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findet seine Erklärung in dem Principe, vorzugsweise die Kinder unbemittelter Eltern in der Thomasschule zu erziehen. Von dem Gelde, welches bei den Michaelis- und Neujahr-Umgängen gesammelt wurde, erhielt, nach Abzug eines Thalers für den Rector, der Cantor zunächst 1/11, und nach Abzug von 1/11 für den Conrector und 16/3 für die Sänger nochmals /, des Restbetrages. In ähnlicher Weise wurde ein gewisses im Sommer gesammeltes Geld vertheilt 30). Was am Gregorius-Tage einkam, diente zu 1/10 zunächst dem Rector für Anrichtung eines Conviviums, das er den vier obern Lehrern zu geben hatte, von dem Rest erhielt der Cantor 1/3 31). Eine weitere Einnahme waren die Leichengelder. Ging die ganze Schule mit und wurde vor dem Trauerhause eine Motette gesungen, so erhielt der Cantor 1 Thlr. 15 ggr., ohne Motette 15 ggr., bei der großen halben Schule bekam er 1 Thlr., bei der kleinen halben Schule 4 ggr., bei der ViertelsSchule 6 Pfennige 32). Von Brautmessen erhielt der Cantor 2 Thlr. 33). Ein größtentheils auf Accidentien gegründetes Einkommen hatte natürlich seine mißlichen Eigenschaften. Es ließ sich niemals mit Sicherheit im Voraus überschlagen und war von allen möglichen Zufälligkeiten, ja buchstäblich von Wind und Wetter abhängig. Denn, schreibt Bach an Erdmann, wenn eine gesunde Luft in Leipzig herrscht, so giebt es weniger Leichen und folglich eine empfindliche Einbuße in den Einkünften des Cantors. Nach dieser Theorie hätte eigentlich das Behagen des Cantors mit der zunehmenden Sterblichkeit der Bürgerschaft wachsen müssen. Viele versuchten auch, durch Umgehung der gesetzlichen Vorschriften und Durchbrechung althergebrachter Sitten den Cantor um seine Gebühren zu bringen. Kuhnau mußte es dem Rathe klagen, daß viele vornehme Brautpaare sich ohne Sang und Klang oder gar auf dem Lande trauen ließen, daß an den Sonn- und Wochentags-Stunden, an welchen sonst nur solenne, einträgliche Brautmessen hätten stattfinden dürfen, jetzt alles und jedes zur Trauung zugelassen werde, daß viele auch ihre Verstorbe

30, S. darüber Anmerk. 19.

31 Rathsacten »Die Schule zu St. Thomae betr. Fasc. I. sign. VIII, B. 5,« 32 Schulordnung von 1723. S. 47 ff.

33 Zu Kuhnaus und seiner Vorgänger Zeit, s. Rathsacten unter Anmerk. 31. Die Schulordnung von 1723, S. 36, widerspricht dem freilich und setzt 1 Thlr. fest.

nen mit der kleinen halben Schule, aber weil sie sich dessen vor der Öffentlichkeit schämten, in der Stille beisetzen ließen; neue Compositionen für solche Gelegenheiten würden vollends selten noch bei ihm bestellt 34). Auch für das Unwürdige einer Einrichtung, welche geschehen ließ, daß einem hervorragenden Kirchen- und Schul-Beamten seine Subsistenzmittel bei Groschen und Pfennigen, und zum Theil gar durch Vermittlung spendensammelnder Schüler ins Haus gebracht wurden, fehlte trotz mancher Verschiedenheit jetziger und früherer Anschauungen die Empfindung nicht. Bei der zunehmenden Naseweisheit der Jugend, meinte der Rector Gesner, würde es sehr wünschenswerth sein und vieler üblen Nachrede die Wurzel abschneiden, wenn das Unterrichtsgeld für die Lehrer nicht mehr von den Currende-Geldern abgezogen würde. Die Vertheilung der Leichengelder hatte Joh. Heinr. Ernesti selbst übernommen, um nur das viele Klagen, den Verdruß und die Unruhe zu vermeiden, die jeder Zeit dieses Geldes wegen erregt worden seien. Hierbei müsse er aber viel leiden und sich auf dem Rathhause und in der ganzen Stadt als der ungerechteste Mann verleumden lassen 35). Aber, wie dem auch sein mochte, so viel stand fest, daß das Einkommen des Thomas-Cantors selbst einem Bach mit seiner zahlreichen Familie in bürgerlich einfachen Verhältnissen bequem zu leben gestattete. Zeugen dafür sind die wohlgeordneten Finanzen und das solid ausgestattete Hauswesen, welches Bach bei seinem Tode zurückließ.

In Beziehung also auf amtliche Stellung und Beschäftigung, sowie auf materielle Versorgung war die Lage des Thomascantors eine günstige zu nennen. Blickt man über das Zunächst liegende hinaus, so fallen freilich in das helle Bild verschiedene tiefe Schatten. Die Thomasschule war seit dem Beginne des 18. Jahrhunderts in einem Zustande erschreckenden Verfalles. Zum Theil lag die Schuld an ihrer Organisation. In Gemäßheit der Stiftungen, auf welche sie sich gründete, sollte sie einerseits eine Pflegestätte kirchlicher Musik, andrerseits vorzugsweise eine schola pauperum sein. Gründlichkeit und Stetigkeit der geistigen Ausbildung, strenge und unablässige Ueberwachung der Schüler wurden durch die vielfachen Verwen

34) S. Anhang B, IV, D.

35 Rathsacten unter Anmerk. 31.

dungen, welche dieselben zu musikalischen Zwecken fanden, fast unmöglich gemacht. Und doch war solches bei den Kindern der niedern Classen, und vollends unter der damaligen Generation, doppelt von nöthen. Allein es hatte auch unter den Lehrern zu lange an den Persönlichkeiten gefehlt, welche ihrer Stellung gewachsen waren. Als Bach sein Amt antrat, fand er als Rector der Schule einen Greis, der diese Stelle schon nahezu 40 Jahre bekleidete. Johann Heinrich Ernesti war im Jahre 1652 als Sohn eines sächsischen Dorfpredigers geboren, studirte in Leipzig Theologie und Philosophie, wurde 1680 Sonnabendsprediger an der Nikolaikirche und Conrector an der Thomasschule, 1684 an dieser Anstalt Rector, 1691 zugleich Professor poeseos an der Leipziger Universität 36). Ein nicht ungelehrter Mann scheint er übrigens zur Leitung einer öffentlichen Unterrichtsanstalt dieser Art wenig geeignet gewesen zu sein. Weder Lehrer noch Schüler wußte er im Takte zu halten. Das Lehrercollegium lebte in Uneinigkeit, Eifersucht und mangelhafter Pflichterfüllung dahin, die Schüler verkamen in Zuchtlosigkeit und Unreinlichkeit. Jahrelang war die Thomasschule ein Heerd widerlicher Krankheiten, die sich um so tiefer einnisten mochten, als wofür freilich der Rector endlich nicht verantwortlich war in den Räumlichkeiten der Schule die größte Beschränktheit herrschte: vor dem im Jahre 1731 unternommenen Ausbau des Schulhauses wurden die Secundaner und Tertianer einerseits, und andrerseits die Quintaner, Sextaner und Septimaner in einem und demselben Locale von ihren verschiedenen Lehrern zu gleicher Zeit unterrichtet 37). Die Folge war, daß die Frequenz der Schule sich sehr verringerte. Allerdings auf das Alumnat waren immer genug Aspiranten vorhanden, sicherte dieses doch eine fast kostenfreie Existenz und überdies einen nicht unbeträchtlichen Verdienst. Wie zu der Schule des reich dotirten Michaelisklosters in Lüneburg so zogen auch zu dem Alumnat der Thomasschule selbst aus entlegenen Gegenden die Knaben heran. Aber im übrigen fing die bessere Welt an, sich von der übel beleumdeten Anstalt fern zu halten. Am klarsten ließ sich dies aus dem

36) Sicul, Leipziger Jahrbuch. 4. Bd. S. 920 ff., und Neue Zeitungen von gelehrten Sachen. Leipzig, 1729. S. 791 f.

37 S. Anhang B. IV, B, 11, und IV, D. St. Thomae betr. Fasc. II. sign. VIII, B. 6.«

Rathsacten >> Die Schule zu

Besuch der drei untersten Classen erkennen. Sie, die in Ernestis früheren Jahren zusammen oft über 120 Schüler gezählt hatten, wiesen im Jahre 1717 im Ganzen nur 53 Schüler auf 3). Wer seine Kinder in der Nikolaischule nicht unterbrachte, gab sie lieber in eine der zahlreichen Winkelschulen oder hielt sich einen Privatlehrer. was auch nicht allzu kostspielig war, denn eine Privatstunde wurde. damals in Leipzig mit 12 bis 18 Pfennigen bezahlt. In die untern Classen der Thomasschule gingen nur Knaben der allerschlechtesten Qualitäten, die sich aus dem Leichensingen einen Verdienst machen wollten, von den Lehrern angehalten werden mußten, nicht barfuß neben den Leichenzügen herzulaufen, und die gelegentlich in der Stadt umherbettelten 39. Vor diesem verwahrlosten Zustande konnte der Rath endlich nicht mehr die Augen verschließen. Es wurde eine Visitation der Schule und eine Revision der Schulordnung beschlossen. Einstweilen blieb es bei dem guten Vorsatze. Der vom Rathe bestellte Vorsteher der Schule, Dr. Baudiß, mahnte im Jahre 1709. die Schule habe die längst beschlossene Visitation sowohl der Lehrer als der Schüler wegen höchst nöthig 40: man scheute sich offenbar, die Sache anzurühren und ließ die wüste Wirthschaft fortdauern. Endlich im Jahre 1717 wurde mit der Reform scheinbar Ernst gemacht. Die Visitation erfolgte, außerdem hatte jeder Lehrer ein Gutachten über den Stand der Schule abzugeben und seine Wünsche auf Verbesserungen vorzutragen. Hier kamen denn sehr unerfreuliche Dinge zu Tage. Der alte Ernesti mußte selbst gestehen: >>Sonsten kann ich bey dieser Gelegenheit nicht verhalten, wasmaßen bey denen Classibus inferioribus ein gar betrübter Zustand bishero sich hervorgethan, und sind sie beynahe dahin. So kann ich auch nicht anders, als mit Wehmuth schreiben, daß bey Beschaffenheit dieser Zeiten unter den superioribus, sonderlich bey dem Choro musico

38, Protokoll über die am 5. und 6. April 1717 gehaltene Schulvisitation. in den Rathsacten »Die Schule zu St. Thomae betr. Fasc. I. sign. VIII, B. 5.« 39 Nach einem wahrscheinlich von Gesner herrührenden Entwurf, wie man die drei untersten Classen der Thomasschule ganz eingehen lassen könnte, in den Rathsacten »Die Schule zu St. Thomae betr. Fasc. II. sign. VIII, B. 6.« Außerdem s. Schulordnung von 1723, S. 46.

40 Rathsacten »Schuel zu S. Thomas. Vol. III. Stift. VIII. B. 2.« Fol.

mehr schlimmes zu besorgen, als gutes zu hoffen 41). Dann vergingen wieder einige Jahre. 1721 lag der Entwurf einer neuen Schulordnung vor, 1723 wurde er publicirt. Thatsächlich wurde dadurch wenig oder garnichts gebessert. Ernesti sträubte sich aufs äußerste gegen alle Änderungen. Soweit sie sich auf die Vertheilung des Schul- und Sing-Geldes und andre pecuniäre Dinge bezogen, sah er darin eine Kränkung seines Alters und eine Verkürzung seiner Emolumente, und von dem Cantor wurde ihm hierin secundirt. Man glaubte wohl Grund zu haben, dem alten Manne nicht allzu wehe thun zu sollen. So blieb denn bis zu seinem Tode (16. Oct. 1729) ziemlich alles beim Alten, oder richtiger, die Zustände verschlimmerten sich noch mehr. Am 11. Nov. des Jahres der Reorganisation mußten schon wieder sämmtliche Alumnen vor den Rath citirt und wegen ungebührlichen Lebenswandels und Unbotmäßigkeit gegen ihre Lehrer ernstlich vermahnt werden 12). Am 30. Aug. 1730 berichtete der Schulvorsteher, Appellationsrath Dr. Stiglitz, die Uneinigkeit der Herren Praeceptoren und wie nicht alle und jede ihres Amtes gehörig wahrnähmen, ebenso der Verfall der Disciplin und die Unordnung in dem Leben und Wandel der Alumnen seien nur allzubekannt. Die Schule sei »sonderlich in Abfall und beynahe in verwildertes Wesen gerathen« 43). Bald darauf war die Frequenz der Schülerzahl in den drei unteren Classen so gesunken, daß der Vorschlag gemacht werden konnte, sie ganz eingehen zu lassen.

Natürlicherweise wirkten diese Zustände auf die Beschaffenheit der Singchöre zurück. Man darf ohnehin von den Leistungen der Schulchöre im 17. und 18. Jahrhundert nicht allzu günstig denken. Das freimüthige Wort an das deutsche Volk, mit welchem J. A. Hiller seine Anweisung zum musikalisch richtigen Gesange« (1774) eröff nete: »Jedermann singt, und der größte Theil singt-schlecht, war fünfzig und hundert Jahre früher eine noch viel zutreffendere Wahrheit. Damals gab es wirklich überall unter den Deutschen keine echte Gesangskunst, geschweige daß sie in den Schülerchören eine Heimath gefunden hätte. Aus ungebildeten Knaben- und unreifen

41 Rathsacten »Die Schule zu St. Thomae betr. Fasc. I. sign. VIII, B. 5,« 42 Rathsacten »Ersetzung Derer Schul-Dienste in beyden Schulen zu St. Thomae und St. Nicolai. Vol. II. VII. B. 117,« Fol. 260.

43 Rathsacten »Die Schule zu St. Thomae betr. Fasc. II. sign. VIII, B. 6,«

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