hüllte ihm für einen Augenblick Iphigeniens reine Marmorgestalt. Während über ihm die Kronen der Pinien im sonnigen, blauen Himmel sich wiegten, umwehten ihn plöglich die Geisterschauer des deutschen Waldes, und ferne Orgeltöne flangen erschütternd zu ihm hinüber, die dumpfe Melodie des Dies irae begleitend. Fausts Monolog im Walde und Gretchens Domscene gehören gleichfalls der italienischen Reise an. Waren dies nicht man kann es wohl so nennen Geistererscheinungen am hellen Tage? So reifte das fremde nordische Product am süd-lichen Sonnenstrahl, und schon zwei Jahre darauf 1790 fonnte diese Hauptproduction des Göthe'schen Geistes in ihrer ersten Fassung unter dem Titel „Faust, ein Fragment" veröffentlicht werden. Sein ganzes künstlerisches Wesen und ideales Formgefühl, welches in Italien das reinste Maß und Gleichgewicht fand, ergoß Göthe in die plastische Schönheit der „Iphigenia“ und in die weiche Farbenharmonie des Tasso"; aber was menschlich in ihm auf- und abwogte, führte ihn immer wieder zum Faust zurück. Nicht für die Dauer konnte die flare Bestimmtheit der hellenischen Kunstform den Drang seines im Innersten doch deutsch empfindenden Gemüthes stillen; und wenn in ihm die alte, dunkel-klare Regung wieder aufquoll, und die halbverklungenen Jugendgefühle in ihm erweckte, wenn die Sehnsucht ihn mit leisem Hauch umfing, Erinnerung sein Innerstes durchwühlte, dann stand plöglich wieder die Scenerie des Faust" vor ihm da, und er mußte das oft unterbrochene Werk weiter schreiben, wenn Paver: Von Gottsched bis Schiller. II. 22 es auch immer geheimnißvoller, immer sibyllinischer wurde. Die Balladen, die er im Wetteifer mit Schiller dichtete, die „Braut von Korinth“ mit ihrem mystischen Geisterhauch, die phantastische Erfindung des „Zauberlehrlings" sc. führten ihn auf's Neue, wie er sich ausdrückt, auf den „Dunst- und Nebelweg" des Faust zurück. Er war es damals schon so gewohnt, sich von Schiller seine eigenen Intentionen auslegen und näher bezeichnen zu lassen, so wie Wilhelm von Humboldt wieder neben Schiller als enthusiastischer Ausleger von dessen Dichtungen einherging. Dadurch angeregt, wenn das reflectirte Licht eines so nahestehenden Geistes auf seine Werke zurückstrahlte, fühlte er in sich neuen Muth zur Arbeit wachsen. Schiller bezeichnete dies als die Idee des Werkes, daß es überall,,die Duplicität der menschlichen Natur und das verunglückte Bestreben zeige, das Göttliche und das Physische im Menschen zu vereinigen;" auch fügte er manche feine und geistvolle Winke bei, die Göthe dankbar annahm. Allmälig wurde das,,rhapsodische Drama“ wieder weiter gefördert, das alte Manuscript durch neue Einlagen erweitert und endlich der erste Theil der Tragödie abgeschlossen. 1798 kam das Vorspiel auf dem Theater hinzu, worin die wunderlich seltsame äußere Composition des Ganzen mit eben so köstlichem Humor als reicher Gedankentiefe besprochen wird, und dann der Prolog im Himmel, der die innere Idee des Werkes in der kühnsten Form deutet und im Voraus bezeichnet. 1801, als Göthe sein 52. Jahr erreicht hatte, vollendete er den ersten Theil in seiner jegigen Gestalt, an dem er, wie wir gesehen, etwa in seinem 25. Jahre zu arbeiten begonnen. Der zweite Theil der Tragödie, zu dem Einzelnes, wie die tiefsinnige Allegorie von „Faust und Helena" schon vorbereitet war, beschäftigte den Dichter etwa vom Jahre 1806 bis zum 20. Juli 1831. Göthe starb am 22. März 1832. Und so wuchs das ungemeine Werk, in seiner Tonart auf's Mannigfachste wechselnd, zu einer unbegränzten, ja nie zu begränzenden Production heran. Schiller hatte Recht gehabt, wenn er schon vor Beendigung des ersten Theiles fürchtete, sobald die Idee des Werkes ausgeführt würde, gäbe es für eine so hoch aufquellende Masse des Inhalts keinen poetischen Reif, der sie zusammenzuhalten vermöge. So war es auch: aber bei einem solchen exceptionellen Werke, welches wie ein ganzes mächtiges Gebirge mit schimmernden Gipfeln emporwächst, konnte von vornan eine bequeme, formale Uebersichtlichkeit der Composition nicht erwartet werden. In den höheren Regionen der immer steiler sich aufthürmenden Dichtung, bis dahin, wo der Chorus mysticus in unbegreiflicher Höhe schwebend verklingt in diesen Regionen, sage ich, verschwindet wohl immer mehr die warme organische Triebkraft der Stimmung da blühen jene Blumen nicht mehr, die Gretchen in Marthen's Garten zerpflückt, um nach Faust's Liebe zu fragen. Die Poesie erstarrt, so hoch emporgetrieben, in der kalten Höhe des Gedankens die frostige Luft der Allegorie und Symbolik weht scharf um den Gipfel des immer geheimnißvolleren Werkes. Aber diese Kälte ist nicht die der Nüchternheit, sie ist der stumme Ernst des erdentrückten, mit dem Himmel sich berührenden Geistes; auch sie wirkt eigenthümlich ergreifend, wie ein Blick auf die schimmernden Eismassen der Gletscher, wenn über ihnen die ewigen Sterne aus tiefem Blau hellleuchtend emporsteigen. Die symbolische Bedeutung, die Göthe in die Faustdichtung hineinzulegen beabsichtigte, ist deutlicher, als in irgend einem Faustcommentar, in dem „Prolog im Himmel" ausgesprochen. Es ist ungemein charakteristisch, daß Göthe das Element des Humors in den Himmel und in den Kreis der himmlischen Heerschaaren aufgenommen hat, wo Klopstock früher nur die Dratoriumsklänge seraphischer Hymnen ertönen ließ. Ein Gott, der die Berechtigung des Negativen anerkennt, der den Teufel in seiner Welt duldet und ihn sogar dem ewigen Weltplane gemäß eine Rolle darin spielen läßt, weil das Böse auch zu etwas gut sei, kann füglich den Humor nicht von sich ausschließen. Der Herr hat mit der bekannten Wette nicht zu viel gewagt; denn das diabolische Element steht ihm nicht als fremdes Princip gegenüber, das er zu vernichten strebt: es ist in die Rechnung seiner Weltordnung mit einbegriffen, als das beständige Ferment, welches das menschliche Dasein, das leicht in Stockung geräth, fort und fort aufregt und reizt. Der ganze Mensch soll von der Mitte der reinen Menschheit aus der Höhe des Göttlichen zustreben, aber auch die Berührung mit den dämonischen Tiefen des Daseins soll ihm nicht fern bleiben. Zwischen der spiritualistischen Höhe des Geistes, zwischen dem sinnlichen Abgrund des Daseins stehen wir kämpfend, irrend und strebend in der Mitte; nicht das ist der ganze Mensch, der sich den Teufel durch Frömmigkeit und zaghafte Moralität vom Halse schafft, sondern der ihn besteht. Das Mittelalter stellte das Gute dem Bösen, das Diabolische dem Göttlichen, die Magie der Theologie schroff und unvermittelt gegenüber; die moderne Weltanschauung sucht diese Gegensäge in dem Begriffe des Menschen, der da irrt, so lang er strebt," zusammenzufassen und zu vereinen. Damals war der Mensch entweder Gottes oder des Teufels -nun soll er sich selbst wahrhaft und ganz gehören. Treten wir nun an die Dichtung selbst näher heran, um zu sehen, wie sich die eigenen, inneren Kämpfe und Bestrebungen des Dichters in ihr bedeutungsvoll und tiefsinnig wiederspiegeln. Faust selbst spricht sein getheiltes Wesen, seine ringende Doppelnatur in folgenden Worten aus : Zwei Seelen, wohnen, ach! in meiner Brust, Die eine hält, in derber Liebesluft, Sich an die Welt mit klammernden Organen, Diese Worte sind aus Göthe's innerster Seele selbst gesprochen. Auch er war sich jenes doppelten Triebes bewußt: der Wissensdrang, der in alle |