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weiß beinahe Alles, aber er kann leider nichts. Ein Krankenwärter kann oft mehr als er. Die Herren Professoren haben dem jungen Künstler ja viel und schön von allem Möglichen, darunter auch von einem gewissen mythischen Fabelwesen, dem sie den Namen „Krankheit“ geben, doch nie so recht von einem wirklichen, lebendigen Kranken erzählt. Nicht auf den Kranken, auf die Krankheit geht unser Jünger los; und, ganz natürlich: er sieht oft vor lauter Krankheit den Kranken nicht.

Genau wie ers bei den Herren Lehrern im Krankenfaal gesehen hat, tritt er fühl und vornehm ins Krankenzimmer ein, klopft und horcht dann, wenns hoch kommt, so lange an dem Patienten herum, bis, wie in der Klinik auf der Tafel über dem Bette, in seinem Kopf die Diagnose irgend ein schöner lateinischer oder griechischer Name erscheint. Nun hat er es: Krankheit X, Behandlung Schema Y, ein paar möglichst allgemeine sogenannte diätetische Vorschriften: probatum est! Und ohne den Kranken, das Lager, das Zimmer u. s. w., diese oft nur allzu wichtigen Nebenumstände, noch eines Blickes oder weiterer Rücksicht zu würdigen, hebt er sich befriedigt von hinnen. Genau so wirds ja auch in der Klinik gemacht und gelehrt; das Andere, das Kleinzeug, ist Sache der Wärter. Aber da draußen in der Praris giebt es meist keine Wärter, die dieses unangenehme, aber so wichtige Detail übernehmen, und wenn der Patient dann vielleicht in Folge oder trotz der Behandlung wirklich am Leben bliebe, geht er noch häufig genug an der Vernachlässigung dieses Kleinzeuges zu Grund.

Das aber läßt den jungen Aeskulap natürlich kalt; mögen Andere, die Das angeht, sich darum bekümmern, seine Sache ists doch wohl nicht. Ihn interessirt ja überhaupt nicht der Kranke, ihn interesfirt, so wie ers gelernt hat, der „Fall". Daß ein Individum, ein Mensch, der Träger dieses Falles ist, daß es sich nicht um das unglückliche verschwommene Fabelwesen: die Krankheit, sondern um einen ganz bestimmten, in seiner Art einzigen, momentan oder dauernd unter abnormen oder richtiger: ungünstigen Bedingungen funktionirenden Organismus handelt und daß, wenn auch die sogenannten Symptome, die man nach berühmten Mustern gewöhnlich zu behandeln pflegt, dem blöden Blick gewissermaßen ähnlich scheinen, doch die tieferliegenden Ursachen des Prozesses in jedem Falle individuell durchaus verschieden sind, so daß auch die Behandlung natürlich individuelle und spezielle Färbung haben muß -: Das ist es, was dem jungen Arzt nicht in den Sinn kommt oder kommen kann, weil es ihm eben leider nicht beigebracht und anerzogen worden ist.

Wenn dann die Erfolge danach sind und wenn die Welt sich schließ lich dem Pfuscherthum verschreibt, so ist Das doch nicht gar so wunderbar. Die Gilde freilich spielt die liebe Unschuld und pflegt, wie über etwas Unerhörtes, Unbegreifliches, darüber „außer sich“ zu sein.

So sind die Aerzte, wie sie uns gewöhnlich erzogen werden. Lassen wir nun einmal die zünftigen Vorurtheile hübsch bei Seite und sehen uns Sie können dazu Ihre Handschuhe anziehen, meine verehrten Herren Kollegen! auch die sogenannten Kurpfuscher: die nicht approbirten Heilkünstler, auf ihre Eignung zur Sache ruhig und unbefangen etwas näher an.

Diese Nichtdiplomirten: Naturärzte, Kneippianer, Prießnizianer, Schro= thianer, Vegetarianer oder wie sie sonst heißen mögen - von quacksalbernden Bauern, Schäfern u. s. w. brauchen wir nicht besonders zu sprechen — stellen der Wissenschaft, die sie gering schäßen zu dürfen glauben, die sogenannte Erfahrung oder anscheinend aus dieser Erfahrung abstrahirte Lehrmeinungen gegenüber, verwerfen zumeist die Anwendung von Giften und Arzneien, nennen ihre Behandlungweise eine arzneilose, eine natürliche oder eine naturgemäße was heißt übrigens: naturgemäß? soll die Anwendung heroischer Mittel, also auch eines Giftes, nicht in besonderen Fällen auch einmal „naturgemäß" sein können? und haben, wie sie annehmen, die „Natur" besonders gepachtet. In der Behandlung treten sie näher an den Kranken selbst heran, weil Dies ihre Grundsäße, Handgriffe und Praktiken mehr oder weniger so mit sich bringen; doch läßt sichs nicht leugnen, daß Alles, im Durchschnitt, bedenklich an der Oberfläche bleibt. Mit Wissenschaft sind sie natürlich nicht in beängstigender Weise überladen; sie nehmen eine „Kunde" oder „Lehre“ dafür, die nur in der Regel leider sehr einseitig zu sein pflegt. Die Richtung, die Schule, der Meister oder Prophet haben sich eine Regel, eine Art Tabulatur zurechtgemacht, nach der nun, mehr oder weniger kritiklos, alle Kranken herunterbehandelt werden. Im Einzelnen, theoretisch, kommen mitunter recht gute und gesunde Anschauungen vor; im Ganzen, praktisch, ists doch nicht viel mehr als Schema und Schablone; es ist der alte bekannte Stiefel, der für alle Füße passen soll. Vom Individualisiren ist natürlich keine Rede. Diese Nichtdiplomirten also, deren Bestrebungen im Uebrigen nicht zu nahe getreten werden soll, liefern demnach - Ausnahmen bestätigen die Regel unter Umständen recht geschickte, mehr oder weniger in Vorurtheilen befangene Gesellen oder Handlanger: ein wahrer Meister, ein freier Künstler kommt auch dabei nicht heraus.

Das wahre Heil liegt also hüben und drüben nicht. Beim Arzte ists zu viel selbstgenügsame, weltfremde Wissenschaft, beim Nichtdiplomirten zu viel innerlich unfreies, einseitiges Handwerkerthum: Schema, Schablone und Stückwerk auf beiden Seiten. Wir dürfen also weder dem Einen noch dem Anderen folgen; wir müssen uns den Arzt nach neuen, anderen Gesichtspunkten crziehen und müssen deshalb neue Schulen, Aerzteschulen, gründen.

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Von der Schwelle dieser Schulen Das sei sofort betontwollen wir gewiß nicht etwa die Wissenschaft wegweisen; wir verschmähen auch nicht prinzipiell, was die nichtzünftige Medizin uns bringt. Wir wollen Alles prüfen und das Brauchbare behalten. Aber wir Aerzte wollen die Herren. in unserem neuen Hause sein. Die Hausordnung denken wir uns etwa so. Das Haupt und der Leiter der neuen Anstalt ist und muß sein: der (klinische) Arzt. Ideell müßte in seiner Hand allein die ganze Ausbildung der angehenden Aerzte vereinigt sein. Gerade so viel oder gerade so wenig an hilfswissenschaftlichen Kenntnissen (Anatomie, Physiologie, pathologischer Anatomie u. f. w.), wie er, der Meister, selbst besitzt oder bei Ausübung der Kunst, dem jeweiligen Kranken gegenüber, zur Aussprache zu bringen für nothwendig hält, müßte er, ideell gedacht, am Krankenbette unmittelbar den Schülern zum Vortrage bringen. Da dieses Verfahren aber natürlich aus praktischen Gründen nicht durchführbar ist, so müssen ihm Theile der Arbeit von Anderen abgenommen werden. Aber nicht planlos, als wenn da Dinge getrieben würden, die nicht das Geringste mit einander zu thun haben, sondern nach dem durch die Idee der Sache vorgezeichneten Plane muß hier von Allen gearbeitet werden. Das ganze Lehrerkollegium muß in sich har= monisch, muß gewissermaßen nur eine Lehrerpersönlichkeit sein. Nicht eine Anzahl direktionloser, koordinirter Größen, die sich unabhängig von einander bewegen, einander im Wege sind oder geniren oder sogar wechselseitig befehden, wie Dies in unseren Fakultäten so häufig der Fall zu sein pflegt, sondern eine in sich geschlossene, zusammenwirkende Körperschaft von Lehrern oder Gehilfen unter einem sachkundigen Haupte wollen wir haben. Und wenn die Heroen der Wissenschaft zu solchem Gehilfendienste sich nicht hergeben wollen, nun, dann müssen neue, jüngere Kräfte: spezialwissenschaftliche Dozenten und Assistenten, heran. Mögen dann die Leuchten der „Wissenschaft an sich“ auf den Lehrstühlen draußen auch fürder vornehm ihres Amtes walten und neue Pfade der Erkenntniß aufsuchen, die auch für uns vielleicht nüßlich und wohl verwerthbar sind: zwischen ihnen und uns soll, vermittelnd und eine neue, wirklich ärztliche Wissenschaft mit begründend, ein junges, frisches Geschlecht von Lehrern heranwachsen, die, in erster und lehter Linic auf dem Standpunkt des Arztes stehend und der gemeinsamen Mutter niemals_ver= geffend, willig von jenen eisigen Höhen sublimster Erkenntniß, auf denen kein warmes Leben mehr blüht, etwas herabsteigen, wenn ihr Lehren und

Wirken für das wirkliche Leben dadurch nur um so bedeutsamer wird.

Die Basis der ganzen Schule, der Ausgangspunkt, zu dem die nach den übrigen Hörsälen auseinanderlaufenden Fäden, zusammengefaßt, immer wieder zurückkehren müssen, ist: der Krankensaal. Dahin muß unser Schüler zuerst. Nicht darf ihm, wie bisher, der Kranke durch Jahre seines Studiums

ein Wesen bleiben, das er gewissermaßen nur vom Hörensagen kennt. Vom ersten Augenblicke an muß er Kranke sehen und Kranke pflegen lernen, er= fahren, was Kranken wohl und was ihnen wehe thut und wie man mit Kranken umzugehen hat. So wird er nicht nöthig haben, einen Theil seiner Studienzeit, wie bisher, fast zwecklos zu verbringen. So wird er nicht erst in dem Augenblick zum eigentlichen Gegenstande seiner Ausbildung durch= dringen, wo ihm in Folge langwieriger, oft unzweckmäßiger Vorstudien die Lust und Freude an der Sache fast verleidet ist. So wird ihm sofort auch die entscheidende Thatsache klar werden: daß nicht die Wissenschaft an sich, nicht Doktrinen und Begriffe, nicht jene für die Praxis so sehr gefährlichen - Vereinfachungen und Verallgemeinerungen (wie Krankheit, Krankengruppen u. f. w.), sondern daß zahllose, ganz spezielle, in sich verschiedene Lebewesen, die kranken Einzelnindividuen, Zweck, Alpha und Omega ärztlichen Strebens sind.

Der hilfswissenschaftliche Hörsaal, ein unentbehrliches Mittel zum Zweck, doch niemals Selbstzweck, fommt demnach erst in zweiter Linie. Dort ist an die Besprechungen des Klinikers im Krankensaale anzuknüpfen und stets direkt Bezug zu nehmen auf die vorgestellten Kranken. Aufgabe ist, dem Schüler Einblick in das großartige Laboratorium zu gewähren, das die Natur dem Menschen zu Lebens- und Heilzwecken im Organismus mit= gegeben hat. Es gilt, dem angehenden Arzte diejenigen hilfswissenschaftlichen Kenntnisse beizubringen, die ihm den Blick weiten, ihn über die Materie stellen, ihn frei machen helfen von Schema und Schablone und die ihm später beim selbstthätigen Individualisiren unentbehrlich sind.

Mehr an Wissenschaft, als dazu nöthig ist, wird nicht gereicht. Nicht eine unendliche, verwirrende Anhäufung von Namen und Details, nicht eine Summe hochwissenschaftlicher Probleme, die in den Büchern und Laboratorien ihr dem Leben draußen oft nicht ganz ungefährliches Dasein fristen und die den jungen Mann, zunächst wenigstens, gar nicht angehen; nicht Aufzählungen wefenloser Definitionen und Abstraktionen; nicht lange trockene Beschreibungen oft ziemlich schief aufgefaßter Prozesse Krankheitsymptome, Krankheiten u. s. w. —, die irgendwo einmal vorgekommen sein sollen und angeblich auch wieder vorkommen können und die man also, wenns gut geht, vielleicht wirklich einmal zu sehen bekommen wird, mit einem Worte: nicht toter Ballast, Formenkram und Wissenswust, der keine Theilnahme erweckt und keine verwandte Saite erklingen läßt, der dem Hörer zunächst den Angstschweiß auf die Stirn treibt und über den dann das Leben oft schon or dem Examen! und das überlastete Gedächtniß unfehlbar zur Tagesordnung übergeht, nein: lebensvolle, an Bekanntes anknüpfende und darum dem Verständniß naheliegende, allmählich mehr und mehr ergänzte und in sich abgerundete Bilder sollen in den Hörsälen unserer Schule, leichtfaßlich,

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an dem jungen Mediziner vorüberziehen. Theilnahme, Interesse und Erfolg werden dann auch vorhanden sein.

Oder wäre nicht anzunehmen, daß der Studirende Aufschlüssen über die Physiologie der Ernährung mit dem Eifer erwachten Interesses folgen wird, wenn er soeben vom klinischen Vortrage über einen Kranken kommt, deffen Leiden auf gestörten Ernährungvorgängen beruht? Wäre nicht anzunehmen, daß er begierig sein wird, über den anatomischen Bau eines Gliedes Näheres zu hören, das, verletzt oder zerschmettert, vor seinen Augen soeben vom klinischen Lehrer behandelt worden ist? Es hieße wahrlich, die angehenden Aerzte beleidigen, wollte man darüber im Zweifel sein. Wir haben es zum Glück durchschnittlich mit strebsamen jungen Männern zu thun; man muß ihnen die Arbeit nur nicht gewaltsam unleidlich und den Erfolg nicht absichtlich zu schwer machen. Nicht von Dingen muß man ihnen Jahre lang reden, die sie überhaupt nicht oder später vielleicht! einmal, sondern von solchen, die sie wirklich und auch sofort gebrauchen können. Bei ihrer Rückkehr aus dem Hörsaal an das Krankenbett werden sie dann immer Etwas nie zu viel auf einmal! mit zurückbringen, das ihnen gleich auf der Stelle von Nußen ist; sie werden dem Vortrage des Klinikers, den Vorgängen im Krankensaale mit zunehmendem Verständniß folgen können und werden fühlen, wie es allmählich Licht vor ihren Augen. wird. Nicht aus ödem Pflichtgefühl oder aus Furcht vor dem Examen werden sie sich mißmuthig in die Schule schleppen, sondern mit der Freudigkeit erfolgreicher Arbeit bei der Sache sein. Schließlich werden sie, gewisser= maßen spielend, nicht nur die am Anfang der Studienzeit besonders betonte niedere Krankenpflege, sondern auch die höhere Heilkunde beherrschen lernen; Theorie und Praxis werden sich vereinen und aus der gleichmäßigen Ausbildung von Kopf und Hand, aus der Verbindung von Befähigung, Gc= schicklichkeit und tüchtiger Schule wird die echte, individualisirende ärztliche Kunst, so wie wir sie uns denken, hervorgehen.

Vorläufig sollen hier nur die allgemeinen Grundzüge des Lehrplanes mitgetheilt werden. Im Ganzen soll die Eintheilung der Arbeit, nach Gegenständen und Inhalt, vom Einfachen zum Komplizirten, vom Nöthigen zum Wünschenswerthen, von der Grundlinie zum Ornament in Semester- bezw. Jahresstufen aufsteigen. Es kann sich hier natürlich nur um Entwürfe handeln, deren definitive Ausgestaltung, Aenderung und Besserung der praktischen Erfahrung vorbehalten bleiben muß.

Es braucht wohl kaum noch einmal besonders betont zu werden, daß unsere neue Aerzteschule ganz und gar nicht eine Kriegserklärung an die Wissenschaft sein soll. Im Gegentheil. Wir schäßen und ehren die Wissenschaft hoch. Aber wir wollen sie von ihrer schwindelnden Höhe ins frische

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