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selbst mit sich begeistigt, er ist aus der dunkeln Gewalt der unterirdischen Triebe und Begierden, der sinnlichen Naturmächte, deren Schwere den Geist der vorhellenischen Griechen niederzog, an den heiteren Tag der sich ihrer selbst freuenden Persönlichkeit auferstanden. Die wirkliche Welt, das helle, bewegliche, sinnbegabte Tagesleben ist seine eigent= liche und wahre Heimath; die unterirdische, jenseitige Welt ist sein Schrecken, seine Vernichtung, ist ihm Nacht- und Schattenleben. Der Geist hat sein volles wirkliches Selbstbewußtsein nur wesentlich in dieser Einheit mit der Leiblichkeit, und die Trennung von derselben kann für das Bewußtsein nur die Bedeutung eines unwesentlichen Daseins haben; es ist dieß eben das Schattenleben.

Die Unterwelt und der Aufenthalt der Verstorbenen in derselben ist eine Fortsehung des Lebens auf der Oberwelt, aber nur im Bild und Schattenriß, wo die Gestalten der Menschen als Verstorbene ihre Rolle fortspielen, aber ohne Seele, ohne Fleisch und Blut, als bloße Schemen und leblose Schatten. Noch schreitet z. B. Herakles, furchtbar blickend, gleich der finstern Nacht, im Orkus einher, den Bogen gespannt und auf der Senne den Pfeil; scheu weichen die übrigen Schatten vor ihm zurück, seinen tödtlichen Pfeil fürchtend; aber die Senne wird nicht geschnellt und der Pfeil trifft nicht mehr; er ist nur die leere Form, nur die Schattengestalt des bei den Göttern weilenden Helden. Er hat durch seine Lebensthat sich die Unsterblichkeit vor den übrigen Menschen erworben.

Indem das Bewußtsein in dem Sein nach dem Lode nur ein hohles Scheinleben sieht, sinkt der Geist mit seinem Wissen und Wollen und seinem ganzen inhaltsvollen Selbstbewußtsein in die wirkliche Welt zurück und umfaßt die wirkliche Gegenwart des diesseitigen Lebens mit um so größerer Lust und Sehnsucht, je mehr es die Unwesentlichkeit des jenseitigen Daseins erkannt hat. Daher die wehmüthigen Klagen, die uns bei griechischen Dichtern begegnen über den Verlust der Jugend, über das frühe Hinwelken der Sterblichen, die

traurigen Schilderungen vom Todtenreich und von der Sehnsucht der Abgeschiedenen nach dem Licht und Leben der Oberwelt. Die abgeschiedenen Seelen dürften im Orkus nach dem frischen Blute, der Quelle des leiblichen Lebens, und der jugendliche Held Achilleus zieht sein voriges Dasein auf der Oberwelt seiner gegenwärtigen Eristenz im Schattenreich so sehr vor, daß er lieber auf der Oberwelt als Lagelöhner arbeiten will, als bei den Todten herrschen. Ja sogar der Gott der Unterwelt holt sich von den Göttern der Oberwelt, vom frischen Blumenleben der Erde, seine Gemahlin und Gefährtin auf dem Chron im Lartaros.

Darum kennt die Liebe nichts Höheres und Besseres, was sie dem geliebten Wesen geben könne, als das frohe Leben auf der Erde; die treue Alkestis opfert sich für den geliebten Gatten und steigt für ihn in die Unterwelt, aus welcher sie die Mythe durch Herakles wieder befreit werden läßt. Und der unsterbliche Held Polydeukes oder Pollur beweist dem sterblichen Bruder Castor seine Liebe und Freundschaft dadurch, daß er denselben abwechselnd einen Lag um den andern seine Unsterblichkeit genießen ließ und dafür so lange selbst bei den Schatten weilte.

§. 112.

Die orphischen Mysterien.

In jüngerer Zeit des hellenischen Lebens, um die Zeit der Pisistratiden traten in Griechenland priesterlich-philosophische Sänger und mystisch-religiöse Dichter auf, welche sich nach dem Namen des alten thrakischen Sängers Orpheus, den sie sich zum Führer erwählt hatten, Orphiker nannten, an diesen durch die religiöse Ueberlieferung geheiligten Namen (§. 95.) eine eigenthümliche religiöse Dichtungsart knüpften, deren Wesen dem fortgeschrittenen religiösen Geist der hellenischen Bildung entsprach. Der durch die gewöhnlichen mythologischen Vorstellungen unbefriedigte Sinn tiefer Gebildeter strebte aus dem Götterglauben des

Volkes zur Einheit des Alllebens zurück, aus welcher die mythologischen Göttergestalten hervorgegangen waren, und fand in mystischer Versenkung in das göttliche Naturleben Versöhnung und Ruhe.

So wurden denn die mythischen Göttergestalten der Volksreligion von den Orphikern in naturphilosophischer Weise umgedeutet und allegorisch gefaßt, als symbolische Darstellung allgemeiner elementarer und physischer Begriffe. Ein Verfahren, welches sich von der eleusinischen Mystik dadurch wesentlich unterschied, daß es nicht mehr aus un= befangener gläubiger Reflexion hervorging, sondern in der Skepsis (§. 10.) seinen Ursprung hatte, so daß dadurch zur Untergrabung und innerlichen Auflösung des Volksglaubens viel beigetragen wurde.

Die Orphiker hatten besondere Verbindungen oder Verbrüderungen und nicht jeder nahm an den geheimen Opfern und Weihen Antheil. Diese Verbindungen schlossen sich zugleich eng an den ebenfalls mystischen Cultus des Dionysos an, und sahen in Dionysos einerseits den lachenden Naturgott, den Geber aller Freude und Seligkeit, andererseits ein geheimnißvo es düstres Wesen der Unterwelt; die Drphiker haben geradezu Hades mit Dionysos als ein und dasselbe Wesen genommen. Darum heißen auch bei Herodot die orphischen Gebräuche geradezu bacchische oder dionysische. Dionysos wurde als getödtet, als zerrissen gedacht, weßhalb man zu seinem Opfer ein Kalb zerriß, und diese Zerreißung des Gottes war der Mittelpunkt der orphischen Mythen und ihrer mystischen Naturanschauung.

Herodot nennt aber die orphischen Weihen auch py thagoreische, weil sich die Ueberreste der Pythagoreer, nach dem Untergang ihres politischen Bundes, mit den Orphi= kern vereinigt haben, wodurch diese neue geistige Kräfte erhielten. Seit dieser Zeit wurden von vielen pythagoreischen Orphikern religiöse und philosophische Naturgedichte gedichtet, worin die orphische Religion und Weltanschauung niedergelegt wurde, und die griechische Literaturgeschichte

kennt eine Menge solcher orphischer Gedichte, die zum Theil sehr umfangreich waren und insbesondere über die Weltschöpfung sich verbreiten.

Während bei Homer und Hesiod die Götter Zeus, Uranos, Kronos nicht als Weltschöpfer auftreten, sondern ihrem Wesen nach sich mit und in der Welt entwickelten, ist nach den orphischen Vorstellungen Zeus als Weltschöpfer gefaßt und die Bilder des Mischens der Elemente, des Webens, Knüpfens, die Symbole des Mantels, Nezes, Mischkrugs zur finnbildlichen Bez:ichnung der Weltschöpfung gebraucht.

Auch mit dem Schicksale der menschlichen Seele beschäftigen sich die orphischen Poesien vielfach; sie lehren, die Seele sei zur Strafe in den Körper gebannt, wie in ein Gefängniß. Zeus habe die Litanen durch seinen Bliß getödtet, und aus ihrer Asche sei das menschliche Geschlecht hervorgegangen, darum auch die Schuld der Litanen auf die menschliche Seele übergegangen. Nachdem aber dieselbe, von der Persephone geführt, durch verschiedene Körper und Wesen hindurchgegangen (— ganz die ägyptische Seelenwanderungslehre —), endige erst im sechsten Geschlecht ihr Leiden. Ein Gemälde des Polygnot stellte den Orpheus mitten unter den gestorbenen Helden als Lehrer der künftigen Seligkeit dar; auch die Ansicht von verschiedenen Wohnsigen auf Mond und Sternen ist orphisch; der Mond galt als eine neue bessere Erde, mit Bergen, Thälern und fruchtbaren Auen. Auch der Dichter Pindar hat seine Ansichten vom jenseitigen Leben sicherlich aus der Bekanntschaft mit orphischen Dichtern geschöpft.

Die orphischen Gebräuche nennt Herodot ägyptisch; ihr Leben war asketisch; sie kleideten sich in Leinwand, als Zeichen des Strebens nach priesterlicher Reinheit. Die Dr phiker enthielten sich aller Fleischspeisen und opferten den Göttern nur unblutige Opfer. Nach einem alten dionysischen Gebrauch aber zerriß man bei besonderen Gelegenheiten ein junges Thier, und dann kostete jeder etwas davon.

Durch den mystischen Genuß dieses Fleisches ging Dionysos in die Einzelnen über.

§. 113.

Der Untergang der Götter Griechenlands.

Hatte sich in der Mystik das religiöse Bewußtsein der Griechen noch auf dem Boden der unbefangenen gläubigen Reflexion über den Inhalt der religiösen Vorstellungen bewegt, so nahm diese Reflexion als zweifelnder und prüfender Verstand bald eine bestimmte verneinende Richtung gegen die überlieferten Gestalten des religiösen Volksglaubens. Man kam im Fortschritte der allgemeiner werdenden religiösen Aufklärung und des zu sich selbst kommenden Selbstbewußtseins immer mehr dahin, daß man die mythologischen Vorstellungen in allgemeine physikalische, moralische und geschichtliche Begriffe auflöste.

Die erwachende griechische Philosophie stellte den religiösen Inhalt des griechischen Geistes und Lebens, den die Mythologie in persönlichen Gestalten und Bildern sich anschaulich gemacht hatte, rein für sich heraus, von den unangemessenen und unzulänglichen Formen der mythologischen Vorstellung gereinigt und befreit. Auf diese Weise durch die Skepsis und die Philosophie erschüttert, wurde der religiöse Volksglaube in seiner Wurzel erschüttert. Nur durch die Macht der Gewohnheit vermochte sich noch eine Zeit lang der glaubenslose Glaube und die abgestorbene Hülle des Religionsdienstes äußerlich zu erhalten.

Er mußte aber nothwendig untergehen, weil sein Inhalt eben nur endliche Wesen, Gebilde der Phantasie und Vorstellung waren. Gegen diese mythologischen Götterwesen sind sogar die Heroen das Höhere, weil sie durch eigne Lebensthat sich über die Endlichkeit und Natürlichkeit erhoben, durch Kampf und Mühe ihre Verherrlichung selbst errungen haben. Der feine, sichere Instinct des griechischen Geistes hat dieß auch selbst gefühlt und in der mythischen

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