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Zweiter Zeitraum.

1772-1776.

I. Neue Apologie des Buchstabens h

oder

Außerordentliche Betrachtungen

über die

Orthographie der Deutschen

von H. S. Schullehrer. Pisa 1773.*)

Der Errector und Wolfianer Christian Tobias Damm, Moses Mendelssohns Lehrer im Griechischen, hatte in seinen „Betrachtungen über die Religion durch C. T. D.," wovon Auszüge im 8. Bande abgedruckt sind, sein erleuchtetes Jahrhundert so ergöglich portraitirt, daß man auf den Einfall kommen könnte, ein Cervantes habe das Gemälde entworfen. Zum Schlusse gibt er noch einige zufällige, zur Hauptsache sich passende Gedanken."

*) Warum Pisa? s. II, 67. IV, 34. 35. 295. Herder warnt er (13. Nov. 1773) wegen dessen Stiles: „Ei, liebster Freund, nehmen Sie sich für den alten Heinrich Schröder, in der Weißgerbergasse wohnhaft zu Pisa in Preußen, in Acht 2c.“ IV, 35 nennt er Königsberg Pisa Aestiorum mit der doppelten Anspielung auf Pisa, graue Erbse, das Gericht seiner Heimat, (II, 67 und IV, 295) und Pisa, der Stadt in Elis, wo die olympischen Kämpfe stattfanden. Er ist in doppeltem Sinne ein Pisanus, „ein Grauenerbsenschlucker,“ ein Mann der Niedrigkeit und Demut, aber auch ein Bürger der Stadt, welche der Schauplah größerer und ernsterer Kämpfe ist, als Pisa in Elis. Die Beilage zun Denkwürdigkeiten, die in diesen Zeitraum gehört, siehe S. 176 ff.

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„Man betrachte, schreibt er, in unserer deutschen Orthographie denselben Buchstaben h, der nie ausgesprochen, sondern von unachtsamen Schreibern z wis ch en die Silben eingeschoben wird und wende diese kleine Betrachtung an auf die sogenannte Orthodoxie, und auf die Macht einer, one Nachdenken angenommenen alten Gewonheit . . . Aber sehet nur: Indem wir unsern deutschen Köpfen, die an eine ungegründete und in den Augen aller Ausländer barbarisch erscheinende und also unserer Nation schimpfliche Gewonheit sich binden, durch alle solche Vorstellungen. nicht einmal ein unnüßes h mitten in den Sylben oder am Ende derselben abgewinnen können: wie wollten wir solchen einen ungegründeten Glaubens - Artikel nemen können? ... Sklaven ihrer Gewonheiten sind schwer frei zu machen u. s. w.“ Diese wehmütige Klage des Errektors rief das ganze Genie des Magus wach. Unter seinem Hauche erwuchs aus der Dammschen Spren ein reiches, wogendes Fruchtfeld. Der altmodische, einäugige, aber treffliche Schulmeister Heinrich Schröder, welcher einige Bücher über Rechtschreibung veröffentlicht hatte (IV, 294 ff.) und dessen Name an die Ausführer des göttlichen Gerichtes über die vollen Aufgeblasenen erinnert, (Jer. 48, 12,)*) mußte dem als unvernünftig geächteten h eine Apologie halten, in der classische Laune mit Kraft und Tiefe um den Sieg streiten, bis zum Schlusse in der Selbstapologie des kleinen h der Spott, fast möchte ich sagen, zur heiligen Majestät wird, die tötet und lebendig macht. Jacobi sagt davon: „Ich weiß nicht, ob wir in unserer Sprache etwas aufzuweisen haben, das an Tiefsinn, Wig und Laune, überhaupt an Reichtum von eigentlichem Genie, sowol was den Inhalt als die Form angeht, diese kleine Apologie eines zweideutigen Buchstaben überträfe." (IV, 2, S. 264.) Eine Kieler Recension dagegen dekretirte kurz und bündig, die Apologie sei „voll von seichtem und übel zusammenhängendem Geschwäz wahrer Unsinn." (V, 86.)

*) „Darum siehe, spricht der Herr, es kommt die Zeit, daß ich ihnen will Schröter schicken, die sie ausschroten sollen, und ihre Fässer ausleeren und ihre Legel zerschmettern.“

Der graue Wolfianer verbannte zu Ehren seiner großen Göttin Vernunft das zwar nie ausgesprochene und doch die Aussprache, den Ton bestimmende h, den lebendigen Hauch in der Mitte der Wörter, aus der Orthographie, und den nie geschauten, nie betasteten, geheimnisvollen Lebenshauch Gottes aus der Orthodoxie, oder besser aus der Mitte der Menschheit. Das Festhalten am kleinen Hauche h und am Gotteshauche im Christentum leitet er aus derselben Quelle her, aus dunimster Gedankenlosigkeit, hartnäckiger Unvernunft, feigem Sklavengeiste. H. geht, wie er so gerne thut, dem Gegner mit dessen eigener Waffe zu Leibe. Nach der in den Einzelerscheinungen herrschenden lex continui, dessen sich der Exrektor in so ungeschickter Weise bedient hatte, machte nun der Magus (vrgl. IV, 300, 305.) die Verfolgungswut gegen das kleine h, den Hauch, den Spiritus, zum Spiegelbilde jener tötlichen Feindschaft, mit der das Jahrhundert den Hauch aus Gott, den lebendigmachenden, geheimnisvollen Geist zu größerer Verherrlichung der sogenannten Vernunft aus der Christenheit herauszuwerfen suchte, wenn er sich nur hätte herauswerfen lassen. Unter dem bescheidenen Namen eines Verteidigers des verfolgten kleinen h kämpft er mit der Kraft und Begeisterung eines Liebhabers für den ewigen Gottesgeist, den Lebenshauch der Menschheit, und indem er die Anmaßung und Unvernunft der Feindschaft gegen das h aufdeckt, stellt er eigentlich die Anmaßung und Unvernunft der Feindschaft gegen den lebendigen Christus, welcher der Geist ist, in vollster Nacktheit öffentlich zur Schau.*)

*) Auch noch später, in den zwei Scherflein zur neusten, deutschen Literatur“ (1780), behandelt er mit Vorliebe dies Thema. Was er über die Scherflein zur Erklärung sagt, erklärt auch die Apologie des Buchstabens H. An Klopstock, gegen den zum Teil die Scherflein gerichtet waren, schreibt er: „Ich machte mir kein Gewissen daraus, diese materiam publicam (d. H. die deutsche Orthographie) privato jure zu behandeln als ein vortreffliches vehiculum, meinen alten Groll gegen unsere unpolitischen Reformatoren auszulassen, welche nichts zu glauben empfehlen, als was sich hören oder mit Händen greifen läßt. Nach dem gewöhnlichen Schicksale der Einkleidung aber ist die Sache selbst pars minima

Die Apologie macht uns zunächst mit dem Ankläger bekannt. Selbiger sagt in seinen Betrachtungen: „Einen außerordentlichen Religions-Lerer nennen wir einen solchen, der von sich saget, er sei von Gott gesendet, die bisherige ReligionsForm ganz zu verändern, und den Menschen neuerlich zu sagen, wie Gott von ihnen vereret werden wolle." Da der Herr Errektor, wie der erleuchtete Zeitgeist von sich selbst überzeugt ist, „er sei von der allgemeinen, gesunden und praktischen Menschenvernunft bevollmächtigt, unsern deutschen Köpfen neuerlich zu sagen," daß das, was man bisher eigentlich für Christentum gehalten, Unvernunft, dagegen die aufgeklärte Vernunft des Jahrhunderts das ächte Christentum sei; so will und darf der Apologist ihm den Ehrentitel eines außerordentlichen ReligionsLehrers nicht rauben: er bleibt aber, der Spötter! bei jedem Sage, den er ausspricht, schweigend der Behauptung des Außerordentlichen eingedenk: „Es bedarf heutiges Tages und in der protestantischen Christenheit keines außerordentlichen ReligionsLerers." Natürlich liegt dem Magus sehr wenig daran, über den Herrn Errektor zu triumphiren. Er sieht in ihm nur eine Personification des Zeitgeistes. Gegen diesen kämpft er. Dieser eigentlich ist auch der „außerordentliche Religionslerer, der Bevollmächtigte der allgemeinen, gesunden Menschenvernunft," der in diesen lezten Zeiten den deutschen Köpfen offenbart, wie Gott verehret sein will. Die protestantische Kirche, welche Christum hat, bedarf seiner nicht. Seine eigenen Werke müssen „die verständigsten Personen in der ganzen Nation überzeugen, was der außerordentliche Religionslehrer für ein armer Sünder in den Augen

sui geworden. Anfang und Ende zeigen wenigstens, daß es mir eigentlich nicht um Orthographie zu thun gewesen." (VI, 164.)

An Herder: „Ein Hauptgedanke ist mir in meinen Scherflein entfallen, nämlich: Orthographie nach dem Ohr ist eben das Steckenpferd, was Theologie nach der Vernunft. .. Es ist ein Glück für mich, daß ich die Spur dieser, mit mir grau gewordenen Grille ganz verloren, sonst hätte ich darüber gebrütet und wäre nicht fertig geworden, weil meine Theorie über diese beiden locos communes noch nicht reif ist.“ (VI, 123 ff.)

seiner eigenen, sogenannten allgemeinen, gesunden und geübten Menschenvernunft sei, und wie wenig Gnade er selbst vor ihrem barmherzigen Richterthrone sich zu versprechen habe." Denn der Verbrechen gegen die Vernunft, welcher er die Orthographie oder eigentlich die Orthodoxie beschuldigt, macht er sich in doppeltem Grade teilhaftig. Er nennt die Freunde des Hauches in der Mitte der Wörter oder des Spiritus im Innersten der Dinge „Sklaven," selbst ein jämmerlicher Sklave des herrschenden Dünkels. Er will „mit keiner Sagung was zu thun haben, deren Grund sich nicht absehen ließe, von keinen unmöglichen und übertriebenen Postulaten was wissen u. s. w." Und welche Sagung ist unverschämter und grundloser, als die, daß seine Vernunft die gesunde sei? welches Postulat ist unmöglicher und übertriebener als das seine, daß sich Alle den Machtsprüchen seines Dünkels blindlings unterwerfen sollen? Er hat einen Greuel an der Enthusiasterei der Orthographen und Orthodoxen, und ist doch trog seiner Spindeldürre nach eigener Erklärung ein verdammlicher Enthusiast, denn „aus der Eingebung seiner hochgelobten Menschenvernunft bringt er die ungewöhnlichsten und undeutlichsten Sprüche hervor, und in einem allzustarken Triebe eines Affektes oder in einer übertriebenen Vorstellung" predigt er das Cruciat gegen einen unschuldigen Hauch.

Gegen den Außerordentlichen tritt der einfältige Schulmeister H. S. auf den Kampfplay. Seine Waffen sind nicht Theorieen, sondern die Kraft einer schlichten Persönlichkeit, die voll Liebe, Selbstverleugnung, Glaubenserfahrung, Demut ist. Dagegen muß man freilich auch in die Persönlichkeit des Außerordentlichen einen Blick werfen, was glücklicherweise möglich ist, da er sein Inneres klar genug blos gelegt hat. Dem Grundwesen seiner Persönlichkeit gleicht auch die Vernunft und die Religion derselben, wie die Tochter der Mutter. Daß dieser Hauptgrundsaß H.'scher Weisheit auch bei dem Außerordentlichen sich bewahrheitet, wird in höchst ergöglicher Weise veranschaulicht. Da nämlich jener seine Sele und Vernunft für eine abstammende Eigenschaft seines äußerst künstlich und weise eingerichteten Leibes hält, was ist anders zu

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