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3. Abschnitt.

Der historische Ursprung moralischer Gebote

und Verbote.

§ 22.

Die christliche Ethik.

Durch die staatlichen Verbote zu morden, zu rauben, zu betrügen und deren anthropomorphe Sanktion wird das Glück der Menschen nur ungenügend verbürgt. Ihr Glücksbedürfniss fordert bessere Fürsorge. Moralisten und von ihnen geschaffene, ihnen ähnliche Götter mussten vollenden, was jene Verbote zum Heil der Menschen begonnen hatten.

Auf zwei Wegen hat man des Glücks theilhaftig zu werden gesucht. Die Einen hoben hervor, dass jeder Mensch sich selbst beglücken, sich selbst von den Leiden dieser Welt erlösen solle. Von den Andern wurde betont, dass die Menschen sich gegenseitig helfen, beglücken sollen.

Den erstern Weg haben die Moralisten des griechischen Alterthums eingeschlagen. Stoa und Epicureismus, Cynismus und das System des Aristipp sind ebensoviele Lehren, wie der Handelnde sich selbst glücklich machen könne, wie er möglichst wenig Unlust oder möglichst viel Lust oder Beides zu erreichen vermöge. Besonders krass sagen dies folgende Worte Epiktets Willst du Fortschritte machen, so musst du Ge

danken wie den folgenden fahren lassen: wenn ich meinen Jungen nicht züchtige, so wird er ein Bösewicht (novηgós) werden. Denn es ist besser, dass der Junge ein Bösewicht werde, als dass du unglücklich seiest (Man. XII, 2).

Auch die Platonische Ethik ist wesentlich egoistisch, selfregarding nach Grotes Ausdruck. ,,An Plato ist gerühmt worden, dass seine Theorie das Gegentheil dessen sei, was man als egoistische (selfish) Moraltheorie bezeichnet, ein Ruhm, der ihm sicherlich nicht gebührt. Denn Motive zur Uebung der Gerechtigkeit und zur Vermeidung des Unrechts sind ihm blos das Glück oder Unglück des Handelnden selbst" (Grote, Plato I, p. 131, 133).

Auch Buddha gebietet Selbsterlösung. Die drei Hauptformen des menschlichen Elends, Krankheit, Alter, Tod, welche ihm auf drei Ausfahrten in einem Kranken, einem Greis, einem Todten entgegentraten, machten ihm, berichtet die Legende, einen so tiefen Eindruck, dass er seiner fürstlichen Würde sich entäusserte, um hinfort nur dem Einen nachzusinnen: wie kann der Mensch so grossen Jammers ledig werden? 65

Sofortiger Selbstmord, anscheinend der

65,,Eines Tages, als er von einem zahlreichen Gefolge begleitet durch das östliche Thor nach einem seiner Parks fuhr, begegnete ihm ein abgelebter, hinfälliger Greis. Ueber den ganzen Körper konnte man seine Adern und Muskeln sehen, seine Zähne klapperten, er war mit Runzeln bedeckt; kahl und kaum im Stande einige rauhe, unmelodische Töne hervorzubringen, ging er gebückt an seinem Stab und seine Glieder und Gelenke zitterten. ,Was ist das für ein Mann?" fragte der Prinz seinen Kutscher.,,Er ist klein und schwach, sein Fleisch und Blut sind vertrocknet, seine Muskeln kleben an seiner Haut, sein Haupt ist weiss, seine Zähne klappern, sein Körper ist zusammengeschrumpft, er kann kaum auf seinen Stab gestützt gehen und stolpert bei jedem Schritte. Ist dieser Zustand seiner Familie eigenthümlich, oder ist er das all

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drohend stand das Wer sich selbst tödtet,

kürzeste Ausweg, wäre nutzlos gewesen: Dogma von der Wiedergeburt davor.

,,Herr," erwiederte der Seine Sinne sind stumpf

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gemeine Loos aller erschaffenen Wesen ?" Kutscher,,,dieser Mann erliegt dem Alter. geworden. Seine Kraft ist durch Krankheit zerstört worden und seine Verwandten verachten ihn. Er ist ohne Stütze und unnütz, die Menschen haben ihn verlassen, wie einen abgestorbenen Baum im Walde. Dieser Zustand ist aber nicht seiner Familie eigenthümlich. Bei jedem Geschöpfe zerstört das Alter die Jugend. Dein Vater, deine Mutter, deine Verwandten, deine Freunde werden alle dahin kommen; es ist das natürliche Ende aller Wesen." Da erwiederte der Prinz: Wie können doch die Menschen so unwissend, so schwach, so thöricht sein, dass sie auf ihre Jugend stolz sind und sich von ihr berauschen lassen, und des Alters nicht eingedenk sind, das ihrer wartet? Was mich betrifft, so gehe ich fort. Kutscher, wende rasch meinen Wagen um. Was nützen mir, dem künftigen Raub des Alters, Vergnügungen!" und der Prinz kehrte zur Stadt zurück, ohne sich nach seinem Park zu begeben. Ein anderes Mal fuhr der Prinz durch das südliche Thor nach seinem Lustgarten: da sah er am Wege einen Fieberkranken, dessen Körper abgemagert und mit Schmutz bedeckt war, ohne Freund, ohne Haus; kaum noch im Stande zu athmen und gleich entsetzt vor sich selbst und dem Herannahen des Todes. Nachdem der Prinz seinen Kutscher befragt und von ihm die zu erwartende Antwort erhalten hatte, rief er aus: ,,Ist also unsere Gesundheit nur ein Traum und kann uns künftiges Leid in dieser Gestalt vorschweben? Welcher Weise kann, nachdem er gesehen was er ist, noch an Freude und Vergnügen denken!" Der Prinz liess seinen Wagen umlenken und kehrte in die Stadt zurück. Als er ein drittes Mal durch das westliche Thor nach seinem Lustgarten fuhr, sah er am Wege eine Leiche mit einem Tuch bedeckt auf der Bahre liegen. Weinend und schluchzend umstanden sie die Freunde, indem sie sich die Haare ausrauften, ihr Haupt mit Asche bestreuten, sich vor die Brust schlugen und ein wildes Klagegeschrei ausstiessen. Der Prinz zog wieder die Aufmerksamkeit seines Kutschers auf dies traurige Schauspiel, indem er ausrief: Wehe der Jugend, die ein Raub des Alters wird, wehe der Gesundheit, die so vielen Krankheiten erliegt, wehe dem Leben, das dem Menschen nur so kurze Zeit bleibt! Wenn es nur kein Alter, keine Krankheit, keinen Tod gäbe, wenn diese Plagen auf immer besiegt werden könnten!“ und, indem er zum ersten Mal seine Pläne verrieth, setzte der junge Prinz hinzu: „Lenke um, ich muss darüber nachdenken, wie ich diese Befreiung bewirken kann.“

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wird wiedergeboren, verfällt aufs neue dem Alter, der Krankheit, dem Tode. Wer dagegen (diese Einsicht erschloss sich nun Buddha) die Neigung zum Dasein überhaupt und die zu irgend einer Form desselben (zur Liebe, zum Ehrgeiz) völlig in sich ertödtet; wer jedweden Trieb so zu sagen einzeln hingerichtet hat, ist, wenn er stirbt, ganz todt, ist ewig dieser Welt des Jammers ledig.

Das Bewusstsein, solche Gemüthsbeschaffenheit errungen zu haben, ist zugleich das höchste irdische Gut. „Der Jünger, der Lust und Begier von sich abgethan hat, der Weisheitsreiche, er hat hienieden die Erlösung vom Tode erreicht, die Ruhe, das Nirvâna, die ewige Stätte" (s. Oldenberg, Buddha p. 270).

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Somit ist die christliche Hölle dem Buddhisten die Erde; der christliche Himmel gänzliche Vernichtung, das Nirvâna. ,,Wie die Gluth der indischen Sonne dem müden Leib die Ruhe in kühlem Schatten als das Gut aller Güter erscheinen lässt, so ist auch dem müden Geist Ruhe, ewige Ruhe das Einzige, nach dem er begehrt" (Oldenberg, Buddha p. 225). Mitleid, Aufopferung für Andere, Feindesliebe haben in diesem System nur insofern eine Stelle, als sie das Absterben der so lebendigen egoistischen Triebe bedeuten. „Das eigentliche Moment des Wohlthuns verschwindet völlig hinter dem der asketischen Selbstaufopferung. Der Buddhismus gebietet nicht sowohl, seinen Feind zu lieben, als seinen Feind nicht zu hassen. Sittlichkeit ist nicht handelndes Gestalten der Welt, sondern Sichloslösen von der Welt" (Oldenberg, Buddha p. 51, 298, 308).

Dem entsprechend erlöste auch Buddha selbst in erster Linie sich. Indessen wurde er durch Mitleid bewogen, die Resultate seines Denkens auch Andern zu verkünden.,,Zieht

aus ihr Jünger (so lauten in unsern Quellen die Worte, mit welchen Buddha seine Gläubigen aussendet) und wandert, zum Heil für viel Volks, aus Erbarmen für die Welt" (Oldenberg, Buddha p. 133).

Für den Gegenstand dieses Buches (das ist für die Beantwortung der Frage: woher empfinden wir wohlwollende Handlungen unwillkürlich als löblich, Egoismus, Grausamkeit als tadelnswerth?) ist die christliche Ethik von besonderer Wichtigkeit. In ihr hat ja die Schätzung des Wohlwollens, das Gebot,,liebe deinen Nächsten" eine hervorragende Stelle. Wodurch ist Jesus dazu gekommen, diese Schätzung zu krefren, das Gebot auszusprechen ? Durch Wohlwollen. Gleichwie ein Vater seinen Kindern aus Liebe zu ihnen predigt, dass sie sich unter einander lieben sollen, so predigte Jesus Nächstenliebe aus Nächstenliebe.

Wie Wohlwollen überhaupt möglich ist; wie es sein kann, dass die Leiden Anderer Jemandem Kummer verursachen und ihr Glück Freude, soll erst später untersucht werden (§ 29). Jedenfalls existiren diese Empfindungen und waren in dem Stifter der christlichen Religion besonders mächtig.

Um solche Jesuscharactere dem Verständniss näher zu bringen, erinnere man sich der Momente seines eigenen Lebens, in denen das Elend eines Menschen in so ergreifender, rührender Gestalt sich darstellte, dass man das eigene Wohlbefinden oder den eigenen Besitz wie einen Vorwurf empfand und Neigung fühlte, sein Leben der Minderung des menschlichen Elends zu weihen. Bei Jesu war diese Neigung nicht vorübergehende Stimmung, sondern dauernder Zustand, Charaktereigenschaft.

Seiner glühenden Nächstenliebe widersprach es nun, ge

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