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Die Gemeinde zahlte aber die Miethe für sie nur bis zum ersten April, und so wurden sie denn am 29. April von ihren Miethsherrn hinausgeworfen. Eine Familie wollte durchaus nicht ausziehen, da holte man Feuersprißen und die ganze Familie sammt den kleinen Kindern wurde in Wasser gebadet. Mehrere Familien, welche kein Geld besaßen, um sich eine Wohnung zu miethen, lebten nun wieder unter freiem Himmel den ganzen Sommer hindurch (1889), erst mit dem herannahenden Winter wurden sie in den Gemeindekanzleien untergebracht. Sie bekamen aber kein Zehrgeld, und da die Einwohner selbst arm sind, so war ihr Elend um so größer. Sie lebten nur davon, was sie hin und wieder aus der Heimath, von ihren Verwandten und Freunden bekamen.

VIII. (Schluß). Die religiösen und sittlichen Zustände im Orenburger Gouvernement, das Sektenwesen und der Einfluß der Verbannten auf die Bevölkerung.

Die Nothlage der verbannten Unirten scheint in der Berechnung der russischen Regierung gelegen zu haben, denn die einzelnen Familien sind in solchen Dörfern internirt und unter Polizeiaufsicht gestellt, wo es russische Kirchen gibt. Nun kam also an die Unglücklichen die erste Versuchung, mit welcher der Satan in der Wüste den Heiland versucht hat. Einer von den Verbannten schreibt darüber:

„Der russische Pope kommt zu uns und verspricht, uns täglich einen Laib Brod zu geben, wenn wir in seine Cerkiew kommen; wir aber antworteten ihm darauf: wir haben Tausende verloren, ohne es zu bereuen, und sind in die Cerkiew nicht gegangen, nun willst du uns, kleinen Kindern gleich, mit Brod bestechen?" 1) Ein anderer von den Verbannten erzählt folgenden Fall:

„Am 27. November 1889 ereignete sich bei uns ein

1) Brief Nr. 13 vom 6. November 1889 (gedruckt).

sonderbarer Fall. Aus dem Dorfe, wo wir wohnen, wurde. der Pope nach einem anderen Dorfe, welches zwanzig Wersten entfernt liegt, zu einem Sterbenskranken gerufen. Als er dahin kam, war jener bereits gestorben, und so blieb ihm die Communion. Er aber achtete nicht darauf, sondern berauschte sich abscheulich, und als er zurück kam, ging er nicht nach Hause, sondern kam zu uns und knüpfte ein Gespräch an. Die Communion hatte er in einer ledernen Tasche in einem Gefäß, und legte das auf einen Koffer hin. Sein Fuhrmann aber, der das merkte, nahm die Tasche und steckte sie sich in die Brusttasche. Der Pope begann uns aber zuzureden, daß wir in die Cerkiew kommen, und versprach uns dafür täglich einen Kuchen zu geben. Ja vieles andere hat er noch vorgebracht, denn er war sehr betrunken." 1)

Wenn man also darauf gerechnet hat, daß die Verbannten sich durch die russischen Popen würden bekehren lassen, so hat man die Rechnung ohne den Wirth gemacht; denn die russischen Popen sind überhaupt zu jeder Missionsthätigkeit unfähig, in jenen Gegenden aber erst recht. Ihre ganze Lebensweise, die schreckliche Trunksucht, der sie fast ohne Ausnahme ergeben sind, das Aussaugen des Volkes auf die verschiedenste Art, entfremden ihnen und der „amtlichen Kirche" alle Herzen. Darüber wissen die Verbannten Vieles zu berichten. So schreibt einer:

„Wenn Jemand krank wird, bekommt er die lezte Delung, aber zu diesem Zwecke kauft der Pope ein wenig Del in der Handlung und Branntwein in der Schenke, und daraus wird die lette Delung bereitet, wofür er von dem Kranken einen Rubel verlangt: wenn aber Jemand keinen Rubel gibt, so bekommt er die leßte Delung nicht und wird auch nicht Beichte. gehört. Gibt es eine Hochzeit, so kommt der Pope in's Haus und segnet die Brautleute, heißt sie sich umarmen und sich zusammen in's Bett legen. Dann sauft er wie ein . . . Die Bauern ziehen ihn an den langen Haaren und haben viel Spaß dabei."

1) Brief Nr. 22 vom 14. März 1890 (ungedruckt).

„Einmal hatte der Pope am Sonntage das Hochamt begonnen, war zwar schon betrunken, fing aber regelrecht an. Später aber, als man seine Stimme nicht mehr hörte, da schauten die Leute hinter die Kaiserpforte und siehe da: der Pope lag auf dem Boden wie ein Vieh! Und da wollen sie noch, daß wir uns zu einer solchen Kirche bekennen! Das ereignet sich aber öfters, daß ein Pope das Hochamt am Sonntage beginnt, aber so betrunken ist, daß ein anderer kommen und es beendigen muß.“

„Kommt ein Ablaß, so geht der Pope von einem Hause zum anderen und überall muß für ihn eine Rumka bereit stehen, d. h. ein Glas Branntwein, ein Korowaj, d. h. ein Kuchen und ein Maß Weizen. In der Kirche werden Kerzen verkauft, so dünn wie eine Damencigarette. Jeder muß nun ein Licht kaufen und anzünden, sobald er aber sich entfernt hat, löscht der Starost (Kirchenvorsteher) das Licht aus, schneidet den Docht ab, und verkauft es an einen Anderen. So wird ein Licht zehnmal verkauft. Bei einem Begräbnisse bekommt der Pope für jedes Lied, das er singt, zehn Kopeken, wenn er aber vor die Kirchthüre mit der Leiche kommt, da müssen sie ihm fünfzig Kopeken geben und er klebt dafür dem Todten auf die Stirne einen Paß auf, denn ohne diesen Reisepaß kommt er nicht in das himmlische Kaiserreich."

In der Osterzeit werden auf jedes Grab drei Paar Eier und ein Kuchen gelegt. Das ist für die armen Seelen bestimmt, aber der Pope nimmt das für sich. Was die Beichte anbetrifft, so hört er die Beichte aller, welche noch nicht 17 Jahre alt sind, zusammen, und sollten ihrer auch sechzig sein, denn sie sind keine Sünder'. Einer von den Hiesigen erzählte mir, daß er an dem Tage, an welchem er zur Beichte gehen mußte, bereits Schnaps getrunken hatte. Er sagte also dem Popen: Väterchen gebet mir nicht die hl. Communion, denn ich habe schon Schnaps getrunken. Der Pope aber antwortete darauf: ich werde doch für dich nicht besonders vorbereiten, und gab ihm die Communion.“ 1)

1) Brief Nr. 13 vom 6. November 1889 (gedruckt).

Dem entsprechend sind aber auch die Sitten und das religiöse Leben des Volkes. So schreibt ein anderer Verbannter darüber:

„Wir hatten bis jezt keinen Begriff von der orthodoxen Religion, nun aber sehen wir sie mit eigenen Augen. Das Volk heiligt hier weder den Sonntag noch andere Feiertage und in die Cerkiew gehen sie selten, höchstens wenn es durchaus nothwendig ist, z. B. wenn sie heirathen sollen. Dann müssen die Brautleute dem Popen mehrere Flaschen Branntwein, Fleisch und ein Paar Fuhren Heu mitbringen. Der Bräutigam muß aber dem Popen nach der Trauung acht Tage ohne Lohn arbeiten, obgleich sie für eine Trauung zehn und auch zwanzig Rubel zahlen müssen. Da nun aber das Volk hier arm ist, so müssen sie ein Vieh verkaufen, wenn sie getraut werden sollen." 1)

Ebenso wie in Polen, hatte die russische Regierung auch in jenen Gegenden Bekehrungsversuche gemacht und sowohl heidnische als muhamedanische Völkerschaften der „amtlichen Kirche" von Amtswegen zugezählt. Nun müssen alle die „Neubekehrten“ alle Jahre einmal zur Beichte gehen, ihre Kinder taufen und sich in der Kirche trauen lassen. Doch im Herzen sind sie der „amtlichen" Religion ganz fremd. Sie gehen an Sonntagen nur dann in die Cerkiew, wenn eine bestimmte Reihe an sie kommt und der „Starost“ sie dahin ruft. Da sie auch das Russische nicht recht verstehen, so kommen bei der Beichte manche spaßigen Irrungen vor. Aber der Pope benußt ihre Anwesenheit in der Kirche dazu, daß er sie den Rest des Sonntages auf seinem Felde arbeiten läßt und sie dafür mit Schnaps traktirt 2)

Die Bevölkerung des Gouvernements Orenburg besteht aus verschiedenartigen Stämmen: der Baschkiren (246,000), Kirgisen (42,000), Tschuden, Wessen, Muromer u. a., welche

1) Brief Nr. 22 vom 14. März 1890 (ungedruckt). 2) Brief Nr. 20 vom 16. Januar 1890 (gedruckt).

turanischer und finnischer Abkunft sind und ihre eigenen Muttersprachen haben. Die eigentliche russische Bevölkerung bilden die Kosaken (229,000), welche auch zur Eroberung dieser Länder das meiste beigetragen haben. Das geschah aber erst im vorigen Jahrhundert und zu diesem Zwecke ward die Grenzfestung Orsk angelegt (1735). Sie wurde aber von den Einwohnern, namentlich den Baschkiren und Kirgisen zerstört (1743) und so wurde Orenburg als Grenzfeste angelegt. Sie bewährte sich auch in der Revolte Bugatscheff's zur Zeit Katharina's II. (1773), da sie eine sechsmonatliche Belagerung aushielt.

Seitdem ist die Russificirung jener Völker durch den allgemeinen Militärdienst soweit vorgeschritten, daß sie wohl meistens russisch verstehen, aber die Propaganda der russischen „amtlichen“ Kirche stößt auf größere Hindernisse. Es gibt hier der Confession nach: 245,000 Muhamedaner, 20,000 verschiedene Seftirer, Juden und Heiden, den Rest bilden die Orthodoxen. Die Einwohnerzahl beträgt (nach der Zählung von 1883) 1,198,360, so daß durchschnittlich 6 Menschen auf einen Kilometer zu wohnen kommen.

Unter den Orthodoxen gehören aber viele zu den verschiedenen Sekten: der Malakanen, Sabbatniker, Stundisten; Skopzen, Chlysten u. s. w., welche unsere Verbannten auch dort kennen gelernt haben und in ihren Briefen öfters beschreiben. 1) Da aber dieser Gegenstand, namentlich nach der ausführlichen Arbeit von Leroy - Beaulieu 2) eine eingehendere Behandlung verdient, so wollen wir ihn hier nur erwähnt haben. Es ist dies ein Krebsschaden, an dem die „amtliche Kirche“ leidet und den die russische Regieruug zu entfernen nicht im Stande ist.

1) Brief Nr. 28 vom 28. Dezember 1889 und Brief Nr. 20 vom 16. Januar 1890 (beide gedruckt).

2) Anatole Leroy-Beaulieu, L'empire des Tsars et les Russes. Tome III, La Religion. Paris 1889. Livre III, Le Raskol et les sectes p. 326-570.

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