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ein vollstimmige Cantaten aufgeführt wurden, wirkten nur Männer; die Studenten, welche unter Hoffmanns Direction zeitweilig den vierstimmigen Gesang besorgten, sind oben namhaft gemacht. Auch später hatte Gerlach für die concertirende Musik in der Neuen Kirche nur vier Studenten zur Verfügung, die Choralisten der Nikolai-Kirche mußten, wenn sie vierstimmig zu singen hatten, dies ebenfalls durch sich allein zu Stande bringen. Durch das Falsettiren konnte der Tenor zum Sopran, der Baß zum Alt umgewandelt werden. Es wird ausdrücklich bezeugt, daß diese Singart nicht nur bei Chören, sondern ganz besonders auch bei Arien zur Anwendung kam, und daß ein falsettirender Sopranist es bis zu der erstaunlichen Höhe des dreigestrichenen e und ƒ bringen konnte 117).

Wenn von Singgebräuchen die Rede ist, darf der Vortrag des Recitativs nicht übergangen werden. Die Sänger heutiger Zeit pflegen Bachs Recitative vorzutragen, wie sie geschrieben sind, wobei sie die Absicht leitet, denselben einen würdevollen, vom Theatralischen unterschiedenen Charakter zu verleihen. Es fragt sich aber, ob hierdurch unsere Praxis zu der früheren nicht in einen unbeabsichtigten Widerspruch gerathen ist. Die freie Abänderung einzelner Töne und Intervalle in den recitativischen Tonreihen fand zu Bachs Zeit im theatralischen Recitativ nicht oder doch nur sehr selten statt, häufiger schon bei Kammermusik, dagegen im weitesten Maße grade im Kirchen-Recitativ 118). Der Grund liegt in dem damals als allgemein gültig anerkannten Stilprincip, nach welchem das Kirchen-Recitativ mehr melodisch als declamatorisch behandelt wurde 119), wogegen es in der Oper umgekehrt sein sollte. Jene Abänderungen aber dienen eben größtentheils dazu, einen melodischen Fluß der Tonreihen herzustellen. In welchen Fällen sie regelmäßig einzutreten pflegten, darüber sind wir durch Telemann und Agricola genau unterrichtet. Telemann hat in dem Vorbericht einer von ihm im Jahre 1725 herausgegebenen Sammlung selbstcomponirter Cantaten

117) Kuhnau, Der Musicalische Qvack-Salber. S. 336: »Denn wenn er das Clavier spielte, und sein Alt-Falsettgen (sonsten war seine rechte Stimme ein Baß in etlichen verliebten Arien hören ließ, so wurde die Jungfer schon eingenommen«. Petri, S. 205 f. giebt ausführlichere Anweisungen über die Ausbildung des Falsetts.

118 Tosi-Agricola S. 150 ff.

119 Scheibe, Critischer Musikus. S. 163.

diese Gebräuche durch Beispiele erläutert 120). Sie beziehen sich einerseits auf den namentlich in Schlußfällen üblichen abwärts führenden Quartensprung. Wendungen wie:

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Andrerseits betreffen sie die Anwendung des sogenannten Accents, d. h. eines durch die nächsthöhere oder nächsttiefere Tonstufe hergestellten Vorschlags. Um dieses Verfahren deutlich zu machen, giebt Telemann ein Recitativ aus einer in jenem Werke befindlichen Cantate zugleich in der gebräuchlichen Notirungsweise und in der Art der wirklichen Ausführung.

Notirung.

Ausführung.

Be-glück-te Stun-den,

da Mo - ses

uns nicht mehr so scharf, wie vormals, dräut! Ja se-gen-vol - le

Zeit, da un-ser Heil sich ein- gefunden! Zu diesem halte dich, mit

120) Georg Philipp Telemann, »Harmonischer GOttes-Dienst, oder geistliche CANTATEN zum allgemeinen Gebrauche, welche, zu Beförderung sowol der Privat- Haus- als öffentlichen Kirchen-Andacht, auf die gewöhnlichen Sonn- und Fest- täglichen Episteln durchs ganze Jahr gerichtet sind«, u. s. w. Fol. Die Vorrede ist datirt: »Hamburg den 19. Decembr. 1725«,

wah-rer Zu-versicht, und laß dir sol-che nicht bis an dein En- de

rau-ben, so raubt dir gleichfalls nichts den Schatz der Seligkeit.

Auch bemerkt er, daß es nichts verschlage wenn der Accent bisweilen mit der Harmonie collidire, und eine Wendung wie diese :

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Die an dem längeren Beispiele verdeutlichten Vortragsmanieren erschöpfen, wie Telemann selbst sagt, nicht die Fülle der Möglichkeiten, sie enthalten aber die gebräuchlichsten ihrer Art. Agricola führt einen Theil derselben ebenfalls an, daneben noch einige andre und besonders zierliche. Will man nun Bachs Stellung zu den Recitativ-Manieren zu erkennen suchen, so ist vor allem zweierlei zu berücksichtigen: einmal, daß von allen Kirchencomponisten er unstreitig am meisten nach melodischer Gestaltung des Recitativs strebte, sodann aber, daß er es nicht liebte, der Willkür des Vortragenden einen allzuweiten Spielraum zu gönnen. Das erste mußte ihm einen häufigen Gebrauch der Manieren wünschenswerth erscheinen lassen, das zweite ihn treiben, dieselben in Noten möglichst genau auszudrücken. Mustert man unter diesem doppelten Gesichtspunkt die

Bachschen Recitative, so ergiebt sich das entsprechende Resultat. Den cadenzirenden Quartensprung läßt er stets so ausführen, wie es Telemann lehrt, aber er schreibt ihn auch immer aus. Wo er sich geschrieben findet, wie man ihn gewöhnlich notirte, soll er auch genau den Noten gemäß gesungen werden. Ein solcher übrigens höchst seltener Fall findet sich im zweiten Theil der Matthäuspassion, wo Jesus singt »daß ihr sehen werdet des Menschen Sohn sitzen zur Rechten der Kraft und kommen in den Wolken des Himmels« 121): hier zeigt es auch die Harmonie der begleitenden Geigen deutlich an, daß am Schluß der Phrase zweimal h und nicht e' h zu singen ist. Soll der Quartenschritt überdies noch ausgeziert werden, so schreibt es Bach natürlich ebenfalls vor. Es geschah solches, indem man den Quartenraum durch seine Zwischenstufen ausfüllte, wobei auch noch Mordente, Triller und ähnliche Ornamente angebracht wurden 122). Wenn der arglistige Herodes im Weihnachtsoratorium den Weisen aus dem Morgenlande aufträgt, fleißig nach dem Kindlein zu forschen, so würde was Bach ihn hier schließlich singen läßt, in der gewöhnlichen Weise so geschrieben sein:

daß ich auch kom-me und es

an be

te.

Um den tückischen Hohn des Herodes auszudrücken, wollte Bach den Quartenschritt verziert vorgetragen wissen; er schreibt deshalb vollständig hin:

123)

an be

te.

daß ich auch kom-me und es Die Anwendung des Accents, welche in der Regel nur über einer betonten Note eintrat, war in ab- und aufsteigender Bewegung möglich. Die absteigende Bewegung ließ ihn beim Terz- und Secundschritt zu. Wenn beim Terzschritt nur eine betonte Note folgt, wie am Schluß des längeren Telemannschen Beispiels, so schreibt Bach die abwei

121) B.-G. IV, S. 159, Takt 1.

122 Agricola, a. a. O. S. 151 f.

123, B.-G. V2, S. 236, T. 9 ff. Ein andres Beispiel in der Cantate »Brich dem Hungrigen dein Brod«, B.-G. VII, S. 335.

chende Ausführung sehr häufig vor. Es ist beiläufig darauf hinzuweisen, daß er beim Terzschritt den Accent auch über einer unbetonten Note nicht verschmäht: Stellen, wie :

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und viele andre beweisen es. Folgen zwei Noten, deren erste betont ist, wie in Takt 4-5 des Telemannschen Beispiels, so schreibt Bach auch hier die Ausführung nicht selten hin; z. B. in der Cantate >>>Barmherziges Herze«< :

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Wenn die Stimme nur eine Secunde abwärts schreitet, und es folgt eine betonte Note, so konnte ebenfalls der Accent angebracht werden; er findet sich bei Bach mehrfach ausgeschrieben, wie in der Cantate >>Komm du süße Todesstunde«:

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Folgten zwei oder mehr Noten (Telemann, T. 1-2), so wurde die erste, falls sie betont war, um eine Stufe erhöht, was Bach im Himmelfahrts-Oratorium genau so vorschreibt:

127)

der da hei Bet der

Öl- berg

124) B.-G. XVI, S. 15, T. 7 f.

125) B.-G. VII, S. 44, T. 3 und 4. Eine Stelle wo dieser Accent in der Originalpartitur fehlt, in der autographen Stimme aber ausgeschrieben ist, findet sich in einem Duett B.-G. VII, S. 79, T. 3.

126) Kirchengesänge von Johann Sebastian Bach. Berlin, Trautwein und Co. III, S. 19, T. 10. — S. ferner B.-G. V1, S. 30, T. 1. — II, S. 27, T. 10. 127) B.-G. II, 34, T. 13—14.

SPITTA, J. S. Bach. II.

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