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Der Werth der Iphigenia von Göthe ruht dagegen nur in der sittlichen Schönheit der Gemüthszustände und Gesinnungen, keineswegs in der dramatischen Kraft der äußeren Action. Wenn die Wirkung des antiken Drama's einmal auf die Vorbereitung der Erkennungsscene, dann auf den sinnreich berechneten Fluchtplan, also auf frappante Situationseffecte gestellt ist, so ist das Göthe'sche Schauspiel wesentlich ein Seelengemälde, bei dem die Situation durchaus nicht das Hauptinteresse ausmacht, sondern nur den Anstoß für die innere Entfaltung der Charaktere, für die Entwicklung des psychologischen Vorgangs bildet. Wie tragisch gespannt ist bei Euripides schon die Exposition! Mit dem Traum der Iphigenia steigt bereits die Wetterwolke auf, Blige zucken am Himmel, die leicht tödtlich niederfahren können. Das tückische Schicksal selbst scheint ihr dieses täuschende Traumgesicht vorzuspiegeln, um ihr Herz noch mehr gegen Alles, was Hellene heißt, zu erbittern, und das Haupt des Bruders um so sicherer ihrer opfernden Hand entgegenzuführen. Bei Göthe finden wir uns gleich im Anfange des Stückes in heller klarer Luft; nur ein elegischer Hauch der Wehmuth breitet sich mild über das Ganze. 3phigenia ist ein ethisch-reiner, nicht ein pathetisch - bewegter Charakter; sie hat keine Leidenschaften, an denen sie das Schicksal faffen und ergreifen konnte. Ihr Gemüth ist versöhnt; mit odysseischem Heimathsschmerz schweifen ihre Gedanfen abwärts nach des Vaters Hallen, während sie zugleich die sittlichen Bande anerkennt, die sie an Tauris fesseln; in Liebe und Ehrfurcht gedenkt sie des Vaters,

obgleich er sie an den Opferaltar geführt, kein Rest alten Grolles ist in ihrer Seele, zurückgeblieben, die flar und ruhig ist wie der Lichtblick ihrer Göttin, der milden Scheines über der Erde ruht. Thoas, der Scythenfürst ist gleichfalls ein edler Mann, ein sehr civilisirter Barbar, und man kann gar nicht daran glauben, daß es ihm mit der Erneuerung der Menschenopfer so sehr Ernst sein sollte. Die Motivirung dieses Entschlusses hat nach meinem Gefühl etwas Kleinliches. Weil er mit seiner Freierei bei Iphigenia höflich abgewiesen worden ist, besteht er auf dem alten blutigen Opfergebrauch. Hast Du Deinen Eigensinn, so habe ich auch meinen! Dies ist der prosaische Sinn, der dahinter liegt. Gleichwohl weiß man, daß es nicht zu diesem Schlimmsten kommen wird ; ein Charakter, der wie dieser, der Ueberredung so zugänglich ist, den so oft die Stimme Iphigenia's besänftigte, wird sich, wenn der erste Unwille vorüber ist, dem Gefühl der Menschlichkeit sicher nicht verschließen.

Auf die psychologische Austiefung der beiden Hauptgestalten hat der Dichter die größte Sorgfalt verwendet. Wie die Schwester durch ein wunderbares Geschick den Greueln ihres Geschlechtes fern geblieben und in der Tempelstille auch innerlich still und kampftos sich erhalten, wie der Bruder dagegen mitten in jene verderblichen Wirbel hinabgezogen worden, wie er die Erinnyen, die am Herde des Hauses lauerten, aufgestört und gegen sich erregt hat dies ist mit durchaus unvergleichlicher Poesie erfaßt und dargestellt. Freilich mehr mit Poesie, als mit Wahrheit. Bei der

eigenthümlich träumerischen Weichheit der ganzen Charakteranlage des Orest, bei dem Uebermaß der Empfindung und des Phantasielebens, die dieser mit den meisten Göthe'schen Hauptgestalten theilt, begreift man nicht, wie er sich je zu einer solchen Starrheit des Entschlusses aufraffen konnte, das Nachrichteramt des Schicksals an der eigenen Mutter zu vollziehen. An Reizbarkeit, überquellender Innerlichkeit, reflectirender Schwermuth steht er gleichsam zwischen Hamlet und Tasso mitten inne; und wenn jener, doch noch fester und markiger angelegt, es nicht dazu bringen konnte, den schnöden Mord des Vaters an dem Dheime zu rächen, so ist noch weniger anzunehmen, daß dieser zart organisirte Jüngling den Mordstahl gegen die Brust erhoben haben könne, die ihn gesäugt. Wir müssen eben die Voraussegungen gelten lassen, ohne sie weiter zu untersuchen; dann aber können wir die psychologische Wirkung nur bewundern, mit der der Dichter das lichtreine Gemüth der Schwester und das edle, aber tiefumdüsterte des Bruders einander gegenüberstellte.

Die Erkennung beider ist allerdings bei Göthe dramatisch so schwach behandelt, als nur möglich. Wenn Orest, die listige Erfindung des Pylades durchreißend, sich selbst mit vertrauender Offenheit nennt: so erwartet

von Iphigenia doch einen Aufschrei freudiger Ueberraschung, einen reinen Naturlaut des Herzens. Statt dessen läßt sie den Orest noch etliche Verse lang weiter reden, ihn sogar ruhig sich entfernen, und fängt dann erst in sehr reflectirter und gemachter Weise folgenden Monolog zu declamiren an:

So steigst du denn, Erfüllung, schönste Tochter

Des größten Vaters, en lich zu mir nieder 2c.:

Fast scheint hier der Dichter schon mit eigensinniger Absichtlichkeit der natürlichen Wirkung der Scene aus dem Wege gegangen zu sein! Nicht minder rednerisch und gesucht ist das breit ausgesponnene Gleichniß, mit dem später Orest der doppelten Gewißheit, die Schwester im Arme zu halten und von dem Fluche befreit zu sein, einen Ausdruck geben soll:

Ihr Götter, die mit flammender Gewalt

Ihr schwere Wolken aufzuzehren wandelt u. s. w.

Man lese nur genau die künstliche durch 15 Verse fortgeführte Periode nach und sehe dann selbst, ob diese majestätisch feierliche Strömung von schönen Worten die Sprache echten Gefühles sei. Um so feiner ist dagegen der Proceß in der Seele des Orest entwickelt, als ihn der Fluch der Eumeniden zum legten Male in der Schwester Armen mit allen seinen Klauen faßt, und dann, wie eine Schlange zu der Höhle entfliehend, für immer den frei Aufathmenden verläßt. Schon Schiller*) bemerkt sehr treffend, daß die Erzählung von den Thyestischen Greueln und nachher der Monolog des Orest, wo er dieselben Figuren wieder im Elysium friedlich zusammensieht, als zwei genau auf einander sich beziehende Stücke, als die Dissonanz und ihre Auflösung gedacht werden müssen, die mit harmonischem Nachhall noch in den legten Reden des Drama's ausklingt.

Wenn bei Euripides das dramatische Interesse sich abschwächt, sobald das Stück mit der Erkennungs

*) Briefwechsel VI. p. 120 ff.

scene den Höhepunkt des Pathos erreicht, so hebt sich nun erst bei Göthe das psychologische und sittliche Interesse höher und höher*); dort folgt nur noch die Intrigue des Rettungsplans, die blos die List und den Verstand beschäftigt, hier aber entspinnt sich der gewichtige Kampf entgegengesetter Pflichten, der das Gemüth in den innersten Tiefen bewegt. Der echten Griechin des Alterthums, die in dem Scythen immer nur den Barbaren sah, konnte wohl nie das Bedenken beikommen, das die moderne Iphigenia jest zweifelnd bedrängt. Während jene gewandt war in den Künsten des Truges, ist dieser jede Täuschung fern; es trübt sich ihre Seele, wenn sie nur des Mannes Angesicht erblickt, dem sie mit falschem Wort begegnen soll. Offen enthüllt sie dem entschlossenen, zur That drängenden Pylades den Zwiespalt ihres Innern:

Iphigenia: Die Sorge nenn' ich edel, die mich warnt,
Den König, der mein zweiter Vater ward,
Nicht tückisch zu betrügen, zu berauben.

Pylades: Der deinen Bruder schlachtet, dem entfliehst du!
Iphigenia: Es ist derselbe, der mir Gutes that.

Pylades: Das ist nicht Undank, was die Noth gebeut.

Iphigenia: Es bleibt wohl Undank, nur die Noth entschuldigt's. Pylades: Vor Göttern und vor Menschen Dich gewiß. Iphigenia: Allein mein eigen Herz ist nicht befriedigt. Pylades: Zu strenge Ford'rung ist verborg'ner Stolz. Iphigenia: Ich untersuche nicht, ich fühle nur.

Wie fein sind die entgegengesezten Seiten hier gegeneinander abgewogen! Euripides war vornehmlich ein Dichter der Leidenschaften, weniger der Pflichten

*) Lewes a. a. D. S. 24.

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