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Handlung heraus, sondern spinnt sich immer wieder in die Gesinnung, in die innere Gefühlswelt zurück, wühlt diese krankhaft auf, und die Katastrophe bricht dann plöglich herein. Faust ist ein philosophischer, Göß ein historischer Roman, beide gleichsam Wandelgemälde in allmälig sich aufrollenden Scenen und Bildern. In diesen beiden dramatischen Werken ist die Composition eine äußerst lockere und willkürliche, wie dies auch nicht anders möglich, da im Faust wie im Göß ein ganzer langsam vorrückender Lebenslauf sich ruckweise vor uns entwickeln soll. Von der ganz eigenen, sehr bequemen und lässigen Composition Egmonts werde ich später ausführlicher sprechen. Auch die Iphigenia in Tauris, obgleich der Vorgang selbst einen geringern Zeitraum umspannt, bekommt durch die erzählenden Rückblicke in die Geschichte des Atreidenhauses einen entschieden epischen Hintergrund. Zu dieser in ernsten Schatten hereinragenden Vergangenheit paßt dann ganz wunderbar die milde Trauer, die sanft gedämpfte Molltonart, aus der das ganze Drama gestimmt ist, und die alle Scenen desselben harmonisch durchzieht. Kaum brauche ich noch zum Schlusse hervorzuheben, daß die novellistische und romanartige Behandlung des Drama's bei Göthe, die durchgeführte Seelenmalerei, zu der hier überall Raum bleibt, insbesondere der Schilderung der Frauen, der Ausmalung des weiblichen Gefühlslebens günstig ist, welches sonst gewöhnlich in der dramatischen Abbreviatur zu kurz zu kommen pflegt. Die Frau ist eine empfindende, nur seltener eine handelnde Natur, ihre dichterische Heimath ist der Roman, nicht eigent

lich das Drama. Daß Göthe in beiden Formen das Höchste in der Darstellung des weiblichen Seelenlebens geleistet hat ist heutzutage schon eine triviale Bemerkung.

Genug davon! Wir haben nun nach diesen Vorbetrachtungen Göthe in der ersten und fruchtbarsten Periode seines Schaffens näher eingehend zu betrachten.

B. Die ersten dramatischen Versuche: „Die Laune des Verliebten,,,Die Mitschuldigen.“ Die Göß- und WertherPeriode und ihre Nachklänge: „Göß von Berlichingen,“ ,,Clavigo," Stella,",,die Geschwister."

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Die Universitätsjahre Göthe's waren für ihn auch die Lehrjahre des Dichters. Was er nach dem Willen seines Vaters auf Akademien lernen sollte, das lernte er da nun freilich nicht. In Leipzig hatte er, statt im deutschen Staatsrechte gehörig nachzuschreiben, die darin aufgeführten Personen, als den Kammerrichter, den Präsidenten und die Beisiger, mit seltsamen Perrücken an den Rand seines Heftès gezeichnet, und durch diese Possen seine aufmerksamen Nachbaren zerstreut und jum Lachen gebracht. Statt bei Profeffor Böhme ordnungsgemäß seine Collegia zu hören, nahm er bei seiner gebildeten Gemahlin ein Privatissimum über das savoir vivre, die feinere Lebenssitte und das l'Hombrespiel. In Straßburg trieb er, von seiner Tischge= nossenschaft angeregt, in dilettantischer Weise medicinische und naturwissenschaftliche Studien aber, was ungleidy wichtiger war, er fuchte sich hier durch Ver

Bayer: Von Gottiched bis Schiller. H.

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haue und wirres Gestrüpp den Weg zum deutschen Parnaß. Und wie suchte er ihn? Etwa so, wie ein Spaziergänger, der keine Eile hat, die staubige Heerstraße vermeidet, und auf schmalen Fußsteigen zwischen goldenem, wogenden Korn und bunten Feldblumen wandelt. Bald da, bald dort eröffnen sich ihm überraschende Ausblicke — nun, auf einem hochgelegenen Punkte anglangt, überschaut er mit einem Male die berrliche Landschaft, die sich zu seinen Füßen ausbreitet, und mit Verwunderung fragt er sich selbst und sein freundliches Geschick, wie er nur hieher gekommen sei? In Leipzig, dem alten Sig der französisch auffrisirten Gottsched'schen Muse und der weinerlichen Gellert’schen Moral schloß er mit der älteren Richtung der deutschen Literatur ab in Straßburg eröffnen sich ihm die wunderbaren Fernsichten in jene neue Richtung, die mit ihm beginnen, oder mindestens durch ihn etwas werden sollte.

Vorerst haben wir ihn aber noch nicht so weit; es ist nöthig, daß wir einen Augenblick noch den Leipziger Studenten im Auge behalten. Leichtsinnig, wild und auch etwas roh, wie er von Frankfurt kam, suchte er sich in dem Klein-Paris an der Pleiße, das seine Leute bildet, ernstlich zu civilisiren. Wie die Kleider, die er vom Hause mitbringt, haben auch die halbpoetischen Episteln, die er an Freunde richtet, einen recht altmodischen Schnitt; das soll anders werden. Das Leben, das er nun führt, ist äußerlich sehr bewegt, aber im Innern klingt davon noch wenig nach; die jugendliche Unruhe der Flegeljahre reißt und zuckt ihm

in allen Gliedern - er ist, wie ein Freund klagt, ein stolzer Phantast, ein Stuger geworden, und treibt sich in Concert und Komödie, auf Gastereien und Spazierfahrten umher, daß die Louisd'or nur fliegen. Die Poesie ist ihm bei diesem oberflächlichen Treiben mehr Fertigkeit als Bedürfniß, Uebung der leicht beweglichen Geisteskräfte, nicht Erguß des erregten Gemüths. In dem Sinne fallen denn auch seine ersten dramatischen Versuche von 1768-69 aus: das Idyll „die Laune des Verliebten" und das Lustspiel die Mitschuldigen," beide in Alexandrinern. Es ist modische Weltmannspoesie, feine Leipziger Meßwaare, bei glatter, fließender Form ohne alle innere Tiefe. Wie Lessing mit seinen Jugendstücken noch ganz in dem alten Komödiengeschmack steckt, so knüpft Göthe wenigstens daran an, freilich mit größerer Gewandtheit und Zierlichkeit; bei jenem mahnt noch die moralisirende Reflerion, die seltsame Mischung von Komödienton und theologischem Lehrton an den weltscheuen Primaner von Meißen, bei diesem weis't umgekehrt der frühreife Weltsinn, die nüchterne Kälte, die heitere Behandlung selbst des Unmoralischen auf frühe Erfah rungen, auf einen vorzeitigen Einblick in die Irrgänge der Gesellschaft hin. Es gilt dies zunächst von dem legtgenannten Stück, den „Mitschuldigen," das beiläufig im Ton der Molière'schen Stücke gehalten, einen sspigbübischen Handel vorführt, den der junge Dichter mit einem merkwürdigen Indifferentismus gegen die Moral rein komisch auffaßt; Sittenlosigkeit, Untreue, Dieberei, gegenseitige Verdächtigung von Vater und Tochter

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dies Alles stört und trübt ihm durchaus nicht den Spaß. Wenn Schiller's erstes Stück: die Räuber" die zornigsten Angriffe auf die Verderbtheit und Heuchelei der Gesellschaft enthält, so lacht der junge Göthe zu alle dem; er wußte sehr wohl, daß Religion, Sitte, Geseg nur die Oberfläche des socialen Daseins beherrschen, und ein glattes Aeußere, als ein schwacher Bewurf manches morsche Gemäuer übertünche, das über Nacht zusammenstürzt — aber das hinderte ihn nicht, dies wüste Welttreiben blos vom Komödienstandpunkte zu nehmen und auch so wiederzugeben. „Die Laune des Verliebten" beruht, wie ich schon erwähnte, auf einem erlebten Gemüthszustand; Eridon und Amina sind Göthe und Käthchen in französischem Schäfercostüm. Der zarte lyrische Zauber der späteren Liebesdichtung Göthe's fehlt aber noch stark diesem Jugendproduct; obgleich es eine persönliche Beichte des Dichters sein soll, hat es noch viel von der flacheren, tändelnden Erotik der conventionellen Poesie, von dem Porcellanund Traganthgeschmack jener Schäferspiele, die als Nachzügler von Guarini's Pastor fido ihren Weg von Frankreich aus durch Europa machten. Die alten Eindrücke der Knabenzeit, da der Graf Thorane sein Quartier im Göthe'schen Hause nahm und die franzöfischen Schauspieler in die alte Reichsstadt einzogen, wirkten bei dem jungen Poeten immer noch nach; von dem incorrecten französischen Nachspiel an, das er als Knabe seinem Freunde Derones vorlegte, bis zu den beiden Leipziger Stücken finden wir ihn so ziemlich in demselben Geleise. Indeß war dieser früh eingeführte

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