Goldsmiths im Jahre 1764 erschienener »Traveller« hat den Namen und das Grundmotiv geliefert zu Goethes im Jahre 1771, also lange vor der Zeit, da Goethe selber Italien sah, entstandenem »>Wanderer« (Vergl. Scherer, Geschichte der deutschen Literatur S. 488)'. Der Gegensatz von Natur und Kunst durchzieht das eine wie das andere Gedicht. Vergl. im Traveller V. 81 ff.: Nature, a mother kind alike to all Still grants her bliss at labour's earnest call; . Die Schilderung des modernen Italiens schliesst V. 159 ff.: There in the ruin, heedless of the dead, The shelter-seeking peasant builds his shed; And wondering, man could want the larger pile, wonach die Stelle im »Wanderer << : Natur! Du ewig keimende Schaffst Jeden zum Genuss des Lebens, Hast Deine Kinder alle mütterlich Mit Erbtheil ausgestattet, einer Hütte. Unfühlend, welchen Zierrat Auch sonst liebt Goethe es bekanntlich sich unter dem Bilde eines Wanderers zu denken. Man vergleiche sein in dieselbe Zeit fallende >>Wanderers Sturmlied « und namentlich den Separattitel des zweiten Theils von Wilhelm Meister! »Wohl bin ich nur ein Wanderer, ein Waller auf der Erde!« ruft Werther einmal aus (16. Juli, im 2. Theil). In dem Darmstädter Kreise wurde Goethe selber, nach Schafers und von Loepers Vermuthung (»Dichtung und Wahrheit « HI. 316 der Ausgabe des Letztern) nach seinem Gedichte als Wanderer zubenannt. -- Auch im Englischen hätte der Name »wanderer eigentlich näher als >>traveller« gelegen; der Dichter des Letztern hat ihn wohl nur vermieden, um sein Gedicht von dem »>Wanderer « Savages zu unterscheiden. GOETHE-JAHRBUCH VI. 19 Sie verklebt; Und Du flickst zwischen der Vergangenheit Erhabne Trümmer Für Deine Bedürfniss' Eine Hütte, o Mensch, Geniessest über Gräbern! Als »eines Tempels Trümmer« erkennt der Wanderer die Hütte der jungen Frau. Ähnlich wie der Dichter des Faust, fasst der des Traveller sein Verhältniss zur Welt auf. Wenn Faust (V. 2862 nach Düntzers Zählung) zum Erdgeist betet: Du gabst mir, gabst mir alles Warum ich bat Gabst mir die herrliche Natur zum Königreich, so ruft der Traveller seiner Umgebung, den Gefilden, Seen, Städten zu (V. 49, 50): For me your tributary stores combine: Creation's heir, the world, the world is mine! Wenn Faust Mephistopheles (im zweiten Gespräch mit demselben) erklärt: Mein Busen Soll keinen Schmerzen künftig sich verschliessen, Und so mein eigen Selbst zu ihrem Selbst erweitern . . trauert und freut sich ähnlich der Traveller mit der gesammten Menschheit: for a while my proper cares resigned, Here let me sit in sorrow for mankind«. V. 101, 2. Thus to my breast alternate passions rise, Pleased with each good that Heaven to man supplies: Yet oft a sigh prevails, and sorrows fall, To see the hoard of human bliss so small; And oft I wish amidst the scene to find Some spot to real happiness consigned, Where my worn soul, each wandering hope at rest, Auch zu einer Stelle in dem, um das Jahr 1780 entstandenen, gedankenschweren Aufsatze »>Die Natur« liefert der Traveller eine Parallele. Es ist der Passus wo es heisst : >>Sie (nämlich die Natur) gibt Bedürfnisse, weil sie Bewegung liebt. ... Jedes Bedürfniss ist Wohlthat; schnell befriedigt, schnell wieder erwachsend. Gibt sie eins mehr, so ist's ein neuer Quell der Lust.«< was erinnert an den Traveller V. 212 ff., wo es, von den Schweizern, heisst: If few their wants, their pleasures are but few; Womit sich wieder vergleichen lässt Sprüche in Prosa No. 61: »Die Menschheit ist bedingt durch Bedürfnisse. Sind diese nicht befriedigt, so erweist sie sich ungeduldig; sind sie befriedigt, so erscheint sie gleichgiltig'. Der eigentliche Mensch bewegt sich also zwischen beiden Zuständen, und seinen Verstand, den sogenannten Menschenverstand, wird er anwenden, seine Bedürfnisse zu befriedigen; ist es geschehen, so hat er die Aufgabe, die Räume der Gleichgiltigkeit auszufüllen «, was ihm aber keineswegs immer gelinge Hierauf aber scheinen sich die Anregungen, die Goethe dem Traveller verdanken könnte, noch nicht zu beschränken. Die herrliche, von jeher mit Recht bewunderte Schilderung der dem Meere abgewonnenen Niederlande V. 281 ff.: Ähnliche Reflexionen finden sich bei Pascal, beiVoltaire und Helvétius. To men of other minds my fancy flies, Industrious habits in each bosom reign. sollte sie nicht den Anstoss und die Form geliefert haben für Fausts letzte, höchste Thätigkeit, für seinen Plan Das herrische Meer vom Ufer auszuschliessen, Der feuchten Breite Gränzen zu verengen Vers 5615 [9870] ft. Zur bequemern Vergleichung möge die betreffende Stelle aus dem letzten Act (6935 [11190]) in extenso hier folgen: Eröffn' ich Räume vielen Millionen, Nicht sicher zwar, doch thätig frei zu wohnen! Den aufgewälzt kühn-emsige Völkerschaft. Ich weiss sehr wohl, dass man in Friedrich des Grossen Entwässerungsarbeiten im Oderbruch die eigentliche Quelle gesehen hat. Ein solches der Wirklichkeit entnommenes Vorbild würde aber die Einwirkung eines literarischen keineswegs ausschliessen. Im Innern hier ein paradiesisch Land, Da rase draussen Flut bis auf zum Rand, Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, Der täglich sie erobern muss. Und so verbringt, umrungen von Gefahr, Hier Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig Jahr '. Aus Goldsmiths »>Deserted Village«, das Goethe im 12. Buch von Dichtung und Wahrheit bespricht, als verwandt mit der Stimmung, aus der sein Werther hervorgegangen, und wovon er erzählt, dass er es im Wetteifer mit Gotter zu übersetzen unternommen habe, notirt er (an erwähnter Stelle XXII. S. 93 der Hempelschen Ausgabe): >>Fest- und Feiertage auf dem Lande, Kirchweihen und Jahrmärkte, dabei unter der Dorflinde erst die ernste Versammlung der Ältesten, verdrängt von der heftigern Tanzlust der Jüngeren, und wohl gar die Theilnahme gebildeter Stände ... «Es ist, wie man sieht, das Schema der Osterlustbarkeiten auf dem Lande aus dem Faust (»Bauern unter der Linde; Tanz und Gesang; Faust und der alte Bauer«), ja es scheint sogar mit Hinblick auf diese Scenen im Faust aus dunkler Erinnerung entworfen zu sein, denn auf die Schilderungen im Deserted Village, Vers 13–30, passt es nur ungenau2. Beiläufig, zur Illustrirung des reichen Gedankengehalts des >>Traveller«<, möge hier darauf hingewiesen sein, dass dies Culturgedicht auch für Schiller productiv geworden ist: dasselbe dürfte das nächste Vorbild seines »Spaziergangs« sein. Vergl. auch mit Trav. V. 81 ff. den Chor in der >>Braut von Messina«<: Ungleich vertheilt sind des Lebens Güter u. s. w. 2 Der Stossseufzer in dem Briefe vom 14. Sept. 1780 an Frau von Stein: »> thou, sweet Poetry« dürfte eine Anspielung auf eine mit diesen Worten beginnende Stelle im Deserted Village, V. 407 ff. enthalten, welche somit als Commentar zu dem Briefe dienen kann; jedenfalls hat der Gedankengang in beiden viele Beziehungspunkte. |