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II. Als eine wesentliche Verbesserung der älteren Vorbilder, auch meiner eigenen Vorschläge, betrachte ich die Beseitigung der rein formalen Abgrenzungen für Anwendung und Durchführung der Maßregel. Nach vier Richtungen hin tritt dieser Unterschied zu Tage. Erstens: Während das belgische Gesetz vom einunddreißigsten Mai 1888 (das als vorbildlich hier allein in Betracht zu ziehen ich wohl berechtigt bin) die Wohlthat unbedingt ausschließt, wenn es sich um bereits wegen Verbrechens oder Vergehens vorbestrafte Personen handelt, soll der preußische Erlaß vornehmlich, aber nicht ausschließlich, auf erstmals Bestrafte Anwendung finden. Zweitens: Nach belgischem Gesetz ist die Ausseßung unbedingt unmöglich, wenn es sich um Verurtheilung zu mehr als sechs Monaten Gefängniß handelt; der preußische Erlaß hält an dem Höchstmaße von sechs Monaten nur als Regel fest und gestattet andererseits die Aussehung bei jeder Art der Freiheitstrafe (also auch bei Zuchthaus). Drittens: Nach dem belgischen System bestimmt der Richter unabänderlich die Dauer der Bewährungfrist; nach dem preußischen Erlaß liegt die Bemessung in der freien Würdigung des Justizministers, der, an seinen ersten Ausspruch nicht gebunden, auch eine Verlängerung der Frist verfügen kann. Viertens: Der Eintritt des endgiltigen Straferlasses ist nach belgischem Recht bedingt dadurch, daß innerhalb der Be= währungfrist eine neue Verurtheilung wegen Verbrechens oder Vergehens nicht eintritt. Der preußische Erlaß dagegen macht den Eintritt der Begnadigung schlechthin von der guten Führung" des Verurtheilten abhängig, der daher auch ohne neue Verurtheilung der Wohlthat verlustig gehen kann.

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Ich habe gesagt, daß ich diese Veränderungen als Verbesserungen des belgischen Systemes (und seiner Nachbildungen) betrachte. Die Anwendung des bedingten Straferlasses (wie wir statt „bedingter Verurtheilung“ wohl besser sagen) gewinnt dadurch an Spannkraft. Von den Fesseln formaler Einengungen befreit, kann das neue Rechtsinstitut seine segensreiche Wirk samkeit ungehemmt entfalten. Daß ich selbst früher gegentheiliger Ansicht Aber war, vermag mich in meinem anerkennenden Urtheil nicht zu beirren. ich muß dieser Anerkennung sofort eine wichtige Einschränkung hinzufügen. Je freier die Stellung der entscheidenden Behörden bei der Anwendung und Durchführung des bedingten Straferlaffes ist, je weniger jene durch gesetzlichfestgelegte Vorausseßungen gebunden und eingeengt werden: desto wichtiger wird es, den Eintritt oder Nichteintritt des Straferlaffes nicht in die jeder Nachprüfung wie jeder Verantwortlichkeit entrückte Willkür der Justizverwaltung zu legen. Gerade in der Nichtberücksichtigung dieser Forderung liegt aber der grundsätzliche Unterschied des neuen preußischen Systemes von der belgischen bedingten Verurtheilung.

III. Die „Berliner Korrespondenz" hat diesen Unterschied selbst als den wichtigsten an die Spitze gestellt und in den folgenden Worten zusammengefaßt:

„Die Entscheidung über Ausseßung und Erlaß der Strafe ist nicht den Gerichten übertragen, sondern erfolgt im Wege der Allerhöchsten Enade und in allen Fällen auf Grund einer von der Centralstelle vorgenommenen Prüfung.“

Damit folgt der preußische Erlaß dem von der sächsischen Verordnung gegebenen Vorbild. Es ist daher anzunehmen, daß auch bei der Einführung des Institutes in andere deutsche Länder das sächsisch-preußische System Aufnahme finden wird. Um so mehr, als auch die Gegner der bedingten Verurtheilung sich mit dieser Ausgestaltung befreunden zu können erklären. So unter anderen Professor Birkmeyer in München. Er betrachtet die bedingte Verurtheilung im Sinne des belgischen Rechtes als einen richterlichen Gnadenakt". Dieser aber ist unvereinbar mit dem Prinzip der gerechten Vergeltung". Ganz anders urtheilt Birkmeyer (in der Mecklenburgischen Zeitschrift für Rechtspflege und Rechtswissenschaft, Band 14) über die sächsische Verordnung. Er sagt:

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Durch ihren Inhalt aber vermeidet die Verordnung mit großem Geschickt die gegen die bisherigen Vorschläge über die bedingte Verurtheilung geltend zu machenden Bedenken und fügt den Rechtsgedanken der bedingten Berurtheilung in durchaus befriedigender Weise in unser Rechtssystem ein. Der Gnadenäkt bleibt der Krone, der er allein gebührt. Der Aufschub des Strafvollzuges wird der Strafvollstreckung-Behörde unter Respizienz ihrer Oberaufsichtbehörde überwiesen, welche nach dem. Geiste unseres geltenden Rechtes auch in erster Linie dazu berufen ist. Und so wird auch der Richter seinerseits festgehalten bei seiner eigent= lichen Aufgabe, der Rechtsprechung."

Es steckt in diesen Ausführungen ein schwer begreiflicher, folgenschwerer Fehlschluß. Es ist nicht wahr, daß nach dem sächsisch-preußischem System der Gnadenakt der Krone vorbehalten bleibt. Es ist vielmehr der Erste Staatsanwalt bei dem Landgerichte, der über Freiheit und Ehre des Verurtheilten inappellabel entscheidet.

Um Das einzusehen, braucht man sich nur das vorhin von mir ge= schilderte Verfahren näher anzusehen.

Ein bisher nicht vorbestrafter, aber freisinniger Gesinnung verdächtiger Bürger wird wegen Majestätbeleidigung zu zwei Monaten Gefängniß verurtheilt. Der Erste Staatsanwalt hat es völlig in seiner Hand, den vorläufigen Aufschub des Strafantrittes zu bewilligen und die eigentliche Aus-feßung der Strafvollstreckung zu beantragen oder nicht. Beschwerde oder Gnadengesuch haben keine aufschiebende Wirkung. Bis die Entscheidung erfolgt, kann die Strafe längst verbüßt sein. Jedenfalls aber entscheiden die vorgesetzten Behörden, entscheidet auch die Krone selbst, auf Grund des staatsanwaltschaftlichen Berichtes. Dieser ist aber um so weniger angreifbar, als ja Alles dem „freien Ermessen“ der Justizverwaltung überlassen ist.

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Nehmen wir aber an, die Ausseßung der Strafvollstreckung sei be= willigt worden. Ob die endgiltige Begnadigung eintritt oder ob nunmehr mit der Strafvollstreckung Ernst gemacht wird, hängt lediglich von der „guten Führung" des Verurtheilten ab. Ueber die Führung aber berichtet wieder der Erste Staatsanwalt. Ein ungünstiger Bericht, und das Schicksal des Verurtheilten ist besiegelt. Soll ich erst weiter ausmalen, welche Macht dem Staatsanwalt damit in die Hand gegeben ist? Soll ich erst nachweisen, daß der Begriff der guten Führung" der juristischen Fassung völlig spottet? Wie viele von unseren Ersten Staatsanwälten werden den Verurtheilten der Begnadigung empfehlen, wenn er inzwischen seine politische Gesinnung in einer der Regirung unsympathischen Richtung bethätigt hat?

Es ist also nicht wahr, daß der Gnadenakt der Krone verbleibt. Diese Behauptung beruht im günstigsten Falle auf einer argen Selbsttäuschung. In allen Fällen, die nicht an die Krone gebracht werden, liegt die Versagung der Begnadigung in der Hand der Justizverwaltung, genauer gesprochen: in der Hand des Ersten Staatsanwaltes. Aber auch wenn die Krone überhaupt in die Lage versett wird, von ihrem Begnadigungrechte Gebrauch zu machen, ist sie für ihre Entscheidung auf fremdes Urtheil unbedingt angewiesen. Es ist anzunehmen, daß auf Grund des Erlasses jährlich tausende von Gnadenanträgen dem Könige vorgelegt werden dürften. Nimmt man im Ernste an, daß der König über jeden einzelnen Fall sich ein selbständiges Urtheil bilden kann? Auch der Justizminister kann es nicht. Und eben so ist der vortragende Rath wieder auf die Berichte der Ersten Staatsanwälte angewiesen.

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Das sächsisch-preußische System bedeutet also (im Sinne Birkmeyers und der Berliner Korrespondenz"): Uebertragung des Gnadenrechtes an die Ersten Staatsanwälte. Daß eine solche Ausgestaltung" der bedingten Verurtheilung einer starken Regirung in politisch bewegten Zeiten nicht unangenehm ist, begreife ich. Daß ihr auch ahnunglose Theoretiker das Wort reden, wird Der niemals begreifen, dem die Lebensfremdheit unserer deutschen kriminalistischen Wissenschaft nicht aus näherer Anschauung bekannt ist.

„Die bedingte Verurtheilung ist ein Gnadenakt. Die Begnadigung aber ist nicht Sache des Richters, sondern der Krone; daher empfiehlt es sich, sie dem Ersten Staatsanwalt zu übertragen": Das ist die Schlußfolgerung der Gegner, der gemeinsame Grundgedanke der fächsischen Verordnung wie des preußischen Erlasses. Es bedarf wohl keines weiteren Beweises dafür, daß diese Schlußfolgerung verfehlt ist. Eben darum aber liegt mir in diesem Augenblick herzlich wenig an der Prüfung und Entscheidung der Frage, ob die Gegner überhaupt von der richtigen Prämisse ausgegangen sind. Ist es denn wahr, so wäre ich wohl berechtigt, einzuwenden, daß die bedingte Verurtheilung als Gnadenakt betrachtet werden muß? Ist sie nicht vielmehr eine verstärkte

Art der Verwarnung, eine Abart des Verweises, ihre Gewährung oder Versagung mithin ein Akt der Strafzumessung, der eigentlichsten Aufgaben des Richters?

Das geltende Recht kennt den Verweis als ein eigenartiges Strafmittel, das gegen jugendliche Verbrecher in besonderen Fällen vom Strafrichter erkannt werden kann. Keiner von unseren Gegnern dürfte den Muth haben, das Erkenntniß auf Verweis als einen Gnadenakt zu bezeichnen und darum zu fordern, daß die Entscheidung zwischen Verweis und Freiheitstrafe dem Richter entzogen und der Staatsanwaltschaft übertragen werde. Und doch ist der Verurtheilte hier frei, sobald er den Verweis entgegengenommen hat, und die Freiheitstrafe ist ihm endgiltig erlassen. Was der Strafrichter hier endgiltig zu verfügen die Befugniß hat, warum sollte es dort die Grenzen seines Amtes überschreiten? Haben denn wirklich die Gesetzgeber aller übrigen Länder, in denen die bedingte Verurtheilung seit Jahren Aufnahme gefunden hat, das Wesen und die Aufgabe der Strafrechtspflege so gründlich verkannt, daß sie dem Richter gaben, was des Königs ist?

Aber ich lege, wie gesagt, fein Gewicht auf die Beantwortung dieser Frage. Denn was des Königs ist, Das darf dem Ersten Staatsanwalt erst recht nicht überantwortet werden.

Das sächsisch - preußische System birgt eine große politische Gefahr in sich: die heute schon weit verbreitete Ansicht, daß die strafende Gerechtigkeit dem Reichen und dem Armen mit ungleichem Maße mißt, wird neue Nahrung finden. Mag immerhin das kritische Urtheil breiter Volksschichten auch vor dem Richterspruche nicht Halt machen: die Leute wird man erst recht mit der Laterne suchen müssen, die dem Staatsanwalt die letzte Entscheidung über Freiheit und Ehre mit ruhiger Zuversicht anzuvertrauen willens wären.

Das ist mein Hauptbedenken gegen den preußischen Erlaß. Ich hätte es gern noch nach verschiedenen Richtungen hin weiter ausgeführt. An dieser Stelle mag das Gesagte genügen.

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In der Gestalt, die Sachsen und Preußen der bedingten Verurtheilung gegeben haben, kann diese nur ein kümmerliches Dasein fristen. Aber der Grundgedanke ist unverwüstbar. Einmal anerkannt, wird er in jeder Gestalt sich zur Geltung bringen. Das Reichsgesetz, das ich mit Bestimmtheit erwarte, wenn auch nicht heute oder morgen, wird von den bisher gemachten Fehlern lernen. Dann erst wird man in weiteren Kreisen dem preußischen Justizminister den rechten Dank zollen. Er hat den Baan gebrochen, der jeden Fortschritt auf strafrechtlichein Gebiete hemmte. Das ist sein bleibendes Verdienst. Und mir ist es eine Freude, Das öffentlich auszusprechen. Der Wunsch nach dem Besseren soll mir niemals den Dank für das Gute verkümmern.

Halle a. S., Weihnacht 1895.

Professor Franz von Liszt.

Eine Aerzteschule.*)

Aus einem Kolloquium beim Professor Ernst Schweninger.

an hält im Allgemeinen heute nicht viel von den Leistungen der Schule; mit Unrecht. Wenn Raphael ohne Hände geboren worden wäre, dann wäre das Material zum großen Künstler in seinem Torso vorhanden gewesen, die Sache wäre indessen nicht praktisch geworden; und wenn der selbe Raphael zwar mit Händen, aber mit einem anderen Gehirn unter den Locken auf die Welt gekommen wäre, so hätte die geschickte Hand vielleicht technisch Hervor= ragendes geleistet, die Bilder wären aber doch keine Raphaels geworden; und wären ihm endlich Kopf und Hand, wie in Wirklichkeit, eigen gewesen, so würde er doch nicht der ganze, der große Künstler geworden sein, als den wir ihn. lieben, hätte ihm, neben der nöthigen Selbstzucht, die gute Schule gefehlt. Aus der Paarung von Genius und Geschicklichkeit wird die Kunst geboren; der Ort aber, wo die befruchtende Umarmung stattfinden muß, fann nur die Schule sein.

So ists bei jeder Kunst, so muß es auch bei der des Arztes sein. Ein feiner Kopf, eine geschickte Hand, eine tüchtige Schule, - und schließlich hier noch ein Besonderes: ein mitfühlendes, aber doch starkes Herz machen. den berufenen Vertreter ärztlicher Kunst. Wenn unsere Aerzte nur annähernd so beschaffen wären, dann müßte man nicht immer wieder die tragikomisch-jämmerliche Klage hören, daß alle Welt zum Natur-, zum Wasseroder Wunderdoktor, zum Kurpfuscher oder zum Schäfer läuft.

Wie aber sieht es Sie, mein verehrtester Kollege, sind natürlich ausgenommen! in Wirklichkeit oft mit den diplomirten Herren aus? Vom Material wollen wir hier gar nicht sprechen. Wenn Einer den Kopf hat, um eine Dissertation oder ein Werk", aus vierzehn Büchern ein fünfzehntes, zusammenzuschreiben; wenn er eine Hand besißt, die ihn zum schwierigen Geschäft eines Schneeschauflers gerade tauglich erscheinen läßt : dann ist er darum zum Arzt noch lange nicht geboren; von Denen, die da zur Gilde schwören, weil man in dieser Welt doch etwas Repräsentables werden will, ganz zu schweigen. Aber wir müssen das Material so nehmen, wie es eben ist. Dafür sollte dann freilich die Schule um so besser sein.

Wie aber sieht es mit der Schule aus? Wir staunen, was sie schließlich oft selbst aus dem befähigten und strebsamen Mediziner macht: ein Wesen ohne Blut und Kraft, ein wandelndes obendrein oft recht defektes! wissenschaftliches Sammelwerk. Wird so ein junger Heilgott nun auf die Menschheit losgelassen, dann wird er bald sichs mit Grausen bewußt: er

*) S. „Zukunft“ 6, 602.

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