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Herder kommt in seinen Schriften immer wieder auf Shakespeare zurück; er war ihm ein unbegränzter Gegenstand, mit dem er nicht ein für allemal abschlieBen konnte. Seine Auffassung des großen Weltdichters wird immer schärfer und voller. Er steht ihm zulegt da, gerade inmitten zwischen der volksthümlichen und reflectirten Poesie als Inbegriff beider. Die Ritter, die Feenwelt, die ganze englische Geschichte lag vor ihm aufgeschlagen. Seine Ritter und Helden, seine Könige und Stände treten auf in dem ganzen Pomp ihrer und seiner Zeit. Wenn er aber in diesen fremdartigen Scenen einer alten Welt uns die Tiefen des Herzens eröffnet, und in wunderbarstem, jedoch durchaus charakteristischem Ausdruck eine Philosophie vorträgt, die alle Stände und Verhältnisse, alle Charaktere und Situationen der Menschheit beleuchtet,

so milde beleuchtet, daß allenthalben das Licht aus ihnen selbst zurückzustrahlen scheint, dann ist er nicht mehr der blos nationale Dramatiker, sondern ein Dichter für alle Zeiten. *)

,, Shakespeare!" so schließt Herder ein andermal in seiner apostrophirenden Weise — „wie kehrst du das Innere heraus! machst sprechend den stummsten Abgrund der Seele; Alles ist dir Verhängniß und ohne innere Theilnahme doch nichts Verhängniß. Zu jedem deiner Ereignisse, seien sie Greuel oder edle Thaten, stimmt die ganze Natur bei, frohlockend oder

*) Abhandlungen und Briefe über schöne Literatur und Kunft. (Herder's Werke, 24. Bd. S. 277.)

schaudernd. Das Ungewitter in Lear, da der Himmel seinen ganzen Zorn wegen des Undanks der Töchter ausgießet, trifft das nackte Haupt des unbedachten Vaters, der an seinem Unglück selbst Schuld ist. Das Klopfen an Macbeths Thür, sobald der König ermordet ist, und was der Wächter dabei sagt; die Furchtereignisse nach König Hamlets Tode, sonst jede Zustimmung der Natur zu der von dir dargestellten That sie zeigen alle deine stille, große, ins Weltall ergossene Seele, die in sich Alles spiegelt, aus der sich Alles hinausspiegelt, Verhängniß und Charakter, Charakter und Schicksal!" *)

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Diese Apotheose Shakespeare's hob den Strom der deutschen Dichtung vollends aus seinen Ufern, zwischen denen er früher so seicht geflossen, daß die regelgerechten Uferversicherungen von ehedem fast überflüssig erschienen. Alle strebenden Kräfte, die productiven, wie. die productionssüchtigen wurden nun auf die Bühne gerufen, um hier den entscheidenden Hauptsturm auf die Bastille der regelmäßigen Dichtung zu unternehmen, einen Sturm, vor dem keine der alten Flanken mehr sich halten konnte. Ein neues Vorbild war da, nach den Mustern der Form ein Muster des unbegränzten Gehaltes, das statt die äußere Kunstgewandtheit zu schulen, geheime, ungeahnte Naturkräfte aus dem Innern des Gemüthes hervorzog; ein wahrer Meister über die Dämonen, ein wunderthätiger Magier stand der Brite da inmitten einer fremden Literatur und begierig dräng

*) Ueber Shakespeare. (Werke, 22. Bd. S. 53.)

ten sich die Zauberlehrlinge an ihn heran, längst dessen überdrüffig, die oft gesehenen Taschenspieler - Zaubereien des französischen Esprit schlecht nachmachen zu sehen. Nun vernahm man allenthalben in den Stimmen der Poesie nicht mehr das gleichförmige Plätschern einer Fontaine in einem französischen Garten, sondern einen Ton, mächtig wie das Brausen des Waldes im Sturm oder wie fernes Meeresrauschen; nun suchte man auch in der dramatischen Dichtung nicht einmal gleich Lessing und Diderot nur das Natürliche und Naturgemäße, sondern vielmehr das Naturgewaltige, ursprünglich Große herzustellen.

Welch' große Ausblicke waren jegt für die Bühne geöffnet! Das Theater, das in Frankreich ein Vorzimmer, ein Empfangssaal war, hatte sich in Deutschland gar zur Bürgerstube verengt; nun aber wurden die alten Coulissenwände eingeworfen, frei und weit war die Bühne, unbegränzt und offen nach allen Seiten, aber freilich für's Erste noch leer. Herder's kühne Umrisse von Shakespeare und der wahren Naturge= stalt des Drama's waren wie ein großer Prospect auf den Theatervorhang gemalt, doch hinter demselben regte sich noch nichts, das Spiel ging noch nicht an. Endlich aber hob sich der Vorhang in die Höhe, es flirrte von Waffen und Rüstungen Göz von Berlichingen, der kerndeutsche Ritter, trat auf die Bühne. Wie die Kaufleute vor dem Raubadel, so zogen sich jezt die Philister des bürgerlichen Rührstücks scheu vor jenem geharnischten Geschlechte zurück, das nun auf geraume Zeit auf der Bühne campirte .

Bayer: Von Gottsched bis Schiller. 11.

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Traurig wird der Gedanke," sagt Herder, diesmal nicht eben prophetisch, zum Schlusse seines Shakespeare-Artikels, „daß auch dieser große Schöpfer von Geschichte und Weltseele immer mehr veralte! daß, da Worte und Sitten und Gattungen der Zeitalter, wie ein Herbst von Blättern welken und absinken, wir schon jezt aus diesen großen Trümmern der Ritternatur so weit heraus sind, daß selbst Garrick, der Wiedererwecker und Schußengel auf seinem Grabe, schon so viel ändern, auslassen, verstümmeln muß ... Glücklich, daß ich noch im Ablaufe der Zeit lebte, wo ich ihn begreifen konnte, und wo Du, mein Freund, der Du Dich bei diesem Lesen erkennst und fühlst, und den ich vor seinem heiligen Bilde mehr als einmal umarmt, noch den süßen und Deiner würdigen Traum haben kannst, sein Denkmal aus unseren Ritterzeiten in unserer Sprache, unserem so weit abgearteten Vaterlande herzustellen. Ich beneide Dir den Traum, und Dein edles Wirken laß' nicht nach, bis der Kranz dort oben hange..."

Dieser Freund war Göthe, der damals schon den Göz von Berlichingen schrieb. Ungeduldig stand er bereits mit schnaubenden Rossen am Eingang der Rennbahn. Eine von Otto Jahn mitgetheilte Shakespeare-Rede, die der 21jährige Jüngling im Kreise seiner Straßburger Freunde hielt, sprüht Feuer und Funken der Zuversicht, ist voll des jugendlich freudigen Muthes. Wie anders fand er freilich den langsam vorrückenden Gang der deutschen Literatur, die bei lauter Eilfertigkeit und Geschäftigkeit nicht recht vorwärts kam, ver

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glichen mit den Riesenschritten jenes Einen Genius, der allein mehr gilt, als ganze Literaturen . . . Aber ihm hob das Muth und Kraft, daß er ihm nachempfand, daß er ihn begriff. „Wohl geht Jeder," sagt er, „nach seinem Maße. Macht der Eine mit dem stärksten Wandertrab sich auf, so hat der Andere Siebenmeilenstiefel an, überschreitet ihn, und zwei Schritte des legteren bezeichnen die Tagereise des ersteren. Dem sei wie ihm wolle: dieser emfige Wanderer bleibt unser Freund und unser Geselle, wenn wir die gigantischen Schritte jenes anstaunen und ehren, seinen Fußstapfen folgen, seine Schritte an den unsrigen abmessen . . . Auf die Reise denn, meine Herren! Die Betrachtung so eines einzigen Tapfs macht unsere Seele feuriger und größer, als das Angaffen eines tausendfüßigen königlichen Einzugs. Indem wir das Andenken des größten Wanderers, Shakespeare's ehren, thun wir uns selbst Ehre an. Von Verdiensten, die wir schägen, haben wir den Keim

in uns!

„Die erste Zeile, die ich in Shakespeare las, machte mich auf Zeitlebens ihm eigen; und wie ich mit dem ersten Stücke fertig war, stand ich wie ein Blindgeborner, dem eine Wunderhand das Gesicht in einem Augenblicke schenkt. Das ungewohnte Licht machte mir Augenschmerzen doch nach und nach lernte ich sehen! Ich zweifelte keinen Augenblick, dem regelmäBigen Theater zu entsagen. Es schien mir die Einheit des Orts so kerkermäßig ängstlich, die Einheit der Handlung und der Zeit lästige Fesseln unserer Einbildungskraft; ich sprang in die freie Luft und fühlte erst,

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