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Was demnach die „Idee“, dieses bei uns Deutschen in allen Farben schillernde und auch von Goethe in den verschiedensten Bedeutungen gebrauchte Fremdwort betrifft, jene Idee, die wir Goethe in Bezug auf seinen Faust einmal behaupten und das anderemal läugnen hören, indem er sie beidemal für etwas nimmt was nicht die Idee ist, nämlich für die blosse Abstraction aus dem Gang und der Peripetie oder Lösung der dramatischen Handlung, so behält Schiller Recht, dass kein echtes Kunstwerk, geschweige denn ein solches vom höchsten Rang, ohne sie sein könne, und wir dürfen deshalb a priori behaupten dass auch der Faust eine haben müsse, mag der Dichter selbst auch weniger als bei irgend einem anderen seiner Capitalwerke Wilhelm Meister vielleicht ausgenommen jenes Glückes theilhaftig geworden sein, von welchem Schiller als von einem durchaus nicht gemeinen spricht, nämlich des Glückes: „durch das klarste Bewusstsein seiner Operationen so weit zu kommen, um diese erste dunkle, aber mächtige Totalidee in der vollendeten Arbeit ungeschwächt wiederzufinden."

Diese Idee aber ist zunächst nichts anderes als das vom Dichter mehr oder minder deutlich erschaute geistige Vorbild oder Urbild des von ihm concipirten Werkes, welches vom Moment der Conception an, ihm. selbst mehr oder minder bewusst, in ihm lebt und sich entfaltet, bis es reif zur Geburt wird, d. h. bis es im vollendeten Werke dem Künstler selbst erst wahrhaft aufgeht und verständlich wird. Der inneren Bedeutung und Lebenskraft einer solchen Idee wird die Vollkommenheit des Werkes entsprechen; aber der Grad ihrer Deutlichkeit hängt nicht von der Begreiflichkeit (Begrifflichkeit) im reflectirenden Be

wusstsein des Künstlers ab; denn das Leben der künstlerischen Idee wurzelt und entfaltet sich im Gefühl, in der geistigen Anschauung, welche in ihrer Art eben so bestimmt zu sein vermag wie jene. Ja, sie muss bestimmt sein; denn wie jedes Bild nur dadurch zum echten Bilde wird, dass seine Züge sich zu individueller Einheit zusammenschliessen, die es von allen übrigen unterscheidet, so auch das geistige Vorbild des Kunstwerkes, die Idee. Diese Bestimmtheit eben war es, die dem greisen Dichter in die Erinnerung trat als er schrieb: die Conception des Faust sei ihm jugendlich von vornherein klar" gewesen.

Um dieser ihrer Concretheit willen aber ist die Idee nicht das Werk selbst, noch ist dieses andrerseits ihr blosses Spiegelbild. Sie hat vielmehr als „vorleuchtender Ueberblick des Ganzen," wie Baader sich ausdrückt, nur das von dem Kunstwerke selbst was dieses zum eigenartigen Ganzen macht, die centrale Einheit der Conception, die eben deshalb sogar deutlicher und schärfer als im Werke selbst als „Grundgedanke" herausspringt. Kraft dieser centralen Einheit beherrscht die Idee als Bildungsgesetz das Ganze und alle Theile, gleichwie jeder Wissenschaft ihre besondere Form als System in einer ihr zu Grunde liegenden Idee gegeben ist, dem sogenannten Princip, welches das Mannichfaltige dieser Wissenschaft in organischer Einheit befasst. Nur dass die künstlerische Idee, aus genialer Anschauung erwachsen, sich nicht so sicher und nie vollkommen in Begriffen absetzen lässt; denn diese bilden immer nur die Peripherie der Idee, daher sie diese auch eigentlich nur umschreiben können.

Nehmen wir, ohne zu vergessen, dass jedes Gleichniss hinkt, ein ein von Meisterhand skizzirtes

Portrait: es ist von tausend anderen zu unterscheiden, obwohl die Züge noch nicht ausgeführt sind, Licht und Schatten nur angedeutet, die Farbenscala noch kaum zu errathen. Stände es nicht zu seinem lebendigen Original im umgekehrten Causalverhältniss wie die Conception eines Kunstwerkes zu diesem selbst, es könnte uns das Geistbild der Idee in etwas versinnlichen. Denken wir uns aber nach einer ausgeführten Conception, z. B. nach der Madonna Sistina, ein lebendiges Weib gebildet, so wäre die Madonna gleichsam die auf den höchsten Grad der Klarheit erhobene, in vollendeter Deutlichkeit fixirte Idee dieses Weibes. Es erhellt hieraus wie wenig diejenigen wissen wovon die Rede ist, die sich rücksichtlich der Idee einer Dichtung bei einer blossen Abstraction aus dem Stoffe derselben zur Ruhe setzen. Solche allgemeine Grundgedanken" freilich, wie sie alle Ideenläugner im Auge haben, vermögen besten Falls den ersten rohen Umriss der Idee zu geben, wie wenn gesagt wird: die Idee des Tasso sei der Conflict des Dichters mit der Welt, die des Egmont das Martyrthum für die Freiheit, die des Wilhelm. Meister die Erziehung fürs Leben, die der Wahlverwandtschaften der Naturprocess der Liebe u. s. Aber jedermann sieht hiebei, dass solche allgemeine Grundgedanken auf hundert andere Dichtungen eben so gut passen, z. B. der letztgenannte auf Romeo und Julie, und dass deshalb, um das specifische Wesen des Werkes zur geistigen Anschauung zu bringen, tiefer gegriffen werden muss: d. h. die dem Künstler bei der Conception des Werkes einerzeugte „Idee“ muss neben dieser nur ganz oberflächlich ihren Umfang bestimmenden Abstraction einen concreten Kern haben, der, dem schaffenden Genius mehr oder minder

W.

bewusst inwohnend, die Entfaltung des Werkes in allen seinen Zügen beherrscht und bedingt.

In unserem Falle hat der mit der osteologischen Betrachtung der Lebenstypen besonders vertraute Dichter ein anderes Gleichniss gebraucht unseren Satz zu bewahrheiten. Er schreibt nämlich am 1. Juni 1831 über seinen Faust an Zelter: es sei „keine Kleinigkeit das was man im zwanzigsten Jahr concipirt habe im zweiundachtzigsten Jahr ausser sich darzustellen, und ein solches inneres lebendiges Knochengeripp mit Sehnen, Fleisch und Oberhaut zu bekleiden." Also ein inneres lebendiges Knochengeripp," das die ganze Gestalt und deren einzelne Theile nothwendig bedingt! kein äusserliches todtes „Schema," das sich beliebig zusammenstellen und verstellen lässt, wie es Goethe leider selbst damit auch in unserem Falle bei der Wiederaufnahme des verlorenen Fadens in den neunziger, ja schon in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts versucht hat.

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Nein, aus dem Complex der ältesten FaustScenen, wie solche der Welt 1790 als "Fragment" vorgelegt wurden, obwohl sie, äusserlich betrachtet, nur eine Schnur köstlicher Perlen bilden, die ein lose. geknüpfter Faden verbindet, lässt sich bei einiger Vertiefung in das Werk mit Bestimmtheit erkennen, dass hier Glieder eines einheitlichen, höchst eigenthümlichen Ganzen vorliegen. Von jedem dieser Bestandtheile kann man, selbst ohne Rücksicht auf den Gang der Handlung, sagen: das ist ein Stück des Goethischen Faust, ein Ring aus einer ganz bestimmten Kette. Diese specifische Einheit ist keine Einerleiheit, sondern die in der reichen Mannichfaltigkeit ihrer Strahlenbrechung spielende Idee des Werks.

Dass dem so sei, hat man von jeher erkannt, und wer es läugnete, der läugnete auch dass dieses „Fragment," ja die ganze Tragödie," wie hoch auch das Einzelne zu stellen, ein Ganzes, ein dramatisches Kunstwerk bilde.

Diese Idee ist die Seele des Kunstwerks im Gegensatze zu dessen Leib, welcher den sogenannten Gegenstand, im Epos die Fabel, im Drama die Haupthandlung bildet. Beide wurden von jeher vielfach verwechselt und vermengt, bei Goethes Faust hauptsächlich von den älteren Commentatoren; wogegen die neueren und neuesten umgekehrt die Fausthandlung über der vermeintlichen Idee oder den. mehreren Ideen ganz beiseite legen, ja hinausinterpretiren! Auch hier macht Kuno Fischer, dessen "Vorträge überhaupt das klarste und gründlichste sind was in neuerer Zeit über unsere Dichtung veröffentlicht worden ist, eine löbliche Ausnahme. Denn während die meisten, in dem schon von Düntzer angeschlagenen Ton, von dem „wüsten Aberglauben" und der rohen Fabel" des Volksbuches, von den läppischen Fratzen" des Volksschauspiels nicht wegwerfend genug sprechen zu können glauben, erwähnt Fischer doch den Reichthum bewegter Handlung und tragischer Motive" dieser Sage und erinnert an Lessings Urtheil über das Volksschauspiel: Der Dr. Faust hat eine Menge Scenen die nur ein Shakespeare'sches Genie zu denken vermögend gewesen!" Dieses Urtheil des grossen Dramaturgen gilt dem. poetischen Thema des Faust, der dramatischen Bedeutung des Stoffs. Diesen Stoff, auch des Goethischen. Faust, muss man, auf die Gefahr hin von einem oder dem anderen modernen Ausleger sofort in die Klasse der Wagner eingerückt zu werden, sich vor allem vor

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