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menschlichen Verstandes zu schöpfen, so würde seine Poetik ohne Zweifel ein sehr gedachtes Werk geworden sein, ungefähr wie seine Philosophie der Seele. Er mußte sie aber von der Theaterempirie abstrahiren, die von den Vorfahren und der Priesterschaft zum Geseg gemacht war. Und so blieb auch ihm kein anderer Ausweg übrig, als sich auf die Muster zu berufen, die er bereits vor sich fand, und die Verstandesregel damit so gut in Uebereinstimmung zu bringen, als es thunlich war." Allerdings seien nach den Aristotelischen Definitionen die Tragödien Shakespeare's keine Tragödien, und seine Komödien feine Komödien; allein die Poetik des Aristoteles sei auch nur ein ziemlich oben= hin oder wenigstens nach sehr precairen Prämissen überdachtes" Werk. Darum weg mit der Classification der bloßen Namen"; man möge Shakespeare's Werfe nennen, wie man wolle, sie seien und bleiben lebende Gemälde der sittlichen Natur von der unnachahmlichen Hand eines Raphael.“

Tiefer und voller erfaßt Herder die hohe Bedeutung, den unbegränzten Gehalt Shakespeare's und seine selbständige Eigenberechtigung Eigenberechtigung gegenüber den Alten, ohne aber an den legteren in so burschifoser Weise, wie es Gerstenberg that, Repressalien zu üben, weil sie sich so lange zwischen ihm und dem modernen Geschmack verdunkelnd gestellt. Wenn Lessing's kritische Fingerzeige auf Shakespeare nur gelegentlich und vereinzelt waren, so sucht Herder nach seiner Art das Totalbild des Dichters hinzuwerfen; er forscht aus, wie viel an ihm auch dem nationalen Genius, der

Naturpoesie seines Volkes angehört, untersucht genau Erdreich und Boden an den Wurzeln dieses großen, weltüberschattenden Baumes. Mit einem Worte: war für Leffing Shakespeare ein Leitstern der Kunst, so wurde er für Herder und die ihm anhingen, ein Prophet der Natur. In den fliegenden Blättern von deutscher Art und Kunst“ (1773), die Herder mit Göthe herausgab, wird Shakespeare zuerst ausführlich besprochen da werden ihm neben Ossian Altäre gebaut und Kränze geopfert.

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„Wenn bei einem Manne mir jenes ungeheure Bild einfällt: „hoch auf einem Felsengipfel fißend! zu seinen Füßen Sturm, Ungewitter und Brausen des Meeres; aber sein Haupt in den Strahlen des Himmels!" so ist's bei Shakespeare! Nur freilich auch mit dem Zusaß, wie unten am tiefsten Fuße seines Felfenthrones Haufen murmeln, die ihn erklären, retten, verdammen, entschuldigen, anbeten, verleumden, überseßen und lästern ! und die er Alle nicht hört!"

In diesem Tone geht es fort der Erclamationsstyl Herder's steht da in vollster Blüthe. Bei seinem Versuche, ihn zu erklären, ihn wo möglich den Deutschen herzustellen, geht er wie überall, den geschicht= lichen Weg, die Pfade des Ursprungs zurück.

„Es ist von Griechenland aus, da man die Wörter Drama, Tragödie, Komödie geerbet; und so wie die Letterncultur des menschlichen Geschlechtes auf einem schmalen Striche des Erdbodens den Weg nur durch die Tradition genommen, so ist in dem Schooße und mit der Sprache dieser natürlich auch ein gewisser Regelnvorrath überall mitgekommen, der von der Lehre unzertrennlich schien." Aber der Maßstab der aus dem Alterthum ererbten Regel läßt sich an das nordische Drama nicht anlegen. In Griechenland entstand das Drama, wie es im Norden nicht entstehen konnte; dort war's, was es hier nicht ist, nicht sein kann. Sophokles' Drama und Shakespeare's Drama find

zwei Dinge, die in gewissem Betracht kaum den Namen gemein haben. Die griechische Tragödie entstand gleichsam aus Einem Auftritt, aus dem Impromptu des Dithyrambus, des mimischen Tanzes, des Chors. Aus diesem Ursprunge erklären sich gewiffe Dinge, die man sonst, als todte Regeln angestaunt, entseßlich verkennen mußte. Jene Simplicität der griechischen Fabel, jene Nüchternheit griechischer Sitten, jenes fort ausgehaltene Kothurnmäßige des Ausdrucks, Mufik, Bühne, Einheit des Orts und der Zeit - das Alles lag ohne Kunft und Zauberei ganz natürlich und wesentlich im Ursprunge der griechischen Tragödie; es war Schale, in der die Frucht wuchs. Einfachheit des Vorganges lag so sehr in dem, was Handlung der Vorzeit, des antiken Staates, was Heldenhandlung hieß, daß der Dichter eher Mühe batte, in dieser einfältigen Größe Theile zu entdecken, Anfang, Mitte und Ende dramatisch hineinzubringen, als fie gewaltsam zu sondern, zu verftümmeln, oder aus vielen, abgesonderten Begebenheiten Ein Ganzes zu kneten. Auch die durchgebildeteften Meisterwerke eines Sophokles nähern sich noch immer dem Einartigen ihres Urs sprungs, dem dramatischen Bilde mitten im Chor. Was also die Regeln der griechischen Tragiker für uns Künstliches zu haben scheinen, war keine Kunst, es war Natur. Die Kunft der griechischen Dichter nahm ganz den entgegengeseßten Weg, den man uns heutzutage aus ihnen zuschreit: fie simplificirten nicht, sondern sie vervielfältigten, Aeschylus den Chor, Sophokles den Aeschylus. Die erstaunliche Kunft des leßteren, wenn man seine Stücke gegen die einfache aeschyleische Fabel und die Nachrichten von dem alten tragischen Dithyramb hält, bestand nicht darin, aus Vielem Eins zu machen, sondern aus Einem ein Vieles: ein schönes Labyrinth von Scenen, wo seine größte Sorge nur blieb, den Knäuel der Empfindungen der Zuschauer so sanft und allmälig loszuwinden, als ob sie ihn noch immer ganz hätten: den unabgewickelten Knäuel, den Grundeindruck der vorigen dithy rambischen Empfindung.

Daß Aristoteles diese Kunft seines Genie's in ihm zu schäßen wußte, und eben in allem fast das Umgekehrte war, was die neueren Zeiten aus ihm zu drehen beliebt haben, müßte jedem einleuchten, der ihn ohne Wahn und im Standpunkte seiner Zeit gelesen. Eben daß er sich nicht an die einfache Urform des griechischen Drama's, sondern an den vielfach dichtenden So

phokles hält, daß er eben von dieser seiner Neuerung ausging, in fie das Wesen der ganzen Dichtgattung zu feßen: Alles dieses zeigt, daß der große Mann auch im großen Sinne seiner Zeit philofophirte, und nichts weniger als an den verengernden, kindischen Läppereien Schuld ist, die man aus ihm später zum Papiergerüfte der Bühne machen wollen.

Wie Alles in der Welt, so mußte sich auch die Natur ändern, die eigentlich das griechische Drama schuf. Weltverfassung, Sitten, Glaube, felbft Maß der Jllusion wandelte. Man konnte zwar das Uralte oder von anderen Nationen ein Fremdes für die Bühne herbeiholen, und nach der gegebenen Manier bekleiden: aber das war das Ding selbst nicht mehr es wurde Puppe, Nachbild, Statue ohne Leben. Alles was Puppe des griechischen Theaters ift, kann ohne Zweifel kaum vollkommener gedacht und gemacht werden, als es in Frankreich geworden. Mág es aber als Puppe ihm noch so gleich sein, ihr fehlt Geist, Leben, Natur und Wahrheit mithin alle Elemente der Rührung mithin Zweck und

Erreichung des Zweckes.

Vorausgesezt nun, ein Volk hätte Lust, statt nach= zuäffen, sich selbst lieber sein Drama zu erfinden: wann? wo? unter welchen Umständen? woraus soll's das thun? Es wird sich, wo möglich, sein Drama nach seiner Geschichte, nach Zeitgeist, Sitten, Me inungen, Sprache, Nationalvorurtheilen und Liebhabereien, wenn auch aus Fastnachts- und Marionettenspiel erfinden und das Erfundene wird Drama sein, wenn es bei diesem Volke dramatische Zwecke erreicht.

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Herder hat uns so zu den Engländern, er hat uns an Shakespeare herangeführt.

Dieser fand vor und um sich nichts weniger als Simplicität von Vaterlandsfitten, Thaten, Staatsbeziehungen, Geschichtstraditionen; sein Genie rief aber aus dem entgegengeseßtesten Stoff und in der verschiedensten Bearbeitung dieselbe Wirkung hervor, wie die griechischen Tragiker, Furcht und Mitleid, und

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zwar in einem Grade, wie jener erste Stoff und Bearbeitung es kaum vormals hervorzubringen vermocht! Er fand keinen Chor, vor sich, wohl aber Marionettenspiele aber er bildete aus diesem so schlechten Material das herrliche Geschöpf, das vor uns fteht und lebt. Er fand keinen so einfachen Volks- und Vaterlandscharakter, sondern ein Vielfaches von Ständen, Lebensarten, Gesinnungen, Völkern und Sprecharten der Gram um das Vorige wäre vergebens gewesen; er dichtete also Stände und Menschen, Völker und Sprecharten, König und Narren, Narren und König zu einem herrlichen Ganzen. Er fand keinen so einfachen Geist der Geschichte, der Fabel, der Handlung: er nahm Geschichte, wie sie sich ihm darbot, und seßte mit Schöpfergeist das verschiedenartigste Zeug zu einem Wunderganzen zusammen, das wir, wenn nicht Handlung in griechischem Verstande, so Action im Sinne der mittleren, oder in der Sprache der neueren Zeiten Begebenheit (événement), großes Ereignis nennen wollen. Wenn bei den Griechen das Eine einer Handlung herrscht, so arbeitet Shakespeare auf das Ganze eines Ereignisses, einer Begebenheit. Wenn bei jenen Ein Ton der Charaktere herrscht, so bei diesem alle Charaktere, Stände und Lebensarten, so viel nur fähig und nöthig sind, den Hauptklang feines Concertes zu bilden. Wenn Sophokles Griechen vorstellt, lehrt, rührt und bildet: so lehrt, rührt und bildet Shakespeare nordische Menschen. „Mir ift," ruft da Herder begeistert aus, „wenn ich ihn lese, Theater, Acteur, Coulisse verschwunden lauter einzelne, im Sturme der Zeiten wehende Blätter aus dem Buch der Ereignisse, der Vorsehung, der Welt! Ein Meer von Begebenheiten, wo Wogen in Wogen rauschen, das ist seine Bühne !" Daß Zeit und Ort, wie Hülsen um den Kern, immer mitgehen, sollte nicht einmal erinnert werden dürfen; und doch ist hierüber eben das hellste Geschrei. Fand Shakespeare den Göttergriff, eine ganze Welt der disparatesten Auftritte zu Einer Begebenheit zu erfassen; natürlich gehörte es eben zur Wahrheit seiner Begebenheiten, auch Ort und Zeit jedesmal zu idealisiren, daß fie mit zur Täuschung beitragen. Aus Scenen und Zeitläuften aller Welt findet sich, wie durch ein Geseß der Fatalität, eben die hieher, die dem Gefühl, der Handlung die kräftigste, die idealste ist, und Ort- und Zeitwechsel, über die der Dichter schaltet, rufen gerade am lautesten uns zu: hier ist kein Dichter, ist ein Schöpfer, ist Geschichte der Welt!

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