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den Griechen aufgedrungen wurde, die für sie eines ihrer Hindernisse war, wie die Härte des Marmors den Bildhauer hemmt, die habe Göthe angenommen, ohne daß äußere Bedingungen ihn nöthigten und während die griechischen Tragiker sie nur an der Oberfläche bewahrten, habe er sie in das innerste Leben, in den Kern seiner Dichtung eindringen lassen.

So ist es auch! Die Stille und Ausgeglichenheit der Iphigenia" geht aus dem Gemüthszustand des Dichters, nicht aus der Aneignung der antiken Form hervor; es ist Göthe'sche Ruhe, Weimar'sche Ruhe, es ist die Stimmung von 1779 und den folgenden Jahren (um sie auch der Zeit nach bestimmter zu bezeichnen), die in diesem Werke liegt. Auch Schiller fand die „Iphigenia“ so durchaus modern und ungriechisch, daß ́er nicht begreifen konnte, wie es möglich war, sie jemals einem griechischen Stück zu vergleichen. Sie sei, so meint er, ganz nur sittlich; aber die finnliche Kraft, das Leben, die Bewegung und Alles, was ein Werk zu einem echten dramatischen specificirt, gehe ihr in hohem Grade ab. Damit ist auch im Vorhinein das Verhältniß dieses Stückes zu der griechischen Iphigenia des Euripides bezeichnet, mit der man es oft vergleicht, um bei diesem Anlaß an dem großen griechischen Dramatiker wieder einmal zu zupfen und zu nergeln. Die Finger verdienten recht derb geklopft zu werden, die dieses thun. Man braucht nicht die hohen Verdienste des alten Dichters zu schmälern, um die des neuern gehörig zu würdigen.

An sittlichem Adel übertrifft allerdings die

Göthe'sche Iphigenia“ jene von Euripides weit, aber sie steht eben so sehr hinter der legteren an dramatischer Wirkung zurück. Wenn Göthe in seiner Heldin den Typus der edelsten, reinsten Weiblichkeit aufgestellt hat, so ist freilich die antike Iphigenia mit einem derberen Realismus gezeichnet; es ist ein helle. nisches Weib, ausgestattet mit den gewöhnlicheren Zügen ihres Geschlechtes: entschlossen, leidenschaftlich, schlau, im Erfinnen von Listen gewandt doch mit diesen Zügen eben ein dramatisch-decidirter Charakter, wie ihn gerade der Dichter brauchte. Euripides war, wie Shakespeare ein großer Seelenmaler der Frauen; aber seine Zeichnung ging mehr auf das Starke, als auf das Ideale: nicht in der Verklärung geistiger Hoheit, aber in der ganzen natürlichen Kraft des Affectes treten uns seine Gestalten entgegen. So auch seine Jphigenia bei den Tauriern.

Ohne Kunde davon, wie es mit den Helden der Heimath und dem Vaterhause stehe, verwaltet sie ihr priesterliches Amt, die Blutopfer der Artemis zu weihen. Noch immer ist ihr Herz voll Erbitterung gegen den Vater, der sie einst in Aulis an's Opfermesser geliefert, und nährt den Wunsch, es mögen einst Menelaos und Helena, um deren willen sie sterben sollte, an dieser unwirthlichen Küste landen, damit sie ihre verhaßten Häupter dem Tode weihen könnte! Ein Traumbild, welches ihr den Tod ihres Bruders Orest unzweifelhaft zu verkünden scheint, erbittert ihr Herz noch tiefer; sonst weihte sie noch manche Thräne dem stammverwandten Volk, so oft ein Mann aus Hellas in ihre

Hand fiel

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doch nun soll sie jeder feindlich finden, wer nur immer naht! Da tritt ein Bote auf, und meldet, man habe in einer Höhle am Strande zwei Jünglinge entdeckt, deren einer von gräßlichem Wahnfinn befallen sei, als wäre er von den Errinnyen verfolgt; nur nach langem Widerstande sei es gelungen, die Beiden gefangen zu nehmen. Die Fremdlinge werden vorgeführt als neue Opfer für die finstere Göttin. Iphigenia erkennt sie als Hellenen, und fragt sie über die Heimath aus. Sie hört mit unwilligem Groll, daß Helena mit Menelaos in ihr Reich znrückgekehrt sei, mit Freude dagegen, daß Kalchas, der ihre Opferung gerathen, und Achill, dessen Name sie nach Aulis gelockt, den Tod gefunden. Nun vernimmt sie auch das tragische Geschick des Vaters und der Mutter - und ein tiefer Seufzer entsteigt ihrer Brust. Wie hebt sich aber wieder ihr Herz, als sie von Orest selbst, der unerkannt vor ihr steht, vernimmt, daß ihr Bruder noch lebe! Sie erbietet sich, ihn von dem Opfertode zu retten, wenn er für sie einen Brief nach Mykene, ihrer Heimath tragen wolle. Da entspinnt sich ein edler Wettstreit der Freundschaft; Orest, der vom Schicksal Gezeichnete, will auf das Leben zu Gunsten des Pylades verzichten, so zögernd dieser auch einwilligt. Iphigenia, auf den Tausch eingehend, übergiebt nun dem Pylades den Brief; er muß schwören, denselben treu zu bestellen, nachdem auch sie ihm durch einen Eid das Leben gesichert. Wie aber," fragt er jegt, könne er seinen Schwur erfüllen, wenn sein Schiff scheitere und ihm so der Brief verloren gehe ?“

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Für diesen Fall macht ihn Iphigenia mit dem Inhalt desselben bekannt, damit er auch mündlich den Auftrag bestellen könne; da zeigt es sich denn, daß der Brief an Orest gerichtet sei und ihn auffordere, Jphigenia aus Tauris zu befreien. So wird die Erkennung der Geschwister herbeigeführt. Mag auch die Composition dieser Scenen für die moderne Dramatik etwas naiv erscheinen ein völlig richtiges Verständniß für dramatische Spannung muß man ihnen unbedingt einräumen. Es ist uns übrigens noch eine andere Einleitung des Erkennungsmomentes aus einer verloren gegangenen Iphigenia des Polyeidos überliefert, die feiner ausgerechnet ist, und weil sie für den Schluß aufgespart war, noch weit schlagender wirken mußte. Da knieet schon Orestes vor dem Opferstein, und gedenkt, wie er den Todesstreich erwartet, der armen Schwester, die auch so in Aulis hingeschlachtet worden sei; bei diesem Ausruf erkennt ihn Iphigenia. Für das Alterthum ist dieser Zug höchst frappant ja man möchte ihn eher für französisch als für griechisch halten. In der That hat ihn auch Guichard, der französische Librettist der berühmten Gluck'schen Oper benügt, indem er Orest, wie schon Iphigenia das Opferbeil schwingt, ausrufen läßt:

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Ainsi tu péris en Aulide, Iphigénie, o ma soeur!

Nachdem sich nun bei Euripides die Geschwister erkannt und Iphigenia von Orest den Zweck seiner Fahrt und den Auftrag des Orakels erfahren, der ihm das Bild der Artemis aus Tauris zu entführen gebiefolgt die zweite Intrigue des Stückes, die sich

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Bayer: Von Gottsched bis Schiller. II.

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um den Raub des Götterbildes und die Flucht nach der Heimath dreht. Sie verabreden gemeinsam die List, die sie insgesammt retten soll. Iphigenia meldet dem Könige der Taurier, daß die Gefangenen durch Mord befleckt und das Götterbild durch ihre Berührung entweiht sei; ehe sie das Opfer vollziehen könne, müsse sie die zu Opfernden und das Bild selbst in der reinigenden Salzfluth des Meeres entfühnen. Der König, der keinen Betrug ahnt, entläßt sie, doch bald kommt ein Tempeldiener mit der Meldung, daß die Priesterin mit den Gefangenen ein bereit liegendes Schiff bestiegen habe und entflohen sein würde, wenn nicht ein widriger Wind die Abfahrt hinderte. Der erzürnte König befiehlt, mit Waffengewalt einzuschreiten — doch da erscheint Athene und verkündet ihm, die Entführung des Bildes der Artemis und ihrer Priesterin geschehe nach der Götter Willen, worauf sich Thoas der höheren Macht gehorsam fügt und die Hellenen in ihre Heimath entläßt.

Die Iphigenie auf Tauris zählt eben nicht zu den bedeutendsten Stücken des Euripides; aber immerhin finden wir auch hier jene hohe Energie der tragischen Kunst, die ihn so sehr fennzeichnet, mit der er alle Keime, die eine fruchtbare Situation zu Berwicklungen, Contrasten, leidenschaftlichen oder rührenden Scenen enthielt, erschöpfend zu entwickeln und zu den stärksten antithetischen Wirkungen hinaufzutreiben verstand. Er läßt die Wogen des bewegten Gemüths so hoch emporschlagen, als nur möglich; alle Seelenkräfte sind in Spannung und Erregung, ohne Einhalt steigert sich die Leidenschaft, bis sie ihren Höhepunkt erreicht hat.

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