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neuert sich nach diesem genialen Jugendwerke bei Göthe nicht wieder; dagegen wird er nicht müde, den Typus Weislingens zu reproduciren, und uns noch ferner in das Helldunkel schwankender Gemüthszustände, in das Seelenleben undecidirter Naturen blicken zu lassen. Gleich der nächste Held oder vielmehr Nicht-Held Göthe's Clavigo, ist wie er ihn selbst bezeichnet, „ein unbestimmter, halb groß halb kleiner Mensch, der Pendant zum Weislingen im Göz, oder vielmehr dieser noch einmal in der Rundheit einer Hauptperson."

Ehe wir dieses nächste Stück Göthe's besprechen, wollen wir nur die Schritte zurückmessen, die er inzwischen gethan. Was bei den mitstrebenden Literaturgenossen bloße Tendenz blieb, das hielt unser Dichter, wie wir sahen, in seiner ersten großen Production in reichster Fülle der Gestaltung fest. Charaktere voll Gradheit, Biederkeit, Beharrlichkeit, Muth, die in's Herz des deutschen Volkes greifen, wie sie Klinger so nachdrücklich für's Drama forderte, hat er in Gög und den Seinen unvergänglich hingestellt; jener überquellenten, heißlodernden Fülle der Empfindung und Leidenschaft, die bei Lenz in seinem „Engländer“ durch alle Nerven wühlt und zittert, hat er in den Scenen zwischen Franz und Adelheid einen verwandten, aber viel bedeutenderen poetischen Ausdruck gegeben. Alles ist hier beisammen, worüber die Zeit brütete, was sie ringend anstrebte; innere, markige Kräftigkeit, doch ohne alles leere Renommiren mit Kraft, tiefe, schwärmerische Glut des Gefühls, doch ohne daß der Dichter an dem Feuer, das er malt, sich selbst ver

sengte. Der Same der Dichtung, den damals der Wind nach allen Seiten verwehte, hier ist er in die fruchtbarste Erde historischen Bodens gefallen, und der Stamm, der geraden Schusses emporstrebte, hat die besten Kräfte dieses Bodens in sich aufgesogen und ver sammelt. Die poetische Gestalt deutschen Lebens ist an einer Stelle erfaßt und festgehalten, wo noch der volle Abendsonnenglanz, wie zum Abschied, über ihr leuchtete

bis Alles in Nacht hinabsank und die hellere aber fältere Sonne des neuen Tages nur über den romantischen Ruinen jener Zeit aufging.

Werther's

Dem ferngesunden Gög folgten Leiden" auf dem Fuße nach, das berühmte Evangelium der Empfindsamkeit, diese wundervoll wahre, aber mit gesunden Augen angeschaute Krankengeschichte -von dem Dichter dargestellt, als er über der Epoche stand, die er schilderte, als der Patient sich selbst schon Arzt geworden war. Auf solche reiche Productionen bedarf es der stillreifenden Zeit, um die schaffenden Kräfte auf's Neue zu sammeln. Bedeutende Entwürfe stiegen auf, mächtige Geister drängten heran, für die sich aber der künstlerische Leib nicht zusammenfügen wollte: ein Mahomed, sogar ein Julius Cäsar lagen im Plane, kamen aber nicht zur Ausführung. Ehe sich neue Formen in des Dichters Geiste befestig= ten, ehe der geniale Magier das Zauberwort fand, um die Dämonen herbeizuzwingen, die ihn zwischen den Zeilen des Volksbuches vom Faust schon damals wie mit Geisteraugen anblickten da bürschte und wilderte er muthwillig keck im Forste der Literatur

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umber, bereitete sich selbst, nur daß er zu schaffen habe, mit Scherz, Spott und Satyre ein munteres Zwischenspiel. Es war das Narrenfest seiner komischen Laune

ein Intermezzo mit Marionetten, bis der Vorhang wieder aufgehen und neue Helden auf die Bühne treten konnten. Die Farcen und satyrischen Schwänke gegen Leuchsenring (Pater Brey), Basedow (Satyros, oder der vergötterte Waldteufel), Bahrdt (Prolog zu den neuesten Offenbarungen Gottes) und Wieland (Götter, Helden und Wieland) fallen in diese Zeit; ebenso die allgemeiner gehaltene Production voll genialer komischer Kraft: „das Jahrmarktsfest in Plundersweilen." Mitten zwischen diese Schwänke tritt nun aber eine ernstere Gestalt es ist Clavigo, und das Grabgeläute für Marie Beaumarchais tönt dumpf und schwer in das Geflingel der komischen Schellenkappe hinein, die Göthe fast gleichzeitig so übermüthig toll in die Luft warf. Wie dieses Stück nur so nebenbei über eine zufällige gesellschaftliche Anregung ent stand (Mai 1774), ist allbekannt und Jeder kann es in „Dichtung und Wahrheit“ nachlesen.*)

Wir finden den Dichter des Gög hier auf einmal wieder in der ganz modernen Conversationssphäre, gleichsam auf der Domaine Diderot's und Leffing's. Ein Funke jenes echt französischen Theaterfeuers, mit welchem Beaumarchais seinen Handel mit dem spanischen Schriftsteller Clavigo in seiner lebhaft erregten

*) S. Göthe's Werke, Großoctav-Ausgabe von 1851, 18. Band, S. 192.

Erzählung vortrug, sprang in die Seele des deutschen Dichters zündend hinüber, aber er fiel auf jenen Herd, der noch von den Flammen Werther's warm war und vermischte sich gleichsam mit den zurückgebliebenen Glutresten des letteren.

Der Held aber selbst? Er wurde, wie gesagt, der wiedergefäute" Weislingen, zum großen Verdrusse Mercks, der von Göthe's ungemeinem Talente auch stets das Ungemeine forderte. Wir haben den Dichter bereits entschuldigt. Nach dem erstaunlichen Reichthum des Göz war eine solche Reproduction begreiflich. Wie der Herr nach der Genesis. aus der Rippe des Adam das schwächere Geschöpf, die Eva schuf, so nahm der Dichter aus dem mächtigen Gliederbau des früheren Werkes der schwächsten Rippen eine, und so entstand Clavigo." Auch er ist, wie Gögens Ehefrau von Weislingen sagt, jener Menschen einer, „die selten Stärke haben, der Versuchung zu widerstehen, und niemals Kraft, sich vom Uebel zu erlösen.“

Ob der historische Clavigo den Anhalt zu einer solchen Auffassung bot? Ob sich sein Handeln, seine Treulosigkeit eben auch auf solche psychologische Irrgänge und Schwankungen des Gemüthes zurückführen läßt? Nichts weniger als das. Nach Beaumarchais' Darstellung stelle ich mir ihn als einen geschmeidigen, schlauen Spanier vor, von feiner Bildung und ge= winnenden Weltmanieren, dazu als einen wohlgeschulten Intriguanten, der wie ein Aal durchschlüpft, wo man ihn am festesten gefaßt zu haben glaubt. Er ist ganz

Herr seiner Regungen, versteht sich, als Journalist und Höfling gleich gewandt, auf alle Künste der Verstellung, improvisirt Gefühle und pathetische Scenen so leicht, als er einen Artikel schreibt, braucht keinen Carlos an der Seite zu haben, weil er deffen scharfspähenden Verstand und rücksichtslose Entschlossenheit selbst besigt. Wie alle listigen, selbstischen Naturen ist er ohne persönlichen Muth, duellscheu, läßt sich zu demüthigenden Erklärungen herbei, denkt aber sogleich auf die Wege, fie in ihren Folgen wieder unschädlich zu machen. Den geradeaus schreitenden Beaumarchais weiß er zu umgehen, durch literarische Sympathien zu gewinnen, und endlich sammt seiner Schwester mit berechneter Perfidie zu betrügen; nach der Schilderung des Memoire's, die allerdings den Parteistandpunct der Anklage festhält, erscheint er daher geradezu als ein feiger Schurke, ,,der die niedrigsten Mittel nicht verschmäht, um sich der Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen zu entziehen, und diejenigen, welche ihn an dieselben erinnern, aus dem Wege zu räumen." *)

Vor der Ankunft Beaumarchais' hat Clavigo bes reits zweifachen Treubruch geübt; er ist zweimal im legten Augenblick, gleichsam einen Schritt vor dem Traualtar, wieder zurückgetreten, und hat so Marien förmlich beschimpft. Nun erscheint der Bruder, und nöthigt ihm in der Art, die wir aus Göthe's Stück

*) Siehe Danzel: „Ueber Göthe's Clavigo“ in dessen gesammelten Auffäßen, herausgegeben von O. Jahn, Leipzig 1855; vergl. damit Aug. Lewald's,,Beaumarchais" (Stuttgart 1839).

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