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lich die enge Welt dieser Handlung weit hinaus überwächst.

Als Göthe diesen Carlos ersann, war er jünger wie Schiller, da er den Marquis Posa dichtete. Daß die Anschauungen, aus denen diese Figur zusammengewebt ist, in der Brust eines Jünglings reifen, der kalte feste Blick der Welterfahrung so früh neben der weichsten Gefühlsschwelgerei sich entwickeln konnte, muß unsere höchste Verwunderung erregen. Und doch war Göthe Werther unter Umständen auch Carlos - Göthe - beide Elemente trug er frühzeitig neben einander in seiner Brust. Carlos ist der Repräsentant des souverainen Zug's in Göthe's Talent, der sich für jene Zeit doppelt verwegen hier ausspricht; mitten hinein gepflanzt zwischen die stoische Tugend Lessing's und die weltstürmenden Ideale Schillers steht er als der Vertreter jener genialen Selbstsucht da, welche die Welt nur als Material für den bedeutenden Geist ansieht. Hören wir seine Grundsäge. „Was Größe ist? Sich in Rang und Ansehen über Andere erheben? Nein! Wer nicht im Stande ist, sich gelassen über Verhältnisse hinauszusegen, die einen gemeinen Menschen ängstigen würden, ist mit Bändern und Sternen, ja mit der Krone selbst nur ein gemeiner Mensch! Außerordentliche Naturen sind eben darin auch außerordentlich, weil ihre Pflichten von denen der gewöhnlichen Menschen abgehen; wessen Werk es ist, ein großes Ganze zu übersehen, zu regieren, zu erhalten, darf sich keinen Vorwurf daraus machen, geringe Verhältnisse vernachlässigt, Kleinigkeiten dem Wohl des Ganzen aufge

opfert zu haben. Dies thut der Schöpfer in seiner Natur, der König in seinem Staate, und jeder bedeutende Kopf soll es ebenso thun!"

Es kann keine entgegengesettere Freundespaare geben, als Don Carlos und Marquis Posa, Clavigo und Carlos; aber Beide verbindet ein gleich festes, gleich nothwendiges Band. Des Carlos Bündniß mit Clavigo soll diesem den sichern realistischen Halt geben, das des Marquis Posa mit Don Carlos dem Legteren idealistischen Antrieb und Schwung. Schwung. Wenn Posa Paradiese der Zukunft in seines Freundes Seele pflanzt, so möchte Carlos den Clavigo die schwere Kunst lehren, auf die Gegenwart zu wirken und sich ihrer zu versichern; wenn Jener sein kosmopolitisches Evangelium mit begeisterter Rhetorik vorträgt, entwickelt dieser mit der Kunst des Dialektikers die Theorie des souverainen Egoismus. Posa verlangt, daß der König selbst wie ein Bürger empfinde, Carlos findet nichts unverträglicher, als Hang nach Größe und bürgerliche Gesinnung; Jener glaubt an das Staatenglück, an das Wohl und die Machtfülle des Ganzen, dieser meint, daß das Ganze nur dazu da sei, damit der bedeutende Einzelne in ihm sein Uebergewicht, seine Größe empfinde. Auch der Marquis übt Curatel über seinen Freund, dem die Liebe zu Kopfe gestiegen, aber nur damit der Prinz nicht der Sache Flandern's, dem Interesse der Freiheit nicht verloren gehe; Carlos segt sich zum Vormund über Clavigo, daß sich dieser nicht selbst verloren gehe, die höher strebende Natur in ihm nicht in bürgerlichen Rücksichten untersinke.

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Es ist sein Stolz, daß Clavigo's Bedeutung selbst zum großen Theile sein Werk ist; er hat seine Freude an ihm, wie an einem stattlichen Hause, das er seit Jahren gebaut. Um so größer ist seine Besorgniß, als er den Funken, den Beaumarchais hineinwarf, zünden und aufflackern sieht, und nun eilt er herbei, so rasch als möglich zu dämpfen und zu löschen. Umsonst! die eingedrungene Flamme ist wohl bald erdrückt, aber das Gebälke, das Alles hält, war schon angebrannt und nun stürzt das ganze Gebäude morsch und haltlos zusammen. Umstimmen fann er wohl den Freund, ohne diesem aber die gemüthlose Entschlossenheit auch einflößen zu können, die ihm selbst so ganz eigen ist. Sein Auge, dem Carlos eben den Staar gestochen, verträgt noch nicht das schmerzliche Licht; wir finden ihn nach der großen Ueberredungsscene matt und kraftlos, wie einen Patienten nach einer gefährlichen Operation. Mit einem Strom von Thränen wirft er sich dem Carlos an den Hals: ,,Rette mich", ruft er, vor dem doppelten Meineid, vor der unübersehlichen Schande, vor mir selbst ich vergehe!"

Es liegt nun mit Folgerichtigkeit in der ganzen Anlage des Charakters, daß Clavigo, betäubt von dem innern Kampfe, wie er ist, alle ferneren Schritte Carlos ohne weitere Nachforschung überläßt; der Freund, der für ihn denken soll, muß auch für ihn handeln. Diesem steht dann die Einleitung einer verwegenen Intrigue gegen Beaumarchais ganz zu Gesicht; bei seinem kalt entschlossenen Wesen wird er

auch kein Bedenken tragen, selbst etwas Gewaltsames auf eigene Faust zu unternehmen, um nur dem Possenspiel, wie er es nennt, radical ein Ende zu machen. Aus der weichen Halbheit des Helden wäre auch wieder der Rückschlag erklärlich, daß er später über die allzu weite Vollmacht erschräcke, die er Carlos in dieser Sache eingeräumt. Kein bloßer Zufall, sondern ein innerer Zug wiedererwachender Reue müßte ihn dann auf einem nächtlichen Gange voll dumpfen qualvollen Sinnens vor das Haus Mariens führen; hier träfe er wie durch eine Schicksalsfügung mit dem Leichenzuge zusammen, um durch das Schwert des Bruders am Sarge der Geliebten reuig und versöhnt zu sterben.

Carlos macht aber den Clavigo zum Mitwisser, zum Theilnehmer seines Anschlags gegen Beaumarchais

und wenn der vom Standpunkt des Ersteren blos ein fecker, spanischer Gewaltstreich sein mag, so wird er für Clavigo, sobald er ihn acceptirt,. zur ausbündigsten Verrätherei. Was der historische Clavigo durch das verwegene Mittel der Criminalanklage erreichen wollte, hat der Göthe'sche bereits erreicht; gleich, da Marie ihm verziehen, zerreißt Beaumarchais in übereiltem Edelmuth das Papier und stellt es ihm zurück. Wie schändlich nun, wie nichtswürdig, daß er jegt noch auf den Vorschlag des Carlos eingehen kann, Beaumarchais durch jene lügenhafte Anklage zu ver folgen! Ob er diese auf Andeutungen des Carlos selbst aufsegt, ob er sie ganz von dem legteren schreiben läßt, macht keinen erheblichen Unterschied; wer sich auch nur überreden läßt, eine edelmüthige Handlung auf

diese Art zu entgelten, ist kein Schwächling mehr, sondern ein Elender.

Göthe selbst sagt, er habe, um ein Ende zu finden, den Schluß des Stücks einer alten Ballade entnommen; es ist jene, in der die Verse stehen:

Halt' Atill, halt' ftill, ihr Todtengräber,
Laßt' mich die Leich' beschauen!

Er hub den Ladendeckel auf

Und schaut' ihr unter die Augen.

Die Wirkung ist aber nicht die der tragischen Erschütterung und Versöhnung; Clavigo stirbt durch Beaumarchais' Degen wie ein armer Sünder, nicht wie ein irrender Held. Die sentimentale Reue, in der er sein Leben zulegt an Mariens Sarge ausweint, macht fast einen widerwärtigen Eindruck, vollends der Bräutigamskuß, den er der Todten giebt, die doch über seinen Verrath gestorben. Wenn Sophie, wenn Beaumarchais selbst dem Sterbenden verzeihen, das Publicum fühlt mit dem wackeren Buenco, der noch jegt ihm die Hand zu geben zögert, und hat in diesem Gefühle des Unwillens, das sich meist sehr deutlich ausdrückt, vollkommen recht.

Viel seltsamer und befremdender noch, als Clavigo, der wenigstens eine unbestrittene Bühneneristenz hat, tritt uns die Stella entgegen, obgleich sie Göthe in besondere Affection nahm, und Wieland sie sogar weit günstiger beurtheilte, als den Clavigo.

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