Da könnte der Mensch sprechen: Herr, wer bist du, daß ich dir also tiefe, wilde und elende Wege nachfolgen soll? Da mag der Herr sprechen: Ich bin Mensch und Gott, und bin weit mehr Gott. Könnte nun der Mensch aus einem wesentlichen, [wohl] erkannten Grunde antworten: So bin ich nichts, und minder denn nichts, so wäre es schier gethan: denn die namenlose Gottheit hat nirgends eigentliche Stätte zu wirken, denn in dem Grunde der Vernichtigkeit [da man sich selbst als Nichts erkennt]. Es schreiben die Meister: Wenn eine neue Form werden soll, so muß von Noth die alte verderben. Sie sprechen: Wenn das Kind in der Mutter Leibe empfangen wird, das ist zuerst eine bloße Materie; darnach wird der Materie eine thierliche Form eingegossen, die da lebt wie ein Thier, und darnach nach der verordneten Zeit so schaffet Gott eine vernünftige Seele und gießt die in die Materie. Dann vergehet die erste Form in der Solchheit [nach ihrer Qualität], die Geschöpflichkeit, die Gedenklichkeit, die Größe, die Farbe, dieß muß alles gar von dannen, und es bleibt dann eine lautere bloße Materie. Also, sage ich nun: Soll der Mensch überformet werden mit diesem überwesentlichen Wesen, so müssen alle die Formen von Noth von dannen, die man in allen Kräften je empfing, das Erkennen, das Wissen, das Wollen, das Wirken, die Vorwürflichkeit, die Empfindlichkeit, die Eigenschaftlichkeit. Da St. Paulus nichts sahe, da sah er Gott. So that auch Elias den Mantel vor die Augen, da der Herr kam. Hier werden [noch] alle die starken Felsen zerbrochen; alles das, worauf der Geist rasten möchte, das muß hier alles ab. Und so alle Formen entworden sind, dann in einem Augenblick wird er überformet. Darum mußt du immerdar einen Fürgang haben [vorwärts schreiten]. In diesem Sinne spricht der himmlische Vater zu ihm: Du wirst mich Vater heißen, sollst aber auch nicht aufhören einzugehen, immer fürbaß einzugehen, je näher, je tiefer versinken in den unbekannten und ungenannten Abgrund, über alle Weisen, Bilde und Formen, über alle Kräfte dich verlieren und allzumal dich entbilden. In dieser Verlorenheit blicket nichts ein, denn ein Grund, der wesentlich auf sich selber stehet, ein Wesen, ein Leben überall. Da mag man sprechen, daß man kennlos [erkenntnißlos], lieblos und geistlos *) werde. ist [aber] nicht von natürlicher Eigenschaft [gemeint], **) sondern von Ueberformung, die der Geist Gottes dem geschaffenen Geiste gegeben hat nach seiner freyen Güte und von der grundlosen Verlorenheit des ge= schaffenen Geistes und seiner grundlosen Gelassenheit. Von diesem mag Das * Siehe Theil II, S. 134, Anm. **, auch Theil 1, S. 88, Anm. * und ebendas. 6. 257, Anm. **) Siehe Theil I, S. 246, Anm. **. man sprechen, daß sich Gott in diesem kenne, liebe und genieße; denn er ist nichts, denn ein Leben, ein Wesen und ein Wirken. Die in diese Weise sehen mit unrechter Freyheit und mit falschem Licht, das wäre die sorglichste Weise, die man in dieser Zeit [in diesem Leben] haben könnte. Der Weg, zu diesem Ende [Ziele] zu kommen, muß seyn durch das hochwürdige Leben und Leiden unseres lieben Herrn, denn er ist der Weg, durch den man gehen soll, und er ist die Wahrheit, die in diesem Wege leuchten soll, und er ist das Leben, zu dem man kommen soll, er ist [auch] die Thüre, und wer zu einer andern Thüre eingehet, der ist ein Mörder. Durch diese minnigliche Thüre soll man eingehen mit einem Durchbruch der Natur, und in Uebung der Tugend mit Demuth und Sanftmuth und mit Geduld. Wisset in der Wahr: heit, wer diesen Weg nicht also gehet, der gehet irre, und vor den Leuten, die diesen Weg nicht gehen, vor denen gehet Gott und er geht [auch] durch sie [hindurch], sie bleiben aber doch blind. Die dagegen diesen Weg gehen, über diese Leute hat der Papst keine Gewalt, denn Gott selbst hat sie gefreyet. St. Paulus spricht: Die von dem Geiste Gottes getrieben oder geführet werden, die sind unter keinem Gesek. Diesen Leuten wird nimmer die Zeit zu lang, sie haben auch kein Verdrießen. Das ist aber nicht gesagt zu den Liebhabern dieser Welt, daß kein Verdrießen in sie falle, und die Zeit ihnen nicht etwa werde zu lang. Aber die in diesem stehen, deren Wesen ist nach dem obersten Theil über die Zeit, und auch nach dem niedersten Theil sind sie ge freyet und gelassen aller Dinge; wie die kommen, dessen sind sie in einem wesentlichen Frieden. Sie nehmen alle Dinge von Gott, und können ihm alle Dinge wieder auftragen, und bleiben in Frieden. Dennoch mag der äußere Mensch wohl größlich leiden und bewegt werden. Das sind selige Menschen! Wo sie sind, da soll man sie loben; aber ich fürchte, daß sie gar dünne gefäct sind. Bitten wir unsern Herrn, daß wir ihm also folgen und dieß lautere Gut in der Wahrheit erlangen mögen. Amen. 132. Auf den Tag St. Michaelis und aller heiligen Engel. Von unterschiedlicher besonderer Wirkung der neun Chöre der heiligen Engel in dem Menschen, nach seinem dreyfaltigen Stande und Wesen, das ist, nach dem äußerlichen, vernünftigen und Gott-förmigen Wesen des Menschen. Durch welche Hut und Wirkung er auf den allerhöchsten Grad eines vollkommenen, geistlichen Lebens gefördert werden kann. Angeli eorum semper vident faciem patris mei, qui in coelis est. Matth. XVIII. v. 10. *) Ihre Engel sehen allewege meines Vaters Antlig, der im Himmel ist. Es ist heute der ehrwürdige Tag der heiligen Engel. Wie sich dieser Festtag anhob von den Offenbarungen auf dem Berge, das hat man heute zu Nacht wohl gelesen, und das lassen wir nun liegen. Das Evangelium aber spricht: Ihre Engel sehen allezeit meines Vaters Antlig in dem Himmel. Mit welchen Worten man könne und solle sprechen von diesen lauteren Geistern, das weiß ich nicht; denn sie haben weder Hände noch Füße noch Bilde noch Form noch Materie, und welches Wesen dieser Dinge keines hat, das kann kein Sinn noch Gedanke begreifen; wie sollte man denn davon sprechen können? Was sie sind, das ist uns unbekannt, und das ist kein Wunder; denn wir erkennen uns selbst, unsern eigenen Geist nicht, von dem [vermöge dessen] wir Menschen sind, und von dem wir alles haben, was wir Gutes haben, wie sollten wir denn diese edeln überschwenglichen Geister erkennen, deren Adel weit übertrifft allen Adel, den die Welt mit einander haben mag? Darum reden wir von ihren Werken gegen uns, und nichts von ihrem Wesen. Ihr Wirken aber ist, daß sie allewege uns schauen · und ansehen in dem Spiegel der Gottheit **), förmlich und wesentlich) und wirklich, mit Unterschied; auch haben sie ein sonderliches unterschiedenes Wirken in uns, Gott aber wirkt ohne Unterlaß in uns viel eigentlicher und adelicher, und sie haben [nur] ein Mitwirken mit Gott in uns, in gleicher Weise, wie die leibliche Sonne ein stetes, emsiges Wirken und Einfluß hat auf das Erdreich. Dabey die Sterne, die haben ein stetes Mitwirken mit der Sonne in das Erdreich und in eine jegliche Creatur des Erdreichs; sie haben einen Gegenblick zu ter Sonne und einen Widerschein, und die Sonne ein Widergesicht zu ihnen, wovon ihre Werke zumal untheilsam sind, so daß, wenn der mindeste Stern, ob es möglich wäre, von dem Himmel genommen würde, alle Creaturen zunichte würden. Nun sind Chöre der Engel, die machen drey Hierarchien, und eine jegliche hat drey Chöre. Dieser drey Hierarchien hat eine jegliche *Serm. LXXXI. 1498.. f 248; 1508. f. 198; 1521. f. 157; 1523. f. 136; 1543. f. 253; 1565. f. 198; 1548. p. 406; 1552. p. 517; 1621. II. 167; Arndt p. 360. Nach der Pergamenthandschrift bearbeitet. **) Siehe Theil 1, S. 127, Anm. *. ein sonderliches Wirken und ein sonderliches, unterschiedenes Angesicht [Beziehung] zu den drey Ständen [Seynsweisen], die in dem Menschen sind. Der eine ist der äußere Mensch, der andere der vernünftige Mensch, der dritte der hohe, Gott-förmige, allerinnerlichste, verborgene Mensch, und ist doch alles ein Mensch. In diesen dreyen haben die Engel [ihre] besondere Wirksamkeit, und darüber hat ein jeglicher Mensch einen besonderen Engel, der ihm in der Taufe beygegeben wird. Es ist ihm der Mensch also befohlen, daß er bey ihm ist ohne Unterlaß und ihn nimmer verläßt und ihn behütet wachend und schlafend auf allen seinen Wegen und [bey allen seinen] Werken, sie seyen böse oder gut. Hätte der Mensch Gott nichts sonst zu danken, er hätte ihn größlich darum zu lieben, daß diese hohen, edlen Creaturen dem armen Menschen so höchlich verbunden sind ohne Unterlaß. Hin wiederum hat aber ein jeglicher Mensch auch einen besonderen Teufel, der dem Menschen ohne Unterlaß zuwider ist, und ihn übet ohne Unterlaß ebenso wohl als der Engel. Wäre der Mensch weise und fleißig, so könnte ihm des Teufels Widersatz und seine Uebung viel nüßer werden, denn des guten Engels; denn wäre kein Streit, so wäre auch kein Sieg. Nun von den Hierarchieen. Die niedersten von den Hierarchieen, die heißen die Engel und dienen dem auswendigen Menschen mit einander, mahnen ihn und warnen ihn und helfen und steuern ihm zu den Tugenden und zu der Gnade, und behüten den Menschen mit steter wirkender Uebung. Wäre die Hut nicht, was meinet ihr, was unzähliges Unglück fiele auf den Menschen; denn die Teufel gehen dem Menschen nach ohne Unterlaß, wie sie ihn verderben möchten, schlafend oder wachend, da verhüten [aber] diese heiligen Engel, daß es nicht geschehe. Der andere Chor sind die Erzengel. Die pfleget man zu malen wie die Priester. Ihre wirkende Eigenschaft ist, daß sie dienen dem heiligen Sakrament, und dienen und rathen und helfen dem Menschen zu der würdigen Wirkung des hohen Sakraments des Leichnams unseres Herrn. Der dritte Chor, das sind die Virtutes; die dienen, mahnen und rathen dem Menschen, daß er nach Tugenden strebe, nas türlichen und sittlichen Tugenden; auch erwerben sie dem Menschen göttliche Tugend, Glauben, Hoffnung und Liebe. Die Menschen, die ihnen folgen und ihnen heimlich sind (vertraulich mit ihnen zusammenleben], werden also tugendsam, daß ihnen die Tugend so leicht und so lustlich wird, als ob sie ihr Wesen und ihre Natur geworden sey. Kinder, gegen diese Menschen sehen sich alle Feinde, die von diesem Chor gefallen sind, mit allen Listen, die sie vermögen, daß sie den Menschen abziehen, damit der Mensch den Stand nicht erreiche, von dannen sie [selbst verstoßen sind. Die Schalkheit, die sie dazu kehren ohne Unterlaß, ist unglaublich, und es sollte ein Mensch mit wunderbar großem Fleiß ohne Unterlaß auf seiner Hut stehen gegen diese feindliche Schalkheit, die ihn so unglaublich umlagert; denn sie kehren die verborgenste Behendigkeit dazu, oft in gar gut scheinenden Dingen. Allermeist ziehen sie den Menschen in Mannigfaltigkeit, und können sie nicht mehr, so bringen sie ihn in einen gut scheinenden Stand; damit soll ihm wohl genügen und er nichts weiter suchen. Das ist ein sorgliches Ding, nun [in jeßiger Zeit] mehr denn je. St. Bernhard spricht: In dem Wege Gottes still stehen, das ist hinter sich gehen. In der Weise stehen alle die, die von weltlichem Herzen sind, die da sprechen: Wir thun so viel guter Werke, wie die und die, und das genüget uns sehr wohl; wir wollen [noch] besser fahren, denn sie und wir wollen [darum] in unsern Gewohnheiten und Weisen bleiben, wie die thaten, die vor uns waren. Wenn aber die großen Plagen kommen, so wird man großen Jammer sehen bey denen, die nun wähnen wohl daran zu seyn. So werden denn die bösen Engel, denen sie nun gefolget sind, Wunder und Jammer mit ihnen machen, und sie zulezt mit sich führen ohne alle Widerrede. Diese Fälle heben sich jezo an. Wenn aber die großen gräulichen Fälle und Plagen vorübergegangen sind, dann werden die heiligen Engel den geläuterten Menschen heimlich werden und mit ihnen wandeln und mit ihnen umgehen und ihnen freundlich und offen zu erkennen geben, was sie thun oder lassen sollen. Darnach ist die andere Hierarchie; die hat ein wirkendes Zusehen [Beziehung] auf den andern Stand, auf den vernünftigen Menschen. Nach diesem Theil [seines Wesens] ist der Mensch weit über alle leiblichen Creaturen und den Engeln gleich. Der erste Chor heißt hier Potestates, der andere Principatus und der dritte Dominationes, und heißen alle drey die Gewaltigen und die Fürsten und die Herren. Diese alle wirken in den Leuten, von denen sie finden, daß sie in den Tugenden fortgegangen sind, daß sie gewaltig werden ihrer selbst, auswendig und inwendig, ihrer Sinne und sinnlichen Auswirkung in allen Dingen und Lebenso] ihres inwendigen Menschen, ihrer Gedanken und Meinungen [in Worten und in Werken]. Sie werden also recht frey und herrschen recht über Untugend also gewaltig, wie man von St. Franzisco liest, daß er seines auswendigen Menschen so gewaltig war, daß, sobald er gedachte eine Uebung zu thun, der Leichnam herfür sprang und sprach: Siehe, hier bin ich! Diese Menschen werden recht, wie die Fürsten der Welt, die frey sind und unter Niemand. Ebenso werden diese in ihrem Geist, daß sie herrschen über alle Bewegungen des äußern und des innern Menschen. |