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In der unmittelbaren Nähe der titanischen Kraftmenschen - des Faust, der damals schon vorgerückt war, und seines mythischen Nachbar's, des Prometheus, der blos Fragment blieb - begegnen wir hier der schmelzendsten, sentimentalsten Frauenempfindung, die in den weichsten Molltönen modulirt wird, gleichsam dem in's Weibliche überseßten Wertherthum. Der Gefühlsrausch geht bis zur völligen Narcotisirung des sittlichen Bewußtseins; schwül und betäubend, wie Nachtviolen- und Jasminduft in warmer Nacht, liegt die Atmosphäre entnervender Empfindsamkeit auf dieser seltsamen Dichtung.

Wenn Lessing die Geschichte der römischen Virginia in moderne Verhältnisse verpflanzte, so that hier Göthe ein Aehnliches mit einer Sage aus dem Mittelalter, der bekannten Historie des Grafen von Gleichen; aber während dort der ernste Dichter das Alterthum an Strenge der Tugend und Gesinnung fast noch überbot, wird von dem unseren hier den Irrungen der Liebe eine noch liberalere Absolution ertheilt, als sie selbst das Zeitalter der Minne gab.

Fernando hat seine Gattin, Cäcilie, verlassen, ohne mit ihr doch gebrochen zu haben; es war eine Flucht aus der Prosa der Ehe, als sie in ihren ersten Anzeichen leise heranrückte. Sein stürmendes Herz drängt ihn hinweg nach den Entzückungen neuer Leidenschaft; auf romantische Weise entführt er Stella, und ruht eine kurze, selige Zeit in weltvergessender Einsamkeit an der Brust dieses innigen Geschöpfs. Aber die Eraltation der Empfindung muß sich in ihrem eigenen

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Uebermaß erschöpfen. Wie oft," sagt Stella, „hat Alles an mir gezittert und geklungen, wenn er in unbändigen Thränen die Leiden einer Welt an meinem Busen hinströmte! Bis in's innerste Mark fachte er er mir die Flammen, die ihn durchwühlten. Und so ward das Mädchen von Kopf bis zu den Sohlen ganz Herz, ganz Gefühl." Mit dieser Fülle von Empfindung, die er in ihr aufgeregt, läßt er bald auch Stella allein; ein abenteuernder Drang treibt ihn hinaus in die Welt, um in Kampf und Gefahren sein pochendes Herz zu beschwichtigen. Ein eigenthümlicher Zufall führt die beiden Verlassenen zusammen, deren Gemüthszustand der Dichter mit feinster Seelenmalerei schildert. Cäcilie hat bereits die dumpfe, öde Beruhigung der Resignation gefunden; sie ist tief unglücklich, aber in ihrem Unglück gefaßt. Stella ringt noch in heftigerem Gefühl mit ihrem Schmerz, der aber die Schönheit ihres Gemüths um so rührender hervortreten läßt. Zwischen all' diesen Seufzern und Thränen wird aber auch nicht eine Anwandlung des Haffes, kein einziger herber Vorwurf gegen den Treulosen laut. Cäcilie, die noch nicht ahnt, daß ihr stummer, und Stella's beredter Schmerz demselben Gegenstande gelten, sagt da das merkwürdige Wort: „Wir Weiber glauben den Männern! In den Augenblicken der Leidenschaft betrügen sie sich selbst, warum sollten wir nicht. betrogen werden?" Wo nur der dunkle Naturdrang der Empfindungen waltet, da hört jede sittliche Zurechnung auf, da giebt es keine Schuld, kein Vergehen.

Fernando fehrt zurück: neu erwachte Neigung

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führt den Umbergetriebenen wieder zu Stella's Füßen. Cäciliens gedenkt er nur nebenbei wie einer Verschollenen, ja wie einer Hingeschiedenen. „Wenn Du um mich schwebst, theuerer Schatten meines unglücklichen Weibes, vergib mir, verlaß mich! Du bist dahin; so laß mich Dich vergessen, in den Armen des Engels Alles vergessen meine Schicksale, allen Verlust, meine Schmerzen, und meine Reue!" Stella fliegt ihm mit dem Enthusiasmus der reinsten, Alles vergebenden Liebe entgegen. Lieber! Du warst lange weg - aber Du bist da! Ich will nichts fühlen, nichts hören, nichts wissen, als daß Du da bist! - Gott verzeih' Dir's, daß Du so ein Bösewicht, und so gut bist - Gott verzeih' Dir's, der Dich so gemacht hat flatterhaft und so treu!" Mitten in diesem Rausch von Entzückungen begegnet Fernando seiner Frau, die durch schnelle, heimliche Abreise den neu Vereinten Plag machen will. Noch erkennt er sie nicht, aber der erste flüchtige Blick schon macht ihn unruhig. „Muß mich die Gestalt dieser Frau an mein Vergehen erinnern Herz! o Herz! wenn's in dir liegt, so zu fühlen und so zu handeln, warum hast du nicht auch Kraft, dir das Geschehene zu verzeihen?" Er erfährt Alles das ganze namenlose Unglück, das er angerichtet; die Klagen eines ausgeweinten, durchverzweifelten Herzens, obgleich durch die Zeit gedämpft, ziehen schneidend durch seine Seele. Reuevoll umarmt er Cäcilie: „Nichts in der Welt soll mich von Dir trennen ich habe Dich wieder gefunden!" -Gefunden, was Du nicht suchtest!" erwiedert sie mit leisem Vor

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wurf. Fernando benimmt sich in diesem Conflict ganz als Weislingen der Dritte; mit jener völligen Haltungslosigkeit, die ein Erbübel der Göthe'schen Liebhaber ist, und sich noch obendrein in der eigenen Schwäche und Elendigkeit in sentimentalen Reflerionen bespiegelt. Flucht ist der erste Gedanke dieser Tapferen; ohne Abschied will er Stella zum zweiten Male verlassen, aber die Anstalten zur Abreise verrathen ihn muß nun der ohnmächtig Hinsinkenden selbst es gestehen, daß Cäcilie sein Weib ist. Nirgends Rath und Hilfe - feine Aussicht, den furchtbaren Knoten zu entwirren. In diesem schweren Augenblick zeigt sich Cäcilie als „die freie Gemüths- und Verstandesheldin," die durch Stella's Lage tief bewegt, der gewaltsamen Lösung vorbeugen, ihre ehelichen Ansprüche mit edler Entsagung aufopfern will. „Ich bin nur ein Weib" sagt sie fest und ruhig ein fummervolles, klagendes Weib; aber Entschluß ist in meiner Seele. Fernando, - ich bin entschlossen ich verlasse Dich!" Sie erklärt ihm ihr Gefühl; es sei nicht eigennügig, wie die Leidenschaft einer Liebhaberin, sondern rein und lauter, wie das Gefühl einer Gattin, die aus Liebe selbst ihre Liebe hinzugeben vermag. Fernando will von einem solchen Opfer nichts wissen; da erzählt sie ihm jene alte Geschichte des Grafen Gleichen zeigt ihm im Bilde derselben eine mildere Lösung. Sie selbst will so handeln, wie die Gattin des Grafen, ebenso wie jene zu Stella sagen: „Nimm' Alles das, was ich dir geben kann nimm' die Hälfte deß', Nimm' ihn ganz! laß mir

der ganz Dein gehört

ihn ganz! Jede soll ihn haben, ohne der Anderen was zu rauben!" Ein Strahl freudiger Hoffnung zuckt bei diesen Worten durch Fernando's Seele. Mit dem Ausruf: Mein! Mein! umarmt er Beide, fest sie an seine Brust schließend und Thränen der Empfindsamkeit sind die Weihe und Salbung der romantischen Doppelehe, mit der das Stück in seiner ursprünglichen Form schließt.

Es ist begreiflich, daß dieser Schluß lebhaften Widerspruch hervorrief, das Stück um seinetwillen sogar in den üblen Ruf einer Vertheidigungsrede für die Bigamie kam. In der That wird ein Verhältniß, das nach der gewöhnlichen Ordnung der Welt das höchste Aergerniß erregen müßte, hier vor dem inneren Gefühl gerechtfertigt, ja dichterisch glorificirt; der Gegensag von Herz und Welt, das Hauptthema der sentimentalen Poesie, steigert sich hier sogar zu einem Gegensag von Empfindung und Sittlichkeit. Herzen, die sich nichts versagen können, verlieren zulegt alles sittliche Maß diee ist die unbeabsichtigte Moral dieses Stückes, das selbst vor lauter Seele und Gefühl unmoralisch ist.

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Als Göthe die Stella" 1806 auf die Bühne brachte, zeigte sich das Publicum durchaus nicht geneigt, auf jenen bedenklichen Schluß einzugehen. Was that da der Dichter-Dramaturg? Er metamorphosirte das Stück zwischen der zweiten und dritten Aufführung zur Tragödie; Stella stirbt da durch Gift, Fernando erschießt sich - wohl mit jener Pistole aus dem Nachlasse Werther's, die freilich inzwischen etwas rostig

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