ภาพหน้าหนังสือ
PDF
ePub

Anderer noch weit leichter mit der Selbstachtung zu vereinbaren, weil hier Jeder etwas für sich gilt durch den sittlichen Kern seiner Persönlichkeit, während auf anderen Gebieten erst das Mehr oder Minder im Vergleich zu Anderen die Geltung bestimmt (vgl. oben S. 171 ff.). Um so leichter ist diese Verbindung von Pietät und moralischem Selbstgefühl zu vollziehen, wenn definitiv auf allen Seiten davon Abstand genommen ist, durch die persönliche Pietät eine Beeinflussung des Meinens und Wollens und der Maximen des Handelns bedingt zu denken, d. h. wenn man weiss, dass auch von Seiten dessen, dem man die Pietät entgegenbringt, die eigene sittliche Autonomie unbedingt respectirt und jeder Versuch einer Beeinflussung perhorrescirt wird. In diesem rein persönlichen Sinne aufgefasst, bildet die Pietät das schönste Band zwischen zwei Menschen, sei es, dass dasselbe bei weiterer Annäherung der Liebe zur Grundlage dient, sei es, dass es für sich allein bestehen bleibt oder sich bloss mit Dankbarkeit, Anhänglichkeit u. dgl. vergesellschaftet.

Wo solch' ein Band besteht, da findet die Versuchung zum Bösen, zum Unrechtthun gegen ein durch Pietät geschüztes Haupt, einen mächtigen Damm, da erhält in dem Bewusstsein der sittlichen Würdigkeit der verehrten Person jeden Antrieb zu guten, edlen und opferwilligen Thaten eine wirksame Verstärkung. Die Verletzung einer Person, gegen welche Pietät vorausgesetzt werden muss, wird schon vom sittlichen Volksbewusstsein schwerer zugerechnet, als die gleiche Verletzung einer nicht durch Pietät geschätzten Person; positiv sittliche Leistungen hingegen, welche man Fremden gegenüber als hervorragend edle Thaten betrachten würde, werden solchen Personen gegenüber, welche auf Pietät Anspruch machen dürfen, als einfache Schuldigkeit angesehen. Ein Band der Pietät wird aber vornehmlich da vorausgesetzt, wo durch längere Zeit hindurch ein Mensch auf den andern eine sittliche Wirkung geübt hat, wo also die sittliche Bedeutung seiner Persönlichkeit dem andern durch das zwischen ihnen bestehende Verhältniss nothwendig zum Bewusstsein gekommen sein. muss. Mit einiger Allgemeingültigkeit darf ein solches Verhältniss uberall da erwartet werden, wo sittlich Unreife dem erziehlichen oder doch vorbildlichen Einfluss sittlicher reifer oder doch relativ überlegener Persönlichkeiten dauernd ausgesetzt sind, z. B. Kinder und Jünglinge Eltern und Erziehern, oder rohere Stände dem Brodherrn, Pfarrkinder dem Pfarrer gegenüber. Dass Beleidigung, Verletzung

oder Tödtung eines Fürsten strenger geahndet wird, ist nicht blosse Staatsraison, sondern entspricht auch der überwiegend im Volksbewusstsein noch vorhandenen Pietät vor Fürsten.

In allen angeführten Fällen kann zwar ausnahmsweise ein verächtlicher und unwürdiger Charakter das naturgemässe Pietätsverhältniss unmöglich machen oder zerstören, für gewöhnlich aber wird der sittliche Kern der Persönlichkeit genügen, um im Gemüthe des an Reife oder Bildung Zurückstehenden auch dann Pietät zu erwecken, wenn gewisse und selbst erhebliche sittliche Mängel seinen Blicken nicht verborgen bleiben, zumal wenn Dankbarkeit und Liebe das Urtheil milde und nachsichtig stimmen. Nicht selten sieht man im Leben die Pietät durch Vertraulichkeit und Ueberschätzung kleinerer und äusserlicher Fehler überwuchert, dafür aber dann um so stärker hervorbrechen, wenn der Tod diese Aeusserlichkeiten der Erinnerung entrückt hat, das Bild des Verstorbenen nach seinem inneren Werthe allein das Gedächtniss beherrscht, und als Verstärkung vielleicht noch der Selbstvorwurf hinzutritt, im Leben den wahren Werth verkannt zu haben. Dies ist der Grund, weshalb man so oft den Todten eine weit grössere Pietät nachtragen sieht, als man sich bei deren Lebzeiten jemals hätte träumen lassen; die Hindernisse der Pietät im Leben sind beseitigt, und die Zeitferne wirft ihren verklärenden Schimmer über die Erinnerungs-Gestalt des Entrückten.

Wenngleich die Pietät da von besonderer Wichtigkeit scheint, wo die sittliche Unreife (sei es des individuellen Lebensalters oder des Culturstandpunktes des betreffenden Volkes oder Standes) dit propädeutische Vorstufe einer heteronomen Pseudomoral noch unerlässlich macht, so begleitet doch der sittliche Einfluss dieses Gefühls auch das ganze übrige Leben; dasselbe verliert nur den Charakter einer schuldigen Pflicht, und wird zur freien Huldigung. insofern es dasjenige Maass allgemeiner sittlicher Achtung vor anderen Menschen überschreitet, welches wir Jedem, auch dem Verworfensten. schuldig sind, wenn wir uns nicht des Unrechtes schuldig machen wollen, den Glauben an die Möglichkeit seiner inneren moralischen Restitution voreilig fahren zu lassen. Wir dürfen nie vergessen, dass in jedem Menschen ebenso der Keim der sittlichen Erhebung zum Guten, wie der zum Versinken in bodenlose Gemeinheit und Schlechtigkeit liegt, und dass niemand im Stande ist, den Motivationsprocess eines Lebens so zu durchschauen, um einen Menschen für schlechthin

unfähig zur sittlichen Wiedererhebung zu erklären; so lange wir aber an einen sittlichen Keim glauben, der durch günstige Umstände wachsen und das Böse überwuchern kann, so lange dürfen wir auch ein gewisses Maass von sittlicher Achtung dem Menschen nicht versagen, der immer noch wenigstens potentiell eine sittliche Persönlichkeit ist. Es ist sehr leicht und wohlfeil, zu verdammen und mit seinem sittlichen Abscheu gegen die verworfenen Glieder der menschlichen Gesellschaft zu prunken, und die Selbstgerechtigkeit hat sich oft genug solchen Abscheu zum sittlichen Verdienst angerechnet; in Wahrheit aber ist derselbe eine sittliche Gefahr, da er uns zu ungerechtem Verhalten gegen solche Verachtete verleiten kann, und ist in der Mehrzahl der Fälle selbst schon eine Ungerechtigkeit der Werthschätzung, weil nach den oft von Zufälligkeiten abhängigen Resultaten des Lebens voreilige Schlüsse auf das ursprüngliche Verhältniss der guten und bösen Anlagen gezogen werden. Nur zu oft ist der ausgestossene Verbrecher den Anlagen nach ein sittlich höher stehender Mensch als der unbescholtene, wohl situirte und angesehene Bürger. Deshalb ist die moralische Verachtung oder der moralische Abscheu gegen Personen ein vom ethischen Standpunkt weder zu lobendes noch zu förderndes Gefühl; dasselbe ist vielmehr zu bekämpfen und überall durch sittliche Achtung der unterdrückten und überwucherten, aber unverlierbaren und unzerstörbaren sittlichen Anlagen im Menschen zu ersetzen, welche stets seine Restitution als möglich offen halten. An solcher Begegnung wird das deprimirte sittliche Selbstgefühl des Gefallenen sich neu aufrichten, die rings umher lauernde Verachtung und sittliche Abscheu aber wird den letzten Rest desselben zerstören. Das Böse ist zu verabscheuen, nicht der Böse.

Auf diese Weise wirkt die Pietät sittlich fördernd nicht nur auf den, der sie hegt, sondern auch auf den, welchem sie zu Theil wird; denn sie hebt das sittliche Selbstgefühl des letzteren und steigert seine Schamhaftigkeit, d. h. seine Scheu vor der geringsten Depression seines moralischen Selbstgefühls durch irgend welche zu gebende sittliche Blösse. So trägt schon das Eintreten in ein Verhältniss, aus welchem Pietät erwachsen soll, dazu bei, eine festere sittliche Haltung zu geben, wie man dies täglich bei Leuten sehen kann, die Kinder zu erziehen bekommen. Davon kann natürlich nach Beseitigung der heteronomen Pseudomoral keine Rede sein, die Pietät als alleiniges

Fundament der Moral aufstellen wollen; wo immer dies geschehen ist. ist der Unterschied autonomer und heteronomer Moral und die allein der ersteren zukommende esoterische Bedeutung noch nicht erkannt worden. Wo hingegen dieser Unterschied verstanden und die Unzulässigkeit der Beeinflussung sittlich reifer Menschen durch noch so verehrungswürdige Personen begriffen ist, da

es auch klar werden, dass es sich in der Ethik darum handelt, das Wesen des autonom-Sittlichen bis in seinen letzten Grund zu verfolgen und nicht bei dem dunklen Gefühle einer auf mehr oder minder unbewusster Werthschätzung des Sittlichen beruhenden Pietät stehen zu bleiben, wie werthvoll dasselbe auch so noch als mitwirkende ethische Triebfeder bleiben mag. Es handelt sich darum, jenes unbewusste Vermittelungsglied, die Werthschätzung oder Achtung des Sittlichen als solchen, zu ergründen, d. h. von der im eigentliche Sinne immer nur persönlich zu verstehenden Pietät auf das moralische Gefühl zurückzugehen, mit welchem die Seele auf die Idee des Sittlichen, ganz abgesehen von ihrer Verwirklichung in irgend welcher Person reagirt. Man kann die letztere als Achtung oder Scheu oder allenfalls als Ehrfurcht*) bezeichnen, aber nicht wohl als Pietät, welche eben das Gefühl gegen eine Person ist, deren ethischen Charakter man hochachtet. Bevor wir aber dem Gefühl näher treten, welches durch die autonom producirte Idee des Sittlichen erweckt wird, haben wir uns noch mit anderen persönlich gerichteten Gefühlen zu beschäftigen.

8. Das Moralprincip der Treue.

Unter Treue versteht man ein vertrauenswürdiges Verhalten. d. h. ein solches, welches darum Vertrauen verdient und erweckt. weil es das geschenkte nicht täuscht. Fragen wir nun, was es für eine Eigenschaft sei, welche man bei einem Menschen, dem man Vertrauen schenken soll, voraussetzt, so ist es die Stätigkeit des

*) Auf diesen Ausdruck stützt Goethe seine (doch wesentlich nur auf dis Zeit der Erziehung berechnete) Ergänzungstheorie zur ästhetischen Moral vergl. Wanderjahre, 2. Buch, 1. Capitel.

Wollens oder der Willensrichtung. Wer heute dies will und morgen das, wem morgen missfällt, was ihm heute gefällt, wer seine Neigung bald dieser, bald jener Person zuwendet, wer heute thut, als ob seine Glückseligkeit an einer Sache hinge und morgen sich nicht mehr um dieselbe bekümmert, der bietet keine Bürgschaft, dass eine auf seine Neigungen und Abneigungen gegründete Rechnung nach einiger Zeit noch stimmen werde; d. h. man kann auf einen solchen Menschen nicht bauen, man kann seiner Beständigkeit nicht trauen. Wer dagegen das einmal vom Willen Ergriffene festhält, wer einmal geknüpfte Beziehungen und Bande ohne Wankelmuth aufrecht erhält, wer in eingeschlagenen Bahnen verharrt, wer an eingelebten Institutionen, Sitten und Gewohnheiten mit Zähigkeit hängt, bei dem weiss man, was man von ihm zu erwarten hat, auf den kann man sich verlassen, dass er die in ihn gesetzten, nach seinen gegenwärtigen Neigungen berechneten Erwartungen nicht täuschen wird. Die Treue ist also Stätigkeit der Willensrichtung in persönlicher wie in sachlicher Hinsicht; sie zeigt sich einerseits als Beständigkeit in Neigungen, Manieren und Gewohnheiten, und andererseits als Anhänglichkeit an Personen, Institutionen, Sitten und Localitäten; beides vereinigt sich im Conservatismus.

Die Stätigkeit oder Beständigkeit ist eine Art geistigen Analogons des Beharrungsvermögens; der Conservatismus entspricht auf psychischem Gebiet der Tendenz zur Stabilität auf mechanischem. Jede Entscheidung, jeder Entschluss, jede Wahl des Willens zwischen verschiedenen möglichen Richtungen absorbirt geistige Kraft; schon die Trägheit und Bequemlichkeit drängt dahin, eine einmal getroffene Entscheidung bei der Wiederkehr gleicher Fälle beizubehalten, um sich der Unlust erneuter Erwägung zu entziehen. Gleichzeitig aber sagt die Vernunft, dass, wenn sich die Umstände nicht geändert haben, die frühere Entscheidung auch jetzt noch nothwendig die beste sein muss, wenn sie nicht früher unrichtig war; letzteres zuzugestehen sträubt sich wiederum das Selbstvertrauen. Alles dies wirkt dahin, eine Gleichmässigkeit des Wollens anzubahnen, z. B. bei dem Handwerker, bei dem man einmal hat arbeiten lassen, zu verbleiben, so lange man nicht Ursache hat, mit seiner Arbeit unzufrieden zu sein, vorausgesetzt, dass die Gründe, weshalb man ihn das erste Mal beschäftigte (z. B. Nähe seiner Wohnung, Bedürftigkeit seiner Familie u. s. w.), unverändert fortdauern.

« ก่อนหน้าดำเนินการต่อ
 »