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Was bleibt also übrig? Eins: selbst an die Stelle des Kindes treten, das wäre nicht unvernünftig".

Was Tolstoi zu dieser Ethik geleitet hat, ist, wie hier deutlich hervorschimmert, die Philosophie des reinen Mittels. Die Gewalt erscheint ihm als ein unreines Mittel, da sie nur das Symptom des Bösen, nicht das Böse selbst bekämpft, ja das Übel noch vergrössert. Derselbe Grundgedanke, der uns bei Betrachtung der Physiatrie (Naturheilmethode) entgegentrat! Indessen, wenn auch der leitende Grundgedanke richtig ist, so kann doch das Ergebnis der Erwägungen falsch sein. Richtig ist nun allerdings die Erwägung, dass sich durch Anwendung von Gewalt die Gesinnung der Mutter nicht bessere. Aber kann ich nicht das eine thun, ohne das andere zu lassen, kann ich nicht das Kind retten und hinterher die Gesinnung der Mutter bessern? Ferner ist es allerdings richtig, dass die Gewaltanwendung zur Verfeindung der Mutter mit mir führen kann. Doch erstens ist es fraglich, ob diese Verfeindung nicht doch dem Tode des Kindes vorzuziehen ist. Zweitens ist es auch möglich, dass die Mutter sich nicht dauernd mit mir verfeindet, späterhin mir höchst dankbar dafür ist, dass ich den Mord verhütet habe. Was endlich die Meinung betrifft ,,Selbst an Stelle des Kindes treten, das wäre nicht unvernünftig", so gebe ich allerdings die Möglichkeit zu, dass solche Opferfreudigkeit gepaart mit absoluter Friedfertigkeit die Rabenmutter derart erschüttert, dass sie ihre Gesinnung zum Guten wendet. Doch das ist nur eine Möglichkeit. Es ist auch möglich, dass solches Verhalten die Muttter ungebessert lässt. Wenig Eindruck würde es wahrscheinlich in folgendem Falle machen, den Tolstoi anführt:,,Wenn Zulukaffern kommen, um meine Kinder zu braten, so ist das einzige, was ich thun kann, dem Zulukaffer verständlich zu machen, dass sein Thun unsinnig ist, aber gegen den Zulukaffer zu kämpfen, wäre unsinnig. Denn entweder bezwingt er mich und tötet noch mehr meiner Kinder, oder ich bezwinge ihn, meine Kinder aber können morgen krank werden und unter noch schlimmeren Qualen sterben. Einen anderen Ausgang giebt es hier nicht, denn wenn ich

mich füge, thue ich gewiss etwas besseres, wenn ich mich aber widersetze, so muss ich zweifeln, ob das besser ist". Übrigens dachte ich besonders an diesen Fall, als ich sagte, Tolstoi opfere lebendige Menschen einem Götzen, dem Abstraktum ,,Menschheit", dem „,Selbstzweck" Sittlichkeit.

Zur Rechtfertigung seiner absoluten Gewaltlosigkeit führt Tolstoi wiederholt an, man könne doch nicht Feuer mit Feuer löschen, nicht Wasser mit Wasser trocknen, Böses mit Bösem vernichten. Doch lässt er zunächst ausser Auge, dass das Böse, mit dem man das Böse bekämpft, ein geringeres Übel sein kann, und dass dann zweifellos etwas Gutes herausspringt. Sodann betrachtet er jegliche Gewaltanwendung als etwas Böses, setzt also schon voraus, was er eigentlich beweisen sollte. Nun aber giebt es sehr verschiedene Arten der Gewaltanwendung, z. B. Unterjochung, Bestrafung, aggressive Verteidigung, blosse Beschirmung, und auf den ersten Blick sieht man, dass durchaus nicht alles, was etwa von der Unterjochung, vom Angriff gilt, auch von der Beschirmung, von der Abwehr ausgesagt werden kann. Wir haben es hier mit heterogenen Handlungen zu thun, die nur in einer Eigenschaft übereinstimmen, insofern sie nämlich physische Kraft auf Menschenkörper anwenden. Die seelischen Wirkungen aber, welche diese physische Kraft hervorruft, sind ziemlich mannigfaltig und können nicht ohne spezielle Prüfungen, schematisch als ,,böse" bezeichnet werden.

In gewisser Hinsicht erscheint mir Tolstois Lehre von der Gewaltlosigkeit in der That wertvoll. Es ist richtig, dass man mit physischen Mitteln nicht das psychische Übel trifft. Es ist richtig, dass Gewalt häufig Gegengewalt und Streit ohne Ende erzeugt. Es ist richtig, dass feindselige Menschen zuweilen durch Friedfertigkeit entwaffnet*) und gebessert werden.

*) In seinem Buche,,William Lloyd Garrison" (Berlin 1890 bei Asher) berichtet Georg von Gizycki über eine der stürmischen Versammlungen der Antisklaverei-Bewegung in Nordamerika. ,,Als Garrison ein Wort über Taylor, den damaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten, sagte, stürzte Rynders mit Geheul zu ihm auf die Plattform, und jenem folgten seine

Tolstoi richtet also das Augenmerk auf eine Art, Menschen zu behandeln, welche bisher zu wenig Würdigung und Anwendung gefunden hat, und die zweifellos einen Fortschritt von der Brutalität und Menschenverfeindung zur Vernunft, Eintracht und Freiheit bildet.

In anderer Hinsicht indessen entfernt sich Tolstois Lehre von Vernünftigkeit und Freiheitlichkeit, insofern sie nämlich den Charakter des Dogmas hat. Die absolute Gewaltanwendung ist durchaus nicht begründet worden und lässt sich nicht begründen. Wie sollte es denn möglich sein, dass Tolstoi oder ein anderer Mensch sämtliche Fälle von Gewaltanwendung übersieht? Seine Erfahrungen sind doch allzu beschränkt, als dass er aus ihnen einen allgemeingültigen moralischen Satz abstrahieren dürfte! Selbst wenn die ganze denkende Welt seit langer Zeit einen trefflichen Austausch ihrer Lebenserfahrungen hätte bewerkstelligen können, würde die Propaganda für absolute Gewaltlosigkeit nur einer voreilig verallgemeinerten Induktion entspringen, angesichts der zahllosen Modifikationen der Gewaltanwendung.

Nicht nur einen formalen Mangel, eine dogmatische Übertreibung, erblickt die Philosophie der Befreiung in dem Grundsatze der absoluten Gewaltlosigkeit, sondern einen geradezu giftigen Ideengehalt, eine Gefahr für die Freiheit. Die Ethik der widerstandslosen Duldung beruht auf einer Verkennung der menschlichen Natur, auf einer falschen Psychologie der Knechtschaft. Jesus und Tolstoi meinen, die Unterdrückung des Menschen durch den Menschen rühre daher, dass es zu

lärmenden Genossen. Die abolitionistischen Führer, welche dort beisammen sassen, bewahrten eine unerschütterliche Ruhe und machten es der Rotte dadurch unmöglich, physische Gewalt gegen sie anzuwenden...,Glücklicherweise', so bemerkte Garrison selbst über den Fall im Liberator', ,sind die Mitglieder der amerikanischen Antis klaverei-Gesellschaft von dem Geiste sowohl des Friedens als der Freiheit tief durchdrungen und glauben an die Überwindung des Bösen durch das Gute; denn den Beschimpfungen und Gewaltthätigkeiten des Pöbels preisgegeben, wie jene waren, hätten die beklagenswertesten Folgen eintreten können, wenn sie in ihrer Selbstverteidigung zur Gewalt ihre Zuflucht genommen hätten.“

viel Eigennützigkeit, zu wenig Uneigennützigkeit gebe. Sie wollen daher die Eigennützigen zur Uneigennützigkeit, die Herren zur Herrschaftslosigkeit bekehren. Und sie glauben, zu diesem Zwecke führe die Taktik des ,,Widerstrebe nicht dem Uebel", führe ein von den Unterdrückten ausgehender Geist der Friedfertigkeit und Liebe. Dagegen mache ich geltend: In weit höherem Grade, als die Herren die Knechte machen, machen die Knechte die Herren, d. h. die Knechtseligkeit, der Mangel der Eigennützigkeit auf Seiten der Volksmasse, verhilft den Herren erst auf das hohe Pferd der Herrschaft und bildet die Grundlage aller Ausbeutung. Folglich kommt es weniger darauf an, dass die Herren zur Uneigennützigkeit bekehrt werden und sich ent-herren, als darauf, dass die Knechte zur Eigennützigkeit sich bekehren und ent-knechten. Widerstandslos dulden, wenn man niedergetreten wird, heisst den Ausbeutern einen Freibrief ausstellen. Lasst euch nicht knechten mahnt die Philosophie der Befreiung empört euch aus eurer Niedrigkeit und verschmähet nicht die Gewalt da, wo sie ein reines Mittel ist, wo sie nämlich die Freiheit zum Zwecke hat und wo es darauf ankommt, physische Widerstände zu brechen.

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9. Die religiöse Autorität.

Sie

,,Da die Religion teils Kindheitsphase der Menschheit, teils Geistestrübung ist, so liegt in ihr sowohl ein Mangel an Entwicklung, als auch eine Störung des gesunden Gemüts- und klaren Verstandeslebens. ist der Wiegenwahn der Menschheit; aber die letztere schaukelt sich noch immer, betäubt sich das Hirn zu wüsten Träumen und verdirbt sich das Herz durch schlechte, natur- und kulturwidrige Gefühle."

Eugen Dühring.

„Die Religion ist dem Menschen so nötig wie Brot und schädlich wie Gift." Dies französische Bonmot ist mehr als eine Witzelei, ist der Embryo einer echten Wahrheit. Ja wohl eine beschauliche Erhebung des Menschen über die Kleinlichkeit seiner gegenwärtigen Lage, über die Enge seines persönlichen Daseins, über die Beschränktheit des alltäglichen Treibens, eine Erhebung zum Grossen, zum Allgemeinen, in dem wir leben, weben und sind, zum ExcelsiorStreben, ist etwas Befreiendes, Erleuchtendes, ist eine echte Leistung der Vernunft, ist das Brot eines höheren Lebens. Und die kraftvollsten Individuen aller Zeiten haben solche Erhebung gesucht und geschätzt; Buddha, Zarathustra, Laotse, Pythagoras, Sokrates, Jesus hielten das stumpfe Vegetieren im dumpfen, dunkeln Thale, im elenden Menschendorfe nicht aus; zu den freien Berggipfeln mit ihren grossen Fernsichten trieb sie der Sinn; so klommen sie hinan zum Lichte und füllten ihre weiten Seelen mit himmlischem Feuer. Aber jene dort

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