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besteht, dass er weniger Steuern zahlt und einen Brocken politischen Rechtes mehr besitzt; ich meine auch nicht den Angehörigen des sozialdemokratischen Schlaraffenlandes, den knechtenden Knecht eines allgegenwärtigen Staates; ferner, ferner liegt mein Ziel, herrlicher, herrlicher ist's.

Wer mir die grosse Ferne meines Zieles zum Vorwurfe macht, der lasse sich dies Buch gesagt sein, der möge daraus erkennen, dass die Ferne, die Höhe eines Zieles nicht ein Fehler, sondern ein Vorzug ist, dass hingegen das Streben der hochmütigen „Praktiker" nach einem nahen, niedrigen Ziele ihr Wesen und Treiben leicht korrumpiert. Denn leicht benimmt das Nahe uns die Fernsicht und die Richtung auf das, was mehr not thut, als augenblickliche Vorteile. Und der Charakter des Zieles durchdringt die Mittel: ein kleinliches Ziel macht die Mittel kleinlich, ein erhabenes Ziel die Mittel erhaben. Die Fortentwickelung des Menschengeschlechts bedarf reiner Mittel; kleinliche, unreine Mittel hemmen sie.

Mein Ziel ist der freie Vernunftmensch.

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Indem ich diese Worte wähle, spüre ich, wie ein Dämon der Knechtschaft, die Scham, mich zu beschleichen und durch folgenden Einwand niederzuschlagen sucht: „Welch abgegriffene Phrasen! Freiheit, Vernunft! Wenn das deine Weisheit ist, so lass dich auslachen."

Dieser Einwand ist nicht unwirksam. Allerdings sind Freiheit und Vernunft für viele Menschen eindruckslose Redensarten. Unverstand und Schlechtigkeit haben sie dazu gemacht, indem sie sich allzu häufig als Freunde und Prediger der Freiheit und Vernunft aufspielten und deren Namen so oft missbrauchten, dass nun manch redlicher Denker diese guten Begriffe in einer Weise ansieht, als wären es Prostituierte.

Indessen fühle ich mich nicht durch den Vorwurf der Phrasenhaftigkeit getroffen. Denn wie ich sie verstehe, sind Freiheit und Vernunft Zwecke, die aus meinen individuellen Erfahrungen heraus geboren wurden, Begriffe, die ich innerlich erlebte und durchlebe, Ziele, denen ich nicht durch Konvenienz angetraut, sondern in freier Liebe zugethan bin. Ich habe

sogar Grund zu der Erwartung, dass mein „,freier Vernunftmensch", sobald er einigermassen deutlich hervortritt, von vielen Leuten eher als ein gefährliches Individuum, als Antichrist und Erzfeind ihrer heiligsten Ideale, denn als harmlose glatte Phrase, betrachtet werden wird.

Um nun meinen Begriff des „freien Vernunftmenschen" zu erklären, versuche ich zunächst eine genetische Definition, allerdings mit dem Bewusstsein, dass ich nicht die feinen Wurzelfasern, welche hauptsächlich Nahrung einsaugen, blosslegen kann, sondern nur einige grobe Wurzeläste.

Wann warf ich zum erstenmale einen Blick nach meinem Ziele? Ich glaube im neunten Lebensjahre. Das stille, doch in der Hingabe an seine Neigungen auch „,wilde“ und „unartige" Kind erhielt hin und wieder eine Freiheits-, Hungeroder leichte Prügelstrafe. Ich wusste, dass solche Strafen mich bessern sollten; doch in den meisten Fällen hielt ich sie für unverdient, indem ich die Unart nur als Freiheit betrachtete, bei deren Verfolgung mir irgend eine von den dummen Sitten und Einrichtungen in die Quere gekommen wäre; statt der Reue empfand ich gewöhnlich Trotz; jedenfalls fühlte ich mich durch die Strafe nicht gebessert, sondern gewissermassen beschmutzt und insofern verroht, als ich einer weiteren Beschmutzung meines Innern mit Cynismus entgegensah. Einst hatte man mich eingesperrt nebst einer Bibel. Anfangs spürte ich grosse Lust, irgend einen Gegenstand meines Gefängnisses zu demolieren; schliesslich aber schlug ich zu notdürftiger Unterhaltung die Bibel auf. Und ich las Jesu Bergpredigt: „Selig sind... Des Eindruckes, den diese Worte auf mich machten, erinnere ich mich so deutlich, als hätte ich die Situation heute im Frühschlaf geträumt. Ich empfand Frieden und Genugthuung; ich sah mit Entzücken das blumenhafte Weiss der Unschuld; hässlich gleich einer schmutzigen Strasse erschien mir dagegen jene Welt, da draussen, die mich vergewaltigte. Als ich die verschiedenen Seligpreisungen las, überlegte ich, ob nicht eine auf mich passe. „Selig sind die Friedfertigen!" Das passte wohl; denn obwohl in widersetzlicher Stimmung

war ich im Grunde friedfertig. Gern wollte ich jedes Wesen in Frieden lassen. Die anderen waren Friedenstörer. Was hatten sie an mir beständig herumzunörgeln und herumzustrafen? Wollten sie mich ändern, warum bekehrten sie mich nicht einfach, anstatt Gewalt anzuwenden? So ahnte ich damals eine freie, vernünftige Menschengemeinschaft und empfand die Kluft zwischen diesem Ziel und der gegenwärtigen Welt, wo so viel Knechtschaft, leiblicher und geistiger Zwang, waltet.

Als Zwang lernte ich auch die Schule betrachten. Aus der Langweiligkeit und Ängstlichkeit des Schulzimmers, wo wir Knaben in Reih' und Glied, mit steifem Rücken und gefalteten Händen, mäuschenstill sitzen und gewaltsam aufpassen mussten, flüchtete sich mein Sinn oft hinaus zum knospenden Baume in eine sonnige Freiheitswelt, bis mich plötzlich die Donnerstimme der Autorität oder gar etwas Härteres traf. Meine eigene Welt, das freie Wachsen meines Innern beschäftigte mich eben weit mehr als „Us quartae lasse männlich sein".

Selbst Lehrstoffe, die für mein Interesse geeignet waren, wie Geschichte und Dichtung, konnten mir dadurch verleidet werden, dass an die Stelle der freien Neigung gewaltsam die Triebfeder der Knechtschaft gesetzt wurde. Dies Zwangsschulwesen brachte es denn auch fertig, dass ich, obwohl nicht der schlechteste" Schüler, in einer Unzahl von Stunden jämmerlich wenig Kenntnisse in mich aufnahm und natürlich noch viel weniger mir zum echten Eigentum machte, wie wohl die Mehrheit der Zöglinge. Hatte ich hingegen für einen Gegenstand freies, selbstentwickeltes Interesse, so lernte ich spielend leicht und wurde sogar auf gewissen Gebieten produktiv. So ersann ich mechanische Spielereien und Taschenspieler-Effekte. Mit dreizehn Jahren verfiel ich aufs Versemachen und dichtete mit wachsendem Ernste und solcher Leidenschaft, dass meine Entwürfe bei den häuslichen Pflichtarbeiten und selbst im Unterricht mich beschäftigten und veranlassten, in den Schulbüchern heimliche Zettel zur Auf

nahme der Verse zu führen. Sogar den Schlaf versäumte ich oft im glühenden Eifer, meine Stimmungen und Phantasien zu gestalten. Als ich sechzehn Jahr alt war, kam mir ein philosophisches Werk in die Hand, und nun trieb ich auch Philosophie, las Schopenhauer, Feuchtersleben, Spinoza, Radenhausen, Büchner u. a. Mein geringes Taschengeld legte ich in poetischen Werken und sonstigen mir interessanten Büchern an, und ein Ereignis war für mich jede Neuerwerbung eines Dichters. Mit solcher Energie las ich seine Werke, dass ich unabsichtlich eine Fülle davon behielt, die gelegentlich Erstaunen weckte. Ich erzähle dies nicht etwa als persönliche Curiosa, sondern um zu zeigen was die Freiheit zu leisten vermag den Stümperwerken des Zwanges gegenüber! Fast möchte ich sagen: Nicht durch die Schule, sondern trotz der Schule habe ich mich entwickelt; Aufgaben drückten mich nieder, Aufnahmen liessen mich wachsen.

Der Widerspruch, zu welchem mich solchergestalt die Form des Schulunterrichtes reizte, wurde noch stürmischer, als auch der Inhalt mir teilweise unvernünftig erschien. Hauptsächlich opponierte ich den Lehren der Religion und der sogenannten philosophischen Propädeutik. Auf religiösem Gebiete durfte ich meine Bedenken dem Lehrer äussern, auf philosophischem nicht; und abermals bemerke ich, dass die Freiheit (in diesem Falle die freie Meinungsäusserung) mich ausserordentlich förderte. Ich reagierte auf die Theologie rationalistisch und demgemäss völlig abweisend. Mein Lehrer, der als guter Pädagoge mit uns Schülern freundschaftlich verkehrte, hörte meine Vernunftgründe an, ohne sich treffen zu lassen, indem er nämlich behauptete, der Glaube sei keine Vernunftsache. Diese Art des Widerstandes regte mich ausserordentlich auf, da ich sie nicht rubrizieren konnte; jetzt ist sie mir nicht mehr ungewöhnlich, diese brutale Dickfelligkeit (sachlich, nicht persönlich bezogen) der Autorität, diese grundsätzliche Unvernunft, die aus der Not eine Tugend macht,,,credo quia absurdum!" Die Sicherheit meines Widerparts machte mich schliesslich an meiner Vernunft irre;

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excentrisch wie ich war, schwankte ich von der Gottesläugnerei zum leidenschaftlichen Gebet: Herr, hilf meinem Unglauben!" Fürwahr, es ist schwer, ohne Bundesgenossen die Autorität zu besiegen! Ich fand aber Bundesgenossen; besonders im Hinblick auf die vielen Heiden und Ketzer, denen die Weltgeschichte das Zeugnis der Vernünftigkeit, Freiheitsliebe, Überzeugungstreue und Tapferkeit nicht vorenthalten kann, erstarkte meine vernünftige Individualität und siegte über den Anflug von Glaubensduselei.

Doch die Wirkungen pflegen langsamer als die Ursachen zu schwinden. Der tiefe Ernst, mit dem ich der Theologie begegnet war, hatte in Verbindung mit gewissen „Talenten“ bei meiner Umgebung die Überzeugung hervorgerufen, ich sei zum Prediger prädestiniert. Und in der That bezog ich als Theologe die Universität, teils weil es mir ziemlich gleichgültig war, unter welcher Flagge ich in den Hafen der akademischen Freiheit segelte, teils weil es mich reizte, auch an der Professorenweisheit meine Vernunft zu messen. Die Notwendigkeit eines Brotstudiums konnte mir vorläufig nicht imponieren; der Freiheit Atmosphäre lockte mich und versprach mir die ersehnte Förderung meiner Eigenart, während der gewaltsame Drill des Hirns, zumal im Dienste des Magens und der ordinären Behäbigkeit, mir widerstrebte und geradezu als Prostitution erschien. Kommilitonen schalten mich einen unbesonnenen Schwärmer, ein grosses Kind, und empfahlen mir, das Brotstudium wenigstens als Mittel zum Zweck zu kultivieren; wenn ich erst wohlbestallt sei, möge ich meine Neigungen wieder aufleben lassen. Ich aber vermutete, dass man durch „,zeitweilige Anwendung unreiner Mittel sich dauernd verunreinige, und studierte, diskutierte und trieb, was ich wollte, nicht was ich sollte. Schliesslich freilich brachten mich Vorstellungen meiner Familie zur Vernunft", oder wohl richtiger zur Unvernunft, nämlich zur Unterwerfung unter die Autorität. Ich erklärte mich bereit, nunmehr auf einen Brotberuf hinzuarbeiten, bestand aber, um wenigstens einen Kompromiss mit der Freiheit zu erlangen, auf der Bedingung, dass ich nicht ein

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