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Während er sich in seinem Geschäftsleben eher zum Pedantismus als zur Nachlässigkeit hinneigte, gegen Fernerstehende eine steife, förmliche, oft ablehnende Haltung annahm, bewahrte er in seinem dichterischen Geistesleben eine wahrhaft jugendliche Frische und Munterfeit, im Kreise seiner Freunde die angenehmste Geselligkeit. In einem Alter, wo selbst den zähesten Lebemännern mit Kraft und Muth auch die Thorheiten der Jugend zu vergehen pflegen, an der Schwelle des Greisenalters begann er abermals von Neuem jenes Spiel der „Liebe“, dem er nahezu sein ganzes Leben lang nachgehangen, und machte noch einmal „Werthers" Leiden durch, allerdings nicht mehr in jenem brausenden, stürmischen Ungestüm, aus welchem die Dichtungen der Genieperiode hervorgequollen waren, doch mit einer Tiefe der Leidenschaft, welche immerhin noch an jene Gluth der Jugend erinnert.

Sein Verhältniß zu Minna Herzlieb, der Pflegetochter des Buchhändlers Frommann 1 in Jena, wurde schon erwähnt. „Minna war" nach der Erzählung der Malerin Luise Seidler 2 — „die lieblichste aller jungfräulichen Rosen, mit kindlichen Zügen, mit großen, dunkeln Augen, die, mehr sanft und freundlich als feurig, Jeden herzig unschuldsvoll anblickten und bezaubern mußten. Die Flechten glänzend schwarz, das anmuthige Gesicht vom warmen Hauche eines frischen Colorits belebt, die Gestalt schlank und biegsam, vom schönsten Ebenmaß und graziös in allen Bewegungen." Turpe senilis amor,“ sagt Lessing in seinem Laokoon, ein gieriger Blick macht das ehrwürdigste Gesicht lächerlich, und ein Greis, der jugendliche Begierden verräth, ist sogar ein ekler Gegenstand."3 Göthe dachte nicht so. „Einem bejahrten Manne," sagt er in Ottiliens Tagebuch, „verdachte man, daß er sich noch um junge Frauenzimmer bemühte. Es

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Das From

1 Den Charakter der Pflegemutter Johanna, geb. Wesselhöft, zeichnen deren Räthe „an eine angehende Hausfrau“. mann'sche Haus. S. 185-191.

2 Grenzboten 1874. IV. 445.

3 Lessings Werke [Hempel]. VI. 133.

Ein neuer Liebesroman.

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ist das einzige Mittel, versezte er, sich zu verjüngen, und das will doch Jedermann." 1. Obwohl achtundfünfzig Jahre alt und erst vor Jahresfrist mit Christiane Vulpius öffentlich getraut, verliebte er sich im November 1807 und es sollte noch nicht seine letzte Liebesgeschichte sein. - in die achtzehnjährige Minna Herzlieb und tändelte so lange mit dieser Liebe herum, bis sie sich, wenn auch ohne äußeres Aergerniß, doch für sein Gemüthsleben zum völligen Roman gestaltete 2. Der Anfang war offenbar Spielerei. In den Abendzirkeln bei Frommanns wurden Sonette von Klinger, A. W. Schlegel, Gries und Zacharias Werner vorgelesen. Göthe hatte bis dahin diese künstliche Form wenig gepflegt. Er dichtete nun Sonette, ein Dußend in Jena, nachher noch fünf in Weimar, zierliche Dingerchen, wahre Muster der schwierigen Form, aber wieder sämmtlich Liebesgedichte *. Eines sprach den Namen der Geliebten aus, ein anderes feierte ihn als Charade. Ein Platoniker war Göthe einmal nicht. Die Tändelei ward Ernst, und als er von Jena scheiden mußte, war ihm ganz ähnlich zu Muthe, wie einst, als Merck ihn von den Butterbroden Lotte's und dem Mondschein zu Wezlar hinweg: holte. Er hatte den Hamen einer unglücklichen Liebe tief im Herzen und konnte ihn so leichten Kaufes nicht wieder los werden.

Wie lange Göthe dieser folternden Träumerei nachgehangen, ob auch sein Verhältniß zu Bettina Brentano mit in dieselbe hineingespielt, ob sie auf die späteren unglücklichen Lebensschicksale Minna's Einfluß gehabt, kurz über den ganzen Verlauf dieses

1 Göthe's Werke [Hempel]. XV. 153.

2 „Peut-être était-il d'avis qu'après avoir commis la faute de prendre une femme, il convenait de la garder, mais il n'eût pas été choqué qu'on n'en prît deux. Lui-même, tout en étant le mari de Christiane, n'éprouvait aucun scrupule d'aimer Minna Herzlieb." A. Mézières, Revue des Deux Mondes. C. 883. 3 Ein Sonett in der „Natürlichen Tochter", II. A. 4. Auftr., ein anderes in dem Vorspiel: „Was wir bringen."

4 Göthe's Werke [Hempel]. I. 209-218.

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Entstehungsgeschichte der „Wahlverwandtschaften".

neuen Romans fehlen alle zuverlässigen näheren Angaben 1. Es ist nur Göthe's Geständniß vorhanden, daß er an einer tiefleidenschaftlichen Wunde gekrankt habe, dann ein paar Sonette, welche einen ernstlichen Liebesschmerz athmen — der Roman „Die Wahlverwandtschaften“ und Göthe's Versicherung: „daß darin kein Strich enthalten, der nicht erlebt, aber kein Strich so, wie er erlebt worden“ 3, endlich das Geständniß Göthe's an Zelter bei Minna's Verlobung mit Pfund: „Seine Braut fing ich an als Kind von acht Jahren zu lieben, und in ihrem sechzehnten liebte ich sie mehr wie billig."

„Die Wahlverwandtschaften“ reihen sich ihrer Entstehung nach an einige Erzählungen und Novellen, welche Göthe im Sommer 1807 schrieb: „Sanct Joseph der zweite“, „Die neue Melusine“, „Die pilgernde Thörin“, „Die gefährliche Wette“, „Der Mann von fünfzig Jahren". Eine solche weitere Novelle hatte Göthe anfänglich geplant. Der Stoff," meinte er aber hinterher, „war allzu bedeutend und zu tief in mir gewurzelt, als daß ich ihn auf eine so leichte Weise hätte beseitigen können." Die Ausführung schritt während des Jahres 1808 wenig voran, um so rüstiger vom April bis Juni 1809. Am 6. Juni hoffte er, die Arbeit in etwa 14 Tagen vollenden zu können. Der Besuch des Königs Jerome nöthigte ihn indeß, im Juli für eine Woche von Jena nach Weimar zu gehen, und so wurde es October, bis sie fertig war. „Der 3. October," erzählt er, „befreite mich von

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1 Luise Seidler stellt in ihren Erinnerungen" (Berlin, Herz, 1874) jede eigentliche Liebschaft von Seite Minna's in Abrede. F. J. Frommann (Das Frommann'sche Haus. Jena 1872) gleitet mit befremdlicher Kürze über die Thatsache hinweg, daß Minna 1808, bald nach Göthe's Sonettenwuth, von Jena weg nach Züllichau versezt wurde, gibt aber von Göthe's Seite „heftige Empfindungen" und leidenschaftliche Erregtheit" zu. Vgl. Göthe= Zelter Briefwechsel. II. 53. 69.

2 Göthe's Werke [Hempel]. XXVII. 186.

3 Eckermann, Gespräche mit Göthe. 4. Aufl. Leipzig 1876

II. 127.

Die Trilogie der unglücklichen Liebe.

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dem Werk, ohne daß die Empfindung des Inhalts sich ganz hätte verlieren können.“ 1

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Inhalt und Stimmung des neuen Romans kommen schon darin mit Werther“ und „Wilhelm Meister" überein, daß der Dichter sich von allen großen Bewegungen seiner Zeit, von der gesammten Welt- und Völkergeschichte auf das Gebiet des Gefühlslebens zurückzieht und auch da wieder sich von allem Erhebenden, Großen, Schönen abwendet und sein Interesse auf den engen Kreis des Krankhaften, des Ungesunden, selbstgemachter Phantasieleiden, moralischer Verirrung beschränkt. Man könnte die drei Romane wohl passend eine „Trilogie der unglücklichen Liebe“ nennen. Beim jungen Werther" entwickelt sie sich zur tollsten Schwärmerei, an welcher der weichliche Held elend zu Grunde geht. Bei „Wilhelm Meister“ wird sie zu einer Art von Erfahrungs- und Bildungsschule ausgesponnen, durch welche er von aller Poesie curirt, ein nüchterner, blasirter Lebemann wird. Aber wie Wilhelm Meister" den „Werther" Lügen straft, so paralysirt der „Eduard“ der „Wahlverwandtschaften“ wieder den „Meister“, soweit man wenigstens die Dichtung im geistigen Leben ihres Urhebers betrachtet. Göthe schwärmt wohl, wie der junge „Werther", er macht der Braut und Frau eines Andern den Hof, er erfährt dabei alle Qualen einer hoffnungslosen Liebe; aber er erschießt sich nicht. Er wird nun „Wilhelm Meister", d. h. er fängt die Komödie von vornen an, aber viel leichtsinniger und mit zunehmender weltmännischer Gewandtheit. Kommt ihm die erste Geliebte abhanden, so träumt er ihr zwar noch einige Zeit pathetisch nach, siedelt aber unbedenklich zu einer zweiten und dritten und vierten über und wird allmählich ein „weiser Mann“. Aber auch mit dieser Weisheit ist es wieder nicht richtig. Denn der vielerfahrene und wohlroutinirte Eduard", der jene ganze Bildungsschule durchgemacht, vermag sich gegen die geringste Versuchung nicht zu sichern; fast naiver und thörichter als Werther tappt er in die böse Gelegenheit, erliegt ihr und geht troß

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Werther, Meister und die Wahlverwandtschaften.

aller Weisheit des „Wilhelm Meister“ daran zu Grunde. Auch das ist aber theilweise wieder Fiction. Der Dichter kehrt nach dem geistigen Ehebruch wieder zu „Wilhelm Meister“ zurück und erholt sich in den Novellen der Wanderjahre" von dem Jammer der unglücklichen Liebe.

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Die Widersprüche sind zu schroff, als daß man sich Mühe geben sollte, sie künstlich auszugleichen. Der natürliche Ausgleich liegt darin, daß zwar alle drei Romane mitsammt ihrem Anhang, den „Wanderjahren“, bis zu einem gewissen Grade „Bekenntnisse“ Göthe's, „Confessionen“ seines Lebens sind, aber nicht im selben Grade und nicht in derselben Weise. „Wilhelm Meister“ zeichnet annähernd die Entwicklung, die er durchgemacht, und die praktische Lebensweisheit, zu der er gelangt ist, „Werther“ und „Die Wahlverwandtschaften“ dagegen nur vorübergehende Stimmungen und Zustände, welche er mit Hilfe jener Lebensweisheit überwand. Diese Lebensweisheit aber liegt wesentlich darin, zwar im Leben selbst Roman an Roman zu spinnen und in Dichtungen auszusprechen, die „Liebe“ mithin zur Haupttriebkraft des Lebens und der Dichtung zu machen, sie selbst aber keineswegs so ernst und tragisch zu nehmen, wie die Helden der Romane, sondern von einer begrabenen Liebe dichtend wieder zu einer neuen überzugehen, und so zu „lieben“ und zu dichten bis zum Tode. In der Behaglichkeit, womit der sechzigjährige Herr noch alles Liebesleid eines untreuen Ehemannes und eines kaum der Pension entronnenen Mädchens durchlebt und durchleidet, zerlegt und bis in's Kleinste beschreibt, ja zu seiner Hauptaufgabe, zum Mittelpunkt seines Dichtens und Denkens für zwei Jahre macht, liegt schon das Geständniß, daß ihm in diesem angeblichen Leiden unendlich wohl ist, daß er mit Wollust darin lebt und webt, daß ihn ein Mädchenherz mehr interessirt, als alle Philosophien und Religionssysteme, alle Königreiche, Wissenschaften und Künste der Erde.

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Wie im Werther“, so hat es Göthe auch in den „Wahlverwandtschaften" durchaus nicht auf eine spannende Verwicklung abgesehen. Es ist die einfachste Liebesgeschichte von der Welt,

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