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Zug einer milden Trauer, der die Gesänge Homer's durchweht, wenn wir einen Helden nach dem anderen dahinsinken sehen, und eine ganze Heroenzeit mit den legten Versen der Ilias verklingt und verrauscht liegt auch über dem dramatischen Bilde des „Göß;“ man fühlt, daß mit dem legten Athemzuge des Helden auch ein ganzes Zeitalter zu Grabe sinkt. In jenen spätesten Repräsentanten des alten Reuter- und Ritterfinns aus der Marimilian'schen Zeit sah Göthe die Reste eines freilich verwilderten Heldenalters, das schon mit einer unheroischen Generation zusammentrifft und in nuglosem Kampfe mit ihr sich aufreibt; nun sollen die Institutionen erstarken auf Kosten der persönlichen Kraft, die Individuen sollen verkrüppeln, damit die öffentlichen Gewalten sich kräftigen mögen während in Deutschland freilich Eines mit dem Anderen morsch ward und zusammenbrach. Es kam die Zeit der Ränke, der Hoffünfte, der Rabulisterei und des Beamtendespotismus lauter schlimme Geister, welche dem Nationalgeist entgegenwirkten und seine frischen Lebenstriebe mit dicken Spinnengeweben umlegten; das Leben war verödet, ein dauerhaft Neues war nicht auf den Trümmern des Alten entstanden und zulegt blieb nur noch die Frage übrig :

Das heil'ge römische, deutsche Reich,

Wie hält es doch zusammen ?

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Ohne sich auf diese Frage weiter einzulassen, ohne das „garstige, politische Lied" weiter zu singen, be= gnügte sich Göthe damit, das Bild der Totalität des deutschen Charakters poetisch wieder herzustellen, da

es doch nicht in der Wirklichkeit geschehen konnte und dies war die einzige Tendenz bei seinem Gög, wenn das überhaupt noch eine Tendenz heißen kann.

Als Göthe 1772 als Rechtspractikant zur Visitation des Reichskammergerichtes nach Weglar ging, lag be reits das Manuscript des „Gög“ in seiner ersten Form fertig vor. Hier konnte sich der junge Dichter in seinem Gefühl so ganz mit seinem Helden identificiren, wie er denn auch an Goue's phantastischer Rittertafel Gög der Redliche hieß. War doch hier so recht der ganze massenhafte Kehrichtshaufe des heiligen römischen deutschen Reiches auf einen Fleck zusammengekehrt! Da mußte der monströse Zustand dieses durchaus kranken Körpers ihm so ganz vor die Augen treten, der nur durch ein Wunder so lange am Leben erhalten werden konnte. Gerade hier, wo ihm die schreckliche Desorganisation des Reichskammergerichtes vor Augen trat, das zu Marimilian's Zeit dem Naturzustand des Fehdewesens ein Ende machen, das eine geregelte Rechtsordnung unter den Reichsständen herstellen sollte da wurde ihm die Wahrheit dessen so ganz klar, was er später den Mephistopheles in bitterem Hohn über die Jurisprudenz sagen läßt:

Es erben sich Gefeß' und Rechte
Wie eine ew'ge Krankheit fort;

Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte.

Und rücken sacht von Ort zu Ort.

Vernunft wird Unfiun, Wohlthat Plage,

Weh' Dir, daß Du ein Enkel bist!

Vom Rechte, das mit uns geboren ift,

Von dem ist leider nie die Frage.

Ja wohl! weh Dir, daß Du ein Enkel bist!" denn da lag der hochangeschwollene Wust der Acten, die seit hundertsechszig Jahren keine Revision erfahren hatten, ein Chaos verjährten Unrechts da. Was Wunder, daß über diesen Actenbergen Göthe'n abermals der Schatten des Ritters mit der eisernen Hand aufstieg, und gleichsam in ihn drang, die erneuerte Kunde von ihm dem Vaterlande nicht länger vorzuenthalten! Nun ward ihm erst recht jene kräftige Zeit lebendig und bedeutungsvoll, wo der Mann sich noch selbst helfen konnte und durfte, ohne vor den Gerichtsschranken sein Recht vergeblich zu suchen, jenes Recht, das allmälig in unerledigten Fascikeln vermodert! Die heimliche Abneigung Göthe's gegen die Jurisprudenz, gegen das gelehrte und geschriebene Recht, das er wider Willen studirte, klang von vornan in den Gög hinein; was er dem Vater nicht gestehen durfte, erfuhr bald das Publicum. So kam es denn, daß die römischen Rechtsgelehrten, die kaiserlichen Rathe und Commissäre in seinem Stücke besonders schlecht wegkamen, und die Unpopularität des römischen Rechtes, das damals in Deutschland die alten Volksrechte und Bräuche verdrängte, dort überall auf's Nachdrücklichste und Schärfste betont wurde.

Die Wirkung des Göz muß eine ungemeine ge= wesen sein; im Sinne der damaligen Jugend war er das Bild des vollkommenen Mannes. Ein Bischhen Faustrecht hat sich ohnehin seit jeher auf den Akademien erhalten die Universitätsjahre sind ja an sich ein gut Stück Sturm und Drang, zu dem das Rectorat

und die Polizei, wenn's nicht gar zu toll ist, schon ein wenig die Augen zudrückt. Mit allgemeinen Freiheitsideen geben sich wohl die akademischen Helden. weniger zu schaffen, desto entschiedener sind sie bereit, jedes Haarbreit individueller Freiheit auf der Mensur zu verfechten. In diesem Sinn mochten ihnen Gög und Selbig so erscheinen, wie die ehrwürdigen bemoosten Häupter" der alten feudalen Selbstständigkeit, von der jeder noch ein kleines Restchen vor dem Eintritt in's Philisterium auf eine Zeit zu retten suchte.

Aber auch bei dem ernsteren, reiferen Publicum rief der Gög einen außerordentlichen Eindruck hervor. Die Verhältnisse des Zeitalters, aus dem die Gestalten des Stückes hervortraten, wurden damals noch auf mannigfache Art, sogar durch die sinnlichen Eindrücke der Kaiserwahlen in der Erinnerung frisch erhalten. Das gebrechliche Gebäude der Reichs - Justiz, welches zu jener Zeit aufgeführt worden, war jegt dem Einsturze nahe. Die aus alter Geschichte erzeugte Darstellung des kräftigen, deutschen Mannes der von Allem, was ihn umgiebt, aufgefordert wird, das_innewohnende Gefühl des Rechtes mit eigener, unabhängiger Energie des Willens geltend zu machen, zuckte elektrisirend durch die Gemüther, wenn sie dieser eine Funke auch noch nicht zu neuer Thatkraft erwecken konnte.*) Wie warm begrüßt Justus Möser den Gög,“ dem dieses Stück so ganz nach dem Herzen

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*) Vergl. Ludw. Tieck, Einleitung zu den Schriften von Lenz, S. CXXVII.

geschrieben sein mochte wie nachdrücklich nimmt er es gegen den absprechenden Tadel Friedrichs des Großen in Schug! Er nennt das von dem Könige so sehr heruntergesezte Stück ein durchaus edles und schönes Product deutschen Bodens, eine gesunde Frucht, der heimischen Erde ohne Künstelei entsproffen. Alles, was der König daran auszusehen habe, bestehe darin, daß es eine Frucht sei, die ihm den Gaumen zusammenzogen habe, und die er auf seiner Tafel nicht verlange. Aber das entscheide ihren Werth noch nicht. Der Zungen, welche an Ananas gewöhnt sind, werden hoffentlich in unserem Vaterlande eine geringe Zahl sein; und wenn von einem Volksstücke die Rede sei, müsse man den Geschmack der Hofleute bei Seite segen. Das beste Schauspiel für unsere Nation sei ein solches, das ihr hohen, starken Muth giebt nicht aber, was dem schwachen Ausschusse des Menschengeschlechtes seine leeren Stunden vertreibt, oder das Herz einer Hofdame schmelzen macht.*)

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Ein Volksschauspiel im besten Sinne des Wortes war Gög, ein Drama, gelegt ans Herz der Nation! War es dabei dem Dichter zu verargen, daß er bei dem raschen Puls, mit dem er es schrieb, nicht nur die conventionelle Regel der französischen Tragödie, sondern auch die unverbrüchlichen Naturgeseze der echten dramatischen Composition verwegen übersprang? daß er gleich seinem Helden von einer Scene zur andern

*) Justus Möser, Vermischte Schriften, I. Theil, S. 191. (Schreiben über die deutsche Sprache und Literatur.)

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