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Alles Vereinzelte ist dann verwerflich, wenn es sich vom Ganzen trennt, von der Urwurzel des Lebens sich nicht mehr tragen, durchdringen läßt, wenn es in den absurden Wahn verfällt, daß es, ein Teil, des Ganzen nicht bedürfe, oder in den noch absurderen, daß ein Teil das Ganze sei, gar mächtiger, wichtiger als das Ganze.

Alles Vereinzelte ist darum verwerflich, weil das Leben seiner Natur nach nur in der Ganzheit und Einheit seine Erhaltung findet, jede Zerteilung aber und Losreißung seiner Organismen von ihrem Mittelpunkte und von einander eine Schädigung des Lebens ist, die mit der Zerstörung desselben endet. Ein einzelner, einseitig sich geltend machender Lebenstrieb kann zwar nach einer Seite hin Großes hervorbringen, immer aber muß das Leben als Ganzes darunter Schaden leiden, und dieser Schaden ist um so größer, je größer die Einseitigkeit ist.

Hamann, der Pfleger und Hüter des Lebens, mußte also jede Lebenskraft sofort als Tod bringende Feindin verfolgen, sobald sie sich vereinzelte, als füffisant erklärte, für den Mittelpunkt des Lebens ausgab, andere Kräfte überwucherte oder verschlang, und also das Leben selbst bedrohte. Er kämpft gegen sie, nicht um sie zu töten, sondern um sie an der rechten Stelle dem Gesammtorganismus einzupflanzen, damit hierdurch sie selbst, wie das ganze Leben gefördert werde. Ich liebe den Krieg, sagt er, als den Vater des göttlichen Friedens!" (Br. 90). „Ich bin nicht gekommen, zu richten, sondern das Verlorne zu suchen; und wenn ich das erste thue, so ist es ein fremd Werk für mich, und nichts als die Stimme eines Predigers in der Wüste, der den Weg bereiten will dem Könige unserer Herzen und Neigungen." (Br. 57). Es war jener Zeit eigen, daß der spindeldürre Verstand oder die systematisirende Vernunft oder das Phantasiebild, was man Vernunft nannte, sich für die monopolisirten Inhaber der Lebensfülle erklärten, und kraft ihrer eingebildeten Souveränität andere Lebenstriebe, die ihre Wurzel anderswo, wie im Gottesbewußtsein und Gewissen haben, als unebenbürtig verachteten und wie eine Aschenbrödel behandelten. Insbesondere und mit unerbittlicher Feindschaft zürnt Hamann daher

den lauten, aufgeblähten Tonangebern des Jahrhunderts, welche, trunken von der Zeitsünde, den Leuten vorlogen, daß nach den Zeitbegriffen vernünftig sein und Mensch sein einerlei sei, und welche die größeste Lust zeigten, die wunderbare, geheimnisreiche Fülle der Menschennatur bis zur Verständigkeit herabmagern oder in den Schemen angeblicher Vernünftigkeit verschwinden zu lassen, um dann mit dem Unverstande ihres Verstandes die verständig gewordene Welt zu tyrannisiren. Er schilt sie Schinder und Mörder der Natur, und darum auch Mörder der Vernunft und Wissenschaft, und weiß sich bevollmächtigt, den Kindern seiner und aller Zeit zu bezeugen, daß sie nicht abgezogene Begriffe, daß sie Menschen seien, ganze, volle Menschen, und berufen, als solche zu handeln, reden, denken. Vergötterte Autoritäten, welche die Menschheit von diesem Berufe durch den Schein der Vernunft und Wissenschaft ablocken, imponiren ihm nicht. Auch Spinoza, den angestaunten, der die volle, lebendige Persönlichkeit in die selbsterdachten Phantasiebilder von Substanz und Attribut auflöst, nennt er unverholen „einen Straßenräuber und Mörder der gesunden Vernunft und Wissenschaft.“ „Komme ich nach Pempelfort, droht er Jacobi, so will ich ihn entführen, wenn du mich auch eines Kirchenraubes deshalb öffentlich anklagen solltest. Philosophi credula natio. Mache dir ein NB. in deinem Seneca. Nat. Quaest. LVI, c. 26." (S. 519).

Indeß auch in seiner Ganzheit bleibt das Leben des Individuums stets nur ein Glied des allgemeinen Menschenlebens. Wer nach dem Leben hungert, wird darum dem Gesammtleben der Menschheit sich eingliedern, um von ihm genährt zu werden. Daher Hamanns schon erwähnte Achtung vor der Geschichte, als unserer Lehrerin und Erzieherin, seine Scheu, geschichtliche Thatsachen hinweg oder umzuphilosophiren und philosophischen oder poetischen Bilderkram für Geschichte zu halten. Wie wollen Sie, fragt er in einem seiner legten Briefe den würtembergischen Freund Steudel, wie wollen Sie ohne Machtsprüche Jahrtausende gleich Wochen und Momenten behandeln, Centner wie Pflaumfedern weghauchen, und eine ridiculus mus in ein Riesengebirge verwandeln?" (VII, 417.) Als er den ersten Band von Herders Ideen einer

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Philosophie der Geschichte der Menschheit gelesen hatte, der freilich mehr Herdersche Schatten als Geschichte der Menschheit enthielt, schrieb er dem Verfasser: „Sie scheinen mir noch nichts mit der Reife, Nuhe und Humanität, welche ein solcher Gegenstand verdient, geschrieben zu haben." Er wünscht, „daß ein so rühmliches allgemeines Thema nicht durch Privatleidenschaften und Interessen verstümmelt werde," und sagt dann: „Vom Himmel muß unsere Philosophie anfangen, und nicht vom theatro anatomico und den Sectionen eines Cadavers damit der Gesichtskreis des Lesers zur Offenbarung unserer verlorenen und wieder erlangten Würde des göttlichen Ebenbildes erweitert werde... Hier liegen meines Wissens die Quellen und Grundideen aller wahren Geschichte unsers göttlichen Geschlechts und seiner heiligen Bestimmung zur Herrlichkeit." (VII, 148.)

Damit weist Hamann, um den Menschen und dessen Geschichte zu verstehen, über den Menschen empor. Denn selbst das Gesammtleben der Menschheit ist immer nur eine Aeußerung, eine Erscheinung des Lebens, keineswegs das Leben selbst. Daher trieb ihn der Hunger nach Leben über das Menschenleben hinaus, um das Urleben zu finden, welches wahrhaft dem Begriff Leben entspricht, welches sowol den legten Grund als die Fülle des Lebens in sich selbst hat. Denn wiewol seine Persönlichkeit eine so hervorragend kräftige war, wie sie in jedem Jahrhundert sich nur bei wenigen Männern findet, so hatte ihn die Erfahrung doch überzeugend gelehrt, daß sein Leben nicht den Inhalt des Menschenlebens, und daß das Menschenleben nicht den Inhalt des Lebens an und für sich bildet. Was er seinem reichen Leben nicht zuge= stand, wie hätte er das dem weit ärmeren Leben der Stimmführer des Jahrhunderts einräumen sollen! Ein Mißtrauen gegen mich selbst, gesteht er, macht mich eben so mißtrauisch gegen die ganze Welt; und dieses Mißtrauen ist eine fuga vacui (— d. H. ein Horror vor den leeren, abgezogenen Begriffen und Philosophemen, überhaupt allem, was leer und nicht mit wesenhaftem Inhalte gefüllt ist) die mich desto fester an die Vorsehung anschließt und fesselt und im eigentlichsten Verstande macht zu einem gebundenen Knecht

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des einzigen Herrn und Vaters der Menschen." (VII, 319). Ohne den, in welchem allein das Leben selbständige Wahrheit und Wirklichkeit hat, ist alles, was man lebendig nennt, hohl und leer, eine schattenhafte, wesenlose Erscheinung. Eine Welt ohne Gott ist ein Mensch ohne Kopf ohne Herz, ohne Eingeweide, ohne Beugungsteile." (G. S. 48). „Der allein, welcher ins Herz und ins Verborgene sehen kann, ist das einzige Objekt unserer Begierden und Ideen. Alles Uebrige sind Erscheinungen, wie die Philosophen ganz recht sagen, ohne sich selbst zu verstehen oder verstanden zu werden." (G. S. 313 ff.). „Es ist eher möglich, ohne Herz und Kopf zu leben, als ohne Jesum. Er ist das Haupt unserer Natur und aller unserer Kräfte und die Quelle der Bewegung, die so wenig in einem Christen stille stehen kann, als der Puls in einem lebenden Menschen. Der Christ allein aber ist ein lebender Mensch, weil er in Gott und mit Gott lebt, bewegt und da ist, ja für Gott." (I, 228).

Das Einzelleben des Menschen ist noch dazu nicht einmal gesund, vielmehr von einer ihm feindlichen Macht durchdrungen. Diese Thatsache stand für Hamann unerschütterlich fest. Er hatte zu greifbar erfahren, daß sein kräftiger Eigensinn, das ist, seine Loslösung vom Leben der Gemeinschaft und noch mehr seine Trennung von dem Urgrunde alles Lebens, sein persönliches Leben bis zu dem Grade verwundet hatte, daß er es für unrettbar verLoren erkennen mußte. Er hatte neues, wahres Leben nur durch den ewigen, persönlichen Urgrund alles Lebens, durch den lebendigen Gott erhalten, und zwar durch die Offenbarung des Gotteslebens im Sohne Gottes und im Worte Gottes. Die Thatsächlichkeit weder seines neuen Lebens noch der Kraft, durch die es erzeugt wurde, war Hamann Willens, sich hinwegdisputiren zu lassen, und das um so weniger, je mehr dies neue Leben sich entfaltete, sich ihm durch sein Dasein als das ächte Menschenleben bewies, und je offenbarer ihm eben damit die schöpferische und ernährende Wurzel desselben wurde. Das Herz weit öffnend, schreibt Hamann an Jacobi: „Seine unaussprechliche Liebe im Sohn der Liebe ist der Mittelpunkt, die Sonne unsers Systems. Verzeihen Sie, daß

ich Ihnen immer einerlei schreibe. Ich wünschte Sie so gern aus den Labyrinthen der Weltweisheit in die kindliche Einfalt des Evangelii versehen zu können, und weiß selbst nicht, wie ich es anfangen soll, das trockne öv Ihnen zu verleiden. . . . Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang, und seine evangelische Liebe der Weisheit Ende und punctum. Ein anderes 4os μoi пov oτ kenne und weiß ich nicht, als sein Wort, seinen Schwur und sein Ich bin und werde sein! worin die ganze Herrlichkeit seines alten und neuen Namens besteht. Heilig und hehr! oder wie Hiob sagt (36, 26): groß und unbekannt! wie es auf jenem Altar zu Athen geschrieben stand, den Paulus umsonst den Areopagiten offenbarte, ohngeachtet wir in ihm leben, weben und sind, und wie Sie selbst ohne Wortspiel sagen, die vollkommenste Liebe." (G. S. 55 ff.) Ebenso warm ist folgendes Bekenntnis in einem Briefe an die Fürstin von Galligin: Alle menschliche und irdische Entwürfe sind einer höheren Weisheit untergeordnet, die unserer Vernunft und Erfahrung unerreichbar ist. Eine willige Unterwerfung unter den göttlichen Willen und eine schuldige Aufopferung unserer eigensinnigen Wünsche ist also das einzige und allgemeine Hilfsmittel gegen jeden Wechsellauf der Dinge und menschlichen Urteile, fie mögen für oder wider uns sein. Ohne sich auf Grundsäge zu verlassen, die mehrenteils auf Vorurteilen unsers Zeitalters beruhen, noch selbige zu verschmähen, weil sie zu den Elementen der gegenwärtigen Welt und unsers Zusammenhangs mit derselben gehören, ist wol der sicherste und unerschütterlichste Grund aller Ruhe, sich mit kindlicher Einfalt an der lautern Milch des Evangelii zu begnügen, sich nach der von Gott, nicht von Menschen gegebenen Leuchte zu richten, die uns scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe; alle unsere Sorge auf den zu werfen, von dem wir die Verheißung haben, daß er für unser und der Unsrigen Schicksal sorgen werde, sich auf den einzigen Mittler und Fürsprecher zu verlassen, dessen Blut bessere Dinge redet, als des ersten Heiligen und Märtyrers Abel, und uns von dem eitlen Wandel nach väterlicher Weise erlöset hat. Hierin besteht das Alpha und Omega meiner ganzen

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