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Der Cultusminister andererseits sprach in seinen Schlußausführungen troß seiner früheren geharnischten Erklärung von der Möglichkeit einer formalen Aenderung der viel besprochenen ministeriellen Verordnung, und die lettere wurde hierauf mit großer Majorität angenommen.

Es scheint nun die Hoffnung vorhanden zu sein, daß ein modus vivendi gefunden wird, der, wenn auch correkt katholisch- conservativen Ansichten nicht ganz entsprechend, es verhindern dürfte, daß der gegenwärtige Conflikt die Dimensionen eines Culturkampfes erreicht.

Werden nach allen diesen Erfahrungen die Anhänger des Grafen Apponyi, besonders der zahlreiche Seelsorgeflerus, der in ihm die Stüße einer künftigen katholischen Richtung in der ungarischen Regierung erblicken wollte, an dem Auftreten ihres vermeintlichen Führers noch nicht irre werden? Können sie noch zweifeln an der Richtigkeit des Sprichwortes: „Sage mir, mit wem Du umgehest und ich sage Dir, wer Du bist?" Wird ihnen nicht endlich bange werden vor Dem, wessen sie sich seinerseits noch etwa zu versehen haben könnten?

LXXIV.

Zeitläufe.

Social politische Aphorismen über die Stellung der Parteien und ihrer Stimmführer.

Den 12. December 1890.

Im ersten Schrecken über den Ausfall der Reichstagswahlen vom 20. Februar hat ein hochliberales Blatt sich schreiben lassen: „Wir stehen unverkennbar einer gesellschaftlichen Neuordnung gegenüber. Wie das 18. Jahrhundert in seinem lezten Jahrzehnt die Organisation des dritten Standes geboren, ringt das scheidende 19. um die Organisation des vierten. Das scheidende 18. Jahrhundert hat die Intelligenz in ihre Rechte eingeseßt, das 19. Jahrhundert endet mit der Organisation der Arbeit. Die Lehren der Geschichte klopfen vernehmlich an die Thore der europäischen Staaten; eine große Bewegung der Geister vermag man aber nur zu beherrschen, wenn man an ihre Spiße und für die Verwirklichung jenes berechtigten Kernes eintritt."1) Das ist die Arbeiterfrage, richtig verstanden; Niemand hat aber dieselbe fälschlicher verstanden und bettelhafter behandelt, als Fürst Bismarck und die ihm heute noch nachbetende Bureaukratie.

Ebensowenig, wie er, will auch die Socialdemokratie die richtige Lösung der Arbeiterfrage, da dieselbe immer noch im Rahmen der bestehenden Gesellschaft läge. Die Partei be

1) Münchener Allg. Beitung" vom 24. Februar 1890.

nüßt die Arbeiterfrage als solche nur als Mittel zum Zweck; sie dient ihr zur Rekrutirung für ihre Umsturzarmee. Hr. Liebknecht hat sich darüber in einer Berliner Versammlung mit aller Deutlichkeit ausgesprochen: „Keine Regierung der Welt, und wäre ihre Macht noch so groß und hätte sie über noch so viele Bajonette zu gebieten, ist im Stande, sich dem Willen des Volkes erfolgreich zu widersetzen. Bereits sieht sich die Regierung veranlaßt, das Socialistengeseß aufzuheben und eine, wenn auch noch so mangelhafte, Social- und Arbeiterschuß-Gesezgebung zu schaffen. Das geschieht doch lediglich, weil wir bereits eine Macht sind, mit der man rechnen muß. Haben wir erst das Volk hinter uns und die Majorität im Reichstage, dann muß sich entweder der Staat in einen socialdemokratischen verwandeln oder es gibt eine furchtbare Katastrophe, bei der aber der Socialismus als Sieger hervorgehen wird. Es ist doch nicht außer Acht zu lassen, daß den Staat das Volk bildet."1)

Denjenigen, welche meinen, daß eine Zufriedenstellung der Arbeiterwelt auch die Socialdemokratie beruhigen und befehren würde, kann man nicht oft genug sagen: „nicht ale eine geistig-politische Parteibestrebung sei die socialdemokratische Bewegung aufzufassen, viel eher gleiche sie einer religiösen Neuerung; es sei eine völlig neue und andersartige Weltanschauung, die nicht nach Gleichberechtigung, sondern nach Alleinherrschaft und Vernichtung aller andern Parteien strebe." Es ist wieder ein nationalliberaler Parteiführer, der diesen Saz ausspricht. 2) Zugleich muß er aber gestehen, daß es gerade die herrschenden Zustände in den oberen Schichten der Gesellschaft seien, welche für die Predigt der neuen Irreligion nur allzu viel bilder- und beispielsreichen Stoff liefern.

1) Münchener Allg. Zeitung" vom 6. Septbr. 1890.

2) Der Abg. Otto Arendt in Berlin in seinem „Deutschen Wochenblatt" vom 25. September 1890.

„Die Krankheit, deren Erscheinungsform die Socialdemokratie ist, ist die Unzufriedenheit, welche alle Claffen der Bevölkerung gleichmäßig ergriffen hat. Die schnelle wirthschaftliche Entwickelung, die bei uns um so fühlbarer ist, als wir viel gegenüber unseren westlichen Nachbarstaaten einzuholen hatten, hat das wirthschaftliche Gleichgewicht gestört; die Bedürfnisse und Ansprüche sind rascher gewachsen, als die Mittel zu ihrer Be= friedigung. Eine allgemeine Großmannssucht ist eingerissen, Jeder will möglichst hoch hinaus In den besißenden Classen drängt alle Welt zu den Universitäten und zum Offiziersstand, Technik und Handwerk werden vernachlässigt, an Volksschullehrern fehlt es, aber studirte Lehrer sind erdrückend zahlreich. Die Sucht nach rascher Bereicherung führt naturgemäß zur Belebung wildester Spekulation, deren Zusammenbruch dann nicht dem eigenen Leichtsinn, sondern den staatlichen Einrichtungen zur Last gelegt wird. Ist es ein Wunder, daß die arbeitenden Classen von dieser Bewegung mit fortgerissen werden? Sie haben gelernt zu sehen und zu denken, und sie sind nicht Willens, die unerbittlichen Schlüsse aus der Logik der Thatsachen hinzunehmen, welche die Güter dieses Lebens so ungleich vertheilt. Selbstverständlich muß derjenige willige Hörer finden, der das ausspricht, was unwillkürlich jedem Einzelnen im Herzen ruht, der mit harter Arbeit, und oft genug mit banger Sorge um sein täglich Brot, sich kümmerlich durchschlägt, während rings um ihn Reichthum und Glanz die Freuden des Lebens verführerisch enthüllen."

Der Streit zwischen den „Alten“ und den „Jungen“ in der Socialdemokratie dreht sich um den Einen Punkt, ob man, wie leştere meinen, der Arbeiterwelt und der allgemeinen Unzufriedenheit bereits hinreichend sicher sei, um mit der Predigt und Praxis der neuen Weltanschauung hervortreten zu dürfen, oder ob man fortfahren müsse, unter und neben den anderen Parteien wie Ihresgleichen zu arbeiten, insbesondere zu „parlamenteln". Die „Alten" sind entschieden für ein vorsichtiges Operiren vorerst noch auf dem Boden der bestehenden Gesellschaftsordnung. Denn noch sei die Partei erst im Begriffe, die socialistische Idee mit den zeit

lichen Ansprüchen der Masse unlöslich zu verbinden; insbesondere komme ihre eifrige parlamentarische Thätigkeit den Volksforderungen nach greifbaren Resultaten nur entgegen, und würde sie Abstinenzpolitik treiben wollen, so würde sich die Masse einfach von ihr abwenden und am Ende vom socialen Königthum" sich einfangen lassen. Man dürfe nur ja die bestehende Macht der monarchischen, überhaupt der historischen, Autoritätsidee nicht unterschäßen.

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So das Leipziger Parteiorgan. Und auf Grund dieser Säge kommt es zu dem Schlusse, daß die Socialdemokratie die Fachbewegung eifrig pflegen müsse, denn die Theorie der Partei werde durch die Beschäftigung mit der beruflichen Praxis am sichersten aus dem Bereiche der Utopie auf das Gebiet der Realität geführt." Schon jezt sei das Verhältniß der Partei zur Arbeiterschaft ein innigeres, als dieß vor dem Jahre 1878 der Fall gewesen, indem der Druck des Socialistengesezes die Socialdemokratie genöthigt habe, ihr Agitationsfeld mehr in die Gewerbe, die Fachvereine, zu verlegen. „Hatte man vor 1878 den beruflichen Angelegenheiten nicht allgemein die nothwendige eingehende Aufmerksamkeit geschenkt, so wurde der Beruf jezt das eigentliche Agitationsfeld aller socialistischen Arbeiten. Durch die in den 80er Jahren zahlreich entstandenen Fachvereine schuf die Masse nicht nur ein disciplinirtes Heer auch für die Zeit freierer politischen Bewegung, sie verschaffte sich unter dem Leitstern der Solidarität auch erhebliche materielle Vortheile in Gestalt von Lohnerhöhung und Arbeitszeitverkürzung, ferner schliff sie den Dünkel der einen Arbeiterbranche gegenüber der andern mehr und mehr ab.") Selbst in den Organen der „Jungen“ drängte der Rückblick auf die Geschichte der socialdemokratischen Bewegung mitunter den Gedanken auf, daß sie mit dieser Pruris denn doch solidere Geschäfte mache, als mit Verkündigung der - Idee.

1) Aus dem Leipziger Wähler in der Augsburger Postzeitung" vom 25. Septbr. 1890.

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