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seine ruhige Fassung wieder über sich gewonnen, schießt er so sicher und zielbewußt diesmal, wie später in das Herz seines Todfeinds. Bellermann hat wohl recht, wenn er sagt: „Ein Wagnis um Leben und Tod stählt und erhöht erfahrungsmäßig alle geistigen und körperlichen Kräfte; Tell hat schwerlich zwei Schüsse mit so unbedingter Sicherheit des Treffens abgegeben, wie hier und in der hohlen Gasse; es ist wider die Natur, daß er hier fehlen sollte." Solange er noch nicht entschlossen ist, zittert ihm Hand und Knie, und es schwimmt ihm vor den Augen. Sobald er sich aber die Notwendigkeit klar gemacht und ihm für den äußersten entseglichen Fall der Gedanke der sofortigen tödlichen Rache aufgegangen ist, da ist es mit Zittern und Zögern vorbei. „Es muß!" sagte er, rafft sich zusammen und legt an."

Warum aber, so fragen auch wir, legt er, zum Äußersten getrieben, nicht sofort auf den Landvogt an, auf seinen Peiniger, der ihn mit teuflischer Bosheit reizt, und dessen Worte, wie schneidender Hohn klingen: „Sieh', ich lege gnädig dein Geschick in deine eigene kunstgeübte Hand. Der kann nicht flagen über harten Spruch, den man zum Meister seines Schicksals macht. Du rühmst dich deines sichern Blicks; wohlan! Hier gilt es, Schüße, deine Kunst zu zeigen! Das Ziel ist würdig, und der Preis ist groß. Das Schwarze treffen in der Scheibe, das kann auch ein andrer; der ist mir der Meister, der seiner Kunst gewiß ist überall, dem's Herz nicht in die Hand tritt, noch ins Auge." Und daß er sein Mütchen an ihm kühlen, seine Rache für hochherzige, aber der Gewalt der Vögte widerstreitende Handlungen Tells an ihm, der jegt in seine Macht gegeben ist, ausüben will, beweisen auch die weiteren Worte Geßlers: „Du kannst ja alles, Tell, an nichts verzagst du;

das Steuerruder führst du wie den Bogen, dich schreckt kein Sturm, wenn es zu retten gilt; jezt, Retter, hilf dir selbst, du rettest alle!"

Uns fällt hier eine verwandte Situation ein, die der rheinische Sänger Wolfgang Müller v. Königswinter in einer Ballade: „Der blinde Schüß" besungen. Darnach hatte der Ritter von Sooneck seinen Nachbar, den Herrn von Fürsteneck, der weit und breit als der beste Schüße berühmt war, in der Fehde überwunden und geblendet. Beim Zechgelage läßt er nun seinen im tiefsten Burgverließ schmachtenden Gefangenen heraufführen und will ihn noch ob seiner Kunst, obwohl er jegt blind ist, verhöhnen. Als sich der Unglückliche anfangs weigert, droht ihm sein Peiniger mit Folter und Tod. Da verlangt der zum Äußersten getriebene blinde Schüße, man möge ihm durch einen Ton das Ziel bezeichnen. Der Burgherr läßt einen Becher zu Boden fallen, und der gequälte und verhöhnte Schüße schießt ihm einen Pfeil durch den Mund, nachdem derselbe gerufen: Schieß jest!"

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So mußte auch der gepeinigte und zur Verzweiflung getriebene Tell handeln, wenn wir auch gerne mit Bellermann zugeben wollen, daß Schiller, der hier übrigens ganz genau der Überlieferung bei Tschudi gefolgt ist, meisterhaft und psychologisch wahrscheinlich all die inneren Vorgänge seines Helden bis zur Ausführung des Schusses dargestellt und motiviert hat. Man wende nicht ein: Sein Geschoß gegen den Landvogt zu richten durfte und konnte Tell angesichts der bewaffneten Schar von Reisigen Geßlers nicht wagen!" Soweit geht in solchen Momenten die Überlegung und Berechnung nicht. Vielleicht hätte auch bei dem nun ausbrechenden Tumulte die feige Knechtesschar die Sache

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des Landvogts, dem sie wohl doch nicht mit vollem Herzen anhingen, im Stiche gelassen, und die erhobene Rechte zur Bestrafung des kühnen Schüßen hätte sich bei dem drohenden Zuruf des Volkes gesenkt, ähnlich wie nachmals bei der Ermordung Geßlers in der hohlen Gasse bei den abwehrenden Worten Stüßis, als Rudolf der Harras das Schwert zieht: „Wagt es, Herr! Eu'r Walten hat ein Ende. Der Tyrann des Landes ist gefallen. Wir erdulden feine Gewalt mehr. Wir sind freie Menschen."

Aber mochte auch erfolgen, was da wollte: Tell mußte sofort den Landvogt erschießen, der ihn zwingen wollte, auf seines Kindes Haupt anzulegen. Diesen Gedanken hat schon Ludwig Börne (1829) ausgesprochen. Ihm ist der Apfelschuß ein völliges Rätsel, und er meint, Tell hätte nicht schießen dürfen, und wenn darüber aus der ganzen schweizerischen Freiheit nichts geworden wäre. „War aber,“

so fährt er fort, „Geßlers Gebot so ungeheuer, daß es einen Vater ganz aus der Natur werfen konnte, und er nicht mehr bedachte, was er that, so hätte auch Tell, ohne Bedacht, dem Befehle nicht gehorchen oder den Tyrannen erlegen sollen." Merkwürdigerweise erscheint hier Börne gewissermaßen als Vorläufer Bismarcks, von dem sein Biograph Busch unterm 25. Oktober 1870 erzählt, er habe Tell schon als Knabe nicht leiden können, und zwar erstens, weil er auf seinen Sohn geschossen, dann weil er Geßler auf meuchlerische Weise getötet habe. Natürlicher und nobler wäre es nach meinen Begriffen gewesen, läßt Busch Bismarck sagen, wenn er, statt auf den Jungen abzudrücken, den doch der beste Schüße statt des Apfels treffen konnte, wenn er da lieber gleich den Landvogt erschossen hätte. Das wäre gerechter Zorn über eine grausame

Zumutung gewesen. Das Verstecken und Auflauern gefällt mir nicht; das paßt sich nicht für Helden nicht einmal für Franctireurs." So Bismarck; und diese Meinung teilen fast alle starken thatkräftigen Naturen.

Hier also, in der unnatürlichen That Tells, auf seines Kindes Haupt anzulegen, erblicken wir den Hauptbeweis für die Unwahrscheinlichkeit, ja für die Erfindung der Geschichte Tells, wenn sie auch namentlich durch Schillers Darstellung und Motivierung noch so plausibel gemacht wird. Wir gehen nämlich in der Verurteilung der Schillerschen Seelenmalerei Tells, worin er, wie bereits bemerkt, sich sehr getreu an die Tschudi'sche Überlieferung angeschlossen hat, nicht soweit, wie Börne, der sich über die Unterthänigkeit in Tells Charakter ärgert und meint, für seine wiederholte Anrede: „Lieber Herr!" an Geßler hätte der „bange Mann Ohrfeigen verdient." Mit Recht hebt Bellermann hervor, daß Tell sich dieser Anrede nur so lange bedient, als er Geßler noch nicht „der frommen Bitte undurchdringlich" hält. Später wird seine Sprache wesentlich anders. Die Ausrede: „Herr, es ist also bräuchlich bei den Schüßen“, scheint allerdings wieder einen Rückfall in die vorige schwächliche Stimmung zu markieren. Aber zulezt verwandelt sich „die Milch der frommen Denkart in gährend Drachengift," und er findet den Mut, dem Tyrannen die Wahrheit gründlich ins Gesicht zu sagen. Es ist eine totale Verkennung, der inneren Stimmungen und Wandlungen im Herzen Tells, wenn Börne meint, es sei eine Philisterei unseres Helden, hier statt einer Notlüge die Wahrheit zu sagen. Man denke sich die bis zum Äußersten gereizte Seelenstimmung Tells, und man wird die tiefe Wahrheit erkennen, die in

Nover, Deutsche Sagen. Wilhelm Tell.

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den Worten liegt: „Bezwinge sich, wer meinen Schmerz gefühlt!"

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Tell darf überhaupt nicht mit dem gewöhnlichen Maß eines Durchschnittsmenschen gemessen werden. Am allerwenigsten ist er schlau und vorsichtig, und es fehlt ihm durchaus an Menschenkenntnis; er folgt der unmittelbaren Eingebung, ohne lange Überlegung, er ist ein Mann der That. Dieser Charakter offenbart sich aus vielen Strichen, mit denen Tschudi das Bild unseres Helden entworfen, und Schiller nahm sie in seine Zeichnung mit auf; nur hat er den mißlichen Geistesmakel, als ob der Name Tell, den man auch etymologisch mit einer Verbalwurzel dal (tal), soviel als unnüß oder albern plaudern," zusammenbringt, einen „Dummerjahn“ bedeute, abgeschwächt mit den Worten: „Wär' ich besonnen, hieß' ich nicht der Tell!" Wie arglos, naiv und ohne jede Menschenkenntnis Tell ist, geht namentlich aus seiner Erzählung von seiner Begegnung mit dem Landvogt auf dem einsamen Gebirgspfade hervor, wo er ihn vor sich erzittern gesehen, und daß er daraus die Folgerung zieht: Mich wird der Ritter wohl in Frieden lassen, mein' ich." Ganz anders urteilt darüber in banger Ahnung sein Weib Hedwig: „Er hat vor dir gezittert; wehe dir! Daß du ihn schwach gesehn, vergibt er nie." Wie unklug ist darum seine Aufrichtigkeit, Geßler'n den Grund zu gestehen, warum er noch einen zweiten Pfeil zu sich gesteckt, wie thöricht sein Vertrauen auf das gegebene Wort des arg= listigen, doppelzüngigen Tyrannen, ihm sein Leben zu sichern! Und doch, wie sehr stimmt diese unvorsichtige Ehrlichkeit mit dem ganzen sonstigen Wesen des Naturmenschen, der sich von dem gewöhnlichen Treiben der anderen Menschen absondert, sich von der Verschwörung auf dem Rütli ausschließt,

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