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Zur Lage des Protestantismus an der Jahrhundertwende.

Von

Prof. D. Heinrich Holtzmann in Strassburg.

Wer etwa der Meinung war, dass seit der grossen Scheidung der Geister in der Reformationszeit die Weltuhr gleichsam stehen geblieben sei, oder nur allzu langsam ihre Zeiger vorgeschoben habe, ist anlässlich der Jahrhundertwende eingeladen, der Lage des Protestantismus damals und jetzt einige Aufmerksamkeit zu schenken. Nicht minder aber auch, wer innerhalb dieses Zeitraums einen Fortschritt, welcher zu völliger Umbildung der Gedankenwelt, zur Umkehr aller geistigen Machtverhältnisse in ihr Gegenteil geführt hätte, entdecken wollte. Wahr ist es ja allerdings, dass im Reformationszeitalter die europäische Politik, ganz anders als heute, ein durchaus konfessionell gefärbtes Gesicht aufweist. Hier katholisch, hier protestantisch diesem Kampfgeschrei mussten sich alle anderen Losungen unterordnen. Der darin zu Ausdruck gelangende Antagonismus hat den Dreissigjährigen Krieg erzeugt. Wenn aber dieser Krieg an seinem Anfang rein konfessionell bedingte Motive aufweist, so sind in seinem weiteren Fortgange mehr und mehr politische Fragen zum Austrag gebracht worden. Standen sich doch zuletzt vornehmlich die beiden Grossmächte des europäischen Katholicismus direkt gegenüber, Frankreich und Oesterreich. Unter dieser Konstellation trat die neue, die moderne Periode der Weltgeschichte ins Dasein. Sie zeigt uns zwar in der Tiefe der Volksseele immer noch religiöse Sympathien und Antipathien als wirksam, und die Diplomatie der Kabinete mag sich derselben auch noch in angezeigten Fällen als Reiz- und Heizmittel bedient haben.

Im grossen

und ganzen aber ist das Interesse der Staaten von keinerlei konfessionellem Feuereifer geleitet, sondern es gilt einfach der Behauptung und Stärkung der eigenen Macht und ist weiterhin gerichtet auf Ordnung des Rechts und Förderung der Kultur innerhalb der Grenzen des jeweiligen Volkstums. An die Stelle des Konfessionsstaates ist der nationale Kulturstaat getreten. In demselben Masse als dieser Prozess sich durchgesetzt hat, ist die Einsicht erwacht, dass dem Staatszweck wenig gedient ist mit konfessioneller Zerklüftung und Zerspaltung des Volkes. Einfach darum, weil Zwietracht zerstört, Eintracht fördert. Hatte der Konfessionsstaat aus dieser Binsenwahrheit den Schluss gezogen, dass nur einer einzigen Konfession das Monopol in Religionssachen zufallen dürfe, so ergab sich für den Kulturstaat aus der Erfahrung der selbstmörderischen Folgen einer solchen Praxis das Princip der Toleranz nicht bloss, sondern der Parität der grossen Religionsgemeinschaften. Damit war aber eine Lage geschaffen, welche der im Reformationsjahrhundert gegebenen direkt entgegengesetzt ist. Damals hiess es: was der Protestantismus als Hemmung des Lebenstriebes empfindet, das bedeutet Steigerung der Lebensenergie für den Katholicismus; was die protestantische Kirche fördert, das schädigt die katholische, und was Protestantische Monatshefte. 5. Jahrg. Heft 2. 4

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die katholische vorwärts bringt, das bedeutet eine Einbusse für die protestantische; was die eine Kirche gewinnt, das verliert die andere; was für die eine Ebbe ist, das ist für die andere Flut. Heutzutage dagegen haben beide Kirchen Ebbe und Flut gemeinsam. Ein Sachkundiger auf dem Gebiet der Kirchengeschichte des 19. Jahrhunderts, Professor F. Nippold, hat diese Beobachtung schon in der ersten Ausgabe seines grossen Werkes geradezu als Leitmotiv an die Spitze seines ganzen Berichtes gestellt: „dass die Konfessionen in ihrer Besonderheit nicht mehr die treibenden Mächte sind", sondern dass andere geistige Mächte nunmehr immer auf beide Konfessionen gemeinsam einwirken und auf beiden Gebieten merkwürdig parallele Erscheinungen hervorrufen" (Handbuch der neuesten Kirchengeschichte 1867, S. 9). In der That gibt es allgemeine Strömungen im Leben der europäischen Völker und in der Politik der Staaten, welche beide Kirchen zu gleicher Zeit vorwärts oder rückwärts treiben. Wer die grossen Restaurationsbewegungen zu Anfang und Mitte des verflossenen Jahrhunderts kennt, weiss, dass die katholische Kirche in erster, die protestantische in zweiter Linie davon Vorteile bezogen. Wer den Kulturkampf erlebt hat, weiss, dass darob die katholische Kirche mächtig und öffentlich auf begehrt, protestantische Kirchenhäupter freilich mehr im stillen gegrollt, im stillen aber auch ihr redliches Teil dazu beigetragen haben, dass der Kampf sistiert oder auch in eine Niederlage verwandelt worden ist. Befremdlich genug war es allerdings, wenn die evangelische Kirche, der die Bevorzugung der katholischen. Priester nur in geringem Masse zugute gekommen war, nunmehr plötzlich ihre Bestrafung teilen sollte. Aber das Princip der Parität brachte das eben so mit sich. Nicht mehr von entgegengesetzten Geschicken werden beide Kirchen betroffen, sondern von denselben, und nur um ein Mehr oder Minder handelt es sich noch. Sie bieten das Bild zweier Fahrzeuge, von welchen das kleinere im ganzen nach dem Muster des grösseren gebaut ist, aber eine diesem feindliche Flagge führt. Beide Schiffe laufen sich einander wo möglich den Rang ab, beschiessen sich auch ab und zu. Und doch ist es Ein weltgeschichtliches Fahrwasser, welches sie beide trägt, und es sind dieselben Winde, die ihre Segel bald schwellen, bald herabsinken lassen. Ein und derselbe mächtige Rückschwall der Wogen folgte auf die grosse Revolution, die Europa umgestaltet hatte. Viel mehr noch als Oesterreich, das katholisch gebliebene, und Frankreich, das wieder katholisch gewordene, waren das protestantische England und das protestantische Preussen im Verein mit dem doch wenigstens nicht römischkatholischen Russland auf dem Wiener Kongress bei der Hand, dem Papsttum durch Wiederherstellung des Kirchenstaates seine frühere Machtstellung zurückzugeben, und seit den glorreichen Befreiungskriegen datiert im protestantischen Deutschland jene von der Romantik eingeleitete Stimmung, welche gegen Aufklärung und Vernunftglauben, die den Schutt des Ueberlieferten weggefegt hatten, aus diesem Schutt wieder allerhand wirkliche oder angebliche Kostbarkeiten hervorzog, überhaupt die Reichtümer einer idealisierten Vergangenheit feierte und das Recht des geschichtlichen

Werdens betonte. Zunächst wurde dadurch ein warmer, aus der frommen Vorzeit wehender Hauch entbunden und wohlthuend empfunden von den empfänglichen Herzen, dann aber auch konservative Meinungen, Tendenzen und Leidenschaften erzeugt, welche der Restaurationspolitik des Wiener Kongresses und seiner Nachfolger trefflich zu statten kamen. Auf diesen ersten Anstoss zur rückläufigen Strömung, von dem unsere Väter uns erzählt haben, folgte ein zweiter, den wir Aelteren selbst noch erlebt haben. Alle, deren Jugendjahre in die Zeit der Revolution von 1848 und 1849 gefallen sind, wissen, wie mächtig die darauf folgende, in grossem Massstab betriebene politisch-kirchliche Reaktion vor jetzt einem halben Jahrhundert die Geister ergriff. Das war nicht mehr bloss Restauration vergangener Zustände, es war Repristination einer dahinterliegenden Bildungsstufe. Rückwärts, rückwärts lautete allenthalben die Losung, in deren Proklamierung katholische und protestantische Theologen und Kirchenmänner sich zuweilen in fast marktschreierischen Tonarten überboten. Und wie die Alten sungen, so zwitscherten die Jungen". Andächtig sassen wir zu den Füssen Hengstenberg's und Stahl's und hörten die berühmte Umkehr der Wissenschaft predigen und alles verdächtigen, was Natur und Vernunft zu gebieten scheinen. Dagegen lehrte uns der Leipziger Altlutheraner Kahnis bedenken, dass wo ein Stück Katholicismus fällt, da immer auch ein Stück uralten Christentums in Gefahr stehe, mitzufallen, und Vilmar in Marburg, der den Vorzug, den Teufel von Angesicht zu kennen, nur noch mit Einem akademischen Theologen des abgelaufenen Jahrhunderts geteilt haben soll, erfand eine „Theologie der Thatsachen“, deren Kern in einem gut katholischen Amts- und Sakramentsbegriff bestand. Wo man sich in der sogenannten höheren, gebildeten Gesellschaft bemüssigt fand, den Zeitverhältnissen Rechnung zu tragen und „mitzuthun", da mischte sich in das prophetische Pathos und die hohen Intuitionen der damaligen Theologie leicht einiges, was klang wie Hohngelächter der Hölle. In jener Zeit wurden die frivolen Redensarten ausgemünzt: Entweder glaubt man gleich alles, oder nichts" und „Wozu ist der Aberglaube da, als dazu, dass man ihn glaubt ?"

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Im grossen und ganzen aber überwogen doch der bittere Ernst, der fromme Sinn und die zuversichtliche Schaffenslust. In jene Tage gehen alle Erscheinungen zurück, die ein neues Erstarken des kirchlichen Geistes auf katholischem wie auf protestantischem Gebiet bedeuten. Und im wesentlichen hat diese Stimmung vorgehalten bis heute. Nur dass allmählich das hitzige Reaktionsfieber nachliess und zurücktrat hinter einer nüchtern und oft sogar recht kaltblütig, aber zäh und hartnäckig geübten Sorge um die Konservierung der Volksheiligtümer, wie immer sie beschaffen sein mochten; um die Erhaltung der Religion, wie der landläufige Ausdruck lautet. Niemand kann leugnen, dass man der religiösen Seite des Volkslebens eine ernstere und liebevollere Aufmerksamkeit gewidmet hat, und dass diesem Volksleben dadurch in manchen seiner Schichten, zumal dem kleinen Bürger- und Bauernstand, vielfach förderliche Kräfte zu einem gleichmässigen, in Zucht und Ehren,

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Gottvertrauen und Menschenliebe geführten Lebensgang zugewachsen sind. Tausend und abertausend sonst dem Spiel von Wind und Welle preisgegebene Existenzen haben einen inneren Halt und vielfach auch eine äusserlich ehrbare Stellung gefunden durch die Sorge der ihnen auf allen Wegen, beziehungsweise Abwegen begegnenden, sie in ihre dunkelsten Winkel verfolgenden und aufsuchenden Thätigkeit der Kirche und fast mehr noch der in der kirchlichen Richtung wirkenden freien Vereinsthätigkeit. In höher gelegenen Regionen dagegen hat sich die Frömmigkeit nicht immer des Scheines zu erwehren vermocht, vor allem als ein wesentlicher Bestandteil in der Solidarität aller konservativen Interessen" geübt zu werden. Fragelos und unanfechtbar endlich besteht die Thatsache, dass in denjenigen Kreisen der Gesellschaft, in welchen das geistige Leben der Nation am kräftigsten zu pulsieren, aus welchen die führenden Geister in Literatur, Wissenschaft und Kunst hervorzugehen und von welchen die Ideale eines menschenwürdigen Daseins philosophisch ausgebildet und poetisch dargestellt zu werden pflegen, eine wachsende Gleichgültigkeit, ein tiefes Misstrauen, ja eine gänzliche Entfremdung zuerst der Kirche, dann auch dem Christentum, endlich der Religion selbst gegenüber eingekehrt und meist zur vorherrschenden Signatur, vielfach sogar zur selbstverständlichen Sache geworden sind. Die in diesen Kreisen gepflegte Stimmung ist ohne Zweifel eine viel radikalere, als sie es vor hundert Jahren war, wo der seither so arg mitgenommene Rationalismus sich wenigstens eines ehrlichen Daseins erfreute. Und dieser Umschwung zum Radikalismus hat sich merkwürdigerweise vollzogen, trotzdem dass während dieser ganzen Periode fast durchweg die religiösen Unterrichtsmittel und Unterrichtsziele sich dem herrschenden kirchlichen System anbequemt hatten, ja geradezu in Dienst desselben bald freiwillig, bald unfreiwillig getreten und gleichsam zur Reaktionsmaschine geworden waren. Oder darf man etwa sagen: nicht trotzdem, sondern weil das so geworden ist? Thatsache ist jedenfalls, dass bei allem zeitweilig geübten Hochdruck, um der Jugend die Gegenstände des Glaubens unverkürzt auf autoritativem Wege einzuprägen, die jeweils heranwachsenden Geschlechter eher noch ungläubiger geworden sind und so ein Riss im geistigen Gesamtleben der Nation entstanden ist, auf dessen Heilung die grösste Preisfrage hinweist, welche die unmittelbare Vergangenheit der nächsten Zukunft stellt. Bewiesen ist einstweilen damit nur die Richtigkeit unserer Grundanschauung, dass, wenn wir von der Bewegung in Oesterreich und einigen Vorgängen in Frankreich absehen, ein Abfall von der einen Kirche zur andern immer nur den Ausnahmsfall darstellt gegenüber dem grossen Abfall vom kirchlichen Christentum oder auch vom Christentum überhaupt, welchen beide Kirchen in gleicher Weise zu empfinden haben.

Wenn nun dem so ist, dass ein grosser Teil der protestantischen Bevölkerung, und wahrlich nicht gerade der verschwiegenste oder denkfaulste, sich der Einwirkung der Kirche entzogen hat und wenig Hoffnung besteht, denselben in absehbarer Zeit wieder ganz zurückzuerobern, so sollte man meinen, wer heute die Lage des

Protestantismus zu beschreiben hat, könne nur von einem Schwächezustand und Zerfall der protestantischen Kirche reden. So vielverbreitet diese Meinung ist, so unrichtig ist sie. Die wirkliche Lage dieser Kirche gegen Ende des 19. Jahrhunderts hat vielmehr die grösste Aehnlichkeit mit dem, was dreihundert Jahre zuvor auf dem Gebiete der katholischen Kirche erlebt wurde. Es waren dies die Zeiten der sogenannten Gegenreformation. Hatte einst vor Luther selbst nach dem Zeugnisse wahrheitsliebender katholischer Gelehrten das kirchliche Wesen Schäden und Brüche nur in allzu grosser Zahl aufgewiesen, so raffte sich die katholische Kirche gerade im Kampfe mit der Reformation wieder mächtig auf; sie zog ihr Stahlgewand zum Schutz und Trutz wieder fester an, verschloss sorgfältig die Lücken und Risse, die es erlitten hatte, centralisierte sich straff und stramm, wandte manchenorts viele Sorge auf Erziehung eines sittenstrengen und feuereifrigen Klerus, trieb in grossartigem Umfang Mission nach aussen und nach innen, schuf neue Orden, zumal den jesuitischen, nahm die Völker in mönchische Zucht, umgarnte geschickt die Mächtigen der Erde und rückte in der neugewonnenen Verstärkung dem Protestantismus immer bedrohlicher zu Leibe. So ist die katholische Kirche damals im Kampf gegen die Reformation, so ist sie vor hundert Jahren im Kampf gegen die Revolution wieder zu einer Macht im Leben der Völker in einem Masse geworden, wie sie es in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, als ihr unsere Reformatoren den Gehorsam aufkündigten, glücklicherweise nicht gewesen ist.

Ein schwächeres Nachbild dieser Vorgänge, aber doch ein wirkliches Nachbild, vielfach freilich auch ein blosser Abklatsch ist es, was uns entgegentritt, wenn wir auf die innere kirchliche Entwickelung des Protestantismus herüberblicken, wie dieselbe sich im Laufe besonders der zweiten Hälfte des verflossenen Jahrhunderts vollzogen hat. Es ist ein einheitliches Ideal, welches beiderseits vorzuschweben scheint, wenn wir die Meinung der kirchlichen Führer befragen, mehr noch, wenn wir die beiderseitige Praxis erwägen. Eine Kirche gilt es zu bauen, die, unbehelligt von Staat und Regierung, ein souveraines Rechtsleben führt, die zugleich unbeirrt von freier Bewegung der Lehre vielleicht irreformabel im Innern, dafür aber auch unangreifbar von aussen sein wird. Darauf arbeiten seither auf nicht wenigen Punkten die grösseren Kirchenregimente, mehr noch die Führer der Synodalmajoritäten, die theologischen und juristischen Autoritäten, darauf auch eine vielverzweigte kirchenpolitische Presse in grossem und kleinem Format hinaus, und in derselben Richtung wirkt auch, ohne es zu wollen und zu wissen, aber indem sie jenen Tendenzen freien Raum schafft, die steigende Indifferenz nicht bloss der sogenannten gebildeten Kreise, sondern auch. der Masse gegenüber den kirchlichen Fragen und Bedürfnissen. Als daher vor fünf Jahren (1896) einer unserer verdientesten und bekanntesten Theologen, Adolf Harnack in Berlin, in der Lage war, einen Vortrag Zur gegenwärtigen Lage des Protestantismus zu halten, glaubte er die Signatur der gegenwärtigen Entwicklungsphase am zutreffendsten auf die Formel fortschreitende Katholisierung unserer

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