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Gegensaß zu der laren und billigen Darstellung der naturalistischfrivolen Art moderner Erotik hier mit unbestechlichem Ernste be= handelt und ihre Unmöglichkeit mit scharfer, wahrhaft realistischer Psychologie dargetan. So wird dieser einzigartige Roman zur völligen Vernichtung der einmal aus Frankreich übernommenen, jezt auch bei uns in manchen Kreisen schon heimisch gewordenen Mißachtung der Ehe, zur Wiederherstellung der strengen Forderung des sechsten Gebots im Sinne Jesu Christi. Dem freien Zusammenleben Annas und Wronskys wird in dem Bunde Lewins und Kittys die Ehe als die einzig gesunde, unantastbare Grundlage jedes sittlichen und beglückenden Verhältnisses zwischen den Geschlechtern gegenübergestellt. Und gerade das durch und durch Moderne dieses Romans, die von jeder Pedanterie oder altjüngferlichen Prüderie gleich weit entfernte Darstellung, die bis in ihre feinsten Nüanzen, ihre erschreckenden Tiefen ohne jede Schminke wiedergegebene Sinnlichkeit, die souveräne Beherrschung sämtlicher Lebens- und Gesellschaftsgebiete bis in ihre vertrautesten Intimitäten geben dieser Dichtung nicht nur ihr meisterlich künftlerisches Gepräge, sondern auch ihre überzeugende ethische Kraft. Das Leben predigt hier nachdrücklicher als die Lehre, der Weltmann, der alles gekostet und erfahren, gewaltiger als der stille Gottesgelehrte aus seiner vom Sturm kaum umwehten Klause. Daß dem Dichter aber bei diesem Romane religiöse Erwägungen nicht fern gelegen, beweist am besten das Motto, das er ihm gegeben: „Die Rache ist mein, Ich will vergelten," spricht der Herr.

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So liegt in diesen beiden Dichtungen das religiöse Problem angedeutet. Aber mehr nicht. Der Hauch, der sie durchweht, ist vielmehr philosophisch-geschichtlicher oder gesellschaftlich-ethischer Natur. Der Gottesbegriff Tolstois ist über den pantheistischen kaum hinausgekommen. Überall grenzt er an Gott an und fühlt ihn in allem (Über Gott und Christentum, S. 47). Aber er ist ihm nicht mehr als jenes unendliche All, als deffen Teil er sich fühlt. Höchstens könnte man hier und da einen alttestamentlichen Gottesbegriff finden. Vom Neuen Testament, vom Christentum gar kann nur gekünstelte Interpretation, wie sie freilich oft genug und stets mit merklicher Absicht in diese Dichtungen hineingetragen wird, etwas entdecken. Auch das vorhererwähnte Motto für Anna Karenina wird zwar im Hebräerbrief zitiert, bleibt nach seinem

Ursprunge aber alttestamentliches Zitat aus dem Fünften Buch Mosis.

Aber eins bahnt sich hier schon an: der innere Kampf, der dann in den „Konfessionen“ zur meisterhaften seelischen Ausprägung kommt. Das Problem, das lange schon in dem Dichter gärt und ringt, ist seiner Lösung nahe.

Es besteht eine unleugbare Ähnlichkeit zwischen Tolstoi und dem größten aller Theologen: Augustinus. Wenn der hervorragendste Kirchenvater des Abendlandes erst nach einer sehr ausgesprochenen Weltlichkeit, ja nach wüst durchlebter Jugend für das Christentum gewonnen wurde, um dann seine „Bekenntnisse“ als eine gewaltige Selbstbeichte zu schreiben, . . so hat Tolstoi sowohl in Jasnaja Poljana, seinem Familiengute, wie in Moskau und später in Petersburg im Gefühl der Jugendkraft begierig und oft nicht wählerisch genossen.

Er selbst gesteht, daß es eigentlich keine Lust gäbe, die er nicht gekostet, keine Sünde, die er nicht begangen hätte . . Und gleich Augustinus hat er seine Bekenntnisse „Meine Beichte" ge= schrieben, ja er hat aus diesem Jugendleben heraus als rechter Dichter die fruchtbarsten Motive für seine Schöpfungen gewonnen und sich in Gestalten wie Irtenjew und dem oft wiederkehrenden Nechljudow selber dargestellt. Er hat in ihnen aber auch sein sittliches Ringen, sein religiöses Ahnen und Suchen und zuleßt. . sein Finden in überwältigender Unmittelbarkeit geschildert.

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Den tiefsten Einblick in sein seelisches Leben geben uns seine eigenen „Bekenntnisse“. Sie zeichnen seine religiöse Entwickelung zum Christentume in psychologischer Klarheit.

Er hat alles, was einen Menschen glücklich machen könnte, und ist . . unglücklich. „Ich besaß,“ so schreibt er, „eine gute, achtenswerte, schöne, liebende und geliebte Ehefrau, gute Kinder, ein großes Vermögen, welches, ohne daß ich mich zu bemühen brauchte, anwuchs und sich vergrößerte. Ich wurde mehr als jemals von den mir Nahestehenden und Bekannten geachtet, von Fremden wurde ich gelobt, und ohne besondere Selbstüberhebung konnte ich meinen, daß mein Name berühmt sei. Bei alledem war ich nicht nur nicht gestört oder geisteskrank, - im Gegenteil, ich erfreute mich solcher geistigen und körperlichen Kraft, wie

ich bei meinesgleichen selten angetroffen habe. Körperlich vermochte ich beim Heumähen zu arbeiten, ohne den Bauern nachzustehen. Geistig vermochte ich bis zu achtzehn Stunden in einem Zuge zu arbeiten, ohne von solcher Anspannung irgend welche Folgen zu spüren. Und in solcher Verfassung kam ich darauf hinaus, daß ich nicht leben könne, und daß ich bei meiner Furcht vor dem Tode List gegen mich selbst anwenden müsse, damit ich mir nicht das Leben nehme, was ich fürchtete."

Eine düstere Weltanschauung und ein heißer Zorn über die zur Sünde führende Kultur bilden die Grundstimmung dieser Bekenntnisse, ähnlich wiederum hierin den,,Confessions" Rousseaus. Tolstoi klagt sein vergangenes Leben an: „Ohne Entseßen, Ekel und Herzweh vermag ich nicht an diese Jahre zurückzudenken. Es gab keine Laster, denen ich in jenen Jahren nicht gefrönt hätte, es gab kein Verbrechen, das ich nicht begangen hätte. Lüge, Diebstahl, Buhlerei aller Art, Vergewaltigung, Völlerei, Totschlag, alles habe ich begangen, und ich wünschte nur allein das Gute, und meinesgleichen haben mich für einen relativ sittlichen Menschen gehalten und auch jezt noch halten sie mich dafür.“

Wenn es wahr ist, daß nur aus der Tiefe aufrichtiger Herzensbuße ein wahrer Glaube erwachsen kann, so ist die Umkehr und damit zugleich die Hinkehr zu einem neuen Leben bei Tolstoi trefflich vorbereitet.

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Aber nun kommt ein anderes dazu: Das ewig alte, ewig neue Problem der Menschheit, das Problem, zu dem wir alle, früher oder später, einmal Stellung nehmen müssen, erschüttert Tolstoi bis in das innerste Mark seines Lebens: Das Problem des Sterbens.

Der Dichter hatte der zerstörenden Gewalt des Todes schon oft ins Angesicht gesehen: in den Kriegen im Kaukasus und in der Krim, dann als ein geliebter Bruder qualvoll an der Schwindsucht dahinsiechte und er dies Sterben nie überwinden konnte und es mit ergreifend realistischen Farben in „Anna Karenina" wiedergab. Schließlich peinigten ihn selber hypochondrische Gedanken. Er hielt sich für krank, er grübelte über den Tod nach, er fürchtete ihn.

Alles das legt ihm die Frage nach dem Zwecke dieses, seines eigenen Lebens nahe. Und nun erscheint ihm all sein bisheriges Ringen und Streben, sein Suchen und Sehnen wie ein verhängnisvoller Wahn, eine riesengroße Torheit. Er steht vor einem un=

ergründlichen Rätsel. Und keine Philosophie kann es ihm lösen. Denn was ist ihr Ergebnis bis zu dieser Stunde? Die eine Antwort, die der alte Salomo schon gibt, sie klingt nur variiert durch Schopenhauers moderne Weisheit. Und sie heißt: Alles ist eitel! . . Auch die Vernunft vermag diess Problem nicht zu lösen. Sie vermag nicht einmal eine befriedigende Antwort auf die Frage zu geben: Warum leben wir?, kann nicht das schwächste Licht in das Dunkel unseres Daseins bringen. „Was bin ich hier inmitten dieser Welt? An wen soll ich mich wenden? Wo soll ich die Antwort suchen? Bei den Menschen? Sie wissen nicht, sie lachen, sie wollen nicht wissen. Sie sagen: Das sind Dummheiten, denke nicht daran. Hier ist die Welt und ihre Reize. Lebe! . . Sie werden mich aber nicht irreführen. Ich weiß, daß sie daran nicht glauben, was sie sagen. Sie leiden ebenso wie ich an der Furcht vor dem Tode." (Über Gott und Christentum, S. 49. 50.)

So bleibt nur eins übrig, den Weg aus den Wirrnissen dieses Lebens, dieses Sterbens zu finden. Der Glaube. „O Herr, ich nannte dich, und meine Leiden endeten. Meine Verzweiflung ist vorübergegangen. Ich verfluche meine Schwächen, ich suche deinen Weg, doch verzweifle ich nicht, fühle, daß du mir nahe bist... Dein Weg ist klar und einfach. Dein Joch ist der Segen, und deine Last ist leicht. Ich irrte aber lange außerhalb dieser Wege, im Schmuge meiner Jugend warf ich stolz jede Last herunter, machte mich von jedem Joche frei und gewöhnte mir ab, deine Wege zu wandeln. Und mir sind dein Joch und deine Last schwer geworden. O Herr, vergib mir die Verirrungen meiner Jugend!" (Über Gott und Christentum, S. 50.)

Wo aber findet sich dieser Glaube in seiner schlichten, einfachen, in seiner urchristlichen Gestalt?

Nur im Bauernstande. In der „Macht der Finsternis“ wird der unansehnliche, beschränkte, aber gottesfürchtige Bauer Akim als Muster für die ganze Welt der Kultur und Bildung hingestellt. „Ich sah,“ so schreibt er selber, „daß diese Menschen Krankheiten und Kümmernisse ohne irgend ein Mißverstehen noch Widerstreben ertragen, vielmehr mit der ruhigen und festen Überzeugung, daß alles das nicht anders sein könne, daß alles das gut sei. Ich sah, daß nicht nur ihr Leben ihnen begreiflich ist, sondern begreiflich auch der Tod. Und im Tode erblicken sie nichts Sonderbares, Widerwärtiges oder Schreckliches."

Das Problem des Sterbens ist gelöst im Christentum. Der Tod des Fleisches kann für den Menschen nicht schrecklich sein,

welcher sich dem Willen des Vaters hingegeben hat; das Leben des Geistes ist vom Tode des Fleisches unabhängig. Wer an das Leben des Geistes glaubt, kann nichts fürchten. (cf. Über Gott und Christentum, S. 69. 70.)

Der Philosoph, der Weltmann wird Christ, wird treuer Anhänger der griechisch-orthodoren Kirche.

Ist damit das religiöse Problem zu einer endgültigen Lösung gekommen?

Für Tausende sicherlich, die sich geborgen wissen in dem Schoße der auserwählten Kirche, die dieser mit gebundenen Augen und Händen gehorchen und mit jenem urschwächlichen Behagen, das in der allein seligmachenden Heilsversicherung die bequemste und festeste Garantie für ihr persönliches Wohl und Wehe sehen. Es gibt für den Durchschnittsmenschen ja nichts Angenehmeres, als, frei von jeder eigenen Verantwortung, diese ge= trosten Sinnes anderen überlassen zu dürfen. Ein gemächliches die Hände in den Schoß legen, das ist für Tausende der Inbegriff alles Glückes. Und der Muhamedanismus mit seinem „Allah ist groß, Allah wird sorgen“ berührt sich viel mehr mit dem Katholizismus, als bei oberflächlicher Betrachtung scheinen möchte. Nur daß dieser sich die Arbeit unnötig schwerer macht, als jener.

Für einen Mann wie Tolstoi aber, für einen Denker konnte das religiöse Rätsel damit nicht gelöst sein. Im Gegenteil: Jeßt erst eigentlich tritt das religiöse Problem in den Vordergrund seines inneren Lebens . . unabweisbarer als früher.

Im Christentum schien es zum Abschluß gelangt zu sein.
Aber was ist Christentum?

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Das Lehrgebäude, welches die griechisch-katholische Kirche aufgestellt hat oder die römisch-katholische oder eine andere? Was ist es ihm? Und Tolstoi gelangt zu einer klaren, unwiderleglichen Antwort, die freilich für die ganze Richtung seines Denkens und Glaubens verhängnisvoll werden soll:

Das Christentum ist lediglich das unverfälschte Wort Christi. Und was darüber ist oder darunter, das ist vom Übel. Dieses Wort, konsequent erfaßt und in die Tat des Lebens überseßt ohne jede Rücksicht auf opportune Kompromisse, vermag allein das religiöse Problem zur Lösung zu bringen.

Tolstoi macht Ernst mit diesem Christuswort. Schon für die viel gelesene und wenig verstandene „Kreuzersonate“ wird es Richtschnur. Darum ist es ihr als Motto vorgedruckt: „Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die

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