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helles Sinnen, lauteres Wollen an die Stelle zu bringen, das wollte die neue Verkündigung, das war ihr Gebot als sittliche Lehre.

Solches zu erkennen und als selbständige Aufgabe, gegenüber dem richtigen Rechte durchzuführen, braucht es keiner Voraussetzung aus bestimmtem religiösem Bekenntnisse her. Auch der entschlossene Atheist mufs diese sittliche Frage als eine selbständig mögliche zugeben: Sei so, wie wenn ein allwissendes Wesen neben dir stände, im Denken und im Wollen, in deinem eigenen inneren Leben! Tilge alles aus, was einen Gegensatz von Sein und Schein bedeuten würde: Sei wahr vor Dir!

Soll das rechten Erfolg haben, so ist es klar, dafs hier zur Unterlage in systematischem Entwurfe eine Tugendlehre einzutreten hat; wie sie freilich bis jetzt nur in vereinzelten Ansätzen philosophisch versucht und eingeleitet worden ist. Wir aber müssen von diesem Ausblicke zur weiteren Beschreibung der eigenartigen Aufgabe, von der wir angefangen haben, wieder zurückkehren.

Für diese ist sicher, dafs ihr letzter Zielpunkt, unbeschadet aller möglichen Einzelausführung, mit dem Grundgedanken zusammenfällt, dem lieben Ich die rücksichtslose Eigensucht zu entfremden und dafür den Willen mit der Hingabe an allgemeingültige Zwecke zu erfüllen. So spricht LUTHER: Verflucht alle Werk, die nit in der Liebe gehen. Dann aber gehen sie in der Liebe, wenn sie nicht auf eigen Lust, Nutz, Ehre, Gemach und Heil, sondern auf anderer Nutz, Ehre und Heil gericht sind von ganzem Herzen. Soll es ein richtiges Wollen, ein begründetes Wünschen, ein gutes inneres Bestreben werden, so mufs die sittliche Lehre ihr Augenmerk dar

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auf richten, den Inhalt der Zwecke, die sich einstellen, mit dem Geiste der Freiheit zu richten und zu bestimmen, der Freiheit von einem blofs subjektiv bedeutsamen Begehren. Treffend sagt NATORP: Mag aber einer den Gegenstand seines besonderen Wollens für seine ausschliessliche Sache halten, so ist doch der Wille so lange noch nicht rein sittlich, d. h. erfüllt er nicht rein sein eigenes Gesetz, als man noch die eigene Sache gegensätzlich gegen die des andern stellt; er ist es erst dann, wenn ich erkenne: meine Sache ist keine andere, soll keine andere sein, als die auch jedes andern Sache sein sollte und der Wahrheit nach ist. Dafür ist manche gute genauere Anleitung uns überliefert. Von dem erhabenen Gebote der Feindesliebe begreift sich die Einfügung in einen philosophisch aufzunehmenden Gedankenzug sehr leicht. Ihr habt gehört, dafs gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen. Denn die rechte Gesinnung fordert Allgemeingültigkeit; diese ist nicht zu erreichen, als unter Ausmerzung alles blofs subjektiven Wünschens. Die persönliche Abneigung und Feindschaft ist aber der selbstverständliche Typus gerade dieser letztgenannten Qualität der Gedanken; und es ist andererseits die Vorstellung von guter und liebender Gesinnung den Menschen gegenüber nicht allgemeiner und in stärkerer Unbedingtheit zum Ausdrucke zu bringen, als dadurch, dafs auch die persönlichen Widersacher von jener Zuneigung umschlossen würden.

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Aber andere Aussprüche haben mehr Schwierigkeiten bereitet.

Wie oft ist es nicht Gegenstand des Nachsinnens gewesen, dafs JESUS in seiner Lehre den Standpunkt der Demut, des Leidens, des Hingebens seines Rechtes betont hat. Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern, so dir jemand einen Streich gibt auf deinen rechten Backen, dem biete den andern auch dar. Und so jemand mit dir rechten will und deinen Rock nehmen,

dem lafs auch den Mantel.

Und so dich jemand nötiget

eine Meile, so gehe mit ihm zwo

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gib; und wer dir das Deine nimmt, da fordere es nicht wieder. Man hat es wörtlich nehmen wollen und demgemäfs als obersten Sinn der christlichen Tugendlehre die Askese angegeben: Sich erniedrigen, herabdrücken, die eigene Person quälen und peinigen, für andere oder an sich, das sei ihr höchstes Gebot. Und dann ist das teilweise gewaltsam durchzuführen versucht worden; oder man hat die ganze Lehre als unberechtigt verworfen; oder will jene Aussprüche nur als ungenaue Paradoxa gelten lassen, denen andere Sätze und eine bestimmte eigene Betätigung ihres Urhebers so gegenüber ständen, dafs man die asketische Tendenz nicht als die beherrschende, sondern nur als unterstützende nehmen dürfe. Und da fernerhin in anderen Stellen bestimmte Entsagung und Opfer als richtig gepredigt werden (s. Matth. 19, 12; 21), so stellt sich auch die Meinung ein, als ob zwischen einer ethischen Lehre für gewöhnliche Menschen und einer solchen für einen engeren Kreis Auserwählter unterschieden werden sollte.

Vielleicht löst sich jedoch dieses Problem im Prinzipe dadurch, dafs die Absicht der angegebenen Lehre nicht auf ein Verhalten als solches geht, sondern ausschliesslich auf die rechte Richtung der Gedanken; dass

als Ziel dieser Arbeit die innere Aufgabe gestellt ist: Ihr sollt vollkommen sein!

Darum war es gar nicht des Amtes jener Sätze, die richtige Grenzscheide im gegenseitigen Tun und Lassen zu zeigen und die begründete Art des äufseren Zusammenwirkens anzugeben. Was der eine von dem andern mit sachlichem Grunde verlangen kann, und was ihm gegenüber wiederum berechtigtes Fordern des jetzt Angeredeten ist, das steht dahin. Hier wird nur eine äusserste Richtung angegeben, um für den zu Bildenden die richtigen. Gedanken in guter Grundstimmung zu finden. Die Lehre ist nicht eine Gesetzesethik; sie geht keineswegs auf das Tun in seiner Besonderheit; sondern sie zeigt in angenommenen Möglichkeiten nur die unbedingte Auffassung für den Grund charakter der Gesinnung.

Man kann jedoch nicht schärfer die Reinigung des inneren Seins von allem blofs subjektiven Begehren für sich vollziehen, als durch den Gedanken, alles Äufsere für gering zu achten. Man soll nicht Kleinig keiten in den Mittelpunkt seines Denkens und Wollens stellen. Nur der aber kann dem genügen, dem es zur vollen Klarheit gediehen ist, dafs es nichts, schlechterdings nichts an äufseren Gütern geben kann, das er nicht auch zu missen im stande wäre, ohne sich vernichtet oder gedrückt zu fühlen; der mit aller Kraft seines Bewusstseins es durchdrungen hat, dafs er in der Harmonie seines Innenlebens, im Frieden mit sich, von allen, allen Äufserlichkeiten unabhängig ist.

Was sich dagegen bei der Betätigung und dem Wirken des also Belehrten und Gereiften als sein richtiges Verhalten anderen gegenüber zeigen wird, das ist,

Stammler

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wie oben schon angegeben, eine Frage für sich; die in einer eigenen Erwägung und Lehrart die Antwort finden will.

Die sittliche Lehre aber hat nicht nur in dem Gesagten ihre selbständige Aufgabe: Sie ist auch in deren Verfolgung von jeder äufseren Regelung des Verhaltens ganz unabhängig. Darin liegt ihre Stärke, ihre Hoheit. Da sie in voller Strenge ausschliefslich das Ziel erhält, einen guten Willensinhalt durch Zucht des Charakters zu ermöglichen und das Urteil zu kräften mittels edler, freier Gesinnung, so ist es für sie in dieser ihrer selbständigen Aufgabe ohne Belang, von welcher Ordnung des Zusammenwirkens sie begleitet wird. Der eigenartige Inhalt ihrer Bemühung, das innere Vervollkommnen jedes einzelnen Menschen, bleibt der gleiche, mag die äufsere Gesetzgebung gerade ihrem Amte, richtiges Recht zu geben, genügend nachgekommen sein oder nicht.

Aus diesen Betrachtungen würde sich weiterhin manches im einzelnen herausheben lassen. Ein Beispiel mag noch gestattet sein.

Warum war das Scherflein der armen Witwe mit Recht so vorbildlich? Es findet sich die Erklärung: Weil in seinem Hingeben ein wirkliches Opfer so gelegen war, dafs es drückend empfunden werden musste. Aber das Opfer, für sich genommen, wäre in der Tat nur im Sinne asketischer Betrachtung verdienstlich. Auf den gröfseren äufseren Druck kann es im letzten Grunde unmöglich ankommen. Nur das ist richtig, dafs in dem Abtun aller Habe in Wahrheit sich widerspiegelt, dafs das gebrachte Opfer wirklich aus reiner, lauterer Gesinnung geschah, und ohne alle äufseren Nebenrücksichten. Es ist

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