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gerade die Zügel der Theologie abwarfen und der kirchlichen Wissenschaft über den Kopf wuchsen! Was war einfacher, als diese wissenschaftlichen Entdeckungen sofort als Versuchungen des Teufels zu erklären, wobei aber doch naiv genug dem Lügengeist zugestanden wurde, daß er sich wirklich auf Mathematik und Astronomie verstehe und in diesem Punkte sogar die Wahrheit von ihm zu erfahren sei.

Der Schatten des „Speculirers“ Faust schritt immer mächtiger emporwachsend durch die entscheidenden geistigen Richtungen des 16. und 17. Jahrhunderts hindurch. Klingt dies nicht ganz Faustisch, wenn einmal Campanella die Menschenseele selbst von ihrem unersättlichen Drange also sprechen läßt: „In einer Handvoll Hirn sig' ich, Alles in mich verschlingend, daß, was für Bücher die Welt besigen mag, sie meinen tiefen Durst nie stillen mögen. So viel ich auch genoß, je mehr sterb' ich im Fasten; aus einer großen Welt beköstigen mich die Weisen, und immer doch verlangend, hungernd, unbefriedigt wend' ich mich ringsum — unwissend desto mehr, je mehr ich weiß." Was sind diesem Denker die Bücher der Schulgelehrsamkeit? Nur todte Copien des Lebendigen, mit viel Irrthümern abgenommen!, kehrt zurück zum Urbild," ruft er den Menschen zu, werft ab die Schale der Worte, versenkt euch in den Kern der Dinge!"

Die Theosophen, Mystiker und Naturphilosophen des Reformationszeitalters fie Alle nahmen eigentlich ihre Zuflucht zur Magie. Vom Wuste der schulmäßigen Autorität sich losreißend, glaubten sie durch In

spiration und traumartige Erleuchtung, ohne Vermitte lung von Folgerungen und Schlüssen, in das Innere der Erscheinungen unmittelbar eindringen zu können. Ein solcher Magus war der vielgenannte Theophraft Paracelsus, ein Zeitgenosse des historischen Zauberdoctors Faust, mit dem er übrigens in dem abenteuernden Umherwandern, den geheimnißvollen Wunderfuren, wie in der bewußtvollen Selbstverbreitung des eigenen Rühmes so manchen Zug gemein hat. Mit dem Stolz des echten Schwärmers verachtete er alle gelehrten, aus Büchern geschöpften Kenntnisse; er leitete alles wahre Wissen aus dem göttlichen Wesen selbst ab, das sich dem erleuchteten Blicke unmittelbar aufschließe, und empfahl als den Duell der Erkenntniß eben jene Wissenschaft der Magie, die durch Hilfe der Einbildungskraft große Dinge zu wirken und allein die Geheimisse der Natur durch das innere Licht" zu entdecken vermöge. Ehe man an das Wesen der Erscheinungen mit besonnenerer Forschung heranzutreten vermochte, versenkte man sich in dieselbe mit der Zauberkraft ekstatischen Schauens. Aber hatte man auch so die Gewalt, die Mächte der Natur an den Geist heranzuziehen, so fühlte man, sie zu halten, nicht die Kraft! Je tiefer die Flamme des Erkenntnißdranges aus dem innersten Gemüthe hervorbrach, desto mehr zehrte sie Alles, was bis dahin als positives Wissen galt, in sich auf; ungestüm fragend, nach neuen Offenbarungen dürstend, blickte der Mensch hinauf zum Himmel, hinab in die Tiefen der stummen Natur.

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In einer ähnlichen Stimmung finden wir unseren Dichter, da ihn Stoffe von fast metaphysischem Gehalt, wie Prometheus und Faust, beschäftigten. Bald_ver= drängte nun die concretere, menschliche Figur die ferner stehende, mythische Schattengestalt nicht der antike Titane, sondern der deutsche Nekromant wurde der Träger der eigensten, höchsten Ideen des Dichters.

Eine ganze dämmernde Gedankenwelt stieg ihm aus der rohen und ungeschlachten Faustsage, wie in Morgennebeln empor, als in dem Puppenspiel, das er 1773 auf der Frankfurter Messe sah, dieser Stoff mit entscheidender Macht an ihn herantrat. Er wirkte auf sein Gemüth mit der Ahnung, daß hier eine dichterische Lebensaufgabe wohl noch verschleiert und dunkel, aber gewaltig und unabweisbar an ihn herantrete. „Die Sage vom Faust," so sagt er selbst - "flang und summte gar vieltönig in mir wieder. Wie er, hatte auch ich mich in allem Wissen umhergetrieben, und war früh genug auf die Eitelkeit desselben hingewiesen; wie er, hatte auch ich es im Leben auf allerlei Weise versucht, und war immer unbefriedigter und gequälter zurückgekommen." Er trug vorläufig den keimenden Stoff in sich herum, und ergößte sich daran in einsamen Stunden, ohne jedoch etwas davon niederzuschreiben; aber wie ein halbgestaltete Traumbild zog schon der eigenste Inhalt seines künftigen Strebens und Schaffens an ihm vorbei, und Nahes und Fernes rauschte über seinem Haupte zusammen, wie in wogenden Glockentönen. Das Erste, was (wohl erst 1774) zu Papier gebracht wurde, war der erste Monolog des

Faust, dem Anfang des Puppenspiels in der Grundidee ziemlich getreu folgend, dann der Dialog mit Wagner. Im nächsten Jahre entstand der Spaziergang Faust's und Wagner's; während des Verhältnisses mit Lili, das ihm im Anfange neues Feuer in die Adern goß und ihn aus der brütenden Wertherstimmung herausriß, entwarf er den Plan zur Geschichte Gretchens, schrieb auch die Hauptscenen dieses Romans, der höchsten Liebespoesie, welche jemals gedichtet worden ist. Jenes Jahr brachte für den Fauft die reichsten Früchte; unaufhaltsam gestaltete sich der Stoff weiter und die erste Begegnung mit Mephistopheles, die zweite Scene mit dem Pact, die Scene zwischen Mephistopheles und dem. Schüler, dann jene in Auerbach's Keller kamen noch 1775 während einer Schweizerreise hinzu. Vorläufig hatte sich die so rasch benügte Stimmung an diesem Stoffe erschöpft; die nächsten zwölf Jahre brachten während des Aufenthaltes in Weimar keinen Zuwachs. Die heiße Sehnsucht nach dem Süden, nach Italien

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dann endlich die Anschauung einer reichen harmonisch klaren Kunstwelt, die Göthe dort mit durstigen Blicken genoß und ganz in sich aufnahm, schien das nordisch mysteriöse Element, in dem sich Faust bewegt, ganz verdrängt zu haben. Darauf scheinen auch jene Verse in einer der, römischen Elegien ganz direct hinzubeuten:

O wie fühl ich in Rom mich so froh, gedenk' ich der Zeiten,
Da mich ein graulicher Tag hinten im Norden umfing,
Trübe der Himmel und schwer auf meine Scheitel fich fenkte,
Farb- und gestaltlos die Welt um den Ermatteten lag,

Und ich über mein Ich, des unbefriedigten Geistes

Düft're Wege zu späh'n, still in Betrachtung versank. Nun umleuchtet der Glanz des helleren Aethers die Stirne; Phöbus rufet, der Gott, Formen und Farben hervor. Sternhell glänzet die Nacht, fie klingt von weichen Gesängen, Und mir leuchtet der Mond heller als nordischer Tag.

Wie stimmten früher zu den ernsten, phantastisch kühnen Formen des Straßburger Münsters, die sich so tief der Einbildungskraft des jungen Dichters eingeprägt hatten, die Bilder altdeutschen Lebens in Faust mit den verkörperten Phantasiegestalten des Mittelalters : Gretchen, wie sie aus dem Dome schreitet, Mephistopheles, wie er grinsend an der Ecke lauert. Jezt finden wir Göthe ganz in die Antike und Renaissance vertieft; den zierlichen Tempel der Maria della Minerva bei Assisi erhebt er einmal fast so hoch, wie ehedem den ehrwürdigen Münster. Erscheint da nicht wieder das einfache schön geordnete Säulenhaus, in dessen Anschauung er sich jezt versenkt, als der bedeutsame Hintergrund, von dem die priesterlich reine Gestalt Jphigenia's mit milder Hoheit an ihn herantritt? Hätte man wohl glauben sollen, daß den Dichter die Schatten der Faustsage auch hieher geleiten würden, wo er die Stille der duftigen Orangenhaine mit den Gestalten. Tasso's und der beiden Leonoren sich belebte? Und doch war es nicht anders! Gerade in dem schönen Garten der Villa Borghose zu Rom schrieb er jene wild groteske Scene in der Herenküche zwischen dem Dunkel hochragender Cypreffen lugten auf einmal die Fragen jener Höllenbreughelfiguren hervor, und der dicke Dualm, der dem Zauberkessel entstieg, ver

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