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Gretchens Gebet zu der Mater dolorosa eingeschobnen Scene in Wald und Höhle. *)

Wo in der Zeit von 1790 bis 1808 von Goethe's Faust die Rede ist, muß darunter also dies Fragment verstanden werden. Die Wirkung, die das Stück in dieser Gestalt auf das große deutsche Publikum machte, kam in keiner Weise der Erschütterung gleich, welche ihrer Zeit Göß und besonders Werther und später Dichtungen wie Schiller's Räuber verursacht hatten, und welche unzweifelhaft auch dies so viel größere und ebenso lebendige Werk begleitet haben würde, wenn es warm vom Amboß, 1775 oder 1776, mit der= jenigen Abrundung, die ihm Goethe damals mit Leichtigkeit hätte geben können, ans Licht getreten wäre. Jezt erschien es im ungünstigsten Moment. Die politischen Vorfälle in Frankreich nahmen allen Sinn gefangen, die frühere Erwartung auf den Faust hatte sich gelegt, das Interesse war abgelenkt. Das endliche Erscheinen blieb zwar für alle literarischen Kreise, für Goethe's zahlreiche Freunde, für die Gelehrtenwelt und das gebildetere Publikum im Allgemeinen immer ein Ereigniß.

Die Wirkung war jedoch mehr eine stille, sich sehr allmählich forterstreckende, aber nachhaltig wachsende, die zuleht, ebenso begünstigt durch die Tendenzen der neuen Romantischen Schule der Schlegel und Tieck als durch die Schelling'sche Naturphilosophie, an Einfluß auf die Zeitgenossen die aller übrigen Goethischen Werke, jedes einzeln genommen, weit überragte. Die großen Perspektiven des Fragments, seine innere Vollständigkeit ließen das Werk bald auch äußerlich als kein unvollständiges erscheinen, da, „was nicht darin stand,

*) Genau gezählt umfaßte das Fragment in dieser Reihenfolge:

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dastehn würde, wenn das Fragment vollendet wäre" (Niebuhr). Die Kritik kam Anfangs dem Werke nicht besonders anerkennend entgegen. Man fand die Sprache „dunkel, unverständlich und inkorrekt", manche Scenen räthselhaft, andere durchaus unverdaulich, in der Herenküche und in Auerbach's Keller Handlungen und Ausdrücke, die nur den Pöbel vergnügen können", die Urtheile oft sehr ähnlich denen, die noch unlängst über den Zweiten Theil gefällt wurden. *) Selbst Körner, dessen Freund Huber den Faust von Anfang an richtiger schäßte (Brief vom 28. Juni 1790 in den Werken), stieß sich an dem Bänkelsängerton". **) Neben der Huber'schen spätern Recension der acht Bände der Goethischen Schriften von Ende 1792, ***) worin Gretchen mit einer Madonna (Virgo praeIgnans) und mit einer büßenden Magdalena verglichen wird, ist be= sonders des jungen A. W. Schlegel Besprechung vom Jahre 1790†) hervorzuheben; hier wird die hinreißende Darstellung, die treueste Wahrheit, der überlegene Geist, der manche Vorsicht vernach= lässigen darf und doch sein Ziel nicht verfehlt, die Verbindung des Erhabnen und Burlesken vorurtheilsfreier gewürdigt, allerdings noch nicht in dem hohen Tone, womit einige Jahre später Friedrich Schlegel ++) Goethe als den Stifter einer neuen Poesie, den Dante unsers Zeitalters, im Faust mit das Größte, „was die Kraft des Menschen je gedichtet habe“, feierte. Das größte Interesse würde ein eindringendes Urtheil Schiller's über das Werk aus damaliger Zeit darbieten. Sicherlich gab es auf der Welt Niemand, für den Goethe's von 1787 bis 1790 unmittelbar nach einander veröffentlichte große Dramen, Iphigenie, Egmont, Tasso und Faust, wichtiger ge= wesen wären, als grade Schiller. Nach dem schon angeführten Körner'schen Briefe muß man zwar annehmen, daß der Faust Schiller ebenso wie Wieland nicht ganz befriedigt habe. Aber aus den Briefen seiner Frau geht hervor, wie großen Antheil er daran nahm. Später an Goethe den 29. November 1794 nennt Schiller das Fragment den „Torso des Herkules“, es „herrsche in

*) Neue Bibl. der schönen Wissensch. Bd. 41 und Allg. Deutsche Bibliothek Bd. 110, S. 311.

**) Briefw. mit Schiller 2, 193.

***) Jenaische Lit.-Zeit. 4. Sp. 281fgg.

†) In den Gött. Gel. Anz. 93 und 134; Werke 10, 4.

++) Athenäum 3, 2, 180; Werke 5, 311.

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diesen Scenen eine Kraft und eine Fülle des Genies, die den ersten Meister unverkennbar zeige". In dem Auffage Ueber naive und sentimentalische Dichtung" (1795) betont er (in dem Abschnitt Elegische Dichtung“) den im Faust verkörperten Konflikt des Ideals mit der Wirklichkeit, ihn hierin psychologisch mit Werther, Tasso und Wilhelm Meister vergleichend. Leider sollte Schiller die Vollendung des ersten Theils nicht mehr erleben. Es liegt keine Andeutung vor, welche zur Annahme berechtigte, er habe die spätern Bestandtheile, den Prolog, die Beschwörungs-, die Kerkerscene u. s. w. in der Handschrift gesehn. Nach seinem Tode klagte daher W. Humboldt, „daß der arme Schiller auch Ihren Faust nun nie vollendet sieht“. *) So erging es auch Herder, der über das Fragment sich sehr reservirt geäußert, aber doch gerühmt hatte, daß Goethe aus dem Reiche der Unformen Formen hervorzurufen wisse,**) und Klopstock, der in einem späten Epigramm***) sowohl Goethe's Faust als die ganze Faustsage verspottet hatte.

Kanonische Bedeutung erhielt das Gedicht erst, wie schon erwähnt, mit dem Auftreten der Romantischen Schule, der Faust alle Eigenschaften eines im höchsten Sinne romantischen Dramas zu vereinigen schien, ganz ebenso, wie später A. Hoffmann Mozart's Don Juan, der gern mit Faust verglichen †) zu werden pflegt, als Vorbild der romantischen Oper hinstellte. Die philosophische Seite des Gedichts brachte es andrerseits mit der Entwicklung der Philosophie zu Ende des vorigen und zu Anfang dieses Jahrhunderts, sowohl mit dem transscendentalen Idealismus als mit der Naturphilosophie in Verbindung, und Schelling ††) war es vornehmlich (auch Hegel 1807 in der „Phänomenologie“ S. 271fgg.), der auf die Bedentung des Faust in dieser Beziehung hinwies, in diesem Gedicht „einen ewig frischen Quell der Wissenschaft geöffnet“ fand, allein hinreichend, „die Wissenschaft in dieser Zeit zu verjüngen, die Frischheit eines neuen Lebens über sie zu verbreiten," und Alle, die „in

*) An Goethe aus Rom den 5. Juni 1805.

**) Briefe zu Beförderung der Humanität 8, 141 (Brief 104). ***) S. Dünßer, „Aus Goethe's Freundeskreise" 1868, S. 41.

†) Vergl. Grabbe, „Fauft und Don Juan“ 1829; Hesekiel, „Fauft und Don Juan" (Roman) 1846; Grenzboten 1849. Nr. 46.

++) Vorlesungen 1802/3 in Jena, und 1804/5 in Würzburg, gedruckt in den Werken Bd. 5, 1. 1859, S. 731fgg.

das wahre Heiligthum der Natur dringen" wollten, aufforderte, „fich mit diesen Tönen aus einer höhern Welt zu nähren und in früher Jugend die Kraft in sich zu saugen, die wie in dichten Lichtstrahlen von diesem Gedichte ausgehe und das Innerste der Welt bewege".

Er nennt es das größte Gedicht der Deutschen, seiner Intention nach bei Weitem mehr Aristophanisch als tragisch", erwartet aus „der heitern Anlage des Ganzen schon im ersten Wurf“, daß „der Widerstreit sich in einer höhern Instanz lösen und Faust, in höhere Sphären erhoben, vollendet werde". Schelling nahm also, verschieden von A. W. Schlegel, schon nach dem Fragment einen guten Ausgang an. Er fährt fort: „In diesem Betracht hat dieses Gedicht eine wahrhaft Dante'sche Bedeutung, obgleich es weit mehr Komödie und mehr in poetischem Sinne göttlich ist als das Werk des Dante. — Die erste Reinigung von Qualen des Wissens und der falschen Ima= gination wird, nach der heitern Absicht des Ganzen, in einer Einweihung in die Principien der Teufelei bestehen müssen, wie die Vollendung darin, daß er durch Erhebung über sich selbst und das Unwesentliche das Wesentliche schaut und genießen lernt." Schelling nennt Faust ein ganz und in jeder Beziehung originelles, nur sich selbst vergleichbares, in sich selbst ruhendes Werk" und meint, „daß, wenn irgend ein Poem philosophisch heißen kann, dieses Prädikat Goethe's Faust allein zugelegt werden muß“.

Die alte Faustsage, mit dem Aufblühn der neuern deutschen Poesie überhaupt und mit dem früher unbekannten Studium Shakespeare's und des Volksliedes zugleich von Neuem erwacht, hatte nach diesen Zeugnissen durch Goethe eine ungeahnte Bedeutung für unser geistiges Leben gewonnen, wogegen alle übrigen zahlreichen Bearbeitungen derselben Fabel nicht aufzukommen vermochten. Da die Lessing'sche") bis auf ein vielverheißendes Bruchstück (von 1759) verloren gegangen ist, so kann neben den schon erwähnten grellen Skizzen des Maler Müller aus jener Zeit nur noch Klinger's Faust**) in

*) Bd. 11, 2, S. 579 fgg. der Hempel'schen Ausg.; vergl. Löbell 3, 185. Man glaubte seltsamerweise, in einem 1775 zu München herausgekommenen allegorischen Drama, Johann Faust, Lessing's Werk gefunden zu haben, wogegen Kuno Fischer in „Nord und Süd" 1877; s. Lessing's Werke Bd. 20, 2, S. 23, Note 3.

**) „Faust's Leben, Thaten und Höllenfahrt." 1791. Das Vorzüglichste vielleicht über Klinger und seinen Faust findet sich bei Schlosser im 7. Bande der Geschichte des 18. Jahrhunderts S. 94 bis 101.

Betracht kommen. Klinger hat den Stoff zu einer scharfen und bittern Satire auf die Zeit, deren Geschichte, Politik, Gesellschaft und Litera= tur, zu einem moralisch-polemischen Roman, wozu er sich vorzüglich eignet, benut. Die beiden gleichnamigen Stücke der Jugendfreunde sind aus demselben Boden, aus denselben Kindes- und Jugendeindrücken, vermuthlich aus dem Schauen desselben Puppenspiels, emporgekeimt, um zum Ausdruck ganz entgegengesetter Richtungen zu werden, Klinger's prosaisches Stück zu dem einer pessimistischen, Goethe's poetisches zu dem einer diese aufzehrenden optimistischen Weltansicht. Auch Lenz hatte in Aristophanischer Weise den Stoff wenigstens gestreift; er läßt in einem Fragment den Faust durch Bacchus aus der Unterwelt holen (Deutsches Museum 1777, März Nr. 6).

Nicht berührt von solchen Bearbeitungen, noch weniger von den Faust-Dramen eines Schink (1782), Schreiber (1792), Graf Soden (1797) u. A. m., nahm Goethe in der Blüthezeit seiner Freundschaft mit Schiller, durch dessen Zuruf und tiefes Verständniß ermuthigt, unmittelbar nach der Beendigung von Hermann und Dorothea die Arbeit an seinem nie aus den Augen verlornen Drama wieder auf. Diese Rückwendung aus der eingeschlagnen „klassischen" Richtung zu dem Sturm und Drang seiner Jugend, im Juni 1797, bezeichnet die elegische Zueignung" (S. 3), in jeder Hinsicht das Gegenstück zur Elegie Hermann und Dorothea"; auch das darauf folgende Vorspiel auf dem Theater, einer ähnlichen Reflerion entsprungen, wird in dieselbe Zeit fallen. Im folgenden Jahre, sowie in den ersten des neuen Jahrhunderts, kam im Wesentlichen Alles neu hinzu, was der erste Theil der Tragödie, wie er jezt vorliegt, mehr enthält, als das Fragment von 1790, so daß der Dichter im Winter 1806 auf 1807 das erweiterte Stück mit Leichtigkeit für den Druck zusammenstellen konnte. *)

Wie aber die einzelnen Scenen entstanden sind, zu welcher Zeit, unter welchen mitwirkenden innern und äußern Einflüssen, wie sich in dem jezt Vorhandnen Altes und Neues mischen, wo dem Neuen alte Entwürfe zur Unterlage dienten, wie im Einzelnen die Grund

*) Von Denen, welche den Fauft früher gekannt hatten, Knebel, Jacobi, Morit (bei Klischnigg im 5. Bande von „Anton Reiser“), sind keine-Aeußerungen bekannt, die berechtigten, die spätern Scenen, außer etwa der prosaischen, schon 1790 als geschrieben anzunehmen.

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