich jest den mir in meiner Bedrängniß an der Gasttafel abgezwungenen Einfall, in der Rolle eines Dritten zu Klarenburg aufzutreten, einen sehr gescheuten. Den Concerts und Bällen und Feuerwerken ging ich glücklich aus dem Wege, ich lernte den Boden kennen, und hatte Gele: genheit, die sieben Mädchen und die übrigen Töchter des Landes hinter meiner Maske im Stillen zu beobachten; und wenn ich auch voraussehen konnte, daß sie sich alle auch gegen den ver m.intlichen Freund des Milbornschen jungen Erben zuvorkom mender, als gegen einen Fremden benehmen würden, so hatte ich doch die gegründete Hoffnung, sie jest ungebundener, natür licher zu sehen, als sie sich dem erwarteten Hofrathe gegenüber gezeigt haben würden, auf den sie, wie Sandler erzählte, von den Eltern und Angehörigen ordentlich systematisch vorbereitet worden sein sollten.

Ich ließ mir Feder und Dinte geben, schrieb in meinem Namen an den Executor des großmütterlichen Testaments, den Stadtrath Rüderich, entschuldigte mein Nichtkommen durch eine unaufschiebliche Commissionsreise, und empfahl ihm, den Ueberz bringer dieses, meinen Freund, den Herrn Geheimen Secretair Straguro ich freute mich, wie ein Kind, des schlechten Un spielwiges, der in dem Anagramm dieses Wortes lag, und das nicht leicht Jemand für Surrogat zu lesen verleitet worden sein möchte - mit allen testamentarischen Bestimmungen der Erblasserin bekannt zu machen und versprach, wenn dieser werde zurückkommen und mir über die Lage der Sache Bericht erstats tet haben, falls meine persönliche Erscheinung dort unumgäng lich erforderlich sein sollte, in Kurzem selbst einzutreffen. Mit diesem Briefe in meinem Tagebuche segte ich mich in den Was gen, fuhr von dannen, und fühlte mich beklommener, je mehr ich dem verhängnißvollen Klarenburg mich näherte.

Ueber das Ende meiner Maskerade war ich nicht in Ver-
legenheit, denn, wie mein Plan gemacht war, ging Alles in
dieser Hinsicht ganz vortrefflich; ich hielt mich einige Tage dort
als wohlbestallter Geheimer Secretair Straguro auf, reiste,
nachdem ich über alle Umstände die genauesten Erkundigungen
eingezogen, ab, schrieb dann an den Erecutor des Testaments,
den Oberpupillenrath Strom, daß ich der vermeintliche Stra
guro felbst gemefen fei, wendete gegen diefen vor, dap ich die
ganze Maskenscene gespielt, um unter fremdem Namen die mir
wünschenswerthen Nachrichten desto unverfälschter einziehen zu
können, ließ die Leute darüber kurze Zeit fich satt und müde
reden, erschien, wenn ich der gerichtlichen Umständlichkeiten hal-
ber unausweichlich in Person zu Klarenburg auftreten mußte,
dann wieder dort, mit allem ganz genau bekannt, und erklärte
tenen, die mich allenfalls über mein früheres Incognito zur
Rede festen, die ganze Geschichte für einen Scherz. Dem jun:
gen, reichen Erben der Madame Milborn verzich man den
launigen Spaß, bei dem keinem Menschen ein Haar gekrümmt
ward, gewiß gern,
und ich hatte den Zweck meiner Recognos-

cirung erreicht.
Uber, bist du nicht ein einfältiger Mensch, sagte ich mit
erzwungenem Lächeln zu mir selbst: quälst dich da mit der
Angst vor den sieben Mädchen, als ob es in der ganzen lieben,
weiten Welt die allereinzigen wären, auf welche du bei deiner
Bahl beschränkt wärst. In der Residenz fast Haus bei
Haus giebt es dort der reizendsten Evenstöchter die Hülle und
Fulle, von denen die Hälfte wenigstens, über kurz oder lang,
sich bestimmen lassen würde, ihre Hand einem jungen, gefunden,
chrlichen Manne zu geben, der mit seinem Diensteinkommen die
ganze großmütterliche Verlassenschaft, und mit seiner heitern
Laune sein treues Herz der Geliebten zu Füßen legen kann
undach Gott, auf dem Lande und in den kleinen Städten,
wo Jahr aus Jahr ein die niedlichsten Mädchen frisch und
lustig aufschießen wie die Pilze, und in deren Augen die Aus:
ficht, in der Residenz zu leben, und das Hofrath - Patent auch

Bei den lehten Worten dieses Selbstgesprächs ward ich doch ein wenig kleinlauter; denn ich berechnete, daß ich dann volle acht und dreißig Jahre alt wäre, und daß sich dann am Ende doch Manche bedenken möchte, meine stolze Rechnung so ohne alles Weitere wahr zu machen. Ich hatte schon den jovialen Beschluß meiner Selbstbetrachtungen auf der Zunge, und wollte sagen, weg also mit der ganzen Heirathsgeschichte, als ich der Zunge in den Zügel fiel, und bei mir selbst meinte, daß man so etwas nicht verschwören müsse.

Zu diesem fast abergläubigen Wahlspruch stimmten mich die Thürme von Klarenburg, die mir in diesem Augenblicke unten im fernen Thale ansichtig wurden. Es war, als lägen sie alle der Länge nach auf meinem Herzen, so sonderbar ward mir zu Muthe, als ich der alten Stadt, die von den legten Strahlen der scheidenden Abendsonne beleuchtet, ein sehr düsteres Unsehn zu haben schien, immer näher kam. Schon konnte ich die halb verfallenen Wälle und Ringmauern von Weitem erkennen, in denen die Eine lebte, welche von einer Todten mir zur Gefährtin meines Lebens hienieden bestimmt war. Ich stemmte mich mit Gewalt gegen den Gedanken, der mich um meine ganze Heiterkeit der Seele zu bringen drohte; aber er hatte mich so umstrickt und beschäftigte mich so ernst, daß ich seiner nicht los werden konnte.

Halt! rief ich dem Postkutscher zu, als wir, ungefähr eine halbe Stunde vor der Stadt, in einem der freundlichsten Dörfchen, das ich in meinem Leben gesehen, vor einem niedlichen Birthshaufe vorbeifuhren, das, nach den im Freien, unter Baumschatten stehenden, sehr zierlich weiß und grûn angestrichenen vielen Stühlen und Tischen zu urtheilen, an welchen hier und da einzelne Personen und Familien saßen und ver schiedene Erfrischungen genossen, ein stark besuchter Vergnü gungsort der Klarenburger Honoratioren zu sein schien: ich muß einmal trinken, sonst komme ich vor Durst um; laß dir auch geben, Bier, Wein, was du willst! Ich mußte aus dem Wagen heraus, wieder unter Menschen, denn in dieser Stimmung nach Klarenburg hineinzufahren, hätte mir den Ort auf Lebenszeit verleiden können.

Der Postknecht, von meiner gastlichen Aufforderung ge= wonnen, hielt mir gegen den Hausknecht, der ihm die verlangte Erquickung und den Pferden einige Bunde Heu brachte, eine vollständige Lobrede, erzählte, was ich seinem Vorgänger für ein stattliches Biergeld gegeben und wie ich ihn, mit christlichem Einsehen, bei dem heißen, gewitterschwülen Nachmittage nicht übertrieben habe, so daß er, was ich, vertieft in meine sehr ernsten Betrachtungen, nicht einmal bemerkt hatte, fast nichts als Schritt gefahren sei, und trank in dem even eintreffenden Schoppen Wein meine Gesundheit.

Zwischen der Straße und dem grünen Schattenplage vor dem Hause, auf dem die vorhin erwähnten Tische und Stühle standen, befand sich ein Geländer; über dieses lehnte sich ein kleiner, runder Herr mit einer holländischen Pfeife, die fast so lang war, als er selber Er hatte des Postknechts prosaische Hymne mit angehört und lächelte ihm beifällig zu; mich sah er an, als müsse er mich kennen, und die ihm zugehörige Fas

milie, die hinter ihm um einen mit Früchten, Wein und andern Erfrischungen befeßten Tisch saß, zischelte, den Blick auf mich gerichtet, sich einander so viel in die Ohren, daß ich in die peinlichste Verlegenheit gerieth, denn ich stand auf dem Punkte, mich für verrathen zu halten, und mein schon berechnetes In cognito mit all seinen gesegneten Folgen aufgeben zu müssen. Aber, das war ja nicht möglich; hier war ich in meinem Leben nicht gewesen; in der fast hundert Meilen von hier entfernten Residenz selbst, wo der kleine rothe Bausback mich allenfalls konnte gesehen haben, hatte ich in der legten Zeit kaum einige Monate gelebt, und wäre mir da so ein dickpurzeliges Stehaufchen zu Gesicht gekommen, so würde ich mich dessen bestimmt jest haben entfinnen können, und früher war ich am entgegen gesezten Ende des Reichs angestellt gewesen, studirt aber hatte ich auf einer ausländischen_Universität, und zwischen dem aka: demischen Leben und dem Eintritt in den Dienst hatte ich einige Jahre auf Reisen zugebracht; aber auf allen diesen verschiedenen Lebenswegen war ich diesem Burgundergesicht nirgends be: gegnet, folglich konnte der Mann mich nicht kennen.

Ich ließ mir Kaltschale von englischem Ule geben, feste mich an einen Tisch so, daß ich ihm und seinem Kreise den Rücken zukehrte, und nahm von der ganzen Familie weiter keine Notiz. Mit beifälliger Behaglichkeit schweifte dagegen mein Blick an den übrigen Tischen umher, und der Rathscopist Sandler hatte nicht Unrecht gehabt, wenn er von den Liebenswürdigkeiten der Klarenburgerinnen einiges Aufheben gemacht; denn, wo ich nur hinsah, traf ich auf eine hübsche Frau oder auf ein schönes Mädchen, so daß mir die Stadt, in welcher derlei edle Erzstufen in solchem Ueberflusse zu Tage gefördert wurden, gar nicht mehr so finster und schreckhaft vorkam, als vorhin. Auch das Romantische des Dörfchens selbst mochte mit dazu beitragen, meine Gemüthsstimmung aufzuheitern. Der Dorfplaß war mit Blumen und ausländischem Gebüsche geziert; sieben kleine Springquellen plätscherten dem, in den fieben Behältern herumschwimmenden Gänse- und Entencorps, eine stille Abendunterhaltung vor; sämmtliche Häuser waren neu und geschmackvoll gebaut, vor jedem befand sich ein Blumengärtchen; die kleinen Fenster waren von Weingeranke oder großbuschigen Blumen umdunkelt, und was von den fleißigen Dörflern nicht im Felde beschäftigt war, saß vor den Thüren und spann, oder schärfte die Erntesensen, oder hatte sonst eine Landwirthschaftliche Arbeit vor, und alle, Mann wie Frau, Mägde wie Knechte, Kinder wie Alte, alle gingen sauber und reinlich gekleidet, aber Alle trugen um Hut oder Haube einen schwarzen Krepp oder ein schwarzes Band.

Was bedeutet das? fragte ich die junge hübsche Wirthin, die eben kam und mir in einer kleinen filbernen Schüffel meine Ule-Kaltschale darreichte und selbst ihr Häubchen und ihr weißes Kleid mit schwarzem Bande befest trug: ist das hier Mode so, oder habt Ihr allgemeine Dorftrauer?

unsere Gutsherrin, Madame Milborn, ist vor einem halben Jahre gestorben, sagte die junge Frau mit gesenktem Blick, und das war eine wackere Frau, die wir alle lieb hatten. Es hat Keins dem Andern gesagt, daß wir Trauer anlegen woll ten, aber früh starb die alte Frau und den Nachmittag schon gingen die Leute im ganzen Dorfe, wie Sie sie hier sehen; so lieb und gut kriegen wir aber auch keine Herrschaft wieder. Sie wollte noch mehr sprechen, aber die Stimme fing ihr an zu schwanken, und als sie nach dem Hause zuging, wischte sie fich unvermerkt die Augen.

Ich erhob mich, ohne die kühlende Labung anzurühren, schnell vom Stuhle und stüßte mich, die übrigen Gäste im Rücken, auf die Lehne, damit Keins sahe, wie mir bei der eine fachen Standrede der jungen Wirthin das Wasser in die Augen frat. Der Gedanke, hier auf meinem großmütterlichen Erbe zu stehen, und der Anblick aller Bewohner des Dörfchens in Trauer um die edle Matrone, ergriffen mich wunderbar. Nie in meis nem Leben hier gewesen, kam ich mir wie in meiner Heimath vor; von Jugend auf ohne Bruder und Schwester, waren alle Menschen hier mit ihrem einfachen Trauerschmuck die nächsten Glieder meiner Familie; ich hätte mich in meinen wehmüthigen Ansichten, die fich mir jeßt wohlthuend aufdrängten, noch mehr vertiefen können, wenn die Anwesenheit der städtischen Gäste nicht störend auf mich eingewirkt hätte. Zufällig blickte ich einmal hinterwärts auf den Kreis, der zu dem kleinen dicken Manne gehörte; sie steckten eben die Köpfe zusammen, fuhren, als ich mich umfah, rasch auseinander, und von der einen Dame, die ich für die Mutter der übrigen jüngern hielt, und die mich in ihrem Auge festhielt, hörte ich deutlich die Worte: ich wette, er ist es. Jest konnte ich um keinen Preis wieder hinsehen; die angebotene Wette hatte offenbar mir gegolten, und ich vermuthete, daß ich mit Jemand, den sie für mich hielten, eine auffallende Aehnlichkeit hatte. In demselben Augen blicke erwiederte Papa: das wollen wir bald herauskriegen,

stand auf, wackelte, seine brennende holländisch Bohnenstange im Munde, über den Fahrweg, und steuerte auf meinen Kut scher zu.

So ernst und feierlich mir in diesem Augenblicke zu Muthe war, ich mußte über die Seitenbewegung doch beinahe laut la: chen, die der kleine, dicke Kugelrund machte, um meinen rechtten Flügel zu umgehen und von meinem ehrlichen Postknechte nähere Erkundigungen über meine Wenigkeit einzuziehen. Aus dem Mienenspiel des Lehtern drüben über der Straße ließ fich aber deutlich entnehmen, daß dieser den gewünschten Bescheid zu geben außer Stande war; der Neugierige machte also ungesäumt Kehrt und watschelte, eine dampfende Qualmwolke vor sich her, gerade auf meine Benigkeit herüber. Eine ko mischere Misgestalt hatte ich fast nie gesehn. Der Kopf nahm ein Fünftel von der ganzen Figur ein, das Gesicht glich einem dunkelglühenden Vollmond; die Mundwinkel stießen an beide ansehnliche Ohren; accurat so breit war die platt gedrücte Tabaknase; das Haar voll Puder und Pomade verlor sich hin ten in einem, vor zwanzig Jahren einmal Mode gewesenen Mers leton; die Augen hätte vielleicht selbst Franz Fontana mit seinem erfundenen Mikroskop kaum entdeckt; dazu stack die kleine Schmeerbauchfigur in einem springerartig gearbeiteten Frad von aschgrau und weißstreifig seidenem Zeuche; Beinkleider und Weste, von der Tagesschwüle hie und da verschiedentlich durchschwist, waren von weißseidenem Piqué, und die merklich ge schweiften Strampelchen stolzirten in einem Paar steifen, frie gelblank gewichsten Butterfässern, an denen große, filberne Sro ren blißten.

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Um Berzeihung, krächzte er mir mit freundlichem Lächeln entgegen: Ew. Gnaden kommen aus der Residenz?

Ich bejahte durch eine höfliche Verbeugung, und knip die Kinnladen auf einander, um dem Possirlichen nicht in das meilenbreite Geficht zu lachen.

Ew. Gnaden haben wohl nicht einen jungen Herrn über: holt, der auch aus der Residenz kömmt, in jedem Fall auch mit Extrapost reist und bei uns stündlich erwartet wird.

Ich drückte, unter einer zweiten årtigen Verbeugung, bloß ein kurzes Nein ab; denn am Ende war der junge Herr, auf den er mit seiner werthen Familie stündlich wartete, kein ande rer, als ich selber. Herr Sandler hatte mir ja schon heute Mittag erzählt, welche Anstalten zum Empfange bei meiner Ankunft in Klarenburg getroffen worden waren. Wahrscheinlich berechnete der kleine Dickkopf, daß ich nach dem Namen und der nähern Personbeschreibung des Erwarteten fragen folle, aber ich hütete mich wohl, dies Gespräch weiter fortzuführen, haben. Doch der Neugierige, der, wie ich merkte, lange schon und glaubte, dasselbe mit meinem kurzen Nein abgebrochen zu eine Unterhaltung mit mir anzuknüpfen sich bemüht hatte, lies nicht locker und erzählte, daß dies schon der dritte Tag dieser Woche set, wo fie Abends hier heraus nach Herzfelde gefahren wären, um den Erben der Madame Milborn, von dem eben die Wirthin gesprochen habe, zu empfangen; dies sei der Hofrath Blum, den sie gleichsam als ein Mitglied ihrer Familie betrachteten, weil sie mit der seligen Madame Milborn genau befreundet und was man fage, eine Herz und eine Seele ge wesen wären. Sie kennen vielleicht, fuhr er in seiner Manier schalkhaft fort und lächelte dazu so feichsend, daß die beider kleinen Guckäuglein gänzlich verschwanden: unsern guten berts Hofrath und können uns dann vermuthlich über die Zeit feines Eintreffens nähere Nachricht geben?

Verleugnen durfte ich mich nicht, denn da ich morgen der Stadt als mein Mandatarius auftreten wollte, wäre es auffallend gewesen, wenn ich heute hier hätte thun wollen, als wäre mir der Herr Hofrath Blum ein wildfremder Mensć. Ich bekannte mich also zu dem Glücke, den belobten Han nicht allein persönlich zu kennen, sondern auch zu seinen nähern Freunden zu gehören und fügte hinzu, daß er, wenn Alles sich nach seiner Berechnung füge, in Kurzem hier einzutreffen gedenke.

Der kleine, streifige Grauweißling duckte sich, nahm einen Unsaß wie ein Frosch, der über einen Graben wegføringen wi und mit einem Ruck rutschte er, während seine holländische Bany in hundert Stücke zersplitterte, unter dem Geländer heren, packte mich bei beiden Händen, versicherte mir sein Entzüden, einen so nahen Freund des Herrn Hofraths kennen zu lernen, stellte mich als solchen seiner Familie am Nachbartische vor, drang in mich, sich zu ihnen zu sehen, holte selbst meine Kalt schale auf seinen Tisch herüber, rief Dinchen, wie er eine seinet Töchter nannte, zu, mir vorzulegen, stellte sich mir als den Geheimen Bichsteuerrevisor Zwicker vor, erzählte in einem_ut unterbrechbaren Redefluß von allem Guten, was er sammt Fran und Kindern der seligen Madame Milborn zu danken hade. und lud mich ein, für die Dauer meines Aufenthaltes in Kis renburg mit seiner Wohnung vorlieb zu nehmen und sein Haut als das meinige anzusehn.

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