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Geschichte des göttlichen Lebens, als Schicksale und Thaten der Götter aufgefaßt und vorgestellt. Es sind die Annalen des Weltalls und der physischen Natur, die die ersten Bücher der Chroniken aller Völker füllen,“ sagt über die heilige Sage der alte Görres sehr richtig. Auch dem Mythus in der Religion prägt sich die Naturbestimmtheit des Volksgeistes, die mangelhafte Natur- und Geschichtskenntniß der Völker als charakteristisches Merkmal seines Ursprungs auf.

Der Inhalt des Mythus, im Unterschiede vom Symbol, ist hiernach recht eigentlich die Tradition, die dunkle Vorgeschichte des Menschen- und Völkerlebens, die Welt der unmittelbaren Erscheinungen und Wirkungen höherer, d. h. hinter dem zum Bewußtsein seiner selbst erwachten Geist liegender Mächte, die Vergangenheit, in welcher das Bewußtsein sich selbst entrückt ist und in einer ihm fremd gewordenen Welt sich befindet. Ein Verhältniß, welches die Worte des Dichters treffend bezeichnen:

Die mächtigen Geschichten
Der längst vergang’nen Zeit
Ist sie uns zu berichten
Mit Freundlichkeit bereit;
Der Vorwelt heil'ge Lüfte
Umwehn das Angesicht,
Und in die Nacht der Grüfte

Strahlt uns ein ew’ges Licht.

Hat nun der eigentliche Mythus die Vorgeschichte des Menschen- und Völkerlebens in der Form von Göttergestalten, Göttergeschichten und Schöpfungsgeschichten zum Inhalt; so bringt, in derselben absichtlos dichtenden Weise, die den Mythus ergänzende heilige Sage, die ebenfalls ein Erzeugniß der mythischen Phantasie ist, die Anfänge des Menschen und Völkerlebens selbst in der Geschichte der Heroen, als der Mittler zwischen Gott und Menschen und als der Träger der geschichtlichen Entwickelung, zur Anschauung.

Alle Kosmogonien und Theogonien, Geschichten und Thaten der Götter, alle Menschwerdungen der Götter und Vergötterungen der Menschen, alle Wundergeschichten und Heldensagen, sowie endlich die phantastischen Träume über die Zukunft des Menschenlebens, sind solche Producte der den Inhalt und die Voraussetzungen des religiösen Lebens aus dem Innern des Gemüths hinausseßenden Phantasie, unwillkürliche und absichtslose Gebilde des mythischen Bewußtseins.

§. 9.

Das mystische Bewußtsein.

Die nothwendige Vollendung und Selbstergänzung des mythologischen Geistes ist die religiöse Mystik der Naturreligionen, die sich bei allen Völkern findet, sobald sich ein tieferes Gemüthsleben unter denselben entfaltet.

In dem mystischen Bewußtsein stimmt sich der religiöse Geist in tiefern Gemüthern aus der Zerstreuung und Jenseitigkeit der mythischen Gestalten wieder in die Innerlichkeit und unmittelbare Einheit der Empfindung seines religiösen Lebensgrundes in noch unbefangener und unbewußter Weise zurück; er versenkt sich in die dunkle Gemüthstiefe, aus welcher die mythologischen Gestalten herausgeboren worden, und es tritt hier in die religiöse Reflexion wenigstens ein Schimmer von Bewußtsein über die Thätigkeit des symbolischen und mythischen Geistes ein.

Die mythologische Vorstellung des religiösen Inhaltes tritt im mystischen Bewußtsein in den Hintergrund und das religiöse Subject gibt sich zum Gegenstand des Bewußtseins eine innigere Gemüthsbeziehung. In der Rückbeziehung des Bewußtseins auf das Innere der Religion, in dem lebendigen Gemüthsverkehr des religiösen Subjects mit dem Gegenstand seines Bewußtseins, liegt die aller und jeder Religionsform eignende Mystik, in welcher sich eigentlich erst die Religion im Subjecte vollendet.

Ganz richtig hat dieses Wesen der Mystik bereits ein alter neuplatonischer Philosoph mit den Worten bezeichnet: ,,Dringt die Secle in ihr Innerstes, so kann sie also das Geschlecht der Götter und die Einheiten aller Dinge mit geschlossenem Auge schauen."

Die religiöse Mystik bei den Alten hat besonders in den religiösen Festen ihren Herd gehabt und hier ihren höchsten Punkt erreicht. Jeder Mythus hatte darum für das gläubige Bewußtsein eine mystische Bedeutung, sofern das religiöse Subject zu der Gottheit, die den Inhalt der religiösen Vorstellung bildete, in einem innigen Gemüthsverkehr stand und bei der Festfeier der Götter niemals die bloße Erinnerung an eine mythische Begebenheit stattfand, sondern damit zugleich auch diese andächtige Beziehung derselben auf das Innere der Religion verbunden war.

Wenn (äußert sich ein neuerer tiefreligiöser Denker, Solger, in seinen nachgelassenen Schriften, über die religiöse Mystik sehr treffend) durch den mythischen Weg die religiöse Idee in's Besondere übergegangen ist, so muß doch das Bewußtsein ihrer Einheit mit dem Allgemeinen erhalten werden, und dieß thut das Mysterium, welches gleichsam auf das Eine und Ursprüngliche zurückdeutet. Es löst keineswegs die einzelnen Gestalten in Begriffe auf, sondern läßt beide als eins und dasselbe anschauen. Mystik und Mythologie unterscheiden sich also recht eigentlich durch die entgegengesette Richtung, und beide gehören durchaus dazu, gleichsam das Universum der Religion zu vollenden und anzufüllen. Die Religion ist erst dann vollendet, wenn die allgemeine Nothwendigkeit, die sich in die Mannichfaltigkeit einer Welt von freien, persönlichen Göttern entfaltet hatte, durch diese in den Mysterien wieder in sich selbst zurückkehrte.

Die Mythologie ist der Traum, die Mystik das selige Erwachen des religiösen Geistes.

§. 10.

Die innere Auflösung des mythologischen Bewußtseins.

Indem der mythologische Vorstellungsinhalt der Religion sich durch die religiöse Ueberlieferung und Erziehung im Volksleben fortpflanzt und auch gelegentlich sich erweitert und den Bedürfnissen des fortschreitenden Geisteslebens anpaßt, wird er allmählich zur Sache des Gedächtnisses, und das Bewußtsein der nachfolgenden Geschlechter nimmt den religiösen Besigstand der mythologischen Vorstellung nur auf äußerlich-mechanische Weise in sich auf.

Auf diesem Wege tritt sofort eine nothwendige Veränderung mit dem religiösen Bewußtsein ein, wodurch die innere Auflösung des mythologischen Geistes eingeleitet wird.

In dem Streben, über seine religiöse Zuständigkeit sich zur Klarheit zu kommen, unterscheidet sich der Geist als verständig denkendes Wesen von den durch die religiöse Ueberlieferung firirten Gestalten des religiösen Bewußtseins, und macht die Form der Vorstellung, in welcher er bisher sich befriedigt gefunden hatte, zum Gegenstand der Prüfung und des Zweifels, ob dieselbe auch noch der angemessene Ausdruck seines gegenwärtigen Bewußtseins und Gemüthszustandes sei.

Gegenstand des Zweifels ist nicht der religiöse Inhalt selbst, sondern nur die bestimmte Form der Vorstellung, der in äußerlich gegenständlicher Gestalt hinausverlegte Inhalt des religiösen Geistes. Der skeptische Geist unterscheidet jezt mit Bewußtsein die Formen des symbolischen und mythischen Bewußtseins von dem darin ausgedrückten religiösen Inhalt, und die ursprüngliche Einheit der Idee und des Bildes, des Inhaltes und der Form, hat für ihn aufgehört.

Ist einmal der Geist dieses Widerspruchs inne gewor den, so nimmt er, so lange ihm noch keine neue Form des religiösen Bewußtseins aufgegangen ist, vorerst seine Zuflucht zu einer künstlichen und gemachten Ausgleichung dieses

Widerspruchs, indem er den religiösen Inhalt mit der überlieferten Vorstellungsform auf eine willkürliche und äußerliche Weise wieder zu verknüpfen und durch die vergleichende Phantasie Aehnlichkeiten zwischen beiden nachzuweisen sucht.

Der Mythus wird damit zur Allegorie, d. h. zur absichtlichen, mit Bewußtsein vollzogenen Vergleichung des religiösen Inhalts mit einer im Bewußtsein überwundenen. vergangenen Vorstellungsform. Dieß ist auch der etymologische Sinn des Wortes Allegorie, welches eine bildliche Ausdrucksweise ist, die etwas Anderes sagt und etwas Anderes bedeutet.

Indessen ist auch das mit sich entzweite religiöse Bewußtsein in der Sphäre der religiösen Skepsis und Allegorie von dem unmittelbar schöpferischen Geiste der Religion nicht durchaus verlassen, welcher vielmehr auch in dem unsichern und schwankenden Zustand der religiösen Skepsis und der allegorischen Verhüllung des eingetretenen Zwiespaltes, in der Form der Weissagung sich einen neuen innern Halt gibt.

In unbestimmten Ahnungen beginnend und zu immer festeren Umrissen sich herausbildend, tritt die Weissagung zuleht mit der unmittelbaren Zuversicht des prophetischen Instinktes auf, der über die bestimmte gegenwärtige Gestalt des Bewußtseins hinaus auf eine nächsthöhere hinweist, die im Begriffe steht, in die Erscheinung zu treten. In jeder Religionsform findet sich eine Art Weissagung, die nur freilich innerhalb der Schranke des Volksgeistes befangen bleibt und auch der Masse des Volks zu gut kommt.

Ist einmal der Zweifel in das religiöse Bewußtsein Einzelner eingetreten, so kann die Masse des Volkes wohl noch eine Zeit lang in dem gewohnten religiösen Vorstellungskreise sich bewegen, für die Dauer aber kann es darin ebenfalls keine volle Befriedigung mehr finden; es sieht sich mit dem dahingeschwundenen Glauben von seinen Göttern verlassen, die nur noch im Gedächtniß eine Schatten

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