ภาพหน้าหนังสือ
PDF
ePub

Wendung des Genies gegen die Schule.

369

und Selbstmordsmonolog, der Ostergesang der Engel, Weiber und Jünger, der Spaziergang vor dem Thor, die Erscheinung und Beschwörung des Pudels, Fausts Zauberschlaf, Fausts Fluch über Welt und Leben und der darauffolgende Geisterchor, fehlen noch. Vor Allem aber fehlt der Angelpunkt der ganzen Sage: die Verschreibung an den Teufel. Faust bricht nach der unwillkommenen Störung durch Wagner gleich in den Entschluß aus:

Und was der ganzen Menschheit zugetheilt ist,
Will ich in meinem innern Selbst genießen,
Mit meinem Geist das Höchst' und Tiefste greifen,
Ihr Wohl und Weh auf meinen Busen häufen,
Und so mein eigen Selbst zu ihrem Selbst erweitern,
Und, wie sie selbst, am End' auch ich zerscheitern.“ 1

Das weitere Zwiegespräch zwischen Faust und Mephistopheles entwickelt den Gedanken, daß dieses träumerische Ringen nach dem Unendlichen vergeblich ist. Faust anerkennt es mit Trauer, Mephistopheles spottet darüber:

„Sez' dir Perrücken auf von Millionen Locken,

Sez' deinen Fuß auf ellenhohe Socken,

Du bleibst doch immer, was du bist." 2

Drum mahnt er Faust, alles ideale, wissenschaftliche Streben. fallen zu lassen und Welt und Leben zu genießen:

„Drum frisch! Laß alles Sinnen sein,

Und grad mit in die Welt hinein!" 3

Nachdem Faust eingewilligt, verspottet Mephistopheles im Gespräche mit dem Schüler noch einmal zum Ueberfluß alle menschliche Schul- und Büchergelehrsamkeit in studentisch-übermüthiger Weise, im kecken Ton der „Frankfurter Recensionen“.

Nun sollte nach der Sage die Weltfahrt beginnen, erst in engerem Kreise mit üppig wollüstigem Leben, dann hinunter in die Hölle, hinauf in die Gestirne, hinaus an die großen Höfe

[blocks in formation]

370

Die Zauberfage wird zum Liebesschauspiel.

[ocr errors]

des Papstes, des Sultans, des Kaisers, in die kleineren fürstlichen Residenzen, an die deutschen Universitäten, in die Städte, Burgen, Bauernhöfe und Schenken des ganzen alten Reiches. Das Volksschauspiel und Puppenspiel versett Faust gleich an den Hof des Herzogs von Parma. Göthe's Faust kam aber nicht weiter, als in Auerbachs Keller zu Leipzig und in Gretchens Stübchen und Garten. Da begegnete dem Dichter genau dasselbe, was ihm bei „Götz von Berlichingen" begegnet war. Wie der biedere Göz von der schönen Adelheid verdrängt ward, so mußte Faust vor Gretchen weichen. Aus der großartigen Magussage ward eine Liebesgeschichte. Statt in wildem Sinnenrausch von Genuß zu Genuß zu stürmen, Weiber aller Nationen und Länder und zuleht die Helena als die Krone aller zu begehren, spinnt sich Faust in die Liebe zu dem ersten besten Bürgermädchen ein und kommt nicht mehr weiter 1. Die Dichtung gestaltet sich erst zum Liebesidyll und dann zur schlichten, bürgerlichen Tragödie.

Diese Gretchentragödie ist wohl Göthe's vollendetste dramatische Leistung; die Kerkerscene, mit welcher sie schließt, welche Göthe aber 1790 noch nicht veröffentlichte, sein tragisches Meisterwerk. Die erste Begegnung auf der Straße, Gretchens Stübchen, ihre kindische Freude an dem geschenkten Schmuck, ihre Scheu vor Mephistopheles, ihr Spaziergang mit Faust im Garten, ihr Liebesgeständniß mit Blumenzupfen, das ganze Aufkeimen der ersten Liebesneigung zur hingebendsten Leidenschaft ist so einfach, wahr und zart geschildert, mit so anmuthigen Genrebildern freundlicher Häuslichkeit umgeben, mit einem solchen Zauber von Kindlichkeit und harmloser Unbefangenheit verklärt, daß das Gesammtbild jedes weichere Gemüth unwiderstehlich fesseln muß 2. „Die Farben sind dem wirklichen Leben entnommen, so daß jeder fühlt,

1 Gretchens rührende Gestalt lebte im Dichter fort und fie erschien ihm in einzelnen Bildern. Der titanische Faust und das Ganze der Handlung trat in den Hintergrund.“ Schröer a. a. D. S. XXXIX.

2 Dr. Otto Vilmar, Zum Verständnisse Göthe's. Marburg 1861. S. 250-345.

[blocks in formation]

die Geschichte habe sich schon tausendmal zugetragen. Aber ihre Mischung ist so meisterhaft, daß man auch hier die unmittelbarste Beziehung auf Selbsterlebtes bei Göthe annehmen muß... Ein großer Charakter ist Gretchen auf keine Weise. Sie ist nichts als Natur, aber eben darum unendlich reizend. Ihre Schönheit lockt den Verführer, ihre Wahrheit und Unschuld zwingt ihm Liebe ab."1 Mit der erwachten Leidenschaft tritt Gretchen aber aus dem seligen Reich der Kindesunschuld heraus. Es ist kein edler, redlicher Bräutigam, der um ihre Hand freit, es ist der mit Gott und Welt zerfallene Faust, der einen Satan zum Begleiter und Helfer hat. Unvermerkt ist das Netz der Verführung um das arme, schwache Kind geschlungen, und mit dem Traum der Liebe zieht Unruhe, Leidenschaft, Schuld und Verbrechen in den engen, kleinen Kreis ihres Lebens ein. Die ganze Verwicklung, einigermaßen ein Bild jeder Sünde, ist mit dem tiefsten psychologischen Blick, mit der fesselnden Einfachheit wahrer Kunst, mit der ergreifendsten Gefühlswahrheit gezeichnet 2. Mit erschüttern

[ocr errors]

1 F. Deycks, Göthe's Faust. Koblenz 1834. S. 23. 24. Aehnlich sagt der dänische Schriftsteller Sören Kirkegaard: „Vi kende denne Pige fra Goethes Faust. Det var en borgerlig lille Pige, ikke, som Elvira, bestemt til et kloster; men dog opdragen i Herrens Frygt, om end hendes Sjael var for barnlig til at föle Alvoren, som Goethe saa uforlignelig siger: Halb Kinderspiel, halb Gott im Herzen. Hvad vi elsker hos denne Pige er hendes rene Sjaels yndige Enfoldighed og Ydmyghed." Enten - Eller. Kjöbnhavn 1865. I. 201. Molitor (Ueber Göthe's Faust Mainz 1869. S. 58 ff.) geht aber viel zu weit, wenn er Margarete als „die vollendetste Frauengestalt bezeichnet, welche Göthe geschaffen hat". Sie ist mehr Kind als Frau, und daß Göthe-Mephistopheles fie wie einst seine „Lili“ gelegentlich „Grasaff“ nennt, ist nicht ohne psychologische Bedeutung.

2 Wenn der italienische Satansdichter Josue Carducci Gret= chen „la stupida ragazza Goethiana“ nennt, „das alberne Göthe'sche Mädchen, das sich dem ersten Besten preisgibt, dann ihr Kind erdrosselt und schließlich in's Paradies kommt“, so wird Mephisto's Ironie hiermit einseitig übertrieben. Wie jede Sünde, so schließt

372

Der Charakter Gretchens.

der Tragik bricht die Katastrophe herein. Gretchens Unruhe am Spinnrad, ihre ersten Gewissensbisse am Brunnen, ihr Hilferuf zur Mater dolorosa, ihre Herzensqual beim Dies irae im Dom und endlich ihr Wahnsinn im Kerker bilden eine Reihe der wirksamsten Scenen. Sie sind bis auf den kleinsten Zug der Wirklichkeit abgelauscht, vom tiefsten Gefühl belebt und von einem poetischen Zauber, wie ihn nur die echtesten Volksballaden besigen.

Aber Faust? Was hat die gewaltige, dämonische Faustsage mit dieser in sich abgeschlossenen, einheitlichen Liebestragödie zu schaffen? Braucht es einen Gelehrten, einen Magus, einen Titanen, um ein armes Kind, wie Gretchen, zu verführen? Oder gar vollends einen Dämon, ausgestattet mit allen Zauberkräften der Hölle? Könnte ein beliebiger, reicher Cavalier mit Hilfe der Kupplerin Marthe nicht ebenso gut dieses schnöde Werk der Verführung zu Stande bringen? 1

auch Gretchens Schuld allerdings eine ungeheure Thorheit in sich, das Preisgeben des höchsten Gutes um einer elenden, hinfälligen Luft willen. Doch die Schuld wird gemildert und macht ein wirkliches dramatisches Mitgefühl möglich, indem Gretchen als uner= fahrenes Kind der berechnetsten Verführungskunft fast wehrlos gegen= übersteht und die Versuchung mit der bezaubernden Macht der ersten, scheinbar berechtigten Liebe an sie herantritt. Unrichtig wird die Auffassung Gretchens erst dadurch, daß Göthe fie am Schluß des zweiten Theiles (V. 7452 ff.) im Glorienschein des Himmels als völlig schuldlos hinstellt:

[blocks in formation]

Hierdurch wird nicht nur Gretchens Schuld, sondern die ganze Tra= gödie der Verführung mit einem höchst bedenklichen Strahlenglanz der Verklärung umgeben. Vgl. A. Müller, Ethischer Charakter von Göthe's Faust. Regensburg 1885. S. 184. 185.

1 Sogar einer von Göthe's wärmsten neueren Lobrednern, Karl Lucae (Zur Götheforschung der Gegenwart. Marburg 1878. S. 14), meint, daß der „trunkene Totalitätsdrang, diese maßlose Selbst=

Der theologische Sagenstoff zurückgedrängt.

373

Unverkennbar gewinnt das Bild des anspruchslosen, einfachen Mädchens durch den schroffen Contrast zu dem hochfahrenden, an aller Wissenschaft verzweifelnden Gelehrten, welcher im Liebesgelispel Gretchens jene Befriedigung findet, die er in allen vier Facultäten umsonst gesucht1. Nicht minder wirksam ist es, daß dem frommen Kinde, das eben noch von der Beichte gekommen, das mitten im Liebesgetändel Faust über seine Religion katechisirt, das selbst nach dem Falle noch Zuflucht bei der Madonna sucht, der leibhaftige Dämon mit allem zündenden Witz, Spott und Sarkasmus eines Voltaire gegenübersteht, zugleich Fausts Sinnlichkeit erregend und verhöhnend, für ihn das Netz ausspannend und ihm den Genuß störend und vergällend, den ganzen Liebestraum aufbauend und vernichtend. Das sind sehr effectvolle Gegensätze. Aber Faust, der Held der alten Sage, sinkt durch dieses schäferhafte Liebesspiel zu einem weichlichen, träumerischen Poeten, zu einer Marionette des Mephistopheles, zu einem ganz gewöhnlichen Liebhaber herab, der eigentlich für den Standpunkt der bürgerlichen Moral gemeine Streiche begeht". „Was ist ungenügender," ruft Gottschall mit Recht aus, „als einen mit dem Erdgeist Ringenden zuletzt mit Jugendstreichen enden zu sehen, die sich über das Triviale nur durch das Verbrecherische erheben ?" 2

Göthe selbst fühlte, daß ihm durch die breite Entwicklung der Gretchentragödie der eigentliche Plan der Dichtung entschlüpft sei. Er glaubte ihn in Italien wieder gefunden zu haben3 und rückte in die bisherige Folge der Scenen zwei neue ein, welche

überhebung" Fausts, eigentlich in flacher Unbedeutendheit“ endigt: „denn um ein Gretchen unglücklich zu machen, war kein Titan, tein Faust erforderlich".

1 Den Gegensatz des Faustcharakters zu jenem des Don Juan hat Sören Kirkegaard (Enten-Eller. I. 203) meisterlich gezeichnet. 2 R. von Gottschall, Die deutsche Nationalliteratur. I. 79. Vgl. Adam Müller, Ethischer Charakter von Göthe's Faust. S. 45-58. 78-87.

81.

3 Göthe's Werke [Hempel]. XXIV. 480. Gespräche. II. 91.

Eckermann,

« ก่อนหน้าดำเนินการต่อ
 »