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Vernunftmenschen. Und konsequent ist es, wenn moderne. Militärstaatsmänner es lieber sehen, dass Soldaten überhaupt nicht lesen können, als dass sie oppositionelle Blätter lesen.

Bedeutender noch als die Verkrüppelung der freien Vernunftmenschen durch den Drill, dürfte das Übel sein, welches der Krieg in dieser Beziehung hervorbringt. „Der Krieg macht mehr schlechte Menschen, als er hinwegrafft", sagt schon Antisthenes.*) Aber freilich, Staatsschwärmer halten das für Unsinn, behaupten vielmehr, der Krieg entwickele die edelsten Eigenschaften der menschlichen Natur. Welche Eigenschaften mögen sie eigentlich meinen? Etwa Mitleid, Barmherzigkeit? Leid ruft allerdings auch Mitleid hervor, und zwar oft nach Massgabe seines Umfanges. Doch wäre es nicht besser, gäbe es gar keine Veranlassung zu Mitleid? Nicht Mitleid liegt im Interesse des freien Vernunftmenschen, sondern Mitfreude. Und so betrachtet er das Christentum mit seiner Verherrlichung des Leidens und Mitleidens in dieser Hinsicht als eine Religion der Knechtschaft. Wer das noch nicht anerkennt, möge doch bedenken, dass die christliche

*) Wer im Kriege seinen tierischen Instinkten freien Lauf lassen, z. B. morden musste, wird auch im Frieden zur Brutalität neigen, vielleicht gar sein brutales Benehmen durch Berufung auf den Lorbeer des Krieges rechtfertigen. Hier eine Illustration: Aus Bordeaux schrieb man 1892 der ,,Frankfurter Zeitung": Am Dienstag wurde hier der ehemalige Soldat Aurusse guillotiniert, weil er das Schäferpaar Barbe und deren Onkel Bregut . . . aus Rache ermordet hatte. Zum Tode verurteilt, war er gleichwohl lustig und guter Dinge, weil er überzeugt war, dass ihm, „einem dekorierten Soldaten, der in Tonkin einem Offizier mit grosser Bravour das Leben rettete", nichts geschehen könne. Aber Monsieur Deibler, der Pariser Scharfrichter, holte ihn doch . . . Er liess alles ruhig mit sich geschehen, trank ein Gläschen Rum, das der Aufseher ihm darbot, schüttelte nur hier und da den Kopf und stieg festen Schrittes in den Wagen, der ihn zum Richtplatz führte. Erst da, als er die Menschenmenge sah und ihm die Hände auf den Rücken gebunden wurden, löste sich's wie ein Schrei aus seiner Brust: ,,Was?" rief er, „in Tonkin habe ich gegen vierzig Menschen getötet und bin dafür dekoriert worden, und wegen der drei Kerle soll ich geköpft wer . . ." Das Messer fiel und schnitt ihm mit dem Kopfe das Wort ab.

Lehre Armut und Elend nicht nur selig preist, sondern fast zu allen Zeiten als eine Institution bezeichnet hat, die notwendig sei, damit die Barmherzigkeit stets Gelegenheit habe, sich zu bethätigen. Über diese Auffassung lächeln wir. Nun, ihr Kriegsschwärmer, dann ist auch euer Argument gerichtet.

Indessen noch an andere Tugenden denkt ihr, an Energie, Mut, Tapferkeit, Treue. Ich gebe zu, dass diese Eigenschaften durch den Krieg zur Bethätigung gebracht werden; doch mussten sie nicht bereits vorhanden sein, um sich bethätigen zu können? Beruft ihr euch aber darauf, dass sie durch die Gelegenheit zur Bethätigung gesteigert werden und als Vorbilder ihren Samen in die Gegenwart und Folgezeit streuen, so werfe ich die Frage auf, ob diese Wirkung nicht mindestens neutralisiert wird durch die Brutalität, den Dünkel, die Rücksichtslosigkeit, Rachsucht, Mordlust, Vernunftbetäubung und dergleichen Schädigungen des freien Vernunftmenschen?

Um diesen Wirkungen des Krieges den Schein ihrer Schlechtigkeit zu nehmen, verweist ihr auf die Heiligkeit der Sache, in deren Dienste das Schlechte steht. Hierauf erwidre ich: die Philosophie des reinen Mittels liefert den Nachweis, dass der Grundsatz „Der Zweck oder wie es treffender heissen müsste der heilige Zweck - heiligt das Mittel" unhaltbar ist. Das richtige Verfahren bei der Wertung des Mittels besteht darin, dass man nicht einseitig die gewollte Wirkung ins Auge fast, sondern auch sämtliche Nebenwirkungen. Doch gesetzt, die Heiligkeit des Zweckes wiege alle Nebenwirkungen auf, so kann mir doch solche Heiligkeit" durchaus nicht imponieren. Weiss ich doch, dass der Heiligenschein eine Tyrannenkrone ist und die kritische Vernunft zu blenden bezweckt.

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Übrigens würdet ihr Schwärmer für den heiligen Krieg selber höchst enttäuschte Gesichter machen, wenn euch dessen wahre Motive offenbar würden. Denn was sich hinter moralischen Phrasen wie „,,Ehre, Selbsterhaltung der Nation" verbirgt, ist ein gieriger Geldbeutel. Um die Milliarden

pflegen sich die armen unwissenden Armeen zu balgen, für das Interesse gewisser Geldmänner. gewisser Industrieller und Händler, gewisser Bureaukraten und Militärs, gelegentlich auch gewisser Fürsten; und so kann manches Kriegsheer eine Ausbeutungsmaschine genannt werden, die dorthin geschoben wird, wo den herrschenden Klassen des Staates eine gute Ernte winkt. Dieser Grundgedanke war es, welcher Herzen nach dem Jahre 1848 veranlasste, der modernen Gesellschaft zuzurufen: Seht, ihr habt den Sozialismus nicht gewollt, nun werdet ihr den Krieg haben, den dreissigjährigen, den fünfzigjährigen Krieg." Wenn man unter Sozialismus eine wirtschaftliche Interessengemeinschaft der Volksgenossen und Völker versteht, welche die Ausbeutung beseitigt, dürfte dieser Ausspruch eine umfangreiche Zustimmung finden.

Doch es könnte scheinen, als betrachte ich das stehende Heer lediglich als ein passives Werkzeug. Dieser Auffassung widerspreche ich. Das Heer hat auch Initiative; seine blosse Existenz tendiert zum Kriege. Gebt dem Knaben einen Stock in die Hand, und eine atavistische Neigung wird erwachen, wird ihn antreiben, Menschen oder Tiere zu schlagen oder wenigstens Blumen zu köpfen. So verlangt auch der soldatische Beruf nach einer Waffenprobe, einem ernsthaften Manöver. Hierzu kommt der Umstand, dass die grossen und kleinen. Heerführer häufig nach Unterbrechung des monotonen Friedens nach Carriere und Ruhm dürsten; jenes Säbelgerassel, welches vor einigen Jahren in Frankreich und Russland erscholl, entsprang teilweise dieser Ungeduld.

Unter diesen Gesichtspunkten erscheint das stehende Heer keineswegs als eine Garantie des Friedens, vielmehr als ein unreines Mittel. Im Interesse der Wahrheit scheint es mir zu liegen, den Satz ,,Si vis pacem, para bellum" zu übersetzen: Rüste, und der Krieg wird nicht lange auf sich warten lassen."

Die angedeuteten Übel werden noch potenziert durch jene Fortpflanzungskraft, wie sie allem Unkraut in bedeutendem Masse verliehen ist. Das ist auch des Krieges Fluch, dass er

fortzeugend Böses muss gebären." Denn aus den Blutstropfen. die der Völkermord versprengte, spriesst neuer Mord hervor. Den Besiegten treiben die brennenden Wunden zu Chauvinismus, „Erbfeindschaft" und Revanche". Der Sieger aber pocht stolz auf seine Waffe, der Degen steigt in der Achtung, gilt wohl gar als höchstes Ehrenzeichen, das Soldatenspielen, das militärische Vereinswesen wird epidemisch, schon kleine Kinder werden durch ihre Lehrer an Menschenblut gewöhnt und feiern bei patriotischen Akten zum Gaudium der Versammlung die

Kanonen:

„Sie haben Tod und Verderben gespieen . . .“

Wenn man Nationen so eifrig für den Krieg Propaganda machen sieht, so möchte man fürwahr am Durchdringen der Vernunft und Freiheit verzweifeln. Hoffnung aber giebt die Thatsache, dass die überspannte Konkurrenz der europäischen Staaten auf dem Gebiete der Wehrhaftigkeit, hauptsächlich die rapiden Fortschritte der Mord-Technik den Krieg mehr und mehr als ein entsetzliches, wahnsinniges, ja lächerliches Unternehmen erscheinen lassen, und dass die moderne Soldateska trotz allen Drills nicht aus blankem Maschinenstahl besteht. sondern noch Herz und Hirn besitzt, beobachtet, denkt und liest, ja dass sowohl aus Herrschenden wie aus Beherrschten sich das wachsende Häuflein derer zusammensetzt, welche mit dem Dichter des starken Jahres" denken:

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7. Die Rute oder die pädagogische Autorität.

,,Alle fürchten den Stock, alle fürchten den Tod, ein Beweis, dass man nicht schlagen, nicht töten soll." Buddha.

Ein Seitenstück des Schwertes, ein Sprössling derselben Sippe vom unreinen Mittel, ist die Rute. Schwert und Rute aus dieser Ehe geht kein freier Vernunftmensch hervor, wohl aber eine Brut von Antipoden der Freiheit und Vernunft.

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Dennoch steht die Rute, wie das Schwert, in hohem Ansehen; und zwar nicht nur bei den professionellen Gewaltmenschen, sondern auch bei den meisten „Erziehern". "Wer sein Kind lieb hat, der züchtige es," dieser Grundsatz der „heiligen Schrift" leuchtet den Trägern und Bewahrern der bürgerlichen Ehrbarkeit und „alten, guten Sitte" gewöhnlich derart ein, dass sie die Rute als eine Art Familienheiligtum betrachten, würdevoll hinter dem Spiegel hervorschauen lassen als Symbol "guter Zucht", und nicht versäumen, ihrem zarten Sprössling als Weihnachtsangebinde ein buntbebändertes Birkenreis zu bescheeren.*)

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*) Wenn man sich auf C. P. Thunbergs Reisebeschreibung (Berlin 1792) verlassen kann, findet man unter den Asiaten,,doch bess're Menschen“, nämlich in Japan. „Öffentliche Schulen zur Unterweisung der Kinder sind an den meisten Orten eingerichtet. Man lehrt aber darin hauptsächlich nur Lesen und Schreiben. Die Erziehung kennt man hier nicht als eine Wissenschaft oder Kunst; man übt sie aber nach desto richtigern Grundsätzen und mit desto besserm Erfolge aus. Die Kinderzucht ist sehr strenge, und doch

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