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Die Frankfurter Zwischenzeit (3. September 1768- März 1770) war für den Jüngling keine freudige. Er war krank, körperlich und seelisch, genas langsam, empfand das in Leipzig Genossene nach und sehnte sich aus Frankfurt heraus. Er dichtete wenig und las viel. Auszüge aus seiner Lectüre haben sich in den „Ephemeriden“ erhalten, die in Straßburg fortgesezt wurden. Sie zeigen seine Neigung zu religiöser, mystischer Lectüre, die durch den Umgang mit Fräulein von Klettenberg und manchen frommen Mitgliedern der herrnhuterischen Gemeinde genährt wurde. Die Nachklänge dieses Umganges tönen wieder in den „Bekenntnissen einer schönen Seele“, dem 7. Buch von Wilhelm Meisters Lehrjahren. Die Nachricht von Käthchens Verheirathung war gewiß nicht geeignet, den Jüngling aufzurichten. Seine Stimmung charakterisirt er selbst einmal mit den Worten: „Mein Körper ist wieder hergestellt, aber meine Seele ist noch nicht geheilt; ich bin in einer stillen unthätigen Ruhe, aber das heißt nicht glücklich sein.“

Am 2. April 1770 traf Goethe in Straßburg ein. Er beendete zunächst seine juristischen Studien, wurde Licentiat des Rechts und veröffentlichte seine Thesen. Diese Thesen sind einerseits deswegen von Interesse, weil sie beweisen, daß Goethe sein Studium ernstlicher betrieb, als er vorgiebt, andererseits weil sie, troß vieles Gleichgiltigen und Unbedeutenden, manche Säße enthalten, die für Goethe's religiöse und sittlich ästhetische Anschauungen von hervorragendem Interesse sind. Wenn er den Saß aufstellt: „Es ist fraglich, ob eine Mutter, die ihr Kind tödtet, zu bestrafen ist“, so berührt er damit eine Frage, welche die jungen Angreifer der üblichen Moral lebhaft beschäftigte und von Manchen (Goethe in der Gretchentragödie, H. L. Wagner in der „Kindermörderin“) später dramatisch behandelt wurde. Das kirchenrechtliche Gebiet berührt er in sehr entschiedener Weise durch den Saz, daß der Gesetzgeber den Cultus Sestimmen dürfe.

Juristische Studien beschäftigten den Jüngling nicht ausschließlich. Er bewährte vielmehr schon damals das vielseitige wissenschaftliche Interesse, das ihm später in so seltenem Maße eigen war. Er trieb anatomische und naturwissenschaftliche Studien. Er legte Interesse für Gestaltung und Bau des Landes an den Tag. Er kümmerte sich um die Geschichte und die Alterthümer des Elsasses. Der Gegenwart wendete er sein Interesse zu, indem er die politischen und socialen Verhältnisse, Goethe. I.

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den Gegensatz zwischen deutschem und französischem Wesen einer aufmerk samen Betrachtung unterzog, französische Sprache und Literatur eifrig studirte. Ein dramatischer Plan aus der französischen Geschichte scheint ihn beschäftigt zu haben. Den Leipziger Anregungen treu, trieb er Kunststudien. Aber an die Stelle des griechischen Alterthums trat das deutsche Mittelalter. Das herrliche Bauwerk, der Straßburger Münster, nahm ihn ganz gefangen. Ihm, der Verherrlichung der gothischen Baukunst überhaupt, ist der Aufsaß: „Von deutscher Baukunst. Diis manibus Ervini a Steinbach" (des Erbauers des Münsters) gewidmet, der zwar erst 1773 erschienen, damals aber geplant und wohl auch ausgearbeitet war. Er wurde in der Sammlung „Von deutscher Art und Kunst“ veröffentlicht, die Herder herausgab.

Als Goethe nach Straßburg kam, war er frei von Leidenschaft und frei von dem Glauben an eine Autorität; die Leidenschaft fand er in Friederike, die Autorität in Herder. Herder ist für Goethe einer der wichtigsten und einflußreichsten Rathgeber geworden. Er lehrte ihn Homer kennen, den würdigsten Vertreter der Literatur des Alterthums, er erweckte seine Neigung für Ossian und das Volkslied, er machte ihn mit Shakespeare bekannt. Das Studium der Dichter des Alterthums zeitigte erst viel später herrliche Früchte, aber schon damals war es ein mächtiges Gegengewicht gegen die. übertriebene Schäßung der neumodischen Poesie. Durch die Lectüre Ossians wurde er auf die sagenhafte Vorzeit eines stammverwandten Volks, auf Volkslieder und Volksliteratur überhaupt hingewiesen; auf Anregung Herders sammelte er Volkslieder und machte Geist und Herz empfänglich für die unverdorbenen Früchte dichterischer Kraft und Fähigkeit. Shakespeare's Name und Wirken war Goethe schon durch die Hamburgische Dramaturgie bekannt geworden; nun aber wurde er durch den berufensten Interpreten in seine Werke eingeweiht. In der Rede „Zum Shakespeare's Tag", die freilich erst dem Jahre 1772 angehört, hat Goethe den Eindruck fixirt, den er durch die Lectüre Shakespeare's empfangen hatte: „Die ersten Seiten, die ich in ihm las, machten mich auf Zeit Lebens ihm eigen und wie ich mit dem ersten Stücke fertig war, stand ich wie ein Blindgeborner, dem eine Wunderhand das Gesicht in einem Augenblicke schenkt." Und auch hier wieder tritt „Wilhelm Meister“ als Ergänzung der Selbstbiographie zur Seite. Die Art und Weise,

wie in jenem Roman der Held mit den Werken des britischen Dichters bekannt wird, wie er dadurch Dichtung und Leben recht erfassen lernt, wie er davon eine neue Epoche seines Daseins datirt, das Alles ist gewiß der Geistesgeschichte Goethe's selbst entnommen. Kein Straßburger hat einen ähnlichen Eindruck auf Goethe hervorgerufen wie Herder Denn mehr als durch einzelne Anregungen wirkte er durch seine ganze Persönlichkeit, durch sein pfadsicheres, zielbewußtes Handeln, durch seine scharfe Critik, durch seinen lebhaften, nicht selten höhnischen Tadel. Aber auch einzelne andere Straßburger sind, wenn auch nicht als Führer, so doch als gleichgesinnte Genossen des jungen Goethe zu nennen. Vor Allem Heinrich Jung-Stilling, der Autodidakt, der durch seinen frommen Sinn, einen unerschütterlichen Lebensmuth, sein vielseitiges, wenn auch etwas oberflächliches Interesse für Goethe wichtig wurde. Sodann der Actuar Salzmann (1722—1812), der Vorsißende der Straßburger Tafelrunde, der glücklichste, empfindsame Philosoph mit dem echtesten Christenthum gepaart“, ein musterhafter Beamter und ein prächtiger Mensch, der Goethe's Beichtvater und Gewissensrath während der Straßburger Zeit war und auch später blieb. Auch manche Andere, die mehr oder weniger regelmäßig zu seiner Gesellschaft gehörten, hat Goethe genannt; von ihnen verdient hauptsächlich J. M. R. Lenz eine Erwähnung, weil er unter den jungen Dichtern jener Zeit derjenige ist, der die engste Geistesgemeinschaft mit Goethe aufweist, dessen Productionen daher oft geradezu mit denen Goethe's verwechselt wurden und der auch später manchmal in Goethe's Leben eingriff.

Er hat auch durch Verheßungen und niedrige Begehrlichkeit an Goethe's Liebe, an dem Gegenstande seiner Leidenschaft, an Friedrike Brion von Sessenheim, sich versündigt. Die Seffenheimer Idylle hat Goethe in „Dichtung und Wahrheit“ selbst ausführlich dargestellt. Was zur Ergänzung und Berichtigung des von Goethe Erzählten zu sagen ist, ist in den Anmerkungen zu dem genannten Werke. zusammengestellt. Wenn Goethe irgendwo in seinen Liebesverhältnissen schuldvoll erscheint, so ist es hier. Er kommt in ein Pfarrhaus und gewinnt die Liebe der Tochter Er benimmt sich so, daß die Eltern in ihm den künftigen Schwiegersohn begrüßen, das Mädchen den Bräutigam in ihm zu sehen meint.

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Er genießt die Liebe mit vollen Zügen. Dann nimmt er Abschied, ohne Rücksicht darauf, welche Empfindungen er veranlaßt, welche Hoffnungen er erregt hat. Er glaubt frei sein zu müssen, um seine Bestimmung zu erfüllen. Aber dem Mädchen bricht er das Herz. Friedrike ist unvermählt gestorben. Auch als sie 1779 Goethe wiedersah, machte sie keine Anspielung auf ihre Ansprüche, sie begnügte sich mit den Erinnerungen an eine köstliche Vergangenheit. Von Goethe's Reue, die sich mehr in Worten als in Thaten aussprach, mochte sie schwerlich etwas wissen. Ihr mußte es gleichgiltig sein, ob der ungetreue Liebhaber sein eigenes Verfahren in seinen Dramen Göz von Berlichingen“ und „Clavigo“ geißelte. Sie begnügte sich mit den ihr gewidmeten Liedern, dem einzigen lebenden Andenken jener Tage. Die eigentlichen (11) Friedrikenlieder gehören zu den schönsten lyrischen Gedichten Goethe's. Ein wahrer erquickender Liebesfrühling strömt aus ihnen entgegen, jugendlich heitere Stimmung, volle Erkenntniß fester Zusammengehörigkeit, fromme Unschuld bei echter Leidenschaft. „Lehr' mich ihrer würdig sein“, das ist das Gebet, das der Jüngling beim Anschauen dieser reinen Natur stammelt. Es ist nur ein einziger Brief Goethe's an die „liebe neue Freundin“ erhalten, gleich aus dem Anfange der Bekanntschaft (15. October 1770); er ist ein prosaischer Commentar zu den Gedichten.

Am 27. August 1771 traf Goethe wieder in Frankfurt ein. Er hatte auf der Rückreise Mannheim besucht und im dortigen Antikencabinet seine Ansichten über die Kunst des Alterthums geläutert. Seit Dresden hatte er kaum ein Werk der antiken Kunst gesehn; das Anschaun dieser Bildwerke sollte ihn stärken, in dem Augenblick, da er in das bürgerliche Leben einzutreten willens war.

Am 28. August 1771 reichte er dem Frankfurter Rath eine Bittschrift ein. Sie begann im Stile jener Zeit mit den Worten: „Wohl und Hochedelgeborene, vest und hochgelehrte, hoch und wohl= fürsichtige, insbesonders hochgebietende und hochgeehrteste Herren Gerichtsschultheiß und Schöffen. Ew. Wohl und Edelgeborenen Gestrengen und Herrlichkeit habe ich die Ehre zu bitten." In diesem Tone geht es noch eine Zeitlang weiter. Er suchte um die Zulassung zur Advocatur nach und erhielt sie. Goethe's Proceßschriften sind neuerdings abgedruckt worden. Der Nichtjurist kann sich aus

ihnen keinen Begriff von der Art und dem Inhalte von Goethe's Thätigkeit machen. Aus Goethe's Schilderung wissen wir, daß er es mit seinem neuen Berufe nicht allzu ernst nahm, daß ein im Hause lebender Secretär einen großen Theil der Arbeit übernahm, daß der Vater und der mehrgenannte Schlosser als gerngesehene Helfer erschienen. Aus dem Zeugniß des damaligen Procurators Theiß erfahren wir, er habe sich durch Goethe's Erwiderung zu großer Leidenschaftlichkeit hinreißen lassen.

Goethe war zwar Advocat, aber er beschränkte sich nicht auf seine amtliche Thätigkeit. Er hatte schon in Straßburg große Lust empfunden, das Land nach allen Richtungen zu durchstreifen, nun benußte er die günstige Lage Frankfurts, um seine Wanderlust zu befriedigen. Er verdiente und erhielt den Namen des „Wanderers.“ Die Sehnsucht nach der Natur, das Verlangen, sich mit ihr eins zu fühlen, wurde mächtig erregt. Es fand seinen Ausdruck in stimmungsvollen Liedern: „Wanderers Sturmlied“, „Der Wanderer“; der Gegensaß von Kunst und Natur, Gegenwart und Alterthum wurde ausgesprochen; das Verlangen nach Liebe, Häuslichkeit, Frieden machte sich bemerkbar.

Die Streifereien beförderten nicht blos den Umgang mit der leblosen Natur. Sie brachten den Dichter in wichtige und förderliche Beziehungen zu neuen Menschen. Unter diesen sind die Personen des Darmstädter Kreises für Goethe von der höchsten Bedeutung. Die einflußreichste der dortigen Persönlichkeiten war J. H. Merc (1741-1791). Herder hatte Goethe die Augen geöffnet über Schriftsteller und Literatur überhaupt; Merck stimmte ihn critisch gegen sich selbst und seine eigenen Leistungen. Aber Herder war selbst zu sehr schöpferisch und anregend, um blos zu tadeln und zu vernichten, Merck vernichtete und zerstörte. Er war kein Schriftsteller und Dichter wie Herder, der blos im Reiche des Ideals lebte, sondern ein Mann, der, freilich unpraktisch genug, sich im praktischen Leben bewegte, „jede 14 Tage ein neues Projectchen hatte“ und schließlich an diesen vierzehntägigen Projectchen zu Grunde ging Das Mephistophelische seiner Natur war für Goethe heilsam, wenn auch nicht immer angenehm. Aber Goethe wurde, da er in seinem Alter den Jugendgefährten zu charakterisiren hatte, ungerecht wider ihn. Er spricht ihm, gewiß mit Unrecht, alles Edle und Positive

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