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Meisterhafte Abrundung des Romans.

Erfahrungen seines Alters mitzutheilen und einem an sich untiesen weiblichen Gefühlsleben einigen Gehalt zu verleihen.

Wie im Werther" ist der ganze psychologische Zersehungsproceß denn das ist schließlich diese Geschichte unglücklicher Liebe mit einem Kennerblick geschrieben, der tief in alle Gründe und Abgründe des Menschenherzens geschaut; mit der Wahrheit und Lebendigkeit eines Herzens, das alles Leid der Liebe bis in die kleinsten Einzelheiten an sich durchgefühlt; mit jenem feinen Künstlerverstand, der dieß bunte Gewirre verschwommener und ringender Gefühle mit der durchsichtigsten Klarheit zum Kunstwerk zu gestalten wußte. Ein Jüngling hat Alles empfunden, ein Greis Alles aufgezeichnet. Der Dichter erscheint zugleich als Arzt und Kranker; aber als Arzt, der sich selbst kurirt, ist er weit überlegener, als einst im „Werther". Die poetische Lebendigkeit der Zeichnung, der Farbe, der Handlung hat dabei verloren. Viele der Nebenpersonen, der Architekt, die Vorsteherin, der Gehilfe u. s. w., haben, wie in der „Natürlichen Tochter", nicht einmal Namen erhalten. Der Hauptmann und Charlotte, Eduard und Ottilie selbst sind äußerlich mehr typisch allgemein als concret aufgefaßt. Doch ihr ganzes Seelenleben ist so indi viduell, so scharf charakteristisch ausgeführt, so harmonisch abgerundet, so bis in's Kleinste motivirt, wie in keinem andern Romane Göthe's. Auch das äußere Culturbild besißt die lebensvollste Klarheit und Wahrheit 1.

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Gervinus erklärt die Wahlverwandtschaften" geradezu als das Meisterstück der neueren Novellistik überhaupt und findet sie mit den Novellen des Cervantes darin verwandt, „daß sie jene durchsichtige Helle, jene Plan- und Regelmäßigkeit in Entwurf und Ausführung, jene Quadratur der Anlage, jene gerad

1 „Les moeurs de la société polie qui s'était formée en Europe, à l'image de la France, moeurs d'une classe et non d'un peuple, les relations qu'entretiennent les gens du monde, y sont décrites par un observateur très-pénétrant et toujours bien informé." A. Mézières, Revue des Deux Mondes. C. 879.

Zeitgenössische Beurtheilungen des Romans.

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linige Richtung der Empfindungen und Leidenschaften, und die leşte Vollendung einer berechneten und mit künstlerischem Bewußtsein durchgeführten Darstellung an sich tragen“ 1.

Der Roman fand indeß keine ungetheilt günstige Aufnahme. Die feindlichen Stimmen waren sogar zahlreicher, als die freundlichen. Der Vorwurf der Immoralität wurde viel allgemeiner laut, als gegen den Werther". Er ist bis heute nicht ver ftummt 3.

1 Gervinus, Geschichte der poetischen Nationalliteratur. Leipz. 1844. V. 711.

2 Sehr begeistert war der alte Heinr. Voß: „O Sie unendlich reicher Mann! Wie wissen Sie zu beglücken! ... Mir ist, als wenn Sie keines Ihrer frühern Werke mit dem Behagen, mit der Gluth und Innigkeit geschrieben hätten, und doch sehe ich keines Ihrer frühern Werke geringer an, als vor Lesung Ihrer Wahlverwandtschaften““ (26. Dec. 1809). Göthe Jahrbuch. V. 77. Wieland Dagegen mißfiel der Roman; nur an Ottilie fand er bei der dritten Lesung endlich einen künstlichen Magnet, der sein Urtheil günstiger stimmte. Dünger, Freundesbilder aus Göthe's Leben. Leipzig 1853. S. 399.

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3 Den schärfften Angriff machte Rehberg, der ein ebenso tüchtiger Kenner Englands als unbestechlicher Gegner der französischen Revolution war, in einer Recension, welche den Jahrgang 1810 der Allgemeinen Literaturzeitung von Halle eröffnete. „Er erzählte den Inhalt der Wahlverwandtschaften' und nahm die Charaktere durch. Er erklärte den Eduard für einen baronisirten Wilhelm Meister, den er hinwieder als einen charakterlosen Laps bezeichnet hatte, so daß Eduard schließlich kurzweg als Baron Laps figurirt. Er be= hauptete, Ottilie sei nicht ein echtes Kind von des Dichters Geiste, sondern fündhafter Weise erzeugt, in doppelter Erinnerung an Mignon und an ein altes Bild von Masaccio oder Giotto. Er glaubte, nicht uneben, eine Verwandtschaft zwischen Luciane und der natürlichen Tochter herauszufühlen. Und er meinte schließlich: „Wie kann man aus solchen Geschöpfen eine Tragödie machen! O göttlicher Sophokles! Heiliger Shakespeare, Richardson, Rousseau und wer sonst das menschliche Herz durch den Kampf der Leidenschaft mit Baumgartner, Göthe. III. 2. Aufl.

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Die Fabel an sich nicht unmoralisch.

Was die Fabel selbst in ihren Hauptumrissen betrifft, so ist dieser Vorwurf gewiß unbegründet. Sie zeigt, wie ein äußerlich glückliches Familienleben durch Mangel an tieferer, innerer Bildung, durch leichtsinniges Spielen mit der sittlichen Gefahr, blinde Hingabe an die Leidenschaft, Halbheit in deren Bekämpfung langsam unterwühlt wird, endlich zusammenbricht und diejenigen. mit in den Untergang zieht, die sich mehr oder weniger schuldvoll jenem thörichten Spiel überlassen haben. Schon der geistige Ehebruch wird von Eduard selbst als Verbrechen gebrandmarkt. Ottilie erkennt ihr Verhältniß zu Eduard als einen Bruch des Gesetzes, als ein Verlassen der gottgewollten Bahn, als ein Verbrechen an, das Buße und Sühnung erheischt. In ihrem und Eduards Untergang wird der poetischen Gerechtigkeit einigermaßen Genüge geleistet. Die Fabel an sich rechtfertigt deßhalb die Vorwürfe nicht, welche gegen die Moralität des Romans erhoben worden sind. Von aller Verfänglichkeit freisprechen läßt er sich aber dennoch nicht.

Zunächst haftet ihm jene Verfänglichkeit an, welche allen pathologischen Liebesromanen gemeinsam ist und welche in der verführerischen Macht unglücklicher Liebe selbst liegt. Die Frau von Staël hat darüber ein sehr wahres Wort gesagt und Göthe selbst hat es übersett: „Was man gegen die Romane, in welchen die Liebe behandelt wird, immer mit vielem Recht sagen kann, ist, daß die Leidenschaft darin so gemalt ist, daß sie dadurch erzeugt werden kann, und daß es Augenblicke des Lebens gibt, in welchen diese Gefahr größer ist als alle Vortheile, die man davon erwarten konnte."1 Verschuldetes und unverschuldetes Mißgeschick dämpfen den Reiz der Leidenschaft nicht, ja erhöhen sie ihn nur, wenn er durch anziehende Schilderung zum Gegenstand der Liebe und Theilnahme geworden. Eine bloß allgemeine Moralität

dem Gefühle des Erhabenen zu bewegen wußte! Hat der Verfasser des Werther und der Iphigenie hier sich selbst oder sein Publikum verspotten wollen?"" - Göthe-Jahrbuch. VI. 352.

1 Göthe'z Werke [Hempel]. XXIX. 841.

Bedenkliches der Ausführung.

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in den Grundzügen der Fabel reicht deßhalb nicht aus. Der Dichter muß in der Darstellung der Leidenschaft selbst sich Schranfen seßen und dem verführerischen Reize des Bösen zum wenigsten ein heilsames Gegengewicht schaffen, wenn sein pathologisches Bild nicht zum Gifte werden soll.

Hier liegt nun die Schwäche des Romans, wie zahlloser anderer Romane, deren Dichter nichts Anderes im Sinne hatten, als die Nachtseite des Menschenlebens, Leidenschaft, Sünde, Verbrechen, sittliche Zerrüttung und Fäulniß, möglichst kunstvoll und pikant darzustellen. Der Dichter selbst ist von der Leidenschaft befangen, die er schildert; der Arzt ist selbst von der Krankheit ergriffen, die er zu heilen vorgibt. In all ihren Sorgen und Leiden, in ihrem Gram und Tod ist ihm Ottilie mehr als eine bloße Romanfigur; sie stirbt für ihn nicht; sie ist das Ideal seiner Liebe, wie einst Gretchen, Lotte, Lili, Charlotte von Stein und Christiane, die „römische“ Geliebte in Thüringen. Er selbst liebt, wie Eduard der ältere, verheirathete Mann ein junges Mädchen. Die ganze Gluth und Innigkeit wirklicher Liebe durchströmt den Roman und leiht ihm theilweise seinen Zauber.

Die Darstellung ist allerdings weit von jener platten Lüsternheit entfernt, mit welcher Wieland verfängliche Situationen herbeizuführen und bis zum Obscönen zu steigern pflegt. Göthe weiß seine Worte abzuwägen und spricht kaum eines aus, was eine wohlerzogene Dame ihm nicht nachsprechen dürfte. Es lassen sich mit zierlichen Worten indeß allerlei Dinge andeuten, welche,

1 Diese lediglich pathologische Natur des Romans gibt auch der warme Götheverehrer Zauper zu: „Mag es Anderen gegönnt sein, in Romanen zu schildern, quid virtus, et quid sapientia possit, unser Dichter hat es sich einmal vorgenommen, die Menschen zu geben, wie sie, leider! sind, und so werden sie für uns belehrender als jene Ideale, nach denen wir vergeblich (?) suchen." J. St. Zau= per, Studien über Göthe. Wien 1840. I. 185. Soll der Menschheit wirklich alles Ideale abhanden gekommen sein? Soll der Dichter nichts zu schildern finden, als Elend und Sünde? belehrender wirken, als das Gute?

Oder soll das

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Verführerischer Zauber der Darstellung.

in die Sprache der Phantasie überseßt, vom Lüfternen wenig abstehen.

„Es gibt Gedanken, deren bloßes Vorhandensein schon eine Handlung ist und zerstörend wirkt; gibt ihnen nun vollends die Dichtung durch ihre Darstellung einen ätherischen Körper, so wird die innere Zerstörung tausendfach fortgepflanzt; diesem Vorwurf wird man Partien der Wahlverwandtschaften schwerlich entziehen." 1

So vorsichtig und wählerisch, anscheinend auch keusch 2 Göthe in seinen Worten und Wendungen auch sein mag, so frei ist er in seinen Situationen, in der ganzen Entwicklung des Romans. Es ist eine vollständige Schule ehebrecherischer Liebe, die, wie im „Wilhelm Meister", durch den Zauber der Darstellung auf's Höchste verlockend dargestellt wird: auch im Schiffbruch zehren Eduard und Ottilie noch von der Süßigkeit der fündigen Erinnerung, und selbst im Tode schwebt ihnen ihre Vereinigung als das höchste Ziel des Daseins vor. Alle Scenen und Bilder des Romans sind in das magische, sehnsüchtige Licht dieser unglücklichen Liebe getaucht, Natur und Kunst sind nur herbeigezogen, um ihre unwiderstehliche Gewalt hinreißender zu zeichnen. Der Ehebruch, zwar principiell verurtheilt, ist thatsächlich mit einem Glorienschein von Schönheit, lockender Anmuth, verführerischem Reiz umgeben. Ernste Männer, denen die Heiligkeit der Ehe wirklich mehr als ein Roman galt, haben diesem Werke Göthe's deßhalb nie rechten Geschmack abgewinnen können 3.

Ein künstlerisches Gegengewicht zu dem künstlerisch verherr

1 Gelzer, Die deutsche poetische Literatur. Leipzig 1841. S. 300. 2 Karl Rosenkranz (Göthe und seine Werke. Königsberg 1847. S. 463) spricht sogar von Göthe's „keuschester Feder“; was dieser „Doctor der Theologie" aber unter Keuschheit versteht, fiehe ebendas. S. 278 ff.

3 In den Vereinigten Staaten," sagt der ausgezeichnete Histo= riter Bancroft, würden die Wahlverwandtschaften', Dank der verehrten Heiligkeit des Ehebandes, als eine falsche und gefährliche Schmähschrift auf die menschliche Natur bei Seite geworfen werden." Horatio S. White, Göthe in Amerika (Göthe-Jahrbuch. V. 225).

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