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So führt das sokratische Nichtwissen zum Glauben, zum Ergreifen Gottes, und der Glaube zur Liebe, zur Selbsthingabe an Gott, und darum ist der „Orakelspruch des großen Lehrers der Heiden" (1. Cor. 8, 2.3.): „So sich Jemand dünken lässet, er wisse etwas, der weiß noch nichts, wie er wissen soll; so aber Jemand Gott liebet, derselbe ist von ihm erkannt!" das Siegel und zugleich der Schlüssel jenes ächten Nichtwissens. Es muß also der Kern der natürlichen Weisheit verwesen, in Unwissenheit vergehen, daß ,,aus diesem Tode, aus diesem Nichts das Leben und Wesen einer höhern Erkenntnis neugeschaffen hervorkeime." Aber um in dieses Geheimnis hineinzuschauen, muß man einen höhern Standpunkt haben als den Maulwurfshügel und ein stärkeres Wahrnehmungsvermögen als die Nase eines Sophisten.*) Alles Lebendige auf Erden wird nicht durch das Wissen, sondern durch das Leben erzeugt. Homer kannte wahrlich die Regeln des Aristoteles nicht, und Shakespeare übertrat sie. Ihr Genie, d. h. ihr Dichterwesen und Leben und ihr thätiger Glaube an die richtige Leitung durch dasselbe, nicht Vernunftgründe haben ihre Werke erzeugt.**) So ists auch auf dem geistlichen und sittlichen Gebiete. Bei sokratischer Unwissenheit findet sich auch ein sokratischer Genius oder Dämon, und der Glaube an diesen, nicht das Wissen, ist der Kern der Persönlichkeit, selbst wenn ein Mensch so unwissend ist, wie Sokrates, daß er auch nicht einmal weiß, wer dieser Dämon ist, ihm aber glaubt und gehorcht.

So unzweifelhaft es ist, auf wen H. für unsere Zeiten den sokratischen Dämon gedeutet wissen will, so unwissend erscheint er wie sein Held selbst, und verspottet durch die Aufzählung aller

*) Das von H. hier gebrauchte Bild wird durch seine eigenen Anführungen B. VIII S. 46. 47. hinreichend erklärt.

**) Diderot kennt Regeln so gut als der beste Schulmeister sie verstehen und mitteilen kann; aber dieser Philosoph sagt, wie ein halber Mystiker, daß dasjenige, was uns führen und erleuchten muß, nicht Regeln sind, sondern ein Etwas, das weit unmittelbarer, weit inniger, weit dunkler und weit gewisser ist. Was für ein Galimathias in dem Munde eines Weltweisen wie Diderot ist?" (Br. 89.)

möglichen und unmöglichen Erklärungsversuche, welche vernünftige Leute gemacht haben, die blinde Unvernunft, welche nicht sieht, was vor Augen liegt.

Aus dem sokratischen Grundwesen entspringt eine homogene Lehr- und Denkart: Ungewißheit aus der Unwissenheit, Zuversicht aus dem Glauben. Je genauer man das Jahrhundert kennt, in welchem Sokrates lebte, desto eindringlicher wird man überführt, daß seine Ungewißheit und Zuversicht das wahre, specifische Heilmittel seiner Zeit war. Aber dieses, wie auch das Analoge in unserer Zeit will H. nur andeuten. Ich kann nichts mehr thun, als der Arm eines Wegweisers, und bin zu hölzern, meinen Lesern im Laufe ihrer Betrachtungen Gesellschaft zu leisten." Die Summe ist diese: „Kurz Sokrates lockte seine Mitbürger aus dem Labyrinthe ihrer gelehrten Sophisten zu einer Wahrheit, die im verborgenen liegt, zu einer heimlichen Weisheit und von den Gözenaltären ihrer andächtigen und staatsklugen Priester zum Dienst eines unbekannten Gottes." Wer ähnlichen Zeiten ähnliche Dienste leisten will, muß es nach der Analogie der fokratischen Unwissenheit und Zuversicht thun, und das eben ist Hamanns Aufgabe. (Vrgl. V, 48.) Solche Arbeit ist Propheten-Arbeit.

Der dritte Abschnitt zeichnet mit wenigen Umrissen das Leben eines Mannes von sokratischer Ungewißheit und Zuversicht. Wo es gilt, rettende Thaten für das Vaterland und die Freunde zu thun, da ist seine Stätte; wo man in Staatsversammlungen mit vergeblichen Worten sich aufbläht, dahin läßt ihu „das Wort in seinem Herzen" nicht gehen. Ein Scribent wird er nicht aus Uebereinstimmung mit sich selbst. Denn sein Leben und die davon ausgehende Wirkung ist seine Autorschaft. So mächtig er auch des Wortes war, um seine Unwissenheit wie Zuversicht auszudrücken, so fühlte er doch eine Wort-Trockenheit in sich, die ein Scribent nicht haben darf. Wie seine Weisheit eine lebendige war, so ist sie auch nicht durch Lehre sondern im Leben errungen, und hat sich auch nicht in lebloser Lehre, sondern in der Kraft des Lebens geäußert, wenn er sich bisweilen auf dem Markte die Haare ausgerauft haben soll,“ wie „der sanftmütige und herz

lich demütige Menschenlehrer gedrungen wurde, ein Wehe über das andere gegen die gelehrten und frommen Leute seines Volkes auszustoßen." Seine Sprechweise glich seinem Leben. Sein Leib war häßlich, wie ein Satyr, aber innen lebte und webte eine Gotteskraft. So verglich Alcibiades des Sokrates Parabeln gewissen h. Bildern der Götter und Göttinnen, die man nach da maliger Mode in einem kleinen Gehäuse trug, auf dem nichts als die Gestalt eines ziegenfüßigen Satyrs zu sehen war. (Vrgl. IV, 103. V, 48.) Nur ein Beispiel führt H. an. Sokrates verglich sich mit einem Arzte, der in einem Staate von Kindern die Kuchen und das Zuckerbrot verbieten wollte, das eben so geliebt als schädlich ist. Die immer neuen Gößendienste, deren jeder das öffentliche Wohl vermehren sollte, die immer neuen Sekten der Sophisten, deren jede eine Encyklopädie der gesunden Vernunft verspricht, sind die Näschereien, welche die Sokratischen Geister aller Jahrhunderte ihren Mitbürgern zu verleiden suchen. Freilich werden sie dafür auch zu allen Zeiten von den Kindern, die ihre Richter sind, verdammt werden, ganz so wie Sokrates. Aber ihre Verteidigung wie ihr Tod ist die Verurteilung ihrer Richter. Nach ihrem Tode erscheinen sie den Suchenden, wie Sokrates dem Chier Kyrsas, und füllen sie mit ihrem Lebensgeiste, wiewol solche Ereignisse allezeit aus dem süßen Weine hergeleitet werden, wie ja auch Chios wegen seines herrlichen Weines berühmt war. (Vergl. II, 86 ff.) Endlich ist diese Gemeinschaft sokratischer Geister an dem legten Schicksal der Propheten und Gerechten das Zeichen ihrer göttlichen Sendung.

Die Schlußrede charakterisirt den Mann, welcher zum Dienst der Wahrheit tauglich ist, und weissagt ihm sein Ende. Er darf vor allem nicht vernünftig noch brauchbar sein für den Gözen Publicum, noch vor ihm sich beugen; sondern muß statt von vernünftigen Systemen, von Brosamen und Almosen leben und von dem Raube, den er mit dem Schwerte sich erjagt, das er allezeit gegen das Publicum in Händen hat. Aber wer dem lügenhaften Gößendienste Niemandes, des Kundbaren, ein Ende machen will, der muß sterben. Gott selbst, da er ein Mensch wurde, daß

er die Wahrheit zeugen möchte, hat einen grausameren Tod erleiden müssen, als der Vatermörder des allerchristlichsten Königes.

Mit dem Golgatha schließen die sokratischen Denkwürdigkeiten; das Scheblimini (d. i. Seße dich zu meiner Rechten Ps. 110, 1.) folgt seiner Zeit nach.

II. Wolken, ein Nachspiel sokratischer Denkwürdigkeiten.

Die sokrat. Denkwürdigkeiten wurden, ohne verstanden zu sein, verdammt und gepriesen, verdammt im 37. Stück der Hamburgischen Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit vom Jahr 1760,*) gepriesen in den Briefen der neusten Literatur, dem Organe der Moses Mendelssohnschen Weisheit. Das Verdammungsurteil, welches H. in den Denkwürdigkeiten vorhergesagt hatte (vergl. auch Br. 65), segte ihn in heitere Laune; die Lobpreisungen hingegen schmerzten ihn, weil die Schale, daran ihm nichts lag, gerühmt, und der süße, lebenskräftige Kern in blindem Unverstand mit Füßen getreten war. **) Die Thorheit, womit er gerichtet und die, womit er gelobt wurde, befruchteten seinen Spott über die gottesfeindlichen und sich selbst vergötternden Propheten und Priester des Zeitgeistes in so kräftiger Weise, daß derselbe eines seiner genialsten Kinder zur Welt brachte. Hamann nannte es: Wolken, ein Nachspiel der sokratischen Denkwürdigkeiten, und hat

*) Der Nachrichter, wie Hamann ihn nennt, ist Ziegra.

**) „Ich will blos verstanden, blos gehört sein; am Rechthaben ist mir so viel als am kahlen Lobe gelegen. Beides findet sich beim Auskehr zeitig genug.“ (Br. 85.) „Daß ich nicht meine eigene Ehre suche, hätten Sie daran wahrnehmen können, wie ich mit dem Lobe in den Briefen der Literatur umgegangen bin. Diese Herren haben im Geist gesehen, daß Loben eine gefährliche Sache ist, wenn man nicht recht damit umzugehen weiß, und daß jeder Autor nicht mit einem kahlen Lobe satt gemacht wird. Die Geißel, womit diese Briefsteller gezüchtigt worden, ist empfindlicher, als die der Nachrichter hat fühlen müssen." (Br. 86.)

auch hier schon mit dem Namen das Wesen, sowol der Form, wie dem Inhalt nach, ausgedrückt. Inhalt und Zweck ist derselbe, wie in den Denkwürdigkeiten. Die Wolken sollen verhüllen und offenbaren (II, 455), daß die sokratische Unwissenheit und Thorheit zu allen Zeiten, von ihren leisesten, unvollkommensten Anfängen an bis zu ihrer Lautersten Vollendung im Evangelio, die wahre Weisheit ist und zur ewigen Wahrheit leitet, und daß eben diese weise Thorheit oder thörichte Weisheit die gößendienerisch verehrte und tyrannisch herrschende Weisheit dieses Aeons über den Haufen wirft und in ihrer Blöße offenbart.*) Der Form nach sind die Wolken das Spiel eines übersprudelnden, genialen Spottes, wie er in den Wolken eines Aristophanes herrscht. **) Das Drama der Wolken besteht aus einem Prolog, drei Aufzügen und einem Epilog.

Im Prolog bekennt sich Hamann als einen armen Sünder, der durch die vier Bogen in klein Oktav ein Majestätsverbrechen

*) Den Schlüssel gibt H. in folgender Stelle: „Die rechten Jünger der Liebe sind Donnerkinder. Der im zweiten Aufzuge ein heidnischer Gaukler ge[dolten wirs, ben erflärt ber Gpilog für einen ξυμμιμητὴν Χριστοῦ. Finis coronat opus." (Br. 86.)

**) Br. 95, an I. G. Lindner: „Die Wolken sind das, was sie sein sollen. Eingebung und Gelehrsamkeit sind zwei stolze Pferde, zwei Hengste, die ich hier zum Gespann gemacht. Die Kunst kann nicht mehr übertrieben werden, als ich es hier gethan habe, wer Luft hat, es von dieser Seite zu beurteilen. Das Genie kann nicht unbändiger sein, als ich es mir hier erlaubt. Zwei so entgegengesezte Gesichtspunkte zu vereinigen, ist nicht Jedermanns Ding." Vergl. Schluß des 85. Br., an dens. Es ist übrigens tragisch, daß Hamann sein Nachspiel nach den Wolken des Aristophanes benennen muß, da in diesen Sokrates und seine neue Weisheit geradezu als der gefährlichste Feind nicht etwa des sophistischen Athens, sondern des ächten, gläubigen Hellenentums gegeißelt wird. Die sokratische Unwissenheit ist allerdings ein Wegweiser auf die göttliche Thorheit der Offenbarung, die sokratische. Weisheit ist aber auch eine Zersehung des alten, herrlichen Hellenentums. Darum ist Sokrates mit eben soviel Recht dem Hamann ein kvμμμntis Xorov, als dem Aristophanes ein Gegenstand der schärfsten Bekämpfung. Das schon siechende Hellenentum hatte so wenig Lebenskraft in sich, daß selbst ein Mann, wie Sokrates, durch sein Wirken den Verwesungs-Proceß nicht aufhielt, sondern beförderte. Hamann kennt die Grenzen des Sokrates, s. S. 156.

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